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ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
AN DIE TEILNEHMER AN DER 24. VOLLVERSAMMLUNG
DES PÄPSTLICHEN RATS FÜR DIE LAIEN

Freitag, 21. Mai 2010 

  

 

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen
und priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

Mit Freude empfange ich euch alle, Mitglieder und Konsultoren, Teilnehmer an der 24. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien. Mein herzlicher Gruß gilt dem Präsidenten, Kardinal Stanislaw Rylko, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er an mich gerichtet hat, dem Sekretär, Bischof Josef Clemens, sowie allen Anwesenden. Schon die Zusammensetzung eures Dikasteriums, in dem neben den Hirten in der Mehrzahl Laiengläubige arbeiten, die aus der ganzen Welt und aus den verschiedensten Situationen und Erfahrungen kommen, bietet ein bedeutungsvolles Bild der organischen Gemeinschaft der Kirche, in der das allgemeine Priestertum der getauften Gläubigen und das Weihepriestertum ihre Wurzeln im einen Priestertum Christi haben – Modalitäten entsprechend, die ihrem Wesen nach unterschiedlich, jedoch aufeinander hingeordnet sind.

Nunmehr sind wir beinahe am Ende des Priester-Jahres angelangt und fühlen uns daher noch mehr als dankbare Zeugen der überraschenden und großherzigen Hingabe und Einsatzbereitschaft vieler von Christus »ergriffener« und ihm im Weihepriestertum gleichgestalteter Männer. Tag für Tag begleiten sie den Weg der »christifideles laici«, indem sie das Wort Gottes verkündigen, seine Vergebung und die Versöhnung mit ihm vermitteln, zum Gebet auffordern und den Leib und das Blut des Herrn als Nahrung darbieten. Aus diesem Geheimnis der Gemeinschaft gewinnen die gläubigen Laien die tiefe Kraft, Zeugen Christi zu sein in der ganzen Konkretheit und Tragweite ihres Lebens, in all ihrem Handeln und in allen Bereichen des Lebens.

Das Thema eurer Versammlung – »Zeugen Christi in der politischen Gemeinschaft« – besitzt besondere Bedeutung. Sicher gehört die praktische Ausbildung der Politiker nicht zur Sendung der Kirche. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Einrichtungen. Es ist jedoch ihre Sendung, »auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen. Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an, welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen« (Gaudium et spes, 76).

Die Kirche ist besonders darauf ausgerichtet, die Jünger Christi zu erziehen und auszubilden, damit sie immer mehr und überall zu Zeugen seiner Gegenwart werden. Es ist Aufgabe der gläubigen Laien, im persönlichen Leben und in der Familie, im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu zeigen, daß man durch den Glauben die Wirklichkeit in neuer und tiefer Weise verstehen und sie verwandeln kann; daß die christliche Hoffnung den begrenzten Horizont des Menschen erweitert und ihn auf die wahre Höhe seines Seins, auf Gott hin ausrichtet; daß die Liebe in der Wahrheit die nachhaltigste Kraft ist, die die Fähigkeit besitzt, die Welt zu verändern; daß das Evangelium Gewährleistung der Freiheit und Botschaft der Befreiung ist; daß die Grundprinzipien der Soziallehre der Kirche – die Würde der menschlichen Person, die Subsidiarität und die Solidarität – große Aktualität und großen Wert für die Förderung neuer Wege der Entwicklung im Dienst des ganzen Menschen und aller Menschen besitzen. Auch kommt es den Laiengläubigen zu, sich aktiv und stets in Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche am politischen Leben zu beteiligen, indem sie gut fundierte Gründe und große Ideale vermitteln, in der demokratischen Dialektik und auf der Suche nach einem breitangelegten Konsens mit allen, denen die Verteidigung des Lebens und der Freiheit, der Schutz der Wahrheit und des Wohls der Familie, die Solidarität mit den Notleidenden und das notwendige Streben nach dem Gemeinwohl am Herzen liegt. Die Christen streben nicht nach politischer oder kultureller Vorherrschaft, sondern sind überall dort, wo sie sich einsetzen, von der Gewißheit getragen, daß Christus der Eckstein eines jeden menschlichen Konstrukts ist (vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben, 24. November 2002).

