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BEGEGNUNG VON PAPST FRANZISKUS
 MIT DEN SCHÜLERN DES RÖMISCHEN
"VISCONTI" GYMNASIUMS
ZUM ALOYSIUS-JAHR

Audienzhalle
Samstag, 13. April 2019

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Liebe Jungen und Mädchen,
und auch Nicht-Jungen und Nicht-Mädchen,
allen einen guten Tag!

Ich freue mich, euch zusammen mit euren Lehrern, euren Familien und vielen Freunden, die in die solidarischen Initiativen, die euren Bildungsweg vervollständigen, eingebunden sind, zu empfangen. Ich begrüße euch alle sehr herzlich und danke der Frau Direktorin für ihre Worte: Sie hat weder an Worten noch an Bildern gespart und die Situation der heutigen Welt und der Haltungen, die wir fördern müssen, wirklich anschaulich beschrieben. Danke, Frau Direktorin, und machen Sie so weiter: ohne Worte zu sparen. Vorwärts!

Eure Schulgemeinschaft versucht, durch den Unterricht die globale Bildung des Bürgers und des Christen zu vereinen. Und wenn ihr diesen Weg verfolgt in eurer Schule, an eurem Gymnasium, dann wird das nicht geschehen, was leider an vielen anderen Orten geschieht: dass der Erziehungspakt gebrochen wurde. Ich sehe, dass der Erziehungspakt zwischen Lehrern, Familien, euch Jugendlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern intakt ist, und das hilft beim Heranwachsen.

Im Laufe seiner Geschichte waren unter ihren Schülern – wie die Frau Direktorin gesagt hat – Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., und Franco Modigliani, später Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Die Bildungsgeschichte des berühmten »Collegio Romano« wird in eurer Schule fortgesetzt; sie befindet sich in dem vom heiligen Ignatius von Loyola gewollten und von Papst Gregor XIII. im Jahr 1583 eingeweihten Gebäude. Aus jenem Kolleg sind wichtige Persönlichkeiten hervorgegangen, die zum Fortschritt der Wissenschaft und zum Wachstum der Gesellschaft beigetragen und einen konstruktiven Dialog zwischen Glauben und Vernunft gefördert haben. Die Werte des Evangeliums, die die Kultur vieler Generationen von Italienern beseelt haben, mögen auch heute noch die Gewissen, die Familien, die Gemeinschaften erleuchten, damit in jedem Bereich unter Achtung der sittlichen Werte und für das Wohl des Menschen gearbeitet wird.

In jenen Klassenräumen, die heute die euren sind, haben große Wissenschaftler wie die Patres Clavius, Kircher und Secchi gelehrt, und viele junge Menschen, die später die Geschichte der modernen Kirche geprägt haben, haben sich hier darauf vorbereitet, in die Missionen aufzubrechen. Ich denke insbesondere an P. Matteo Ricci, der einer der ersten war, die eine Brücke der Freundschaft zwischen China und dem Westen aufgebaut haben, indem sie ein immer noch gültiges Modell der Inkulturation der christlichen Botschaft in die chinesische Welt geschaffen haben. Eure Aufgabe ist es, diese Fackel zu ergreifen und unter den veränderten historischen und gesellschaftlichen Umständen diese Leidenschaft für das Wissen und für die Kultur, die jene geprägt haben, die euch vorausgegangen sind, weiterzutragen. Ich habe gesagt: Leidenschaft. Leider steht man der Kultur, der Wissenschaft oft gleichgültig gegenüber. Nein: Leidenschaft.

