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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 15. Juni 2005

 

Lesung: Psalm 123, 1–4

1 Aufblick zu Gott [Ein Wallfahrtslied.] Ich erhebe meine Augen zu dir, der du hoch im Himmel thronst.
2 Wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, so schauen unsre Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er uns gnädig ist.
3 Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig! Denn übersatt sind wir vom Hohn der Spötter,
4 übersatt ist unsre Seele von ihrem Spott, von der Verachtung der Stolzen.

 

Psalm 123
Das Vertrauen des Volkes

Liebe Brüder und Schwestern!

Ihr habt leider unter dem Regen gelitten. Jetzt hoffen wir, daß das Wetter besser wird.

1. Jesus bekräftigt im Evangelium sehr einprägsam, daß das Auge ein ausdruckvolles Zeichen des inneren Ich ist, ein Spiegel der Seele (vgl. Mt 6,22–23). Der soeben verkündete Psalm 123 beschreibt also eine Begegnung von Blicken. Der Gläubige erhebt seine Augen zum Herrn und erwartet eine göttliche Reaktion, um darin eine Geste der Liebe, einen Blick des Wohlwollens zu erkennen.

Auch wir erheben ein wenig die Augen und warten auf eine Geste des Wohlwollens von seiten des Herrn. Nicht selten ist im Psalter die Rede vom Blick des Allerhöchsten, der »vom Himmel herab[blickt] auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht« (Ps 14,2). Der Psalmist bedient sich, wie wir gehört haben, eines Vergleichs mit dem Knecht und der Magd, die sich an ihren Herrn wenden in Erwartung eines befreienden Entscheids.

Auch wenn sich die Szene auf die antike Welt und ihre gesellschaftlichen Strukturen bezieht, ist der Gedanke klar und bedeutungsvoll: Das aus der Welt des Alten Orients entlehnte Bild will das Festhalten des Armen, die Hoffnung des Unterdrückten und die Bereitschaft des Gerechten gegenüber dem Herrn hervorheben.

2. Der Beter wartet darauf, daß sich die göttlichen Hände regen, weil sie der Gerechtigkeit entsprechend handeln und das Böse vernichten werden. Deshalb richtet der Beter im Psalter oft seine Augen voll Hoffnung auf den Herrn: »Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn er befreit meine Füße aus dem Netz« (Ps 25,15), doch »mir versagen die Augen, während ich warte auf meinen Gott« (Ps 69,4).

Psalm 123 ist ein Bittgebet, in dem sich die Stimme eines Gläubigen mit den Stimmen der ganzen Gemeinde vereint. Denn der Psalm wechselt von der ersten Person Singular – »ich erhebe« – zum Plural – »unsere Augen« und »sei uns gnädig« (vgl. V. 1–3). Es wird die Hoffnung ausgedrückt, daß die Hände des Herrn sich öffnen und Geschenke der Gerechtigkeit und Freiheit austeilen. Der Gerechte erwartet, daß sich der göttliche Blick in seiner ganzen Milde und Güte offenbart, wie es in dem alten Priestersegen des Buches Numeri zu lesen ist: »Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (Num 6, 25–26).

3. Wie wichtig der liebevolle Blick Gottes ist, das wird im zweiten Teil des Psalms deutlich, der von der Anrufung: »Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig!« (Ps 123,3), geprägt ist. Diese steht im Zusammenhang mit dem Ende des ersten Teils, wo das vertrauensvolle Warten auf den Herrn, unseren Gott, »bis er uns gnädig ist« (V. 2), betont wird.

Die Gläubigen benötigen Gottes Eingreifen, weil sie aufgrund der Verachtung und Verhöhnung seitens der Stolzen in einer schmerzlichen Lage sind. Der Psalmist verwendet nun das Bild der Sattheit: »Denn übersatt sind wir vom Hohn der Spötter. Übersatt ist unsere Seele von ihrem Spott, von der Verachtung der Stolzen« (V. 3–4).

Der traditionellen biblischen Sattheit an Speise und an Lebensjahren, die als Zeichen des göttlichen Segens gelten, wird jetzt ein unerträgliches Sattsein entgegengesetzt, das aus einer übergroßen Last von Erniedrigungen besteht. Und wir wissen, daß heute viele Nationen, viele Menschen tatsächlich mit Hohn überschüttet werden und daß sie den Spott der Genießer, die Verachtung der Stolzen »satt« haben. Beten wir für sie, und helfen wir unseren gedemütigten Brüdern.

Die Gerechten haben deshalb ihre Anliegen dem Herrn anvertraut, und er bleibt nicht gleichgültig gegenüber den flehenden Blicken, er ignoriert ihre und unsere Bitten nicht, er enttäuscht ihre Hoffnung nicht.

4. Zum Abschluß hören wir die Stimme des hl. Ambrosius, des großen Erzbischofs von Mailand, der im Geist des Psalmisten das Werk Gottes, das uns in Jesus, dem Erlöser, erreicht, poetisch zum Ausdruck bringt: »Christus ist alles für uns. Wenn du eine Wunde behandeln willst, ist er Arzt; wenn du vom Fieber ausgedorrt bist, ist er Quelle; wenn du durch Ungerechtigkeit unterdrückt wirst, ist er Gerechtigkeit; wenn du Hilfe brauchst, ist er Kraft; wenn du den Tod fürchtest, ist er Leben; wenn du den Himmel ersehnst, ist er Weg; wenn du die Finsternis fliehst, ist er Licht; wenn du Speise suchst, ist er Nahrung« (La verginità, 99: SAEMO, XIV/2, Mailand/ Rom 1989, S. 91


Das Gebet gleicht einem geistigen Erheben der Augen, einem hoffnungserfüllten Aufschauen zu Gott. Mit seinem Blick richtet der Beter sein Innerstes, seine Seele auf den Herrn. Aufmerksam gegenüber dem göttlichen Willen vertrauen die Gläubigen auf sein Eingreifen in Liebe und Güte, wie Psalm 123 sagt: „Wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, so schauen unsre Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er uns gnädig ist“ (V. 2).

Der Herr läßt sein Angesicht über den Seinen leuchten. Wir alle bedürfen der liebevollen Zuwendung Gottes; ohne seine Hilfe geht unser Leben fehl. Denn oft sind wir der Verachtung und des Spottes derer ausgesetzt, die Gott aus ihrem Leben ausschließen. Wir wissen, daß der Herr das Vertrauen und die Hoffnung der Seinen nicht enttäuscht. Wenn die Augen unseres Herzens seinem väterlichen Blick begegnen, erblüht in unserer Seele die Gnade und wir werden heil.

***

Mit großer Freude heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. In Jesus Christus erstrahlt uns das Antlitz der Liebe Gottes. Richtet eure Augen stets auf den Herrn! Ja, stellt euer ganzes Leben unter seine Führung! Er schaut in seiner Güte auf uns und schenkt uns die Fülle des Heils. Die Gnade Gottes sei allezeit mit euch!

 

 



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