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EUCHARISTIEFEIER ZUM ABSCHLUSS DER XII. GENERALVERSAMMLUNG
DER BISCHOFSSYNODE

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom
Sonntag, 26. Oktober 200
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Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Das Wort des Herrn, das eben im Evangelium erklungen ist, hat uns daran erinnert, daß in der Liebe das gesamte göttliche Gesetz zusammengefaßt ist. Der Evangelist Matthäus berichtet, daß die Pharisäer, nachdem Jesus die Sadduzäer mit seiner Antwort zum Schweigen gebracht hatte, zusammengekommen waren, um ihn auf die Probe zu stellen (vgl. 22,34–35). Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, fragte ihn: »Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?« (V. 36). Die Frage läßt die in der alten jüdischen Tradition vorhandene Besorgnis erkennen, ein einendes Prinzip für die verschiedenen Formulierungen des göttlichen Willens zu finden. Dies war keine einfache Frage, wenn man bedenkt, daß es im Gesetz Mose 613 Gebote und Verbote gab. Wie sollte man erkennen, welches von ihnen das größte ist? Aber Jesus antwortet ohne zu zögern: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot« (V. 37–38). In seiner Antwort zitiert Jesus das Shemà, das Gebet, das der fromme Israelit mehrmals am Tag spricht, vor allem am Morgen und am Abend (vgl. Dtn 6.4–9; 11,13–21; Num 15,37–41): der Ausruf der Gott als dem einzigen Herrn geschuldeten ganzheitlichen und totalen Liebe. Die Betonung liegt auf der Totalität dieser Hingabe an Gott, es werden die drei Fähigkeiten aufgezählt, die den Menschen in seinen tiefen psychischen Strukturen ausmachen: Herz, Seele und Verstand. Der Begriff Verstand, diánoia, umfaßt den rationalen Aspekt. Gott ist nicht nur Gegenstand der Liebe, der Pflicht, des Willens und des Gefühls, sondern auch des Intellekts, der deshalb aus diesem Bereich nicht ausgeschlossen werden darf. Vielmehr ist es gerade unser Denken, das wir mit den Gedanken Gottes in Einklang bringen müssen. Dann aber fügt Jesus etwas hinzu, nach dem der Gesetzeslehrer in Wirklichkeit gar nicht gefragt hatte: »Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (V. 39). Das Überraschende der Antwort Jesu besteht in der Tatsache, daß er eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem ersten und dem zweiten Gebot herstellt, das er in gleicher Weise mit einer biblischen, dem levitischen Kodex der Heiligkeit (vgl. Lev 19,18) entnommenen Formulierung beschreibt. Und schließlich werden am Schluß des Abschnitts die beiden Gebote miteinander verbunden in ihrer Rolle als fundamentales Prinzip, auf dem die gesamte biblische Offenbarung ruht: »An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten« (V. 40).

Der Text aus dem Evangelium, über den wir nachdenken, unterstreicht, daß Jünger Christi zu sein bedeutet, nach seinen Lehren zu handeln, die zusammengefaßt sind im ersten und größten Gebot des göttlichen Gesetzes, dem Gebot der Liebe. Auch die erste Lesung aus dem Buch Exodus hebt die Pflicht der Liebe hervor; eine Liebe, die in den Beziehungen zwischen den Personen konkret bezeugt wird: es müssen von Achtung, Zusammenarbeit und großherziger Hilfe geprägte Beziehungen sein. Auch der Fremde, die Witwe und der Bedürftige – das heißt jene Mitbürger, die niemand »verteidigt« – sind Nächste, die geliebt werden sollen. Der biblische Autor beschäftigt sich auch mit Einzelheiten, wie im Fall des einem Armen geliehenen Objektes (vgl. Ex 22,25–26). Hier ist es Gott selbst, der sich zum Garanten der Situation macht, in der sich dieser Nächste befindet.

In der zweiten Lesung können wir eine konkrete Umsetzung des höchsten Gebotes der Liebe in einer der ersten christlichen Gemeinden erkennen. Der hl. Paulus schreibt an die Thessalonicher und gibt ihnen zu verstehen, daß er sie schätzt und voll Zuneigung in seinem Herzen trägt, obwohl er sie erst seit kurzem kennt. Er weist auf sie als »Vorbild für alle Gläubigen in Mazedonien und in Achaia« (1 Thess 1,6–7) hin. Es fehlt in dieser erst vor kurzem gegründeten Gemeinde sicher nicht an Schwächen und Schwierigkeiten, aber es ist die Liebe, die alles überwindet, alles erneuert und alles besiegt: die Liebe dessen, der im Bewußtsein seiner eigenen Grenzen gehorsam den Worten Christi, des göttlichen Meisters, folgt, die durch einen treuen Jünger weitergegeben wurden: »Ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn«, schreibt der hl. Paulus, »ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis aufgenommen«. Und er fährt fort: »Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden« (1 Thess 6.8). Die Lehre, die wir aus der Erfahrung der Thessalonicher ziehen – eine Erfahrung, die in Wahrheit alle authentischen christlichen Gemeinschaften gemeinsam haben –, ist, daß die Liebe zum Nächsten aus dem gehorsamen Hören des göttlichen Wortes kommt. Es ist eine Liebe, die auch harte Prüfungen für die Wahrheit des göttlichen Wortes auf sich nimmt, und gerade so wächst die wahre Liebe, und die Wahrheit erstrahlt in ihrem vollen Glanz. Wie wichtig ist es also, das Wort zu hören und ihm im persönlichen und gemeinschaftlichen Leben Gestalt zu verleihen!