Die Schule als solche ist ein Gut aller und muss eine Schmiede bleiben, in der man zur Inklusion, zur Achtung der Vielfalt und zur Zusammenarbeit erzogen wird. Inklusion, Achtung der Vielfalt, um zusammenzuarbeiten. Bitte habt keine Angst vor der Vielfalt. Der Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen, den verschiedenen Menschen bereichert ein Land, bereichert die Heimat und lässt uns vorangehen in der gegenseitigen Achtung, lässt uns vorangehen mit Blick auf ein Land für alle, nicht nur für einige. Er ist eine Werkstatt, die das vorausnimmt, was in der Zukunft die Kollektivität sein sollte. Und dabei spielt die religiöse Erfahrung, in die alles einfließt, was wirklich menschlich ist, eine wichtige Rolle. Die Kirche bemüht sich, in der vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgezeichneten Spur den universalen Wert der Brüderlichkeit zu fördern, die auf der Freiheit, auf der ehrlichen Suche nach Wahrheit, auf der Förderung von Gerechtigkeit und Solidarität gründet, besonders gegenüber den schwächeren Menschen. Wenn es keine Freiheit gibt, gibt es keine Bildung, gibt es keine Zukunft. Wenn es keine aufrichtige Suche nach der Wahrheit, sondern eine aufgezwungene Wahrheit gibt, die dir die Fähigkeit nimmt, die Wahrheit zu suchen, dann gibt es keine Zukunft: Es löscht dich als Person aus. Und wenn es keine Förderung der Gerechtigkeit gibt, dann werden wir sicher in einem kleinmütigen, egoistischen Land enden, das nur für wenige arbeitet.

Ohne die Aufmerksamkeit diesen Werten gegenüber und die Suche nach ihnen kann es kein wahres friedliches Zusammenleben geben. Wenn Ungerechtigkeit vorhanden ist, beginnt der Hass, die Auseinandersetzung zu wachsen, und es endet… Wir alle wissen, wie es endet. Ich habe mit Genugtuung den Worten der Direktorin die Bestätigung entnommen, dass eure Schule, zusammen mit der klassischen Kultur, in verschiedenen Formen diese Werte fördert. Geht mutig voran auf diesem Weg! Es ist nicht leicht, aber es ist der einzige Weg, der in der Lage ist, Frucht zu bringen, große Frucht zu bringen, für einen jeden von euch und für die Heimat. Im selben Gebäude wie eure Schule befindet sich die monumentale Kirche »Sant’Ignazio«, in deren Innerem die sterblichen Überreste des heiligen Aloysius Gonzaga ruhen; wir feiern gegenwärtig den 450. Jahrestag seiner Geburt. Er ging als Schüler in denselben Räumen ein und aus, in denen ihr heute ein- und ausgeht. Der heilige Aloysius ist der Schutzpatron der Jugend; daher rufe ich gerne einige Themen in Erinnerung, die ich der Geschichte dieses großen Heiligen entnehme und die mir sehr aktuell erscheinen.

Vor allem will ich in Erinnerung rufen, dass Aloysius Gonzaga dazu fähig war, wichtige Entscheidungen für sein Leben zu treffen, ohne sich vom Karrierestreben und vom »Götzen Geld« mitreißen zu lassen. Wir brauchen junge Menschen, die so handeln und das Gemeinwohl den persönlichen Interessen voranstellen! Damit das gelingt, ist es notwendig, die eigene Innerlichkeit zu pflegen, durch das Studium, die Forschung, den Bildungsdialog, das Gebet und das Hören auf das eigene Gewissen. Ich sage daher zu euch Jugendlichen, den Schülern der Schule: Habt ihr gelernt, auf euer Gewissen zu hören? Wisst ihr, was in eurem Innern geschieht? Habt ihr diese gesunde Selbstbeobachtung gelernt – nicht jene kranke Selbstbeobachtung der Neurotiker –, die gesunde Selbstbeobachtung: Was passiert in mir, was geht in mir vor? Es ist mehr als eine Wissenschaft, es ist eine Weisheit, um nicht zu einem Wimpel zu werden, der sich im Wind hin und her bewegt. Denkt gut darüber nach. Und es wäre auch schön, wenn ihr untereinander, in der Gruppe, mit den Leitern der Schule eine schöne Reflexion darüber vornehmen würdet, was das Gewissen ist, was im Gewissen geschieht, wie ich herausfinden kann, was mir geschieht, wie im Gewissen gute und ungute Haltungen wachsen… Macht diese Erfahrung: Sie wird sehr nützlich sein. Und das setzt die Fähigkeit voraus, sich Räume der Stille zu schaffen.

