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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH MEXIKO
(12.-18. FEBRUAR 2016)

EUCHARISTIEFEIER MIT PRIESTERN. ORDENSLEUTEN, PERSONEN DES
GEWEIHTEN LEBENS UND SEMINARISTEN

PREDIGT DES HEILIGEN VATERS 

Stadion “Venustiano Carranza”, Morelia
Dienstag, 16. Februar
2016

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Es gibt bei uns einen Spruch, der lautet so: »Sage mir, wie du betest, und ich sage dir, wie du lebst; sage mir, wie du lebst, und ich sage dir, wie du betest; denn wenn du mir zeigst, wie du betest, werde ich lernen, den Gott zu entdecken, den du erlebst, und wenn du mir zeigst, wie du lebst, werde ich lernen, an den Gott zu glauben, zu dem du betest.« Denn unser Leben spricht vom Gebet, und das Gebet spricht von unserem Leben. Beten lernt man, wie man gehen, sprechen und hören lernt. Die Schule des Gebetes ist die Schule des Lebens, und in der Schule des Lebens ist der Ort, wo wir die Schule des Gebetes absolvieren.

Als Paulus seinen geliebten Schüler Timotheus lehrte bzw. ihn ermahnte, den Glauben zu leben, sagte er ihm: „Erinnere dich an deine Mutter und an deine Großmutter!“ (vgl. 2 Tim 1,5). Oft fragten mich die Seminaristen, wenn wie ins Seminar eintraten: „Pater, aber ich möchte gerne tiefer, gedanklicher beten.“ – „Schau mal, bete du weiter so, wie du es zu Hause gelernt hast, und dann, Schritt für Schritt, wird dein Gebet wachsen, wie dein Leben gewachsen ist.“ Beten lernt man wie alles im Leben.

Jesus wollte die Seinen in das Geheimnis des Lebens, in das Geheimnis seines Lebens einführen. Indem er aß, schlief, heilte, predigte und betete, zeigte er ihnen, was es bedeutet, Sohn Gottes zu sein. Er lud sie ein, in Vertrautheit sein Leben zu teilen, und da sie bei ihm waren, ließ er sie in seinem Leib das Leben des Vaters berühren. Er ließ sie in seinem Blick, in seinem Gehen die Kraft und die Neuheit erfahren, »Vater unser« zu sagen. Bei Jesus hat dieses Wort »Vater unser« nicht den „Nachgeschmack“ der Routine oder der Wiederholung, im Gegenteil, er schmeckt nach Leben, nach Erfahrung, nach Authentizität. Er verstand zu leben, indem er betete, und zu beten, indem er lebte und dabei sagte: »Vater unser«.

Und genau dazu hat er uns eingeladen. Unsere erste Berufung ist, die Erfahrung dieser barmherzigen Liebe des Vaters in unserem Leben, in unserer Geschichte zu machen. Sein erster Ruf ist, uns in diese neue Dynamik der Liebe, der Kindschaft einzuführen. Unsere erste Berufung ist, zu lernen, »Vater unser« zu sagen, »Abba«, wie Paulus betont.

»Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!«, sagt Paulus, weh mir! Denn das Evangelium zu verkünden, fährt er fort, ist kein Anlass zu Ruhm, sondern es ist Notwendigkeit (vgl. 1 Kor 9,16).

Uns hat Jesus eingeladen, an seinem Leben, am göttlichen Leben teilzuhaben. Weh uns – gottgeweihten Personen, Seminaristen, Priestern Bischöfen –, weh uns, wenn wir es nicht teilen, weh uns, wenn wir nicht Zeugen dessen sind, was wir gesehen und gehört haben, weh uns… Wir wollen keine Funktionäre des Göttlichen sein. Wir sind keine Angestellten des Unternehmens Gottes und wollen es auch niemals sein, denn wir sind eingeladen, an seinem Leben teilzuhaben, wir sind eingeladen, uns in sein Herz einzufügen – ein Herz, das betet und lebt, indem es sagt: »Vater unser«. Und was ist die Mission anderes, als mit unserem Leben – vom Anfang bis zum Ende wie unser Bruder, der Bischof, der vergangene Nacht gestorben ist – mit unserem Leben zu sagen »Vater unser«?

