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ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
AN DIE BISCHÖFE, DIE AM STUDIENSEMINAR DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE LAIEN ÜBER DIE NEUEN KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN TEILNEHMEN

Samstag, 17. Mai 2008

  

Herr Kardinal,
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich über die Begegnung mit euch anläßlich des Studienseminars, das vom Päpstlichen Rat für die Laien einberufen wurde, um über die pastorale Fürsorge gegenüber den kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften nachzudenken. Ich danke den zahlreichen Bischöfen aus allen Teilen der Welt, die daran teilgenommen haben: ihr Interesse und ihre lebhafte Beteiligung haben das volle Gelingen der Arbeiten gewährleistet, die heute ihren Abschluß finden. Ich richte an alle Mitbrüder im Bischofsamt und an alle Anwesenden einen herzlichen Gruß der Gemeinschaft und des Friedens; insbesondere grüße ich Herrn Kardinal Stanislaw Rylko und Bischof Josef Clemens, den Präsidenten bzw. Sekretär des Dikasteriums, und ihre Mitarbeiter.

Der Rat für die Laien organisiert nicht zum ersten Mal für die Bischöfe ein Studienseminar über die Laienbewegungen. Ich erinnere mich gut an das Seminar von 1999: es war die ideale pastorale Fortsetzung der Begegnung meines geliebten Vorgängers Johannes Paul II. mit den Bewegungen und neuen Gemeinschaften, die ein Jahr zuvor am 30. Mai stattgefunden hatte. Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre wurde ich persönlich in die Debatte einbezogen. Ich hatte Gelegenheit zu einem direkten Dialog mit den Bischöfen, zu einem offenen und brüderlichen Gedankenaustausch über so viele wichtige Fragen. In entsprechender Weise will das jetzige Studienseminar eine Fortsetzung der Begegnung sein, die ich selbst am 3. Juni 2006 mit einer breiten Vertretung von Gläubigen hatte, die über hundert neuen Laiengemeinschaften angehörten. Bei dieser Gelegenheit verwies ich auf die Erfahrung der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften als das »leuchtende Zeichen der Schönheit Christi und der Kirche, seiner Braut« (vgl. Botschaft an die Teilnehmer des II. Weltkongresses der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, 22. Mai 2006; in O.R. dt. Nr. 23, 9.6.2006, S. 5). Ich wandte mich »an die lieben Freunde in den Bewegungen« und forderte sie auf, immer mehr »Schulen der Gemeinschaft zu sein, Gruppen von Menschen, die auf dem Weg sind, auf dem man lernt, in der Wahrheit und in der Liebe zu leben, die Christus uns offenbart und durch das Zeugnis der Apostel vermittelt hat, im Schoße der großen Familie seiner Jünger« (ebd.).

Die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften sind eine der wichtigsten Neuheiten, die in der Kirche vom Heiligen Geist zur Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils erweckt worden sind. Sie verbreiteten sich kurz vor Beginn des Konzils, vor allem aber in den unmittelbar nachfolgenden Jahren, in einer Zeit, die voll begeisternder Hoffnungen, aber auch von schweren Prüfungen gekennzeichnet war. Paul VI. und Johannes Paul II. vermochten es, den unvorhergesehenen Aufbruch der neuen Realitäten im Bereich der Laien, die in verschiedenen und überraschenden Formen der ganzen Kirche Lebendigkeit, Glaube und Hoffnung wiedergaben, anzunehmen und zu unterscheiden, zu ermutigen und zu fördern. Schon damals gaben die neuen Bewegungen Zeugnis von der Freude, der Vernünftigkeit und der Schönheit des Christseins und zeigten sich dankbar für ihre Zugehörigkeit zu dem Geheimnis der Gemeinschaft, das die Kirche ist. Wir haben das Wiedererwachen eines kräftigen missionarischen Aufschwungs miterlebt, der von dem Wunsch geleitet war, allen die wertvolle Erfahrung der Begegnung mit Christus mitzuteilen, die als einzige angemessene Antwort auf die tiefe Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Wahrheit und Glück wahrgenommen und gelebt wird.

Muß man sich nicht gleichzeitig dessen bewußt sein, daß eine solche Neuheit noch darauf wartet, im Licht des Planes Gottes und der Sendung der Kirche auf den Schauplätzen unserer heutigen Zeit entsprechend verstanden zu werden? Gerade deshalb gab es von seiten der Päpste in steter Folge zahlreiche Beiträge mit orientierenden Hinweisen, die auf der Ebene vieler Ortskirchen einen zunehmend vertieften Dialog und eine intensivere Zusammenarbeit in Gang gebracht haben. Nicht wenige Vorurteile, Widerstände und Spannungen sind dabei überwunden worden. Zu lösen bleibt die wichtige Aufgabe der Förderung einer reiferen Gemeinschaft aller Glieder der Kirche, damit alle Charismen unter Achtung ihrer je besonderen Eigenart voll und frei zum Aufbau des einen Leibes Christi beitragen können.