Habt keine Angst vor der Stille, davor, allein zu sein – nicht immer, nein, denn das tut nicht gut –, aber sich etwas Zeit für sich allein zu nehmen, sich Räume der Stille zu schaffen. Habt keine Angst vor der Stille, ein eigenes Tagebuch zu schreiben, zum Beispiel, in der Stille. Habt keine Angst vor Unbehagen und Trockenheit, die die Stille mit sich bringen kann. »Ach, ich nicht, Stille ist langweilig!« Anfangs schon, das kann sein, aber dann, wenn du allmählich in dich selbst eintrittst, in der Stille, ist sie nicht mehr langweilig. Befreit euch von der Abhängigkeit vom Handy, bitte! Sicher habt ihr vom Drama der Abhängigkeiten gehört. »Sicher, ja, Vater.« Abhängigkeit vom Lärm: Wenn kein Lärm herrscht, fühle ich mich nicht gut…; und viele andere Abhängigkeiten.

Aber die Abhängigkeit vom Handy ist sehr subtil, sehr subtil. Das Handy ist eine große Hilfe, es ist ein großer Fortschritt; es muss benutzt werden, es ist schön, dass alle es benutzen können. Aber wenn du zum Sklaven des Handys wirst, verlierst du deine Freiheit. Das Handy ist da, um zu kommunizieren, für die Kommunikation: Es ist sehr schön, untereinander zu kommunizieren. Aber gebt Acht: Es besteht die Gefahr, dass, wenn das Handy eine Droge ist, die Kommunikation auf einfache »Kontakte« reduziert wird. Das Leben ist aber nicht dazu da, einander zu »kontaktieren«, es ist dazu da, zu kommunizieren! Erinnern wir uns an das, was der heilige Augustinus geschrieben hat: »In interiore homine habitat veritas« (De vera religione, 39,72). In der Innerlichkeit des Menschen wohnt die Wahrheit. Man muss sie suchen. Das gilt für alle, für die Gläubigen und für die Nichtgläubigen. Wir alle haben die Innerlichkeit. Nur in der inneren Stille kann man die Stimme des Gewissens vernehmen und sie von den Stimmen des Egoismus und des Hedonismus unterscheiden, die andere Stimmen sind.

Der heilige Aloysius hatte bekanntlich die Fähigkeit, mit reinem und freiem Herzen zu lieben. Nur wer liebt, kann Gott kennenlernen. Im affektiven Leben sind zwei Dimensionen wesentlich: Scham und Treue. Mit Scham lieben, nicht schamlos. Und in der Liebe treu bleiben. Die Liebe ist kein Spiel: Die Liebe ist das Schönste, das Gott uns geschenkt hat, die Fähigkeit zu lieben. »Gott ist Liebe«, heißt es in der Bibel, und Gott hat uns diese Fähigkeit geschenkt. Beschmutzt sie nicht mit Schamlosigkeit und Untreue. Auf saubere Weise lieben, aber großartig!

Jeden Tag mit erweitertem Herzen lieben: jene Weisheit, das Herz weit zu machen, es nicht klein, hart wie Stein zu machen. Es weit zu machen. Und Gott sagte zu seinem Volk, als große Verheißung, dass er ihm das Herz aus Stein nehmen und ein Herz aus Fleisch schenken würde. Das Herz aus Fleisch weit machen: Das bedeutet zu lieben. Mit Treue und mit Scham. Das Schamgefühl verweist auf das wachsame Bewusstsein zur Verteidigung der Würde des Menschen und der wahren Liebe, gerade um die Sprache des Leibes nicht zu banalisieren.

