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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Bibliothek des Apostolischen Palastes
Mittwoch, 19. August 2020

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Katechese - „Die Welt heilen“: 3. Die Vorzugsoption für die Armen und die Tugend der Nächstenlieben

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Die Pandemie hat die schwierige Lage der Armen und die große Ungleichheit, die in der Welt herrscht, aufgedeckt. Und während das Virus keine Unterschiede zwischen den Menschen macht, ist es auf seinem verheerenden Weg auf große Ungleichheiten und Diskriminierungen gestoßen. Und es hat sie vermehrt! Es gibt daher eine zweifache Antwort auf die Pandemie. Einerseits ist es unverzichtbar, das Heilmittel für ein kleines, aber schreckliches Virus zu finden, das die ganze Welt in die Knie zwingt. Andererseits müssen wir ein »großes Virus« heilen: das »Virus« der sozialen Ungerechtigkeit, der Chancenungleichheit, der Ausgrenzung und des mangelnden Schutzes der Schwächeren.

Diese zweifache Antwort der Heilung enthält eine Entscheidung, die dem Evangelium zufolge nicht fehlen darf: die bevorzugte Option für die Armen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium 195 [Eg]). Und das ist keine politische Option. Es ist auch keine ideologische Option, keine Option der Parteien. Die bevorzugte Option für die Armen steht im Mittelpunkt des Evangeliums. Und der erste, der sie gewählt hat, war Jesus selbst; wir haben das im Abschnitt aus dem Korintherbrief gehört, der zu Beginn verlesen wurde. Er, der reich war, wurde arm, um uns reich zu machen. Er wurde einer von uns, und daher steht im Mittelpunkt des Evangeliums, im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu diese Option.

Christus, der Gott ist, hat sich entäußert und ist den Menschen gleich geworden; er hat kein privilegiertes Leben gewählt, sondern er hat sich entschieden, wie ein Sklave zu sein (vgl. Phil 2,67). Er hat sich selbst erniedrigt und zum Sklaven gemacht. Er wurde in einer einfachen Familie geboren und hat als Handwerker gearbeitet. Zu Beginn seiner Predigttätigkeit hat er verkündigt, dass im Reich Gottes die Armen selig sind (vgl. Mt 5,3; Lk 6,20; Eg 197). Er war inmitten der Kranken, der Armen, der Ausgegrenzten und hat ihnen die barmherzige Liebe Gottes gezeigt (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2444). Und oft wurde er als unreiner Mensch verurteilt, weil er zu den Kranken, den Aussätzigen ging, die dem damaligen Gesetz nach unrein waren. Und er hat etwas riskiert, um den Armen nahe zu sein.

Daher erkennen die Jünger Jesu einander an ihrer Nähe zu den Armen, den Geringen, den Kranken und den Gefangenen, den Ausgegrenzten, den Vergessenen und jenen, die ohne Nahrung und Kleidung sind (vgl. Mt 25,31-36; KKK 2443). Wir können den berühmten Maßstab, nach dem wir alle gerichtet werden – nach dem wir alle gerichtet werden – nachlesen. Bei Matthäus, Kapitel 25. Das ist ein Schlüsselkriterium christlicher Authentizität (vgl. Gal 2,10; Eg 195). Einige meinen irrtümlich, dass die bevorzugte Liebe zu den Armen eine Aufgabe für einige wenige sei, aber in Wirklichkeit ist es die Sendung der ganzen Kirche, sagte der heilige Johannes Paul II. (vgl. Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 42).

»Jeder Christ und jede Gemeinschaft ist berufen, Werkzeug Gottes für die Befreiung und die Förderung der Armen zu sein« (Eg 187). Glaube, Hoffnung und Liebe drängen uns unumgänglich zu dieser Option für die Notleidenden [1], die über die – wenngleich notwendige – Sozialhilfe hinausgeht (vgl. Eg 198). Sie bedeutet nämlich, gemeinsam unterwegs zu sein, uns von ihnen, die den leidenden Christus gut kennen, evangelisieren zu lassen, uns von ihrer Heilserfahrung, von ihrer Weisheit und von ihrer Kreativität »anstecken« zu lassen (vgl. ebd.). Mit den Armen zu teilen bedeutet, uns gegenseitig zu bereichern. Und wenn kranke Sozialstrukturen vorhanden sind, die sie daran hindern, Träume für die Zukunft zu haben, dann müssen wir uns gemeinsam dafür einsetzen, sie zu heilen, sie zu verändern (vgl. ebd., 195).