In dieser Eucharistiefeier zum Abschluß der Synodenarbeiten nehmen wir in einzigartiger Weise die Beziehung wahr, die zwischen dem liebevollen Hören auf Gottes Wort und dem uneigennützigen Dienst an den Brüdern besteht. Wie oft haben wir in den vergangenen Tagen Erfahrungen und Reflexionen gehört, die unterstreichen, daß es heute ein wachsendes Bedürfnis gibt, innerlicher auf Gott zu hören, sowie sein Heilswort wahrhaft zu kennen und in aufrichtigerer Weise den Glauben zu teilen, der sich beständig am Tisch des göttlichen Wortes nährt! Liebe und verehrte Brüder, ich danke jedem von euch für das, was er zur Vertiefung des Synodenthemas »Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche« beigetragen hat. Ich grüße euch alle voll Zuneigung. Einen besonderen Gruß richte ich an die Herren Kardinäle: die Delegierten Präsidenten und den Generalsekretär der Synode, denen ich für ihren beständigen Einsatz danke. Ich grüße euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr aus allen Kontinenten gekommen seid und eure bereichernde Erfahrung mitgebracht habt. Übermittelt bei eurer Rückkehr allen den herzlichen Gruß des Bischofs von Rom. Ich grüße die Bruderdelegierten, die Experten, die Auditoren und die Sondergäste, die Mitglieder des Generalsekretariats der Synode und alle für die Pressearbeit Zuständigen. Ein besonderer Gedanke gilt den Bischöfen Kontinentalchinas, die nicht an dieser Synodenversammlung teilnehmen konnten. Ich möchte an dieser Stelle ihrer Liebe zu Christus, ihrer Gemeinschaft mit der Weltkirche und ihrer Treue zum Nachfolger des Apostels Petrus meine Stimme verleihen und Gott dafür danken. Wir denken in unserem Gebet an sie und alle ihrer Hirtensorge anvertrauten Gläubigen. Bitten wir den »obersten Hirten« (1 Petr 5,4), ihnen Freude, Kraft und apostolischen Eifer zu schenken, damit sie mit Weisheit und Weitsicht die katholische Gemeinschaft in China führen können, die uns so sehr am Herzen liegt.

Wir alle, die wir an den Synodenarbeiten teilgenommen haben, nehmen das erneuerte Bewußtsein mit, daß die Hauptaufgabe der Kirche am Beginn des neuen Jahrtausends vor allem darin besteht, sich vom Wort Gottes zu ernähren, um den Einsatz in der Neuevangelisierung, der Verkündigung in unserer Zeit wirksam werden zu lassen. Jetzt muß diese kirchliche Erfahrung in jede Gemeinschaft hineingetragen werden; wir müssen die Notwendigkeit erkennen, das gehörte Wort in Gesten der Liebe umzusetzen, weil nur so die Verkündigung des Evangeliums glaubwürdig wird, trotz aller menschlicher Schwächen. Das erfordert vor allem eine noch tiefere Kenntnis Christi und ein immer fügsameres Hören auf sein Wort.

In diesem Paulusjahr machen wir uns die Worte des Apostels zu eigen: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde« (1 Kor 9,16), und ich wünsche von Herzen, daß in jeder Gemeinschaft mit immer festerer Überzeugung diese Sehnsucht des hl. Paulus als Berufung im Dienst am Evangelium für die Welt wahrgenommen wird. Am Beginn der Synodenarbeiten habe ich an den Aufruf Jesu erinnert: »die Ernte ist groß« (Mt 9,37), ein Aufruf, auf den wir unermüdlich antworten müssen trotz der Schwierigkeiten, auf die wir stoßen können. So viele Menschen sind auf der Suche, manchmal sogar ohne sich dessen bewußt zu sein, nach der Begegnung mit Christus und seinem Evangelium; so viele haben es nötig, in ihm den Sinn ihres Lebens zu finden. Ein klares und gemeinsames Zeugnis von einem Leben nach dem von Jesus bezeugten Wort Gottes zu geben ist daher ein unerläßlicher Prüfstein für die Sendung der Kirche.

