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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Die Konkretheit der christlichen Liebe

Montag, 7. Januar 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 3, 18. Januar 2019)

 

Es bedarf der sehr konkreten »apostolischen Verrücktheit der Heiligen« aller Epochen – die ihr Leben »zu verheizen« wissen, indem sie beispielsweise den Migranten zu Hilfe kommen oder den Leprakranken nahe sind –, um wahrhaft Christen zu sein. Diesen praktischen Rat gab Papst Franziskus am Montagmorgen, 7. Januar, in der ersten Predigt des Jahres 2019 bei der Messe in Santa Marta den Gläubigen mit auf den Weg. »Der Apostel Johannes«, so der Papst, der auf die erste Lesung Bezug nahm (1 Joh 3,22-4.6), »stellt uns im ersten Brief an die Christen« vor »eine schöne Herausforderung: Alles, was wir erbitten, empfangen wir von Gott unter der Bedingung, dass wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt.« Und das bedeute, so erläuterte Franziskus, dass »der Zugang zu Gott offen ist, die Tür ist offen und der Schlüssel ist: seine Gebote zu halten und das zu tun, was ihm gefällt«.

»Sein Gebot, das erste Gebot, die Grundlage unseres Glaubens, ist: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, beides.« Deshalb, so betonte Franziskus: »Wenn wir an Jesus Christus glauben und wenn wir einander lieben, ist die Tür zu Gott offen, der Zugang ist offen und wir können bitten, um was wir wollen, mit Mut. Ich würde auch sagen ›dreist‹, mit Mut, doch unter der Bedingung, dass wir diese beiden Dinge tun.« Um an Jesus Christus zu glauben, reiche es nicht, nur zu sagen: »Ja, Vater, ich glaube an Jesus Christus, ich schaue auf das Kruzifix, und ja, er ist der Sohn Gottes.« In Wirklichkeit, erklärte der

Papst, »geht Johannes weiter« und sage, es bedeute »zu glauben, dass Gott, der Sohn Gottes, im Fleisch gekommen ist, einer von uns geworden  ist«. Gerade »das ist der Glaube an Jesus Christus: an Jesus Christus, einen konkreten Gott, der im Schoß Marias empfangen wurde, der in Betlehem geboren wurde, der als Kind aufwuchs und nach Ägypten floh, der nach Nazareth zurückkehrte, der bei seinem Vater lesen, arbeiten, vorangehen und dann predigen gelernt hat«. Der Papst betonte eben diese Konkretheit: »Konkret, ein konkreter Mensch, ein Mensch, der Gott ist, aber Mensch. Es ist nicht etwa Gott, der sich als Mensch verkleidet. Nein, Mensch. Gott, der Mensch geworden ist. Das Fleisch Christi. Das ist die Konkretheit des ersten Gebotes.«

Auch das zweite Gebot »ist konkret: einander zu lieben, konkrete Liebe, keine Phantasieliebe«, die vielleicht dazu führe, zu sagen: »Ich habe dich gern, ach wie sehr ich dich gern habe!«, und dann »zerstöre ich dich mit meiner Zunge, mit dem Geschwätz: nein, nein, nicht so«. Die Liebe sei »konkret«, wiederholte der Papst. Und »die Gebote Gottes sind Konkretheit«, denn »das Kriterium des Christentums ist Konkretheit, nicht die Ideen und die schönen Worte«. Der Konkretheit also »gilt die Herausforderung: Wenn wir diese beiden Gebote beachten, bleiben wir in Gott, unser Leben ist Leben in Gott und er bleibt in uns.« Genau »das ist die Grundlage dessen,

was der Apostel Johannes erklärt«. »Johannes ist voller Leidenschaft für die Menschwerdung Gottes«, stellte der Papst fest. Er verwies darauf, dass Johannes im Prolog seines Evangeliums sage: »Und das Wort ist Fleisch geworden. « Johannes sei also »wirklich voller Leidenschaft, da er das Geheimnis Jesu verstanden hat«. Gerade »seine Freundschaft mit Jesus hat ihn dazu gebracht, dies zu verstehen«. Johannes fahre dann fort«, so Franziskus: »Das sind die beiden konkreten Gebote.«