Dieser unser Vater ist es, zu dem wir alle Tage inständig beten. Und was sagen wir ihm in einer dieser Bitten? „Lass uns nicht in Versuchung fallen!“ Jesus selbst tat es. Er betete, dass seine Jünger – von gestern und von heute –, dass wir nicht in Versuchung fallen sollten. Was mag eine der Versuchungen sein, die uns bestürmen kann? Was mag eine der Versuchungen sein, die aufkeimt, wenn wir die Wirklichkeit nicht nur betrachten, sondern uns in ihr bewegen? Welche Versuchung kann über uns kommen aus Umgebungen, die oft von Gewalt, Korruption, Drogenhandel, Verachtung der Menschenwürde, Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden und der Unsicherheit beherrscht sind? Welche Versuchung können wir immer wieder haben – wir, die wir zum geweihten Leben,  zum Priestertum, zum Bischofsamt berufen sind –, welche Versuchung kann uns angesichts all dessen überkommen, angesichts dieser Wirklichkeit, die sich in ein unverrückbares System verwandelt zu haben scheint?

 Ich glaube, wir könnten sie in einem einzigen Wort zusammenfassen: Resignation. Und angesichts dieser Wirklichkeit kann uns eine der bevorzugten Waffen des Teufels besiegen: die Resignation. „Und was kannst du da schon tun? Das Leben ist halt so.“ Eine Resignation, die uns lähmt, eine Resignation, die uns nicht nur hindert zu gehen, sondern auch, den Weg zu bereiten; eine Resignation, die uns nicht nur ängstigt, sondern uns dazu führt, uns in unseren „Sakristeien“ und scheinbaren Sicherheiten zu verschanzen; eine Resignation, die nicht nur unsere Verkündigung unterbindet, sondern auch unseren Lobpreis, uns die Fröhlichkeit nimmt, die Freude am Lobpreis. Eine Resignation, die uns nicht nur hemmt zu planen, sondern die uns auch davon zurückhält zu wagen und zu verwandeln. Darum, Vater unser, lass uns nicht in Versuchung fallen!

Wie gut tut es uns, in den Momenten der Versuchung auf unsere Erinnerung zurückzugreifen! Wie hilft es uns, das „Holz“ zu betrachten, aus dem wir geschnitzt sind! Nicht alles hat mit uns begonnen, und es wird auch nicht alles mit uns enden; wie gut tut es uns darum, uns die Geschichte zu vergegenwärtigen, die uns bis hierher gebracht hat.

Bei diesem Gedenken können wir nicht jemanden übergehen, der diesen Ort so sehr liebte, dass er Sohn dieses Landes wurde. Jemanden, der von sich selbst zu sagen wusste: »Sie haben mich aus dem Richterstand herausgerissen und ans Steuerruder des Priestertums gesetzt, dank meiner Sünden. Mich, der ich nutzlos und völlig untauglich für die Ausübung eines so großen Unterfangens bin; mich, der ich das Ruder gar nicht zu handhaben weiß, mich haben sie zum ersten Bischof von Michoacán gewählt« (Vasco Vazquézde Quiroga, Hirtenbrief, 1554).

Ich danke – nebenbei gesagt – dem Herrn Kardinal Erzbischof, dass diese Eucharistie seinem Wunsch gemäß mit dem Hirtenstab dieses Mannes und mit seinem Kelch gefeiert wird. Mit euch möchte ich dieses Missionars gedenken, der auch als Tata Vasco, als »der Spanier, der Indio wurde« bekannt war.

Die Wirklichkeit, die diese Purhépecha-Indios lebten und die er so beschrieb: »Verkauft und misshandelt durchstreifen sie die Märkte und sammeln die auf den Boden geworfenen Speisereste auf« – diese Wirklichkeit führte ihn durchaus nicht in die Versuchung und in die Verbitterung der Resignation, sondern sie mobilisierte seinen Glauben, mobilisierte sein Leben, mobilisierte sein Mitgefühl und regte ihn an, verschiedene Angebote zu verwirklichen, die angesichts dieser so lähmenden und ungerechten Realität ein „Aufatmen“ ermöglichten. Der Schmerz über das Leiden seiner Brüder und Schwestern wurde Gebet, und das Gebet wurde Antwort. Und das brachte ihm unter den Indios den Namen „Tata Vasco“ ein, was in der Sprache der Purhépechas „Papa“ bedeutet.

Vater, Papa, Tata, Abba…

Das ist das Gebet, das ist der Ausdruck, zu dem Jesus uns einlud.

Vater,  Papa, Abba, lass uns nicht in die Versuchung der Resignation fallen, lass uns nicht in die Versuchung der Verbitterung fallen, lass uns nicht in die Versuchung fallen, die Erinnerung zu verlieren, lass uns nicht in die Versuchung fallen, unsere Vorfahren zu vergessen, die uns mit ihrem Leben gelehrt haben, »Vater unser« zu sagen.

 



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