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HEILIGE MESSE FÜR DIE GLÄUBIGEN DES ARMENISCHEN RITUS

Vatikanische Basilika
2. Sonntag der Osterzeit  (oder Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit), 12. April 2015

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GRUSS DES HEILIGEN VATERS ZU BEGINN DER HEILIGEN MESSE FÜR DIE GLÄUBIGEN DES ARMENISCHEN RITUS

 

Bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich die heutige Zeit als Zeit des Kriegs bezeichnet, als dritten Weltkrieg „stückchenweise“, in dem wir tagtäglich grausamen Verbrechen beiwohnen, blutigen Massakern und dem Wahnsinn der Zerstörung. Leider hören wir auch heute noch den erstickten und vernachlässigten Schrei vieler unserer wehrlosen Brüder und Schwestern, die wegen ihres Glaubens an Christus oder ihrer ethnischen Herkunft öffentlich und grausam getötet werden – enthauptet, gekreuzigt, lebendig verbrannt –, oder die gezwungen werden, ihr Land zu verlassen.

Auch heute erleben wir gerade eine Art Genozid, der durch die allgemeine und kollektive Gleichgültigkeit verursacht wird, durch das komplizenhafte Schweigen Kains, der ausruft: „Was geht das mich an?“; «Bin ich etwa der Hüter meines Bruders?» (Gen 4,9; Predigt in Redipuglia, 13. September 2014).

Unsere Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert drei große, unerhörte Tragödien erlebt: die erste, die allgemein als «der erste Genozid des 20. Jarhunderts» angesehen wird (Johannes Paul II. und Karekin II., Gemeinsame Erklärung in der Kathedrale des heiligen Etschmiadzin, 27. September 2001); diese hat euer armenisches Volk getroffen – die erste christliche Nation –, zusammen mit den katholischen und orthodoxen Syrern, den Assyrern, den Chaldäern und den Griechen. Bischöfe, Priester, Ordensleute, Frauen, Männer und alte Menschen bis hin zu wehrlosen Kindern und Kranken wurden getötet. Die anderen beiden Völkermorde wurden durch den Nationalsozialismus und den Stalinismus verübt. Und in jüngerer Zeit gab es andere Massenvernichtungen wie in Kambodscha, in Ruanda, in Burundi, in Bosnien. Doch scheinbar schafft es die Menschheit nicht, das Vergießen unschuldigen Blutes zu beenden. Es scheint, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg wach gewordene Begeisterung gerade am Verblassen ist und sich auflöst. Die Menschheitsfamilie scheint es abzulehnen, aus den eigenen Fehlern, die durch das Gesetz des Terrors verursacht wurden, zu lernen; und so gibt es das noch heute, die eigenen Artgenossen mit der Hilfe einiger und dem komplizenhaften Schweigen anderer, die Zuschauer bleiben, eliminieren zu wollen. Wir haben immer noch nicht gelernt, dass „der Krieg ein Wahnsinn und ein unnötiges Blutbad ist“ (Predigt in Redipuglia, 13. September 2014).

Liebe armenische Gläubige, heute erinnern wir mit einem von Schmerz durchbohrtem Herzen, aber erfüllt von der Hoffnung auf den auferstandenen Herrn, an jenes tragische Ereignis vor hindert Jahren, jene ungeheure und wahnsinnige Vernichtung, die eure Vorfahren grausam erlitten haben. Sich an sie zu erinnern ist notwendig, besser noch eine Pflicht, denn wo es kein Gedenken gibt, hält das Böse die Wunde weiter offen; das Böse zu verbergen oder zu leugnen, ist wie zuzulassen, dass eine Wunde ohne Behandlung weiterblutet!

Ich grüße euch herzlich und danke euch für euer Zeugnis.

Ich grüße Herrn Serž Sargsyan, den Präsidenten der Republik Armenien, und danke ihm für sein Kommen.

Ich grüße herzlich auch meine Brüder Patriarchen und Bischöfe: Seine Heiligkeit Karekin II., oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier; Seine Heiligkeit Aram I., Katholikos des Großen Hauses von Kilikien; Seine Seligkeit Nerses Bedros XIX., Patriarch von Kilikien der katholischen Armenier; die beiden Katholikossate der Armenisch Apostolischen Kirche und das Patriarchat der Armenisch-katholischen Kirche.

Mit der entschiedenen Gewissheit, dass das Böse nie von Gott kommt, dem unendlich Guten, und verwurzelt im Glauben bekennen wir, dass die Grausamkeit nie dem Werk Gottes zugeschrieben werden kann und, mehr noch, in seinem Namen in keiner Weise irgendeine Rechtfertigung erfahren darf. Begehen wir zusammen diese Feier mit unserem Blick auf Jesus Christus, den Auferstandenen, den Sieger über den Tod und das Böse!


PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Der heilige Johannes, der mit den anderen Jüngern am Abend des ersten Tages nach dem Sabbat im Abendmahlssaal zugegen war, berichtet, dass Jesus in ihre Mitte trat und sprach: „Friede sei mit euch!“ Und er zeigte ihnen „seine Hände und seine Seite“ (20,19.20), er zeigte seine Wunden. So erkannten sie, dass es keine Vision war. Er war es wirklich, der Herr, und sie freuten sich sehr.

Acht Tage später kam Jesus wieder in den Abendmahlssaal und zeigte Thomas seine Wunden, damit er sie seinem Wunsch entsprechend berühre, um glauben zu können und so auch selbst ein Zeuge der Auferstehung zu werden.

An diesem Sonntag, den der heilige Johannes Paul II. nach der Göttlichen Barmherzigen benannt hat, zeigt der Herr durch das Evangelium auch uns heute seine Wunden. Es sind Wunden der Barmherzigkeit. Wirklich, die Wunden Jesu sind Wunden der Barmherzigkeit. „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5).

Jesus lädt uns ein, diese Wunden zu betrachten, er lädt uns ein, sie zu berühren, wie er es mit Thomas gemacht hat, um unseren Unglauben zu heilen. Vor allem lädt er uns ein, in das Geheimnis dieser Wunden einzutreten, welches das Geheimnis seiner barmherzigen Liebe ist.

Durch die Wunden wie durch einen leuchtenden Zugang hindurch können wir das ganze Geheimnis Christi und Gottes sehen: sein Leiden, sein irdisches Leben – voll Mitleid für die Kleinen und die Kranken – seine Menschwerdung im Schoß Mariens. Und wir können die ganze Heilsgeschichte zurückgehen: die Prophetien – besonders jene vom Gottesknecht –, die Psalmen, das Gesetz und der Bund, bis zur Befreiung aus Ägypten, zum ersten Paschafest und zum Blut der Opferlämmer; und weiter zu den Patriarchen bis hin zu Abraham; und dann, in grauer Vorzeit, bis zu Abel und seinem Blut, das zum Himmel schreit. Dies alles können wir durch die Wunden des gekreuzigten und auferstandenen Jesus hindurch sehen. Und wie Maria im Magnificat können wir erkennen, dass „er sich von Geschlecht zu Geschlecht erbarmt“ (vgl. Lk 1,50).

Angesichts der tragischen Ereignisse in der Menschheitsgeschichte sind wir manchmal wie erdrückt und fragen uns „Warum?“. Die menschliche Bosheit kann in der Welt gleichsam Abgründe, ein großes Vakuum auftun: ein Vakuum an Liebe, ein Vakuum an Gutem, ein Vakuum an Leben. Und dann fragen wir uns: Wie können wir diese Abgründe auffüllen? Für uns ist es unmöglich; Gott allein kann diese Leere, welche das Böse in unseren Herzen und in unserer Geschichte auftut, füllen. Und Jesus, der Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist, füllt den Abgrund der Sünde mit dem Abgrund seiner Barmherzigkeit.

Der heilige Bernhard verweilt in einem seiner Kommentare zum Hohenlied (Disc. 61, 3-5; Opera omnia 2, 150-151) ausdrücklich beim Geheimnis der Wunden des Herrn und gebraucht kraftvolle, kühne Ausdrücke. Dies heute aufzugreifen ist von Nutzen Er sagt, dass „durch die offenen Wunden des Leibes das Allerheiligste des Herzens [Christi] offen steht, das große Geheimnis der Liebe offen liegt und das Innere durch die Wunden offen ist“.

Seht, Brüder und Schwestern, den Weg, den Gott uns eröffnet hat, um endlich aus der Knechtschaft des Bösen und des Todes hinauszutreten und in das Land des Lebens und des Friedens einzutreten. Dieser Weg ist Er, Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, und es sind im Besonderen seine Wunden voll Barmherzigkeit.

Die Heiligen lehren uns, dass sich die Welt mit der Umwandlung des eigenen Herzens ändert – und das geschieht dank der Barmherzigkeit Gottes. Angesichts meiner Sünden oder der großen Tragödien der Welt ist daher «das Gewissen beunruhigt. Aber es wird nicht aus der Fassung gebracht, weil ich an die Wunden des Herrn denke. Denn „er wurde verwundet wegen unserer Verbrechen“ (Jes 53,5). Was könnte so tödlich sein, dass es nicht durch den Tod Christi gelöst würde» (ebd.)?

Den Blick beständig auf die Wunden des auferstandenen Jesus gerichtet können wir mit der Kirche singen: „Die Treue des Herrn währt in Ewigkeit“ (Ps 117,2); seine Barmherzigkeit währt ewig. Und mit diesen Worten im Herzen gehen wir auf den Straßen der Geschichte, unsere Hand in der Hand unsers Herrn und Erlösers, der unser Leben und unsere Hoffnung ist.

 


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