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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ECUADOR, BOLIVIEN UND PARAGUAY

(5.-13. JULI 2015)

 

BEGEGNUNG MIT DEM KLERUS, DEN ORDENSLEUTEN UND DEN SEMINARISTEN

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Nationales Marienheiligtum “El Quinche”, Quito
Mittwoch, 8. Juli 2015

[Multimedia]



Guten Tag, liebe Brüder und Schwestern,

in diesen beiden Tagen, während der vergangenen 48 Stunden, in denen ich mit euch zu tun hatte, habe ich bemerkt, dass etwas Sonderbares – entschuldigt mich – etwas Besonderes im ecuadorianischen Volk gibt. An allen Orten, wo ich hinkomme, ist der Empfang immer freudig, froh, herzlich, religiös, voller Frömmigkeit, überall. Aber hier gibt es etwas in der Religiosität, zum Beispiel in der Weise, in der man vom ganz Alten bis zum Baby um den Segen bittet, das Erste, das man so zu tun lernt. Es gibt etwas Anderes. Auch ich war versucht, so wie der Bischof von Sucumbios, zu fragen: „Was ist das Rezept dieses Volkes? Was ist es?“ Ich habe hin und herüberlegt und gebetet. Ich habe Jesus mehrmals im Gebet gefragt: Was ist es, das anders ist bei diesem Volk? Und beim Gebet heute Morgen kam mir jene Weihe an das Heiligste Herz Jesu in den Sinn.

Ich denke, ich muss es euch sagen als eine Botschaft von Jesus: All dieser Reichtum, den ihr besitzt, der spirituelle Reichtum an Religiosität und Tiefe kommt daher, dass ihr den Mut hattet – es waren nämlich sehr schwierige Momente – den Mut, die Nation dem Herzen Christi zu weihen, jenem göttlich-menschlichen Herzen, das uns so sehr liebt. Und ich sehe das ein wenig in euch: göttlich und menschlich. Gewiss, ihr seid Sünder, ich auch … aber der Herr vergibt alles … Hütet es! Und dann, wenige Jahre danach, die Weihe an das Herz Mariens. Vergesst nicht: Diese Weihe ist ein Meilenstein in der Geschichte Ecuadors, und ich spüre, dass von dieser Weihe diese Gnade herrührt, die ihr habt, diese Religiosität, das, was euch unterscheidet.

Heute soll ich zu euch Priestern, Seminaristen, Ordensleuten sprechen und euch etwas sagen. Ich habe eine Ansprache vorbereitet – aber ich habe keine Lust, sie vorzulesen. So gebe ich sie dem Vorsitzenden der Ordensleutekonferenz, damit er sie dann veröffentliche.

Und ich dachte an die Heilige Jungfrau, an Maria. An die zwei Worte Marias – es fällt mir gerade nicht ein, ich weiß nicht, ob sie andere gesagt hat: „Mir geschehe“. – Ja, sicher, sie fragte den Engel nach Erklärungen, warum sie ausgewählt wurde. Doch sie sagt: „Mir geschehe“. – Und das andere Wort: „Was er euch sagt, das tut.“ Maria wollte nie die Hauptrolle spielen. Sie war Jüngerin ihr ganzes Leben lang. Die erste Jüngerin ihres Sohnes. Und sie war sich bewusst, dass alles, was sie hervorgebracht hatte, reine Unentgeltlichkeit Gottes war. Sich der Unentgeltlichkeit bewusst sein. Daher sagt sie „es geschehe“, „tut“, damit Gottes Unentgeltlichkeit sichtbar werde. Liebe Ordensleute, Priester, Seminaristen, kehrt alle Tage zurück, macht diesen Weg zurück zur Unentgeltlichkeit, mit der euch Gott erwählt hat. Ihr habt nicht Eintritt bezahlt, um ins Seminar einzutreten, um ins Ordensleben einzutreten. Ihr habt es euch nicht verdient. Wenn Ordensmänner, Priester oder Seminaristen oder Nonnen hier sind, die meinen, sich es verdient zu haben, so heben sie die Hand! Alles ist unentgeltlich. Und das ganze Leben eines Ordensmannes, einer Ordensschwester, eines Priesters und eines Seminaristen führt über diesen Weg – nun, da wir schon dabei sind, sagen wir: und der Bischöfe –, es muss über diesen Weg der Unentgeltlichkeit laufen, jeden Tag muss es dahin zurückkommen: „Herr, heute habe ich das gemacht, dies ist mir gut gelungen, ich habe diese Schwierigkeit gehabt, das alles aber … alles kommt von dir, alles ist unentgeltlich.“ Es ist Unentgeltlichkeit. Wir sind Objekt der Unentgeltlichkeit Gottes. Wenn wir dies vergessen, kommen wir langsam dazu, uns wichtig zu machen. „Und seht den … welche Werke er macht …“, oder: „Schaut, den haben sie zum Bischof von diesem und jenen Ort gemacht … wie wichtig, schaut, den haben sie zum Monsignore gemacht, oder den …“. Und so entfernen wir uns langsam von dem, was grundlegend ist, und von dem sich Maria nie entfernt hat: die Unentgeltlichkeit Gottes. Ein Rat als Bruder: Alle Tage – vielleicht ist es am besten am Abend, bevor man schlafen geht – den Blick auf Jesus richten, um ihm zu sagen: „Alles hast du mir unentgeltlich geschenkt“, und sich wieder neu ausrichten. Wenn sie meine Bestimmung ändern oder wenn es eine Schwierigkeit gibt, dann beschwere ich mich nicht, denn alles ist unentgeltlich, ich habe nichts verdient. So hat es Maria getan.