Dahin führt die Liebe Christi, der uns bis zur Vollendung geliebt hat (vgl. Joh 13,1). Und sie reicht bis zu den Grenzen, den Rändern, den existentiellen Randgebieten. Die Randgebiete in den Mittelpunkt zu bringen bedeutet, unser Leben auf Christus auszurichten, der unseretwegen arm geworden ist, um uns reich zu machen »durch seine Armut« (2 Kor 8,9). [2] Wir alle sind besorgt über die sozialen Folgen der Pandemie. Alle. Viele wollen zur Normalität zurückkehren und die wirtschaftlichen Tätigkeiten wieder aufnehmen. Gewiss, aber diese »Normalität« darf die sozialen Ungerechtigkeiten und die Schädigung der Umwelt nicht miteinschließen. Die Pandemie ist eine Krise, und aus einer Krise kommt man nicht genauso heraus, wie man vorher war: Entweder wir gehen besser daraus hervor oder wir gehen schlechter daraus hervor. Wir müssen besser daraus hervorgehen, um in Bezug auf die sozialen Ungerechtigkeiten und die Umweltschädigung etwas zu verbessern. Heute haben wir eine Gelegenheit, etwas anderes aufzubauen. Zum Beispiel können wir eine Wirtschaft der ganzheitlichen Entwicklung der Armen statt eines Sozialhilfesystems fördern.

Damit will ich die Fürsorge nicht verurteilen; soziale Hilfsdienste sind wichtig. Denken wir an das Ehrenamt, das eine der schönsten Strukturen der Kirche in Italien ist. Wir müssen jedoch darüber hinausgehen und die Probleme lösen, die uns dazu drängen, Sozialhilfe zu leisten. Eine Wirtschaft, die nicht auf Heilmittel zurückgreift, die die Gesellschaft in Wirklichkeit vergiften, wie die Steigerung der Ertragsfähigkeit ohne eine Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze (vgl. Eg 204).Diese Art des Profits ist von der Realwirtschaft abgekoppelt, von jener Wirtschaft, die den einfachen Menschen zum Wohl dienen sollte (vgl. Enzyklika Laudato si’ [Ls], 109). Außerdem erweist sie sich zuweilen als gleichgültig gegenüber den Schäden, die dem gemeinsamen Haus zugefügt werden. Die bevorzugte Option für die Armen, jene ethische und soziale Notwendigkeit, die der Liebe Gottes entspringt (vgl. Ls 158), spornt uns an, eine Wirtschaft zu planen und zu entwerfen, in der die Menschen, und vor allem die Ärmeren, im Mittelpunkt stehen.

Und sie ermutigt uns auch, das Heilmittel gegen das Virus so zu planen, dass jene bevorzugt werden, die es am meisten brauchen. Es wäre traurig, wenn bei einer Impfung gegen Covid-19 den Reichen die Priorität gegeben werden würde! Es wäre traurig, wenn dieser Impfstoff zum Eigentum dieser oder jener Nation werden würde und nicht allgemein für alle da wäre. Und welch ein Skandal wäre es, wenn die ganze Wirtschaftshilfe, die wir beobachten können – der größte Teil durch öffentliche Gelder –, darauf ausgerichtet wäre, Unternehmen zu retten, die nicht zur Inklusion der Ausgeschlossenen, zur Förderung der Geringsten, zum Gemeinwohl oder zur Bewahrung der Schöpfung beitragen (vgl. ebd.). Dies sind die Kriterien, nach denen den Unternehmen geholfen werden muss: denen, die zur Inklusion der Ausgeschlossenen, zur Förderung der Geringsten, zum Gemeinwohl und zur Bewahrung der Schöpfung beitragen. Vier Kriterien.

Wenn das Virus sich erneut intensivieren sollte in einer für die Ärmeren und Schwächeren ungerechten Welt, dann müssen wir diese Welt verändern. Nach dem Vorbild Jesu, dem Arzt der ganzheitlichen göttlichen Liebe, also der physischen, sozialen und geistlichen Heilung (vgl. Joh 5,6-9) – so war die von Jesus gewirkte Heilung –, müssen wir jetzt handeln, um die von kleinen, unsichtbaren Viren verursachten Epidemien zu heilen und um jene Epidemien zu heilen, die von den großen und sichtbaren sozialen Ungerechtigkeiten verursacht werden. Ich schlage vor, dies von der Liebe Gottes her zu tun, indem man die Randgebiete in den Mittelpunkt stellt und die Letzten auf den ersten Platz. Wir dürfen nicht den Maßstab vergessen, nach dem wir gerichtet werden: Matthäus, Kapitel 25. Wir wollen ihn jetzt, da die Epidemie wieder ansteigt, in die Praxis umsetzen. Und von dieser konkreten Liebe her, die in der Hoffnung verankert ist und im Glauben gründet, wird eine gesündere Welt möglich sein. Andernfalls werden wir schlechter aus der Krise hervorgehen. Möge der Herr uns helfen, uns die Kraft geben, um besser daraus hervorzugehen, indem wir auf die Nöte der heutigen Welt antworten.


[1] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über einige Aspekte der »Theologie der Befreiung«(1984), 5.

[2] Vgl. Benedikt XVI., Eröffnungsansprache der V. Generalkonferenz der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik (13. Mai 2007), 3.

* * *

Von Herzen grüße ich die Brüder und Schwestern deutscher Sprache. Nach dem Beispiel Jesu und seiner vorrangigen Option für die Armen müssen wir als Einzelne und als Gemeinschaft der Kirche unseren Beitrag leisten, die Auswirkungen der Pandemie zu überwinden und eine gerechtere und solidarischere Welt aufzubauen. Der Heilige Geist helfe uns dabei mit seiner Gnade und seiner Kraft.

 



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