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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Freitag, 24. Februar 2017
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 10, 10. März 2017)

 

»Herr, gib, dass ich gerecht bin, gerecht aber mit Barmherzigkeit«: Das ist das von Papst Franziskus empfohlene Gebet, um nicht in dem »heuchlerischen Trug« der »Kasuistik« zu verfallen, der »Logik des ›man darf‹ und des ›man darf nicht‹«. Im Bewusstsein, dass »in Gott Gerechtigkeit Barmherzigkeit ist und Barmherzigkeit Gerechtigkeit «. Dies sind die Gründzüge der Betrachtungen des Papstes in seiner Predigt bei der heiligen Messe am Freitagmorgen, 24. Februar, in Santa Marta.

»Es waren da drei Gruppen von Menschen, die Jesus folgten«, merkte Franziskus zu Beginn an, und ging dabei vom Abschnitt aus dem Markusevangelium aus (10,1-12), wie ihn die Liturgie vom Tag unterbreitet. Vor allem »folgte ihm so die Menschenmenge, um zu lernen, da er mit Vollmacht sprach«. Gewiss folgte sie ihm »auch, um sich heilen zu lassen«. Die zweite Gruppe setzt sich aus den »Gesetzeslehrern« zusammen, die ihm dagegen »folgten, um ihn auf die Probe zu stellen: sie näherten sich, und um ihn auf die Probe zu stellen, fragten sie ihn etwas«. Dann sind da »die Jünger, die dritte Gruppe: sie folgten ihm, da sie ihm zugetan waren, Jesus selbst hatte sie gerufen, damit sie ihm nahe seien«. Und so »folgten diese drei Gruppen Jesus immer«. Markus berichtet, dass »diese Gesetzeslehrer dem Herrn näher kamen: es ist klar, das Evangelium sagt es, um ihn auf die Probe zu stellen, fragten sie Jesus, ob es erlaubt sei, dass ein Mann seine Frau aus der Ehe entlässt«.

Doch »Jesus«, erklärte der Papst, »antwortet nicht, ob es erlaubt ist oder nicht; er lässt sich nicht auf deren kasuistische Logik ein. Denn sie dachten an den Glauben allein in den Begriffen eines ›man darf‹ oder ›man darf nicht‹, bis zu welchem Punkt ›man darf‹, bis zu welchem Punkt ›man nicht darf‹«. Aber »Jesus lässt sich nicht auf jene Logik der Kasuistik ein«. Im Gegenteil, »er stellt seinerseits eine Frage an sie: ›Was hat euch Mose vorgeschrieben?‹«. Er fragt sie praktisch: »Was steht in eurem Gesetz?«.  In ihrer Antwort auf die Frage Jesu, so Franziskus, »erklären die Gesetzeslehrer die Erlaubnis, die Mose gegeben hat, die Frau aus der Ehe zu entlassen, und nun sind sie es, die in die Falle gegangen sind, denn Jesus qualifiziert sie als ›hartherzig‹«. Und er wendet sich so an sie: »Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben«. Und so »sagt Jesus die Wahrheit, ohne Kasuistik, ohne Genehmigungen. Die Wahrheit: ›Am Anfang der Schöpfung hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen.‹« Und er fährt fort: »Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen« und »sich auf den Weg machen«, und »er wird sich mit seiner Frau vereinen und die beiden werden ein Fleisch sein«. Deshalb »sind sie also nicht mehr zwei, sondern eins«. Und das, so der Papst, »ist weder Kasuistik noch eine Erlaubnis: das ist die Wahrheit; Jesus sagt immer die Wahrheit«.

Markus berichtet dann in seinem Evangelium auch von der Reaktion der »dritten Gruppe, der Jünger, als sie zu Hause waren: sie befragten ihn noch einmal darüber, um besser zu verstehen, denn sie kannten jene Erlaubnis des Mose, dieses Gesetz des Mose«. Und »Jesus ist erneut sehr klar: ›Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet.‹«