Der Apostel schreibe in seinem ersten Brief: »Traut nicht jedem Geist«, das heißt jeder Inspiration, jeder Meinung, »sondern prüft die Geister.« Und das bedeute: »Wenn dir ein Gedanke kommt, in Bezug auf Jesus, die Menschen, auf etwas, was du tun willst, oder wenn du denkst, dass die Erlösung diesen Weg geht, dann prüfe jene Inspiration.« Im übrigen »ist das Leben des Christen Konkretheit im Glauben an Jesus Christus und Konkretheit in der Liebe. Aber es ist auch geistliche Wachsamkeit, denn man stößt immer wieder auf Ideen oder falsche Propheten, die eine ›Leichtversion‹ von Christus anbieten, ohne viel Fleisch, und die Nächstenliebe wird ein wenig relativ.« So sage man schließlich: »Ja, diese ja, die auf meiner Seite sind, aber die da, die anderen, nein.«

Doch, so die Warnung des Papstes, »wenn wir erst anfangen, diese Abweichungen zu erzeugen, dann driften wir ab«. Und »eben deshalb« sei es so, dass »die Haltung des Christen« an die erste Stelle »den Glauben setzen muss: Christus ist im Fleisch gekommen und der Glaube liegt im großen Gebot, in der konkreten Liebe«. Zweitens sei es notwendig, »vorsichtig zu sein und zu unterscheiden, was geschieht«. Deshalb sei es angebracht, zu unterscheiden, wenn »mir in den Sinn gekommen ist, etwas zu tun«. Und »die Unterscheidung mit dieser großen Wahrheit vorzunehmen: der Menschwerdung des Wortes und der konkreten Liebe«. Das also sei der Ratschlag, den Johannes in seinem Brief gebe: »Prüft die Geister – das heißt die Inspiration –, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt hinausgezogen.«

Der Papst hat es nicht versäumt, vor dem »Teufel« zu warnen, »der immer versucht, uns von Jesus zu entfernen, vom Bleiben in Jesus«. Deshalb sei »geistliche Wachsamkeit« wichtig. »Der Christ«, so die Anregung des Papstes, »muss sich am Ende des Tages zwei, drei, fünf Minuten Zeit nehmen und sich fragen: ›Was ist heute in meinem Herzen geschehen?‹« Er müsse sich selbst nicht so sehr dahingehend prüfen, ob er »diese oder jene Sünde« begangen habe, »das betrifft das Sakrament der Versöhnung«, sondern: »Was ist in seinem Herzen geschehen? Welche Inspiration ist gekommen? Welcher Wunsch, etwas zu tun?« Die Fragen, die man sich selbst stellen sollte, fügte der Papst hinzu, lauteten: »Ist das ein Bleiben im Herrn? Entspricht es dem Geist des Herrn?« Gewiss, »manchmal kann man sagen: ›Was mir da in den Sinn kam, ist eine Verrücktheit.‹ Aber vielleicht ist es eine ›Verrücktheit‹ des Herrn!«

»Heute ist ein Mann unter euch«, so der Papst, »der Italien vor mehr als vierzig Jahren verlassen hat, um Missionar unter den Leprakranken in Brasilien zu sein. Aber ist er vielleicht ein ›Verrückter‹? Ist der ein Verrückter, der dorthin geht, zu den Aussätzigen, um sein Leben zu verheizen, doch wer hat ihn dazu gedrängt?« Die Antwort laute: »Der Geist des Herrn, denn der Geist treibt uns bisweilen zur ›Verrücktheit‹, aber zu den großen ›Verrücktheiten‹ Gottes.« In dieser Perspektive sollte man »keine Angst haben, sondern unterscheiden: Was geschieht in mir?« Und um »bei der Unterscheidung zu helfen «, seien da »das Volk Gottes, die Kirche, die Einmütigkeit der Kirche, der Bruder, die Schwester, die das Charisma haben, uns zu helfen, klar zu sehen«. Deshalb »ist das spirituelle Gespräch mit Menschen von geistlicher Autorität für den Christen wichtig. Es ist nicht notwendig, bis zum Papst oder zum Bischof zu gehen, um zu sehen, ob das, was ich spüre, gut ist: Es gibt viele Menschen, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, die diese Fähigkeit haben, uns zu zeigen, was in meinem Geist geschieht, um Fehler zu vermeiden.«