Außerdem ist die Treue, zusammen mit der Achtung des anderen, eine unverzichtbare Dimension jeder wahren Liebesbeziehung, denn man darf mit den Gefühlen nicht spielen. Liebe ist jedoch nicht nur ein Ausdruck der affektiven Bindung des Paares oder der starken, schönen und brüderlichen Freundschaft. Eine konkrete Form der Liebe ist auch der solidarische Einsatz für den Nächsten, besonders für die Armen. Die Nächstenliebe nährt sich aus Phantasie und geht immer einen Schritt weiter: Man erfindet Dinge, um zu helfen, um voranzugehen… Die Phantasie der Liebe. Habt keine Angst davor. Die Liebe geht weiter, über die Mauern, über die Unterschiede, über die Hindernisse hinaus. Auch dafür ist der heilige Aloysius ein Vorbild, denn er ist gestorben, indem er sich im Dienst der Pestkranken verzehrt hat, also jener Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen und von allen ausgegrenzt waren: die Phantasie der Liebe. Die Liebe ist kreativ und geht immer voran.

Ich freue mich zu sehen, dass heute auch die Freunde anwesend sind, die ihr als Schulgemeinschaft aufnehmt, indem ihr euch in ihren Dienst stellt, durch die Suppenküche am Samstag. Der ehrenamtliche Einsatz vieler von euch ist ein Zeichen der Hoffnung. Das Ehrenamt ist eines der schönsten und stärksten Dinge, die Italien hat: Bitte, bewahrt es gut. Wachst im Ehrenamt. Lasst euch nicht schlagen in der Großherzigkeit: Das Ehrenamt geht immer einen Schritt weiter, in der Großherzigkeit, es ist unschlagbar! Auch die familiären, gesellschaftlichen, ehelichen Beziehungen werden bereichert, wenn die Dimension des unentgeltlichen Dienstes vorhanden ist. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Bischof Tonino Bello zitieren, einen vorbildlichen Mann der Kirche und Zeugen der Nächstenliebe. Er sagte gern immer wieder: »Wer nicht lebt, um zu dienen, dient nicht für das Leben.«

Liebe junge Schüler, hört nicht auf, große Träume zu haben – das ist etwas Schönes, das die jungen Menschen haben: große Träume – und eine bessere Welt für alle zu wünschen. Begnügt euch nicht mit der Mittelmäßigkeit in den Beziehungen zwischen euch, in der Pflege der Innerlichkeit, in der Planung eurer Zukunft, im Einsatz für eine gerechtere und schönere Welt. Sonntag, am Palmsonntag, beginnt die Karwoche, die ihren Höhepunkt am Ostertag haben wird, wenn wir die Auferstehung Christi feiern, die Grundlage der christlichen Hoffnung. Ich bringe euch allen meine besten Wünsche für ein heiliges Osterfest zum Ausdruck. Ostern ist die Zeit der Erneuerung der Seele: Es ist die Zeit, um aufzublühen! Ich lade euch ein, es mit Überzeugung und Vertrauen in die Liebe des Herrn zu tun. Er wird euch immer Kraft und Mut geben in den Schwierigkeiten, denen ihr auf eurem Weg begegnen werdet.

Und außerdem möchte ich etwas hinzufügen, was mir in den Sinn gekommen ist, während ich eurer Direktorin zugehört habe. An eurer Schule darf es weder Kriege noch Aggressionen geben. Es ist für mich sehr schmerzhaft zu sehen, wenn es in irgendeiner Schule Bullying gibt. Kämpft gegen diese Aggressivität, die wirklich ein Same des Krieges ist, kämpft. Auf dass Friede herrschen möge, ohne Aggression gegenüber irgend jemanden, ohne Schikanen. Kein Bullying an eurer Schule! Ich danke euch für diese Begegnung. Ich segne euch, die ihr hier anwesend seid, ich segne eure Freunde und die Menschen, die euch nahestehen. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke und frohe Ostern! Und jetzt erteile ich euch allen, allen euren Freunden, allen Menschen, die auf verschiedenen Ebenen an der Schule lernen und arbeiten, sowie den Familien den Segen.

[Danach erteilte der Heilige Vater allen Anwesenden den Apostolischen Segen.]

 

 



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