Der heilige Johannes Paul II. sagt in der Enzyklika Redemptoris Mater – Ich empfehle euch, sie zu lesen, ja, nehmt sie zur Hand und liest sie. Es ist wahr, der heilige Papst Johannes Paul II. hatte einen Stil, bei dem sich die Gedanken kreisförmig entwickeln, er war ein Professor, doch ein Mann Gottes. Daher muss man sie mehrmals lesen, um mit Gewinn den ganzen Reichtum herauszuholen, den sie enthält. – er sagt, dass Maria – ich erinnere mich nicht genau an den Satz, ich zitiere, indem ich den Inhalt wiedergebe – im Augenblick des Kreuzes und der Prüfung ihrer Treue sagen hätte wollen: „Und die hatten mir gesagt, dass er Israel gerettet hätte. Sie haben mich getäuscht“. Sie hat es nicht gesagt. Sie ließ nicht zu, so etwas zu denken, denn sie war die Frau, die wusste, dass sie alles unentgeltlich empfangen hatte. Ein Rat als Bruder und Vater: Versetzt euch alle Abende wieder in die Unentgeltlichkeit, und sagt: „Es geschehe, danke, denn alles hast du mir gegeben.“

Eine zweite Sache, die ich euch sagen will, ist die: Bewahrt die Gesundheit, vor allem aber sorgt dafür, nicht eine Krankheit zu bekommen, eine Krankheit, die relativ gefährlich oder ganz gefährlich ist für diejenigen, die der Herr unentgeltlich berufen hat, ihm zu folgen und zu dienen. Bekommt nicht die Krankheit des „geistlichen Alzheimers“, verliert nicht das Gedächtnis, vor allem das Gedächtnis an den Ort, von dem ihr genommen worden seid. Denken wir an die Szene des Propheten Samuel, als er gesandt wird, den König von Israel zu salben. Er geht nach Betlehem, in das Haus eines Mannes, der Isai heißt, der sieben oder acht Söhne hat – ich weiß es nicht genau –, und Gott sagt ihm, dass unter diesen Söhnen der künftige König ist. Und natürlich, als Samuel sie sieht, sagt er: „Dieser muss es sein“, denn der älteste war groß, stark, stattlich, schien mutig … Und Gott sagt zu ihm: „Nein, er ist es nicht.“ Gott sieht nicht auf das, worauf die Menschen sehen. Und so lässt er alle Söhne vorbeigehen, und Gott sagt zu ihm: „Nein er ist es nicht.“ Der Prophet weiß schließlich nicht mehr, was er tun soll, und fragt dann den Vater: „Hast du nicht noch andere Söhne?“ Und dieser antwortet: „Ja, da ist der jüngste, er weidet die Ziegen und Schafe“. „Lass ihn rufen“. Und es kommt der Jüngling, der vielleicht 17, 18 Jahre alt war, ich weiß es nicht, und Gott sagt zum Propheten: „Er ist es“. Sie haben ihn von der Herde weggeholt. Und ein anderer Prophet, als Gott ihm sagt, dass er dies und das als Prophet tun soll: „Wer bin ich denn, wenn sie mich von der Herde weggeholt haben?“ Vergesst nicht, von wo ihr genommen worden seid. Verleugnet nicht eure Wurzeln!