Ich habe es sehr zu schätzen gewußt, daß als Entwurf für das Studienseminar die Aufforderung ausgewählt wurde, die ich an eine Gruppe deutscher Bischöfe anläßlich ihres »Ad-limina«- Besuches gerichtet habe und die ich genauso heute an euch alle, Bischöfe so vieler Ortskirchen, richte: »Ich bitte euch, mit viel Liebe auf die Bewegungen zuzugehen« (18. November 2006). Ich könnte eigentlich sagen, daß ich dem nichts mehr hinzuzufügen habe! Die Liebe ist das Erkennungszeichen des Guten Hirten: Sie macht die Ausübung des Dienstes, der euch anvertraut wurde, maßgebend und wirksam. Das liebevolle Zugehen auf die Bewegungen und neuen Gemeinschaften veranlaßt uns, ihre Wirklichkeit ohne oberflächliche Eindrücke oder herabsetzende Urteile adäquat kennenzulernen. Es hilft uns auch zu begreifen, daß die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften nicht ein zusätzliches Problem oder Risiko darstellen, das zu unseren ohnehin schon schwierigen Aufgaben noch hinzukommt. Nein! Sie sind ein Geschenk des Herrn, eine wertvolle Ressource, um mit ihren Charismen die ganze christliche Gemeinschaft zu bereichern. Darum darf eine vertrauensvolle Aufnahme nicht fehlen, die ihnen im Leben der Ortskirchen Raum geben und ihre Beiträge schätzen soll. Schwierigkeiten oder Mißverständnisse bezüglich einzelner Fragen berechtigen nicht zu einer ausschließenden Haltung. Das »mit viel Liebe« soll zu Umsicht und Geduld inspirieren. Uns Hirten ist es aufgetragen, die Bewegungen und neuen Gemeinschaften aus der Nähe mit väterlicher Sorge herzlich und weise zu begleiten, damit sie die vielen Gaben, die sie in sich tragen und die wir kennen und schätzen gelernt haben, auf geordnete und fruchtbare Weise hochherzig in den Dienst des gemeinsamen Nutzens stellen können: den missionarischen Eifer, die wirkungsvollen Anleitungen zu christlicher Bildung, das Zeugnis der Treue und des Gehorsams gegenüber der Kirche, die Sensibilität für die Bedürfnisse der Armen, der Reichtum an Berufungen.

Die Wahrhaftigkeit der neuen Charismen ist durch ihre Bereitschaft gewährleistet, sich dem Urteil der kirchlichen Autorität zu unterstellen. Zahlreiche kirchliche Bewegungen und neue Gemeinschaften sind bereits vom Heiligen Stuhl anerkannt worden und müssen daher zweifellos als ein Geschenk Gottes für die ganze Kirche betrachtet werden. Andere, die sich noch in der Entstehungsphase befinden, brauchen den Dienst einer noch aufmerksameren und wachsamen Begleitung seitens der Bischöfe der Ortskirchen. Wer zum Dienst der Unterscheidung und Leitung berufen ist, soll nicht den Anspruch erheben, über die Charismen zu herrschen, sondern sich vielmehr vor der Gefahr vorsehen, sie zu ersticken (vgl. 1 Thess 5,19–21), indem er der Versuchung widersteht, das zu vereinheitlichen, was der Heilige Geist vielfältig wollte, um am Aufbau und an der Ausbreitung des einen Leibes Christi mitzuwirken, den derselbe Geist in der Einheit festigt. Der vom Geist Gottes in Christus, dem Haupt der Kirche, geweihte und geleitete Bischof wird die Charismen prüfen und nachweisen müssen, um zu erkennen und zu erschließen, was gut, wahr und schön ist, was zum Wachstum an Heiligkeit der einzelnen und der Gemeinschaften beiträgt. Wenn korrigierende Eingriffe notwendig sind, sollen auch sie »viel Liebe« zum Ausdruck bringen. Die Bewegungen und neuen Gemeinschaften sind stolz auf ihre Freiheit, sich zusammenzuschließen, auf die Treue zu ihrem Charisma, aber sie haben auch bewiesen, sehr wohl zu wissen, daß Treue und Freiheit gewährleistet und gewiß nicht eingeschränkt werden von der kirchlichen Gemeinschaft, deren Diener, Hüter und Führer die Bischöfe in Einheit mit dem Nachfolger des Petrus sind.

Liebe Brüder im Bischofsamt, zum Abschluß dieser Begegnung fordere ich euch auf, in euch die Gabe, die ihr mit eurer Weihe empfangen habt, neu zu beleben (vgl. 2 Tim 1,6). Der Geist Gottes helfe uns, die Wunder zu erkennen und zu bewahren, die er selbst in der Kirche für alle Menschen hervorbringt. Der allerseligsten Jungfrau Maria, Königin der Apostel, vertraue ich jede eurer Diözesen an und erteile euch aus ganzem Herzen einen liebevollen Apostolischen Segen; in ihn schließe ich die Priester, die Ordensmänner, Ordensfrauen, die Seminaristen, die Katecheten und alle gläubigen Laien und heute im besonderen die Mitglieder der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften in den Kirchen ein, die eurer Sorge anvertraut sind.

      

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