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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH CHILE UND PERU
(15.-22. JANUAR 2018)

BEGEGNUNG MIT DEN BISCHÖFEN 

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Erzbischöfliches Palais (Lima)
Sonntag, 21. Januar 2018

[Multimedia]


 

Liebe Brüder im Bischofsamt,

ich bedanke mich für die Worte, die der Herr Kardinalerzbischof von Lima sowie der Präsident der Bischofskonferenz im Namen aller Anwesenden an mich gerichtet haben. Ich wollte hier bei euch sein und ich erinnere mich noch gerne an den Ad-Limina-Besuch letztes Jahr. Ich denke, wir haben dabei über viele Dinge gesprochen, so dass ich mich heute etwas kürzer fassen kann.

Die vergangenen Tage mit euch waren sehr intensiv und lohnend. Ich konnte vieles von dem hören und erleben, was dieses Land ausmacht und ich konnte den Glauben des heiligen Volkes Gottes, der uns so guttut, aus der Nähe miterleben. Danke für diese Gelegenheit, den Glauben des Volkes gleichsam „greifen“ zu können, dieses Volkes, das Gott Euch anvertraut hat. Und wirklich, diese Berührung ist unumgänglich! Wenn du den Glauben des Volkes nicht berührst, dann berührt der Glaube des Volkes auch dich nicht; aber hier zu sein, auf den vollen Straßen, das ist eine Gnade, und davor sollte man sich hinknien.

Das Motto dieser Reise spricht uns von Einheit und Hoffnung. Das ist ein hochgestecktes, aber gleichzeitig anregendes Programm, das uns an die großen Taten des heiligen Turibio von Mongrovejo, Erzbischof dieser Stadt und Patron des lateinamerikanischen Episkopats, denken lässt, der ein vorbildlicher „Stifter kirchlicher Einheit“ war, wie es mein Vorgänger Johannes Paul II. auf seiner ersten apostolischen Reise in dieses Land ausgedrückt hat.[1]

Es ist bezeichnend, dass dieser heilige Bischof auf einigen Porträts als „neuer Moses“ dargestellt wird. Wie ihr wisst, gibt es im Vatikan ein Gemälde, auf dem der heilige Turibio einen mächtigen Fluss überquert, dessen Wasser sich bei seinem Durchschreiten auftun wie das Rote Meer, so dass er das andere Ufer erreichen kann, wo ihn eine große Gruppe von Einheimischen erwartet. Hinter dem heiligen Turibio steht eine große Zahl von Menschen, das gläubige Volk, die ihrem Hirten beim Werk der Evangelisierung folgen.[2] Dieses Bild befindet sich in der Vatikanischen Pinakothek. Dieses schöne Bild möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen mit euch machen: der heilige Turibio, der Mann, der es verstand, das andere Ufer zu erreichen.

Wir sehen ihn von dem Moment an, in dem er den Auftrag empfängt, in diese Lande zu kommen, mit dem Sendungsbewusstsein Vater und Hirte zu sein. Er verließ sicheres Terrain, um sich auf ein völlig neues, unbekanntes und herausforderndes Universum einzulassen. Er ging geleitet vom Glauben als dem Grund der Hoffnung (vgl. Hebr 11,1) auf das verheißende Land zu. Sein Glaube und Vertrauen in den Herrn hat ihn damals bewegt und wird ihn sein ganzes Leben lang dazu antreiben, das andere Ufer zu erreichen, wo der Herr ihn inmitten der Menschenmenge erwartete.