Man sieht, dass der heilige Paulus diese Gefahr, das Gedächtnis zu verlieren, geahnt hat. Seinem am meisten geliebten Sohn, dem Bischof Timotheus, den er geweiht hatte, gibt er pastorale Ratschläge. Einer davon geht aber zu Herzen: „Vergiss nicht den Glauben, den deine Großmutter und deine Mutter hatten!“, das heißt: „Vergiss nicht, von wo du genommen wurdest, vergiss nicht deine Wurzeln, fühle dich nicht befördert!“ Die Unentgeltlichkeit ist eine Gnade, die nicht mit der Beförderung zusammenleben kann, und wenn ein Priester, ein Seminarist, ein Ordensmann, eine Ordensfrau „Karriere“ macht – ich sage nicht, dass eine menschliche Karriere notwendigerweise schlecht ist – beginnt er oder sie an geistlichem Alzheimer zu erkranken und das Gedächtnis an den Ort, von dem er genommen wurde, zu verlieren.

Zwei Grundsätze für euch Priester und gottgeweihte Personen: Erneuert alle Tage die Gesinnung, dass alles unentgeltlich ist, die Gesinnung der Unentgeltlichkeit der Erwählung eines jeden von euch – niemand von uns hat sie verdient – und bittet um die Gnade, das Gedächtnis nicht zu verlieren und sich nicht als wichtiger zu fühlen. Es ist sehr traurig, wenn man einen Priester oder eine gottgeweihte Person sieht, die zu Hause Dialekt sprach oder eine andere Sprache, eine dieser altehrwürdigen Sprachen der Völker – wie viele hat Ecuador davon! –, und es ist sehr traurig, wenn sie ihre Sprache vergessen, es ist sehr traurig, wenn sie diese nicht sprechen wollen. Dies bedeutet, dass sie den Ort vergessen haben, von dem sie genommen worden sind. Vergesst das nicht, bittet um die Gnade des Gedächtnisses. Und das sind die beiden Grundsätze, die ich hervorheben wollte.

Diese zwei Grundsätze, wenn ihr sie lebt – alle Tage aber, es ist nämlich eine Arbeit für alle Tage, jeden Abend sich an die beiden Grundsätze zu erinnern und um die Gnade zu bitten – wenn ihr diese beiden Grundsätze lebt, werden sie euch im Leben zwei Einstellungen schenken, werden sie euch zwei Einstellungen leben lassen.

Erstens: der Dienst. Gott hat mich erwählt, er hat mich genommen, warum? Um zu dienen. Es ist der Dienst, der charakteristisch ist für mich. Nicht: „Dass ich meine Zeit habe.“ „Dass ich meine Sachen zu tun habe.“ „Dass ich das zu tun habe, das nicht.“ „Dass ich das Büro schon schließe.“ „Dass ich die Häuser segnen gehen sollte, aber … nein, ich bin müde“, oder: „Heute kommt eine schöne Telenovela im Fernsehen, und dann“ – das für die Schwestern! Also: Dienst, dienen. Und nicht andere Sachen tun, und dienen, wenn wir müde sind, und dienen, wenn die Leute lästig sind.