Jesus selbst, so der Papst, »musste dies zu Beginn seines Lebens tun, als der Teufel ihn in der Wüste aufsuchte und ihm drei Dinge vorschlug, die nicht dem Geist Gottes entsprachen, und er den Teufel mit dem Wort Gottes zurückwies«. Also: »Wenn das Jesus widerfahren ist, dann stellen wir uns vor, wie das bei uns ist! Aber wir dürfen keine Angst haben.«

Die zu stellende Frage laute: »Diese Idee, dieses Gefühl, dieser Wunsch – sind sie von Gott? Und was soll ich tun?« Die Antwort liege immer in »der Konkretheit«. Und weiter: »Führt mich das zum Glauben, dass Gott in Jesus Christus im Fleisch gekommen ist? Führt mich das dazu, die Brüder und Schwestern mehr zu lieben?« Wenn die Antwort »Ja« laute, bedeute dies, dass es »von Gott ist«. Wenn die Antwort stattdessen jedoch »Nein« sei, dann bedeute dies, dass »es nicht vom Herrn ist: Es ist ein falscher Prophet.«

Franziskus fuhr fort: »Selbst zur Zeit Jesu gab es Menschen guten Willens, die aber dachten, dass Gottes Weg ein anderer sei. Wir denken an die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener oder die Zeloten: Alle hatten sie das Gesetz in der Hand, doch nicht immer schlugen sie die besten Wege ein.« In Wirklichkeit, so der Papst, bedürfe es »der Sanftmut des Gehorsams. Aus diesem Grund geht das Volk Gottes immer in der Konkretheit voran: der Konkretheit der Liebe, der Konkretheit des Glaubens, der Konkretheit der Kirche, und das ist der Sinn der Disziplin der Kirche«.

Denn, so erklärte der Papst, »wenn die Disziplin der Kirche in dieser Konkretheit liegt, dann hilft sie zu wachsen und vermeidet Philosophien der Pharisäer oder Sadduzäer, die zur Kasuistik führen« und nicht »geistlich wachsen« ließen. Der Papst wiederholte daher: »Der Sinn ist folgender: die Konkretheit, konkret sein, weil Gott konkret wurde, geboren von einer konkreten Frau. Er hat ein konkretes Leben gelebt, er ist einen konkreten Tod gestorben und er fordert uns auf, die konkreten Brüder und Schwestern zu lieben.« In dem Bewusstsein, dass »einige von ihnen nicht leicht zu lieben sind«.

»Auch mir«, so gestand Franziskus, »hilft es, wenn ich sehe, dass jemand nicht leicht zu lieben ist, und mich frage: aber bin denn ich leicht zu lieben, von diesem, von diesem? Und da halte ich ein, denn wenn ich weitergehe, werde ich rot vor Scham«. So brauche es »Konkretheit, Unterscheidungsvermögen und Gehorsam gegenüber der Kirche, dem Volk des Gottes, der Mensch geworden ist«.

»Vergessen wir nicht«, legte Franziskus ans Herz, »zwei große Wahrheiten des Christentums: Das Wort ist Fleisch geworden« und »Wir müssen einander konkret lieben«. Gewiss, gab er zu, »dann gibt es Vorschläge, die diese Konkretheiten nicht haben und die uns zum Träumen bringen oder in eine andere Welt gehen lassen: es ist ein bisschen so, als tränke man zwei Gläser zu viel und gehe in eine andere Welt, als glaube man an eine andere Phantasie«. Aber in Wirklichkeit »sind dies eben Phantasien«.

»Der Prüfstein ist die Konkretheit«, wiederholte der Papst am Ende seiner Predigt. Es sei »die Konkretheit, mit diesen beiden Geboten im Volk Gottes, in der Kirche und in der Disziplin der Kirche, um in Gott zu bleiben«. Und »die Heiligen haben das getan und dafür haben sie so viel ›Verrücktes‹ getan, apostolisch Verrücktes: lest zum Beispiel das Leben von Mutter Cabrini, was diese Frau getan hat! Immer auf Reisen, um für Migranten zu sorgen; und ich nenne gerade sie, um eine zu nennen, die nahe liegt, aber es gibt viele, viele«. Denn »die Heiligen sind die ›Verrückten‹, die Verrückten der Konkretheit: sie mögen uns helfen, in dieser Konkretheit zu vorangehen und gut zu unterscheiden, was zu tun ist«.

 



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