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ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
AN HERRN
VYTAUTAS ALIŠAUSKAS,
NEUER BOTSCHAFTER DER REPUBLIK LITAUEN
BEIM HL. STUHL

Freitag, 7. November 2008

 

Exzellenz!

Ich freue mich, Sie zu Beginn Ihrer Mission willkommen zu heißen und das Schreiben entgegenzunehmen, das Sie als außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Republik Litauen beim Heiligen Stuhl akkreditiert. Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte und für die Grüße von seiten des Staatspräsidenten, Herrn Valdas Adamkus. Bitte übermitteln Sie ihm meine hochachtungsvollen guten Wünsche und die Versicherung meines Gebets für alle Menschen Ihrer Nation.

Besonders ermutigen mich Ihre Worte bezüglich der Notwendigkeit für das moderne Europa, aus der Überlieferung zu schöpfen, die der Lehre des Evangeliums entspringt. Ihr Land hat eine lange und edle christliche Geschichte, die bis zu den Tagen des hl. Kasimir und noch weiter zurückreicht. In den letzten Jahrhunderten hat der Glaube das litauische Volk durch Zeiten der Fremdherrschaft und der Unterdrückung hindurch getragen und ihm geholfen, seine Identität zu wahren und zu festigen. Jetzt, da die Republik ihre Unabhängigkeit wiedererlangt hat, kann sie ein bewegendes Zeugnis von den Werten geben, die ihr Volk befähigt haben, diese schwierigen Jahre zu überstehen.

Wie mein Vorgänger Johannes Paul II. aus eigener Erfahrung wußte, ist der gemeinsame Glaube eine wunderbare Quelle der Kraft und der Einheit in der Not. Gemeinschaften, die unter solchen Umständen gelebt haben, kommen zu der tiefen Überzeugung, daß man das wahre Glück nur in Gott findet. Sie wissen, daß jede Gesellschaft, die den Schöpfer verleugnet, unweigerlich beginnt, ihr Bewußtsein für das Schöne, das Wahre und das Gute des menschlichen Lebens zu verlieren.

Wie Sie, Exzellenz, jedoch angemerkt haben, ist jetzt eine neue Generation in den ehemaligen Ostblockländern herangewachsen – eine Generation, die jene Erfahrung der totalitären Herrschaft nicht geteilt hat und daher dazu neigt, ihre politische Freiheit als selbstverständlich hinzunehmen. Infolgedessen besteht die Gefahr, daß einige der Früchte, die in Zeiten der Prüfung herangereift sind, beginnen könnten, verloren zu gehen. Sie, Exzellenz, wissen sehr gut, welchen Gefahren die heutige Gesellschaft gegenübersteht, die zwar frei ist, aber immer mehr unter Zersplitterung und sittlicher Verwirrung leidet. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß Litauen und mit ihm ganz Europa die Erinnerung an die Geschichte aufrechterhält, die es geprägt hat, um seine wahre Identität zu wahren und so in der Welt des 21. Jahrhunderts zu überleben und zu gedeihen.

Es ist ein Widerspruch und eine Tragödie, daß in der heutigen Zeit der Globalisierung, in der die Möglichkeiten, mit anderen zu kommunizieren und zu interagieren, in einem Grad zugenommen haben, der für frühere Generationen kaum vorstellbar gewesen wäre, so viele Menschen sich isoliert und voneinander getrennt fühlen. Daraus entstehen viele gesellschaftliche Probleme, die auf politischer Ebene allein nicht gelöst werden können, denn »auch die besten Strukturen funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können« (Spe salvi, 24). Die Kirche spielt hier durch die Botschaft der Hoffnung, die sie verkündet, eine lebenswichtige Rolle. Sie strebt danach, eine Zivilisation der Liebe aufzubauen, indem sie lehrt, daß Gott Liebe ist und die Menschen guten Willens aufruft, in eine Liebesbeziehung zu ihm einzutreten. »Aus der Liebe zu Gott folgt die Teilnahme an Gottes Gerechtigkeit und Güte den anderen gegenüber« (ebd., 28), und daher führt die christliche Praxis ganz natürlich zur Solidarität mit den Mitbürgern und mit der ganzen Menschheitsfamilie. Sie führt zu einer Entschlossenheit, dem Gemeinwohl zu dienen und Verantwortung für die schwächeren Glieder der Gesellschaft zu übernehmen, und zügelt das Verlangen, Reichtum nur für sich allein anzuhäufen. Unsere Gesellschaft muß über die Verlockungen materieller Güter erhaben sein und vielmehr die Werte in den Mittelpunkt stellen, die wirklich das Wohl der menschlichen Person fördern.

Der Heilige Stuhl mißt den diplomatischen Beziehungen zu Ihrem Land, das durch ein jahrhundertealtes christliches Zeugnis geprägt ist, großen Wert bei. Durch unsere Zusammenarbeit können wir dazu beitragen, ein Europa aufzubauen, in dem die Verteidigung der Ehe und des Familienlebens, der Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod und die Förderung gesunden ethischen Handelns in der medizinischen und wissenschaftlichen Forschung an erster Stelle stehen: eines Handelns, das wirklich die Würde der menschlichen Person achtet. Wir können wahre Solidarität mit den Armen, den Kranken, den Schwachen und all jenen fördern, die am Rande der Gesellschaft stehen. Diese Werte werden bei all jenen Anklang finden – und besonders bei den jungen Menschen –, die nach Antworten auf ihre tiefen Fragen nach dem Sinn und Zweck des Lebens suchen. Sie werden für all jene Bedeutung haben, die danach trachten, die Wahrheit zu entdecken, die so oft durch die oberflächlichen Botschaften verdunkelt wird, die durch die postmoderne Gesellschaft verbreitet werden. Sie werden an alle appellieren, die kritisch genug sind, eine auf Relativismus und Säkularismus gründende Weltsicht abzulehnen, und vielmehr nach einem Leben entsprechend dem wahren Adel des menschlichen Geistes streben.

Exzellenz, ich hoffe, daß die diplomatische Mission, die Sie heute antreten, die Bande der Freundschaft, die zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Litauen bestehen, weiter festigen möge. Ich versichere Ihnen, daß die verschiedenen Abteilungen der Römischen Kurie stets bereit sind, Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Pflichten Hilfe und Unterstützung anzubieten. Mit meinen aufrichtigen guten Wünschen rufe ich auf Sie, Ihre Familie und Ihre Mitbürger überreichen Segen, Frieden und Wohlergehen herab. Gott segne Litauen!

 

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