Ein alter Priester, der sein ganzes Leben Professor an Schulen und auf der Universität war, er unterrichtete Literatur, Sprachen – ein Genie –, erzählte mir: Als er in Pension ging, bat er seinen Provinzial, ihn in ein armes Viertel zu schicken, in eines der Viertel, das sich aus Menschen bildet, die hinzuziehen, die ausgewandert sind auf der Suche nach Arbeit, sehr einfache Menschen. Und dieser Ordenspriester besuchte einmal pro Woche seine Gemeinschaft und unterhielt sich, er war sehr klug; es war eine Gemeinschaft einer theologischen Fakultät; er unterhielt sich mit den anderen Priestern über Theologie auf demselben Niveau, aber eines Tages sagt er zu einem: „Wer sind Sie? … Wer lehrt hier den Traktat über die Kirche?“ Der Professor hebt die Hand: „Ich.“ „Dir fehlen zwei Thesen. „Welche?“ „Das heilige gläubige Volk Gottes ist vom Wesen her olympisch – das heißt, es erreicht das, was es möchte – und ontologisch lästig.“ Und das birgt viel Weisheit, denn wer den Weg des Dienstes geht, muss sich belästigen lassen, ohne die Geduld zu verlieren, weil er dient. Kein Augenblick gehört ihm, keiner. Ich bin hier, um zu dienen: dienen in dem, was ich tun muss, dienen vor dem Tabernakel, indem ich für mein Volk bete, für meine Arbeit bete, für die Menschen, die Gott mir anvertraut hat.

Dienst. Mische ihn mit der Unentgeltlichkeit, und dann … das, was Jesus sagt: „Was du umsonst empfangen hast, gib umsonst“ (vgl. Mt 10,8). Bitte, bitte, treibt keinen Handel mit der Gnade! Bitte, unsere Seelsorge sei unentgeltlich. Es ist so hässlich, wenn einer diesen Sinn der Unentgeltlichkeit verliert und sich verwandelt zu … Ja, er macht Gutes, aber er hat diesen Sinn verloren.

Und die zweite Einstellung, die man in einer gottgeweihten Person, in einem Priester sieht, der diese Unentgeltlichkeit und dieses Gedächtnis – diese beiden Grundsätze, die ich anfangs genannt habe, Unentgeltlichkeit und Gedächtnis – lebt, ist die Freude und Heiterkeit. Das ist ein Geschenk Jesu, und es ist ein Geschenk, das er uns gibt, wenn wir ihn darum bitten und wenn wir nicht diese zwei Säulen unseres priesterlichen oder geweihten Lebens vergessen, das sind der Sinn der Unentgeltlichkeit, den wir alle Tage erneuern, und das Nichtverlieren des Gedächtnisses für den Ort, von dem wir genommen wurden.

Das wünsche ich euch: „Ja, Pater, Sie haben uns gesagt, dass vielleicht das Rezept unseres Volkes das war … dass wir so sind wegen dem Heiligsten Herzen Jesu.“ Ja, das ist wahr,  aber ich schlage euch ein anderes Rezept auf der gleichen Linie vor, auf der gleichen Linie des Herzens Jesu: der Sinn der Unentgeltlichkeit. Er wurde nichts, er erniedrigte sich, er wurde demütig, er wurde arm, um uns durch seine Armut reich zu machen. Reine Unentgeltlichkeit. Der Sinn des Gedächtnisses … Gedenken wir der Wundertaten, die der Herr in unserem Leben vollbracht hat.

Der Herr möge euch allen diese Gnade schenken, uns allen hier Anwesenden, und er möge das ecuadorianische Volk weiter – ich wollte gerade sagen „belohnen“ – weiter segnen, dem ihr dienen sollt und dem zu dienen ihr berufen seid. Er möge es weiter segnen mit diesem so besonderen Merkmal, das ich seit meiner Ankunft hier bemerkt habe. Jesus segne euch, und die Jungfrau Maria beschütze euch.

* * *

Bitten wir gemeinsam den Vater, der uns alles unentgeltlich gegeben hat, dass er in uns das Gedächtnis Jesu lebendig erhält.

[Vater unser]

[Segen]

Bitte, ich bitte euch, für mich zu beten, denn auch ich verspüre oft die Versuchung, die Unentgeltlichkeit, mit der mich Gott erwählt hat, und den Ort, von dem ich genommen wurde, zu vergessen. Betet für mich!

 


Vom Heiligen Vater  vorbereitete Ansprache:

Liebe Brüder und Schwestern,

Unserer Lieben Frau von Quinche lege ich die lebendigen Eindrücke von diesen Tagen meines Besuchs zu Füßen; ich möchte ihrem Herzen die Alten und die Kranken anvertrauen, mit denen ich eine Weile im Haus der Missionarinnen der Nächstenliebe verbracht habe. Ich schließe auch alle anderen Begegnungen ein, die ich vorher gehabt habe. Ich vertraue sie dem Herzen Marias an, aber ich lege sie auch euch ans Herz, ihr Priester, Ordensleute und Seminaristen, die ihr berufen seid, im Weinberg des Herrn zu arbeiten. Ihr sollt Wächter sein über alles, was dieses Volk Ecuadors erlebt, worüber es weint und worüber es sich freut.

