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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Die Einsamkeit des Hirten

Dienstag, 18. Oktober 2016
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 43, 28. Oktober 2016)

 

Paulus, Johannes der Täufer, Maximilian Kolbe – und mit ihnen sehr viele Hirten zu allen Zeiten – haben Einsamkeit, Verlassenheit und Verfolgung am eigenen Leib erlebt, aber auch »die Nähe des Herrn«, vor allem in Augenblicken der Prüfung. In der Frühmesse am 18. Oktober lud Papst Franziskus die Gläubigen ein, immer und überall die Gegenwart Gottes zu erkennen, auch in der Erfahrung des Schmerzes und der Krankheit. Der Papst ging in seiner Meditation von der Tageslesung aus dem zweiten Brief des heiligen Paulus an Timotheus (4,10-17) aus. »Paulus ist in Rom, Gefangener in einem Haus, in einem Zimmer, mit einer gewissen Freiheit, aber gleichzeitig wartet er auf etwas…«, erläuterte Franziskus. »In jenem Augenblick fühlt Paulus sich einsam«, es sei »die Einsamkeit des Hirten, wenn Schwierigkeiten auftreten, aber auch die Einsamkeit des Hirten, wenn sich sein Ende nähert: von allem entäußert, allein und bedürftig wie ein Bettler«.

Und so schreibe der Apostel an Timotheus: »Bring Markus mit, denn er wird mir ein guter Helfer sein. Wenn du kommst, bring den Mantel mit, auch die Bücher.« Paulus sei »einsam und bedürftig: er erbettelt von Timotheus seine kleinen Besitztümer, weil sie ihm nützlich sein können«. Der Apostel sei auch »Opfer von beharrlichem Widerstand«, so dass er von jemandem sagt: ›Er hat unsere Lehre heftig bekämpft.‹« Paulus sei »allein, bedürftig, Opfer von Streit«, und darüber hinaus »sagt er jene traurigen Worte: ›Alle haben mich im Stich gelassen.‹« Vor Gericht sei niemand für ihn eingetreten und er erkenne: Nur »der Herr stand mir zur Seite«.

Es sei wahr, dass der Apostel »allein, bedürftig, Opfer erbitterten Widerstands, verlassen« sei, sagte der Papst. »Aber er ist der große Paulus, der die Stimme des Herrn, die Berufung des Herrn gehört hat, der weit herumgekommen ist, der für die Verkündigung des Evangeliums vieles und viele Prüfungen erlitten hat, der den Aposteln zu verstehen gegeben hat, dass der Herr wollte, dass auch die Heiden zur Kirche gehören.« Es sei »der große Paulus, der im Gebet bis zum siebten Himmel hinaufgestiegen ist und Dinge gehört hat, die noch niemand zuvor gehört hatte.« Aber nun »ist der große Paulus dort, in jenem kleinen Zimmer eines Hauses in Rom und wartet darauf, wie dieser Streit innerhalb der Kirche, zwischen den beteiligten Parteien ausgehen wird, zwischen der Strenge der judaisierenden Christen und den Schülern, die ihm treu waren«. Und »so endet das Leben des großen Paulus, in Betrübnis: nicht in Groll und Bitterkeit, aber in innerer Betrübnis«.

Im Übrigen, so merkte der Papst an, »hat Jesus zu Petrus gesagt, dass es auch für ihn so enden würde«. Und »alle Apostel haben ein solches Ende gefunden: ›Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.‹« Das sei »das Ende des Apostels«. »Von diesem Zimmerchen des heiligen Paulus ausgehend können wir an zwei große Gestalten denken: Johannes der Täufer und Maximilian Kolbe.« Ersterer sei »im Gefängnis, allein, gepeinigt « und »schickt seine Jünger, damit sie Jesus fragen: ›Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?‹ Und dann enthauptet ihn die Laune einer Tänzerin und die Rache einer Ehebrecherin: so endet der große Johannes der Täufer, von dem Jesus sagt, dass er der größte ist, der je von einer Frau geboren wurde.«