1. Er wollte das andere Ufer erreichen, um die Entfernten und Verstreuten zu suchen. Dazu musste er die Bequemlichkeit des Bischofshauses verlassen und das ihm anvertraute Territorium in ständigen pastoralen Besuchen durchqueren, um dorthin zu gelangen und dort zu sein, wo es nötig war, und da war so viel Not! Er ging den Menschen auf Wegen entgegen, die laut seines Sekretärs eher für Ziegen als für Menschen gemacht waren. Er musste dabei unterschiedlichste klimatische und geographische Zonen durchqueren; »von 22 Jahren im Bischofsamt – 22 Jahre, das ist schon was – verbrachte er 18 Jahre außerhalb von Lima, seiner Stadt, und durchquerte sein Bistum dreimal«.[3] Dieses Territorium erstreckte sich von Panama bis zur Grenze des Herrschaftsbereichs von Chile, ich weiß nicht, wo der zu dieser Zeit lag – vielleicht auf der Höhe von Iquique, ich bin nicht sicher – aber auf alle Fälle bis dorthin, wo das Gebiet von Chile anfing. Wie eine eurer Diözesen, nicht mehr! In 18 Jahren dreimal durch die ganze Diözese – denn er wusste, dass dies die einzig mögliche Form der Pastoral war: nahe sein und die Gaben Gottes austeilen. Dazu forderte er auch seine Priester beständig auf. Aber er tat dies nicht durch Worte, sondern durch sein Zeugnis, indem er sich selbst an die vorderste Front der Evangelisierung begab. Heute würden wir ihn als „Straßenbischof“ bezeichnen. Er war ein Bischof, dessen Schuhsohlen ganz abgenutzt waren vom vielen Unterwegssein, »um allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden ausschließen«.[4] Wie gut der heilige Turibio das verstanden hatte! Ohne Furcht und ohne Widerstreben durchwanderte er unseren Kontinent, um die Gute Nachricht zu verkünden.

2. Er wollte das andere Ufer nicht nur geographisch, sondern auch kulturell erreichen. Und so förderte er die Evangelisierung in der Muttersprache mit vielen Mitteln. Beim dritten Konzil von Lima ordnete er die Erstellung von Katechismen und ihre Übersetzung in die Sprachen Quechua und Aymara an. Er wirke beim Klerus darauf hin, die Sprache der Gläubigen zu lernen und zu beherrschen, damit sie die Sakramente auf verständliche Weise spenden konnten. Ich denke da an die Liturgiereform Pius XII. als er dieses Unterfangen für die ganze Kirche wieder neu begann. Als er sein Volk besuchte und mit den Menschen lebte, erkannte er, dass es nicht genügte, nur physisch anzukommen, sondern dass es notwendig war, die Sprache der anderen zu lernen – nur so würde das Evangelium verstanden und in die Herzen gelangen. Wie dringend ist diese Vision für uns Hirten des 21. Jahrhunderts, dass wir völlig neue Sprachen, wie z.B. die digitale, lernen müssen. Die heutige Sprache unserer Jugendlichen, unserer Familien, der Kinder lernen ... Das hat der heilige Turibio sehr richtig gesehen, dass es nicht ausreicht, irgendwo hin zu kommen und ein Gebiet zu besetzen, sondern dass es notwendig ist, Prozesse im Leben der Menschen anzuregen, damit der Glaube Wurzeln schlagen und sinnstiftend sein kann. Und dafür müssen wir ihre Sprache sprechen. Es ist notwendig, dorthin zu gelangen, wo die neuen Geschichten und Paradigmen entstehen, um mit dem Wort Jesu die Tiefe der Seelen unserer Städte und Völker zu erreichen.[5] Die Evangelisierung der Kultur verlangt von uns, in das Herz der Kultur selbst einzutreten, damit sie von innen durch das Evangelium erleuchtet wird. Es hat mich wirklich bewegt, als mir vorgestern in Porto Maldonato drei der zahlreichen anwesenden Eingeborenen der vielen verschiedenen Ethnien eine Stola überreicht haben: alle bemalt, in ihrer Kleidung – es waren ständige Diakone! Nur Mut, genau so machte es Turibio. Damals gab es noch keine ständigen Diakone, das waren Katechisten, aber in ihrer Sprache, in ihrer Kultur, und er hat sich dorthin begeben… Es hat mich bewegt, diese ständigen Diakone zu sehen.