Ich danke Bischof Lazzari, Pater Mina und Schwester Sandoval für ihre Worte, die mir Gelegenheit geben, mit euch allen einige Dinge in der gemeinsamen Sorge für das Volk Gottes zu teilen.

Im Evangelium lädt der Herr uns ein, die Mission ohne Vorbehalt anzunehmen. Es ist eine wichtige Botschaft, die wir nicht vergessen dürfen und die in diesem Heiligtum, das der Darbringung der Jungfrau Maria im Tempel geweiht ist, einen besonderen Akzent gewinnt. Maria ist das Beispiel einer Jüngerin für uns, die wir wie sie eine Berufung erhalten haben. Ihre vertrauensvolle Antwort „Mir geschehe wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38) erinnert uns an ihre Worte bei der Hochzeit zu Kana: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Ihr Beispiel ist eine Einladung zu dienen wie sie.

In der Darbringung der Jungfrau können wir einige Anregungen für unseren eigenen Ruf erhalten. Das Mädchen Maria war ein Geschenk Gottes für ihre Eltern und für das ganze Volk, das auf die Befreiung hoffte. Das ist eine Tatsache, die sich häufig in der Heiligen Schrift wiederholt: Gott antwortet auf die Klage seines Volkes, indem er ein schwaches Kind schickt, das dazu bestimmt ist, die Rettung zu bringen, und zugleich die Hoffnung alter Eltern erneuert. Das Wort Gottes sagt uns, dass in der Geschichte Israels die Richter, die Propheten und die Könige ein Geschenk Gottes sind, um seine Zärtlichkeit und seine Barmherzigkeit seinem Volk zukommen zu lassen. Sie sind Zeichen der ungeschuldeten Großzügigkeit Gottes: Er hat sie erwählt, ausgesucht und berufen. Dies bewahrt uns vor der Selbstbezogenheit. Es gibt uns zu verstehen, dass wir nicht mehr uns gehören, dass unsere Berufung von uns verlangt, uns von allem Egoismus, von allem Streben nach materiellem Gewinn oder affektivem Ausgleich abzuwenden, wie uns das Evangelium gesagt hat. Wir sind keine Tagelöhner sondern Diener. Wir sind nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen, und das tun wir in völliger Loslösung, ohne Stock und ohne Vorratstasche.

Eine gewisse Überlieferung hinsichtlich des Titels Unserer Lieben Frau von Quinche sagt uns, dass Diego de Robles das Gnadenbild im Auftrag des Stammes der Lumbicí schuf. Diego hat es nicht für Gotteslohn, sondern für einen materiellen Verdienst geschaffen. Als sie es ihm nicht bezahlen konnten, brachte er es nach Oyacachi und tauschte es gegen Zedernbretter ein. Diego verweigerte sich jedoch der Bitte der Dorfbewohner, auch einen Altar für das Bild zu schaffen. Als er dann aber vom Pferd stürzte, fühlte er im Angesicht der Gefahr den Schutz der Jungfrau Maria. Er kehrte in das Dorf zurück und schuf das Podest für das Bild. Auch wir alle haben die Erfahrung eines Gottes gemacht, der unsere Wege kreuzt, der uns in unserer Wirklichkeit als Gefallene und Zusammengebrochene ruft. Mögen die Eitelkeit und die Weltlichkeit uns doch nicht vergessen lassen, von wo Gott uns gerettet hat! Möge Maria von Quinche uns dazu bringen, von den Plätzen des Ehrgeizes, der egoistischen Interessen und der übermäßigen Sorgen um uns selbst herabzusteigen!

Die „Vollmacht“, welche die Apostel von Jesus empfangen, ist nicht für ihren eigenen Vorteil bestimmt: Unsere Begabungen dienen der Erneuerung und dem Aufbau der Kirche. Weigert euch nicht zu teilen, sträubt euch nicht zu schenken, schließt euch nicht in die Bequemlichkeit ein, seid Quellen, die überfließen und die anderen erfrischen, besonders die, die durch die Sünde, die Enttäuschung und den Groll bedrückt sind (vgl. Evangelii gaudium 272).