Der Papst fügte hinzu: »In neuerer Zeit können wir an die Gefängniszelle von Maximilian Kolbe denken, der eine weltweite Apostolatsbewegung gegründet und viele große Dinge getan hat: Er ist in jener Zelle, hungrig, und wartet auf den Tod« im Lager von Auschwitz. »Wenn der Apostel treu ist, dann erwartet er sich kein anderes Ende als das Ende Jesu.« Es sei »die Entäußerung des Apostels: es wird ihm alles genommen, er hat nichts mehr, weil er treu war«. Dessen sei sich auch Paulus bewusst: »Nur der Herr stand mir zur Seite«, weil »der Herr ihn nicht verlässt, und darin findet er Kraft«. »Das Ende von Paulus« sei bekannt: »Nachdem er fast zwei Jahre so in der Unsicherheit gelebt hat, in diesen inneren Schwierigkeiten der Kirche, kommen eines Morgens zwei Soldaten, nehmen ihn, bringen ihn hinaus und enthaupten ihn.«

Man frage sich natürlich: Wie kann »ein so großer Mensch« auf diese Weise enden, jemand, »der die Welt bereist hat, um das Evangelium zu verkünden, der die Apostel davon überzeugt hat, dass Jesus auch für die Heiden gekommen ist, der so viel Gutes getan hat, der gekämpft, gelitten, gebetet hat, der die höchste Kontemplation erreicht hat?« Und doch »ist es das Gesetz des Evangeliums: Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, bringt es keine Frucht. Denn es ist das Gesetz, das Jesus selbst uns mit seinem Leben gezeigt hat.« Allerdings verbunden mit der sicheren Gewissheit, dass »dann die Auferstehung kommt«. »Ein Theologe der ersten Jahrhunderte sagte, dass ›das Blut der Märtyrer Same neuer Christen ist‹«, unterstrich Franziskus. Denn »so als Märtyrer, als Zeuge Jesu zu sterben«, das sei genau wie »der Same, der stirbt und Frucht bringt und die Erde mit neuen Christen erfüllt«. Und »wenn der Hirte so lebt, dann ist er nicht verbittert: Vielleicht ist er ohne Trost, aber er hat die Gewissheit, dass der Herr bei ihm ist.« Wenn dagegen »der Hirte sich in seinem Leben mit anderen Dingen beschäftigt und sich nicht um die Gläubigen gekümmert hat – wenn er zum Beispiel an der Macht hing, am Geld hing, zu Seilschaften gehörte, an vielen Dingen hing –, dann wird er am Ende nicht allein sein. Vielleicht hat er Neffen und Nichten, die darauf warten, dass er stirbt, um zu sehen, was sie mitnehmen können.«

Franziskus sprach in diesem Zusammenhang davon, was er erlebt, wenn er »ein Altersheim für Priester« besucht, wo »ich vielen tüchtigen Priestern begegne, die ihr Leben den Gläubigen gewidmet haben und die jetzt dort sind, krank, gelähmt, im Rollstuhl. Aber man sieht sofort dieses Lächeln, weil sie spüren, dass der Herr ihnen ganz nahe ist.« Sicherlich könne er »ihre leuchtenden Augen« nicht vergessen, die fragten: »Wie geht es der Kirche? Wie geht es der Diözese? Wie steht es um die Berufungen?« Diese Sorgen trügen sie in ihrem Inneren »bis zuletzt, weil sie Väter sind, weil sie ihr Leben für die anderen hingegeben haben«.

Abschließend kam der Papst erneut auf das Zeugnis des heiligen Paulus zurück, der »allein, bedürftig, Opfer von Streitigkeiten, von allen verlassen war, außer von Jesus: ›Nur der Herr stand mir zur Seite!‹ Denn »der Hirte muss diese Gewissheit  haben: Wenn er den Weg Jesu geht, dann wird der Herr ihm bis zum Ende nahe sein.« Franziskus lud die Anwesenden ein, für die Hirten zu beten, »die am Ende ihres Lebens angelangt sind und darauf warten, dass der Herr sie zu sich holt«. »Wir wollen beten, dass der Herr ihnen Kraft, Trost und die Gewissheit geben möge, dass er mit ihnen, nahe bei ihnen ist, auch wenn sie  sich krank und einsam fühlen. Der Herr möge ihnen Kraft schenken.«



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