Die Lesungen, die die Liturgie uns heute zur Betrachtung anbietet, erinnern uns daran, daß die Fülle des Gesetzes sowie aller göttlichen Schriften die Liebe ist. Wer also meint, die Schriften oder zumindest irgendeinen Teil von ihnen verstanden zu haben, ohne sich durch ihr Verständnis auch dafür einzusetzen, die zweifache Liebe zu Gott und zum Nächsten aufzubauen, zeigt in Wirklichkeit, daß er noch weit davon entfernt ist, den tiefen Sinn verstanden zu haben. Aber wie soll man dieses Gebot in die Tat umsetzen, wie könnte man die Liebe zu Gott und den Brüdern ohne einen lebendigen und intensiven Kontakt mit den Heiligen Schriften leben? Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt: »Der Zugang zur Heiligen Schrift muß für die an Christus Glaubenden weit offenstehen« (Konstitution Dei Verbum, 22), damit die Menschen, wenn sie der Wahrheit begegnen, in der echten Liebe wachsen können. Es handelt sich um ein heute unerläßliches Erfordernis für die Evangelisierung. Und weil die Begegnung mit der Schrift oft Gefahr läuft, keine »kirchliche Angelegenheit« zu sein, sondern Subjektivismus und Willkür ausgesetzt ist, wird es unerläßlich, durch eine gehaltvolle und glaubwürdige Pastoral, die Kenntnis der Heiligen Schrift zu fördern, um das Wort in der christlichen Gemeinschaft zu verkünden, zu feiern und zu leben. Dies soll im Dialog mit den Kulturen unserer Zeit geschehen, im Dienst der Wahrheit und nicht der gängigen Ideologien, zur Vertiefung des Dialogs, den Gott mit allen Menschen führen will (vgl. ebd., 21). Zu diesem Zweck muß der Vorbereitung der Priester besondere Sorgfalt gewidmet werden, denn sie sollen anschließend die Beschäftigung mit der Bibel anhand von geeigneten Hilfsmitteln fördern. Die gegenwärtigen Bemühungen, um unter den Laien Initiativen in bezug auf die Bibel und besonders unter den Jugendlichen die Ausbildung von Gruppenleitern ins Leben zu rufen, müssen ermutigt werden. Das Bemühen, den Glauben durch das Wort Gottes auch den Fernstehenden und besonders denen, die ernsthaft auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind, bekannt zu machen, muß unterstützt werden.

Viele andere Überlegungen wären noch hinzuzufügen, ich beschränke mich aber darauf, zu unterstreichen, daß der privilegierte Ort, an dem das Wort Gottes, das die Kirche aufbaut, erklingt – wie während der Synode oftmals betont wurde – zweifellos die Liturgie ist. Hier scheint auf, daß die Bibel das Buch eines Volkes und für ein Volk ist; ein Erbe, eine den Lesern übergebene Hinterlassenschaft, damit sie in ihrem Leben die Heilsgeschichte Gegenwart werden lassen, deren schriftliches Zeugnis die Bibel bewahrt. Deshalb gibt es eine Beziehung wechselseitiger, lebenswichtiger Zugehörigkeit zwischen Volk und Buch: die Bibel bleibt ein lebendiges Buch mit dem Volk, seinem Subjekt, das sie liest; das Volk existiert nicht ohne das Buch, denn in ihm findet es seine Daseinsberechtigung, seine Berufung, seine Identität. Diese wechselseitige Zugehörigkeit von Volk und Heiliger Schrift wird in jeder liturgischen Versammlung gefeiert, die durch den Heiligen Geist auf Christus hört, denn er ist es, der spricht, wenn in der Kirche die Schrift gelesen und der erneuerte Bund Gottes mit seinem Volk angenommen wird. Schrift und Liturgie stimmen in dem einen Ziel überein, das Volk Gottes zum Dialog mit dem Herrn sowie zum Gehorsam gegenüber dem Willen des Herrn zu führen. Das aus dem Mund Gottes hervorgegangene und in den Schriften bezeugte Wort kehrt zu ihm zurück in der Form der betenden Antwort des Volkes, einer gelebten Antwort, einer Antwort, die der Liebe entspringt (vgl. Jes 55,10–11).

Liebe Brüder und Schwestern, beten wir, damit das erneuerte Hören auf das Wort Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes eine echte Erneuerung der universalen Kirche und jeder kirchlichen Gemeinschaft hervorbringen kann. Wir vertrauen die Früchte dieser Synodenversammlung der mütterlichen Fürsprache der Jungfrau Maria an. Ihr vertraue ich auch die II. Sonderversammlung der Synode für Afrika an, die nächstes Jahr in Rom stattfinden wird. Ich habe die Absicht, mich im nächsten März nach Kamerun zu begeben, um den Vertretern der Bischofskonferenzen Afrikas das Instrumentum laboris dieser Synodenversammlung zu übergeben. Von dort aus werde ich mich, so Gott will, nach Angola begeben, um feierlich eine der ältesten sub-saharischen Kirchen zu ehren. Die allerseligste Jungfrau Maria – die als »Magd des Herrn« ihr Leben hingegeben hat, damit sich alles in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes erfülle (vgl. Lk 1,38) und die aufgefordert hat, alles zu tun, was Jesus sagt (vgl. Joh 2,5) – möge uns lehren, in unserem Leben den Primat des Wortes anzuerkennen, das allein uns Rettung schenken kann. Amen!

     

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