Ein zweiter Aspekt, an den mich die Darbringung der Jungfrau erinnert, ist die Beharrlichkeit. In der anregenden ikonographischen Darstellung dieses marianischen Festes löst sich das kleine Mädchen Maria von ihren Eltern, um die Stufen zum Tempel hinaufzusteigen. Maria schaut nicht zurück und geht – in einem deutlichen Bezug zur Mahnung des Evangeliums – entschieden voran. Wie die Jünger im Evangelium treten auch wir unseren Weg an, um jedem Volk und jedem Ort die gute Nachricht Jesu zu bringen. Beharrlichkeit in der Mission bedeutet, nicht von einem Haus in ein anderes zu ziehen (vgl. Lk 10,7) auf der Suche, wo man uns besser behandelt, wo es mehr Mittel und Annehmlichkeiten gibt. Das bedeutet, unser Los mit dem von Jesus zu verbinden, bis zum Letzten. Einige Berichte der Erscheinungen der Jungfrau von Quinche erzählen uns, dass eine „Frau mit einem Kind im Arm“ an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden die Bewohner von Oyacachi besuchte, als diese vor der Verfolgung durch Bären Zuflucht suchten. Mehrere Male kam Maria ihren Kindern entgegen; sie trauten ihr nicht, sie beargwöhnten diese Frau, bewunderten jedoch ihre Beharrlichkeit, jeden Abend beim Sonnenuntergang wiederzukommen. Ausharren, auch wenn sie uns ablehnen, auch wenn es Nacht wird und die Unsicherheit und die Gefahren zunehmen. Ausharren in diesem Einsatz, weil wir wissen, dass wir nicht allein sind, dass das heilige Volk Gottes voranschreitet.

In gewisser Weise können wir in dem Bild des Mädchens Maria, das zum Tempel hinaufsteigt, die Kirche sehen, die den missionarischen Jünger begleitet. Zusammen mit ihr sind da ihre Eltern, die ihr das Gedächtnis des Glaubens übermittelt haben und sie nun großherzig dem Herrn darbieten, auf dass sie seinem Weg folgen kann. Da ist ihre Gemeinschaft, dargestellt durch das „Gefolge der Jungfrauen“, „ihre Gefährtinnen“ mit den brennenden Lampen (vgl. Ps 45,15); in diesen sehen die Kirchenväter ein prophetisches Bild für alle, die Maria nachahmen und aufrichtig danach streben, Gottes Freunde zu sein. Und da sind die Priester, die auf sie warten, um sie zu empfangen; sie erinnern uns daran, dass in der Kirche die Hirten die Verantwortung haben, die Menschen mit Zärtlichkeit aufzunehmen und zu helfen, jeden Geist und jeden Ruf zu unterscheiden.

Gehen wir gemeinsam voran, stützen wir uns gegenseitig und erbitten wir demütig die Gabe der Beharrlichkeit in seinem Dienst.

Unsere Liebe Frau von Quinche war Anlass für Begegnung, für Gemeinschaft, und dieser Ort hat sich seit diesen Zeiten der Inkas zu einer multi-ethnischen Siedlung herangebildet. Wie schön ist es, wenn die Kirche in ihrem Einsatz ausharrt, Haus und Schule der Gemeinschaft zu sein, wenn wir das erzeugen, was ich gerne als Kultur der Begegnung bezeichne!