3. Er wollte das andere Ufer der Nächstenliebe erreichen. Für unseren Patron war die Evangelisierung untrennbar mit der Nächstenliebe verbunden. Denn er wusste, dass die erhabenste Form der Evangelisierung darin bestand, die Selbsthingabe Jesu Christi aus Liebe zu jedem Menschen im eigenen Leben zum Ausdruck zu bringen. Darin manifestieren sich die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Wer keine Gerechtigkeit übt und wer seinen Bruder nicht liebt, ist nicht von Gott (vgl. 1 Joh 3,10). Während seiner Besuche konnte er die Missbräuche und Ausschreitungen beobachten, unter denen die einheimische Bevölkerung zu leiden hatte, und so zögerte er nicht, 1585 den Gouverneur von Cajatambo zu exkommunizieren und gegen ein System von Korruption und Netzwerken zu kämpfen, was »die Feindschaft vieler hervorrief«, auch die des Vizekönigs.[6] So erwies er sich als ein Hirte, der wusste, dass das geistliche Gut niemals vom gerechten materiellen Wohl getrennt werden kann, besonders wenn die Integrität und Würde der Menschen gefährdet ist. Diese prophetische Ausübung des Bischofsamtes scheut sich nicht, die Missbräuche und Exzesse, die am Volk begangen wurden, anzuprangern. Und auf diese Weise gelingt es ihm, innerhalb der Gesellschaft und ihrer Gemeinschaften daran zu erinnern, dass die Nächstenliebe immer von Gerechtigkeit begleitet sein soll, und dass es keine echte Evangelisierung gibt, wenn Schuld am Leben unserer Brüder und Schwestern, insbesondere am Leben der Schwächsten, nicht benannt und verurteilt wird. Das ist eine Warnung vor jeder Art weltgefälliger Koketterie, die uns die Hände wegen einiger Kleinigkeiten bindet… Die Freiheit des Evangeliums…

4. Er wollte das andere Ufer in der Ausbildung seiner Priester erreichen. Er gründete das erste Seminar nach dem Konzil [von Trient] in diesem Teil der Welt und förderte so die Ausbildung einheimischer Geistlicher. Er hatte verstanden, dass es nicht genügte, überall hin zu gelangen und dieselbe Sprache zu sprechen. Es war für die Kirche notwendig, dass sie ihre eigenen örtlichen Hirten hervorbringen konnte und so zur fruchtbaren Mutter wurde. Darum verteidigte er die Weihe von Mestizen – zu einer Zeit, in der dies sehr umstritten war – und versuchte deutlich zu machen, dass der Klerus vor allem an der Heiligkeit der Hirten erkennbar sein sollte und nicht an seiner ethnischen Herkunft.[7] Und diese Ausbildung beschränkte sich nicht nur auf das Studium im Seminar, sondern setzte sich auch in den laufenden Besuchen fort, die er bei ihnen machte. Er stand seinen Priestern nahe. Dort konnte er unmittelbar erleben, wie es um seine Priester stand und sich um sie kümmern. Der Legende nach schenkte ihm seine Schwester zu Weihnachten ein Hemd, das er an den Feiertagen tragen sollte. An diesem Tag besuchte er einen Priester, und als er die Situation sah, in der dieser lebte, zog er sein Hemd aus und gab es ihm.[8] Er ist ein Hirte, der seine Priester kennt. Er versucht sie zu erreichen, zu begleiten, zu ermutigen und zu ermahnen – und er erinnerte seine Priester daran, dass sie Hirten und keine Kaufleute waren, und deshalb sollten sie sich um die indigene Bevölkerung kümmern und sie als ihre Söhne und Töchter verteidigen.[9] Aber er tut das nicht vom Schreibtisch aus, und so lernt er seine Schafe kennen, und diese erkennen in seiner Stimme die Stimme des Guten Hirten.