Jesus also sagt »die Wahrheit«, betonte der Papst. Er »tritt aus der kasuistischen Logik heraus und erklärt die Dinge, wie sie geschaffen worden sind, er erklärt die Wahrheit«. Doch »gewiss kann jemand denken: ›Ja, das ist die Wahrheit, aber du, Jesus, du bist hingegangen und hast mit einer Ehebrecherin gesprochen!‹« Und sie hat auch »wiederholt Ehebruch begangen, fünf Mal, glaube ich«. Da du so gehandelt hast, »bist du unrein geworden. Und du bist auch unrein geworden, weil das eine Heidin war, sie war eine Samariterin. Und mit jemandem zu reden, der kein Jude war, machte unrein, und du bist auch unrein geworden, weil du aus ihrem Glas getrunken hast, das nicht purifiziert worden war«. Also: »Wie kannst du sagen, dass das Ehebruch ist, dass das schwerwiegend ist, und dann redest du mit dieser da, du erklärst ihr den Katechismus und trinkst, was sie dir gibt?« Und weiter: »Ein anderes Mal haben sie eine Ehebrecherin zu dir gebracht – das war für alle klar: sie haben sie beim Ehebruch erwischt , und was hast du am Ende gesagt? ›Ich verurteile dich nicht, sündige nicht mehr.‹ Wie ist das zu erklären?«, könnte man also einwerfen.

»Das ist der christliche Weg«, war die Antwort des Papstes. Und es handelt sich »um den Weg Jesu, denn er – denken wir an Matthäus, an Zachäus, an die Mahle, die er mit allen Sündern hält – ging zu ihnen, um mit ihnen zu essen«. Und »der Weg Jesu – das ist deutlich zu sehen – ist der Weg von der Kasuistik hin zur Wahrheit und zur Barmherzigkeit: Jesus lässt die Kasuistik außen vor«. Und »jene, die ihn auf die Probe stellen wollten, jene, die mit dieser Logik des ›man darf‹ dachten, qualifiziert er – nicht hier, sondern an einer anderen Stelle des Evangeliums – als Heuchler«. Und dies gilt auch »beim vierten Gebot: mit der Entschuldigung, dass sie der Kirche eine schöne Spende gemacht haben, verweigerten es jene, sich um die Eltern zu kümmern. Heuchler!« Denn, so Franziskus eindringlich, »die Kasuistik ist heuchlerisch, sie ist ein heuchlerisches Denken: ›Man darf, man darf nicht.‹« Ein Denken, »das dann subtiler, diabolischer wird: ›Bis zu welchem Punkt darf ich? Aber von hier nach da darf ich nicht.‹« Das »ist der Trug der Kasuistik «. Dagegen: »Nein: von der Kasuistik zur Wahrheit, doch die Wahrheit ist diese«. Und »Jesus verhandelt nicht über die Wahrheit, nie: er sagt sie so, wie sie ist«.

Doch es gibt »nicht nur die Wahrheit«, erklärte der Papst. Es gibt »auch die Barmherzigkeit, denn er ist die fleischgewordene Barmherzigkeit des Vaters und kann sich nicht selbst verleugnen«. Und »er kann sich nicht selbst verleugnen, da er die Wahrheit des Vaters ist, und er kann sich nicht selbst verleugnen, da er die Barmherzigkeit des Vaters ist«. Und »das ist der Weg, den Jesus uns lehrt: er ist nicht leicht im Leben, wenn sich die Versuchungen einstellen: denken wir an die Versuchungen der Geschäftemacherei«. In jenem Fall sagen »die Geschäftemacher«: »Ich kann bis hierher, ich kündige diesen Angestellten und verdiene mehr auf dieser Seite«. Genau das ist »die Kasuistik«. »Wenn die Versuchung an das Herz rührt – so der Papst –, ist dieser Weg des Herausgehens aus der Kasuistik hin zur Wahrheit und zur Barmherzigkeit nicht leicht: es bedarf der Gnade Gottes, dass er uns beistehe, auf diese Weise vorwärtszugehen. Und um sie müssen wir immer bitten«.

»Herr, lass mich gerecht sein, aber gerecht mit Barmherzigkeit!«, so das Gebet, zu dem Franziskus riet. Aber »nicht gerecht und dabei abgedeckt von der Kasuistik«. Dagegen muss an den Herrn das Gebet gerichtet werden, »gerecht in der Barmherzigkeit zu sein, wie du es bist, gerecht in der Barmherzigkeit«. Und »dann mag einer, der eine kasuistische Mentalität hat, fragen: was ist wichtiger in Gott, Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit? «. In Wirklichkeit »handelt es sich nicht um zweierlei: es ist eins. In Gott ist die Gerechtigkeit Barmherzigkeit und die Barmherzigkeit Gerechtigkeit«. Und »der Herr«, so der Papst abschließend, helfe uns, diesen Weg zu verstehen, der nicht leicht ist, der aber uns und viele andere Leute glücklich machen wird«.

 

 



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