Das Bild der Darbringung sagt uns, dass sich das Mädchen Maria, nachdem es den Segen der Priester empfangen hatte, auf die Stufen des Altars setzte und dann aufstand und tanzte. Ich denke an die Fröhlichkeit, die sich in den Bildern einer Hochzeitsfeier zeigt unter den Freunden des Bräutigams und bei der Braut, die mit ihren Juwelen geschmückt ist. Es ist die Freude von jemandem, der einen Schatz gefunden hat und der alles hinter sich gelassen hat um ihn zu erlangen. Dem Herrn zu begegnen, in seinem Haus zu leben, an seiner persönlichen Sphäre teilzuhaben verpflichtet dazu, das Reich Gottes zu verkünden und die Rettung zu allen zu bringen. Die Schwellen des Tempels zu überschreiten verlangt von uns, uns wie Maria in Tempel des Herrn zu verwandeln und uns auf den Weg zu machen, um ihn zu den Geschwistern zu bringen. Die Jungfrau, die erste missionarische Jüngerin, ist gleich nach der Ankündigung durch den Engel unverzüglich in ein Dorf in Judäa aufgebrochen, um diese unermessliche Freude zu teilen; dieselbe, die den heiligen Johannes den Täufer im Leib seiner Mutter hüpfen ließ (vgl. Lk 1,39-44). Wer ihre Stimme hört, „hüpft vor Freude“ und wird selbst zu einem Boten ihrer Freude. Die Freude zu evangelisieren bewegt die Kirche, sie lässt sie aufbrechen wie Maria.

Obgleich vielerlei Gründe für die Verlegung des Heiligtums von Oyacachi an diesen Ort vorgebracht werden, bleibe ich bei einem stehen: „Hier ist es und war es besser zugänglich, hier ist es leichter, in der Nähe von allen zu sein“. So verstand es der Erzbischof von Quito, Fray Luis López de Solis, als er anordnete ein Heiligtum zu bauen, das imstande war, alle zusammenzurufen und aufzunehmen. Eine Kirche im Aufbruch ist eine Kirche, die sich nähert, die sich anpasst, um nicht weit weg zu sein, die aus der eigenen Bequemlichkeit herausgeht und den Mut hat, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen (vgl. Evangelii gaudium 20).

Kehren wir nun zu unseren Aufgaben zurück, die das heilige Volk, das uns anvertraut ist, von uns erbittet. Zu diesen gehört – das dürfen wir nicht vergessen –, uns um die Volksfrömmigkeit zu kümmern, zu ihr zu ermuntern, sie heranzubilden. Wir können sie, die in vielen lateinamerikanischen Ländern sehr verbreitet ist, in diesem Heiligtum gleichsam mit Händen greifen. Das gläubige Volk wusste seinen Glauben in seiner eigenen Sprache zum Ausdruck zu bringen; seine tiefsten Empfindungen von Schmerz, Zweifel, Freude, Scheitern und Dank mit verschiedenen Formen der Frömmigkeit zu zeigen: Prozessionen, Nachtwachen, Blumen, Gesänge, die sich in einen schönen Ausdruck des Vertrauens in den Herrn und der Liebe zu seiner Mutter verwandeln, die auch unsere Mutter ist.

In Quinche fließen die Geschichte der Menschen und die Geschichte Gottes in der Geschichte einer Frau, nämlich Marias, zusammen. Und in einem Haus, unserem Haus, der Schwester Mutter Erde. Die Überlieferungen dieser Wallfahrt rufen uns die Zedern, die Bären, die Felsspalte in Erinnerung, wo sich das erste Haus der Gottesmutter befand. Sie sprechen uns von den Vögeln in der Vergangenheit, die an diesem Ort lagerten, und von Blumen heute, die das Bild schmücken. Die Ursprünge dieser Devotion versetzen uns in Zeiten, in denen es sehr einfach war, „den ruhigen Einklang mit der Schöpfung wiederzugewinnen, um ... den Schöpfer zu betrachten, der unter uns und in unserer Umgebung lebt und dessen Gegenwart nicht hergestellt, sondern entdeckt, enthüllt werden muss“ (Enz. Laudato si‘ 225). Er offenbart sich uns in der geschaffenen Welt, in seinem geliebten Sohn, in der Eucharistie, die den Christen erlaubt, sich als lebendige Glieder der Kirche zu sehen und aktiv an seiner Mission teilzunehmen (vgl. Aparecida, 264). Und er offenbart sich uns im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Quinche, die von hier aus die Morgenröte der ersten Verkündigung des Glaubens an die eingeborenen Völkern begleitete. Ihr empfehlen wir unsere Berufung an. Sie mache uns zu einem Geschenk für unseres Volk. Sie schenke uns die Beharrlichkeit in der Hingabe und die Fröhlichkeit, aufzubrechen und das Evangelium ihres Sohnes Jesus – vereint mit unseren Hirten – bis zu den Grenzen, bis zu den Peripherien unseres geliebten Ecuador zu bringen.

 



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