Indem ich die Worte meiner Vorgänger aufgreife, kann auch ich bestätigen, daß die Politik ein sehr wichtiger Bereich des Liebesdienstes, der »caritas«, ist. Sie ruft die Christen zu einem starken Einsatz für die Bürger, zum Aufbau eines guten Lebens innerhalb der Nationen und auch zu einer wirkkräftigen Präsenz an den Sitzen und in den Programmen der internationalen Gemeinschaft auf. Es bedarf wahrhaft christlicher Politiker, an erster Stelle jedoch gläubiger Laien, die Zeugen Christi und des Evangeliums in der zivilen und politischen Gemeinschaft sind. Diesem Erfordernis muß in den Ausbildungsgängen der kirchlichen Gemeinschaften deutlich Rechnung getragen werden, und es verlangt neue Formen der Begleitung und der Unterstützung von seiten der Hirten. Die Zugehörigkeit der Christen zu den Vereinigungen der Gläubigen, zu den kirchlichen Bewegungen und zu den neuen Gemeinschaften kann eine gute Schule für diese Jünger und Zeugen sein, unterstützt durch den charismatischen, gemeinschaftlichen, erzieherischen und missionarischen Reichtum, der diesen Wirklichkeiten zueigen ist.

Es handelt sich um eine anspruchsvolle Herausforderung. Die Zeiten, in denen wir leben, stellen uns vor große und komplexe Probleme, und die soziale Frage ist gleichzeitig zu einer anthropologischen Frage geworden. Die ideologischen Paradigmen, in der jüngeren Vergangenheit den Anspruch erhoben, eine »wissenschaftliche « Antwort auf diese Frage zu sein, sind zusammengestürzt.

Die Ausbreitung eines verworrenen kulturellen Relativismus und eines utilitaristischen und hedonistischen Individualismus schwächt die Demokratie und fördert die Herrschaft der starken Mächte. Man muß echte politische Weisheit zurückgewinnen und stärken; hohe Ansprüche an die eigenen Fähigkeiten stellen; sich kritisch der humanwissenschaftlichen Untersuchungen bedienen; sich der Wirklichkeit in all ihren Aspekten stellen und dabei jeden ideologischen Reduktionismus und jede utopische Anmaßung überwinden; offen sein für jeden wahren Dialog und für echte Zusammenarbeit. Dies muß in dem Bewußtsein geschehen, daß die Politik auch die komplexe Kunst ist, das Gleichgewicht zwischen Idealen und Interessen herzustellen, ohne dabei jedoch jemals zu vergessen, daß der Beitrag der Christen nur dann entscheidend ist, wenn das Glaubensverständnis zum Wirklichkeitsverständnis wird, zum Schlüssel zur Beurteilung und Umwandlung.

Eine wahre »Revolution der Liebe« ist notwendig. Die jungen Generationen haben in ihrem persönlichen und gesellschaftlichen Leben große Pflichten und Herausforderungen vor sich. Euer Dikasterium folgt ihnen mit besonderer Sorgfalt, vor allem durch die Weltjugendtage, die seit 25 Jahren reiche apostolische Früchte unter den Jugendlichen tragen. Darunter ist auch die Frucht des Einsatzes im sozialen und politischen Bereich, wobei dieser Einsatz nicht auf Ideologien oder Einzelinteressen gründet, sondern auf der Entscheidung, dem Menschen und dem Gemeinwohl im Licht des Evangeliums zu dienen.

Liebe Freunde, indem ich den Herrn um reiche Früchte für die Arbeiten eurer Versammlung und für euer tägliches Wirken bitte und einen jeden von euch, eure Familien und Gemeinschaften der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, Stern der Neuevangelisierung, anvertraue, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen.

 

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