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BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN HERRN JACQUES DIOUF,
GENERALDIREKTOR DER F.A.O.,
AUS ANLASS DES WELTERNÄHRUNGSTAGS 2011

   

An Herrn Jacques Diouf
Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (FAO)

1. Die jährliche Feier des Welternährungstages will an die Gründung der FAO erinnern sowie an ihren Einsatz für die Förderung der Landwirtschaftsentwicklung mit dem Ziel, Hunger und Unterernährung zu bekämpfen. Und sie ist auch eine Gelegenheit, um die Aufmerksamkeit auf die Situation so vieler unserer Brüder und Schwestern zu richten, denen das tägliche Brot fehlt.

Wir haben noch die schmerzlichen Bilder der vielen Opfer des Hungers am Horn von Afrika vor Augen, und jeden Tag setzt sich diese Katastrophe fort, die eine der größten humanitären Katastrophen der letzten Jahrzehnte ist. Angesichts des Hungertodes ganzer Gemeinschaften, die gezwungen sind, ihre Herkunftsgebiete zu verlassen, ist sicherlich eine sofortige Hilfe vonnöten, aber es muß auch eine mittel- und langfristige Unterstützung bereitgestellt werden, damit die internationalen Aktivitäten sich nicht darauf beschränken, lediglich auf Notstände zu reagieren. Noch komplexer wird die Situation sicherlich durch die schwere Krise, die weltweit verschiedene Sektoren der Wirtschaft belastet und vor allem die Bedürftigsten hart trifft, denn sie wirkt sich negativ auf die Agrarproduktion und die daraus folgende Möglichkeit des Zugangs zu Nahrungsmitteln aus. Dennoch müssen die Anstrengungen der Regierungen und der verschiedenen Komponenten der internationalen Gemeinschaft auf wirksame Entscheidungen ausgerichtet sein, mit dem Bewußtsein, daß die Freiheit vom Joch des Hungers der grundlegende und konkrete Ausdruck des Rechtes auf Leben ist, das – obwohl feierlich verkündet – oft weit entfernt ist von einer effektiven Umsetzung.

2. Das für diesen Tag gewählte Thema »Nahrungsmittelpreise: Von der Krise zur Stabilität« lädt zu Recht dazu ein, über die Wichtigkeit der verschiedenen Faktoren nachzudenken, die dazu beitragen können, den einzelnen und die Gemeinschaften mit den grundlegenden Mitteln zu versorgen, angefangen von der landwirtschaftlichen Arbeit, die nicht als sekundäre Tätigkeit betrachtet werden darf, sondern das Ziel jeder Wachstumsstrategie und der ganzheitlichen Entwicklung sein muß. Das ist noch wichtiger in diesem Augenblick, wo die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln immer mehr von starken Preis- und plötzlichen Klimaschwankungen abhängig ist.

Zugleich ist ein ständiger Abzug aus den ländlichen Gebieten zu beobachten, der eine Verringerung der Agrarproduktion und demnach der Nahrungsmittelvorräte zur Folge hat. Angesichts dieser Realität scheint jedoch leider hier und da die Vorstellung vorzuherrschen, daß Lebensmittel eine Ware wie jede andere sind und deshalb auch der wirtschaftlichen Spekulation unterliegen. Man darf nicht übersehen, daß trotz der bisherigen Fortschritte und der begründeten Hoffnungen für eine Wirtschaft, die immer mehr die Würde jedes Menschen achtet, die Zukunft der Menschheitsfamilie einen neuen Impuls braucht, um die aktuellen Schwächen und Unsicherheiten zu überwinden. Trotz der globalen Dimension, in der wir leben, sind die Zeichen einer tiefen Spaltung klar erkennbar: zwischen denen, denen der tägliche Lebensunterhalt fehlt, und denjenigen, die über beträchtliche Ressourcen verfügen, sie aber häufig für nahrungsmittelfremde Zwecke gebrauchen oder sie sogar zerstören, was bestätigt, daß die zunehmend globalisierte Gesellschaft uns zu Nachbarn macht, aber nicht zu Geschwistern (vgl. Caritas in veritate, 19). Daher müssen die in das Herz jedes Menschen eingeschriebenen Werte wiederentdeckt werden, die sein Handeln stets bestimmt haben: Die Haltung des Mitleids und der Menschlichkeit gegenüber den anderen, begleitet von der Pflicht zur Solidarität und der Realisierung der Gerechtigkeit, müssen wieder die Grundlage allen Handelns werden, auch die der Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft.