5. Er wollte das andere Ufer, das Ufer der Einheit erreichen. Er förderte auf bewundernswerte und prophetische Weise die Bildung und Erweiterung von Räumen der Gemeinschaft und Teilhabe unter den verschiedenen Gliedern des Volkes Gottes. Johannes Paul II. wies darauf hin, als er vor den Bischöfen hierzulande sagte: »Das dritte Konzil von Lima ist das Ergebnis dieser Bemühungen; es fand unter dem Vorsitz des heiligen Turibio statt, wurde durch ihn ermutigt und geleitet. Es brachte einen kostbaren Schatz der Einheit im Glauben, pastorale und organisatorische Bestimmungen sowie wertvolle Inspirationen für die ersehnte lateinamerikanische Integration hervor«.[10] Wie wir wissen, waren dieser Einheit und diesem Konsens große Spannungen und Konflikte vorausgegangen. Wir können Spannungen – ja, die gibt es – und Unterschiede – ja, die gibt es – nicht verleugnen. Ein Leben ohne Konflikte ist nicht möglich. Aber als Menschen und als Christen müssen wir uns ihnen stellen und sie akzeptieren. Aber wir müssen sie gemeinsam im ehrlichen und aufrichtigen Dialog annehmen, indem wir einander ins Gesicht zu schauen und uns vor der Versuchung hüten, das Geschehene zu ignorieren oder darin gefangen zu bleiben, ohne Horizonte, die uns erlauben, Wege der Einheit und des Lebens zu finden. Eine gute Anregung für unseren Weg als Bischofskonferenz wäre die Erinnerung daran, dass die Einheit immer Vorrang vor dem Konflikt haben muss.[11] Liebe Brüder im Bischofsamt, arbeitet auf die Einheit hin, bleibt nicht gefangen in Spaltungen, die unsere Berufung – Sakrament der Einheit zu sein – verdunkeln und einschränken. Vergesst nicht: was die frühe Kirche so anziehend machte, war, dass man sehen konnte, wie sie einander liebten. Das war und wird immer die beste Art der Evangelisierung sein.

6. Und für den heiligen Turibio kam der Moment seines Übergangs zu jenem endgültigen Ufer, das ihn erwartete und das er in seinem ständigen Aufbruch zu neuen Ufern schon auf Erden anfanghaft erfahren durfte. Diese erneute Reise machte er nicht alleine. Wie auf dem Gemälde, von dem ich zu Beginn erzählte, ging er den Heiligen entgegen, gefolgt von einer großen Menschenmenge hinter ihm. Er ist ein Hirte, der es verstanden hat, „sein Gepäck“ mit Gesichtern und Namen zu füllen. Sie waren sein Pass zum Himmel, und zwar so, dass ich das Ende nicht weglassen möchte, den Moment, in dem der Hirte seine Seele Gott übergab. Er tat dies an einem kleinen Ort mitten unter dem Volk und ein Ureinwohner spielte die Flöte, damit die Seele seines Hirten sich in Frieden fühlte. Hoffen wir, liebe Brüder, dass wir ähnliches erleben dürfen, wenn wir uns auf unsere letzte Reise begeben müssen. Bitten wir den Herrn, er möge uns dies gewähren.[12]

Beten wir füreinander, und betet für mich. Danke!

 

[1] Ansprache an die Bischöfe Perus (2. Februar 1985), 3.

[2] Vgl. Wunder des heiligen Turibio, Vatikanische Pinakothek.

[3]Jorge Mario Bergoglio, Homilie in der Eucharistiefeier, Aparecida (16. Mai 2007).

[4]Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 23.

[5]Vgl. ebd., 74

[6]Vgl. Ernesto Rojas Ingunza, El Perú de los Santos, in: Kathy Perales Ysla (coord.), Cinco Santos del Perú. Vida, obra y tiempo, Lima (2016), 57.

[7]Vgl. José Antonio Benito Rodríguez, Santo Toribio de Mogrovejo, in: Kathy Perales Ysla (coord.), Cinco Santos del Perú. Vida, obra y tiempo, Lima (2016), 178.

[8] Vgl. ebd., 180.

[9]Vgl. Juan Villegas, Fiel y evangelizador. Santo Toribio de Mogrovejo, patrono de los obispos de América Latina, Montevideo (1984), 22.

[10]Ansprache an die Bischöfe Perus (2. Februar 1985), 3.

[11]Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 226-230.

[12]Vgl. Jorge Mario Bergoglio, Homilie in der Eucharistiefeier, Aparecida (16. Mai 2007).

 
 


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