3. Angesichts der Größe des Hungerdramas sind die Einladung zur Reflexion, die Analyse der Probleme und selbst die Bereitschaft zu helfen nicht ausreichend. Allzuoft bleiben diese Faktoren folgenlos, weil sie in der Sphäre der Emotionen eingeschlossen und nicht in der Lage sind, das Gewissen wachzurütteln und dessen Suche nach der Wahrheit und dem Guten in Gang zu setzen. Sehr häufig wird versucht, die vom Egoismus und von partikulären Zielen oder Interessen bestimmten Verhaltensweisen oder Versäumnisse zu rechtfertigen. Im Gegensatz dazu sollte der Zweck dieses Welternährungstages im Einsatz bestehen, Verhaltensweisen und Entscheidungen zu verändern, um sicherzustellen, daß jeder Mensch schon heute und nicht erst morgen Zugang zu den Grundnahrungsmitteln hat und daß der Agrarsektor über ausreichende Investitionen und Ressourcen verfügen kann, um so der Produktion und damit dem Markt Stabilität zu verleihen. Es ist leicht, jede Überlegung auf den Nahrungsmittelbedarf einer wachsenden Bevölkerung zu reduzieren, wohl wissend, daß die Gründe für den Hunger anderswo liegen und er zahlreiche Opfer fordert unter den vielen, die wie Lazarus nicht an derselben Tafel mit dem Reichen sitzen können (vgl. Paul VI., Populorum progressio, 47).

Es geht also darum, eine verantwortungsbewußte innere Haltung anzunehmen, die in der Lage ist, zu einem anderen Lebensstil, einer notwendigen Einfachheit im Verhalten und im Konsum zu inspirieren, um das Gemeinwohl der Gesellschaft zu fördern und auch das Wohl der kommenden Generationen zu unterstützen, was Nachhaltigkeit, Bewahrung und Schutz der Schöpfung, Verteilung der Ressourcen und vor allem ein konkretes Engagement für die Entwicklung ganzer Völker und Nationen angeht. Die Begünstigten der internationalen Zusammenarbeit sind ihrerseits dazu aufgerufen, jede solidarische Unterstützung in verantwortlicher Weise zu nutzen. »Dies kann geschehen durch Investitionen in die ländliche Infrastruktur, in Bewässerungssysteme, in Transportwesen, in die Organisation von Märkten, in die Bildung und Verbreitung von geeigneten landwirtschaftlichen Techniken – also durch Investitionen, die geeignet sind, die menschlichen, natürlichen und sozioökonomischen Ressourcen, die auf lokaler Ebene am zugänglichsten sind, bestmöglich zu nutzen« (Caritas in veritate, 27).

4. All dies wird sich verwirklichen können, wenn auch die internationalen Institutionen mit Unparteilichkeit und Wirksamkeit ihren Dienst gewährleisten, und dies in vollkommener Achtung der tiefsten Überzeugungen des menschlichen Herzens und der Sehnsüchte jedes Menschen. In dieser Hinsicht kann die FAO dazu beitragen, eine angemessene Ernährung für alle zu gewährleisten, die Anbau- und Vermarktungsmethoden zu verstärken und die Grundrechte jener zu schützen, die den Boden bearbeiten, ohne je die echten Werte zu vergessen, deren Hüter die ländliche Welt und die Menschen, die dort leben, sind.

Die katholische Kirche ist den Organisationen nahe, die sich dafür einsetzen, Nahrungssicherheit zu gewährleisten. Sie wird sie durch ihre Strukturen und Entwicklungsagenturen weiterhin tatkräftig begleiten, damit jedes Volk und jede Gemeinschaft über die notwendige Nahrungsmittelsicherheit verfügt, die kein Kompromiß und keine Verhandlung – wie maßgebend sie auch immer sein mögen – je garantieren kann ohne wirkliche Solidarität und echte Brüderlichkeit. »Dieses Ziel hat eine solche Bedeutung, daß es unsere Aufgeschlossenheit erfordert, damit wir es zutiefst begreifen und uns konkret und ›von Herzen‹ dafür engagieren, daß die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse zu wahrhaft menschlichen Ergebnissen führen« (Caritas in veritate, 20).

Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen, Herr Generaldirektor, daß Sie Ihren Einsatz für die Ärmsten fortsetzen, der diese Jahre der Verantwortung und Hingabe gekennzeichnet hat, während ich auf die FAO, jeden ihrer Mitgliedsstaaten und das gesamte Personal den reichen Segen des Allmächtigen herabrufe.

  BENEDIKT XVI.

 

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