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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES
PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE GESETZESTEXTE
 

Konsistoriensaal
Freitag, 21. Februar 2020

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Meine Herren Kardinäle,
liebe Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!


Ich freue mich, euch am heutigen Tag zum ersten Mal zu empfangen, zum Abschluss eurer Vollversammlung. Ich danke dem Präsidenten, dass er den Geist erwähnt hat, in dem eure Arbeiten stattgefunden haben. Ihr Thema war das Revisionsschema von Buch VI des Codex des Kanonischen Rechtes: »De sanctionibus in Ecclesia«. Diese Begegnung bietet mir Gelegenheit, euch für euren Dienst zu danken, den ihr im Namen und mit der Vollmacht des Nachfolgers Petri zum Wohle der Kirchen und der Hirten ausübt (vgl. Christus Dominus, 9). Die besondere Mitarbeit eures Dikasteriums ist in der Konstitution Pastor bonus definiert (vgl. Art. 154-158).

Diese fasst sie zusammen in der Unterstützung der gesetzgebenden Funktion des Papstes als universaler Gesetzgeber, in der richtigen Auslegung der von ihm erlassenen Gesetze, in der Unterstützung der anderen Dikasterien in Bezug auf das Kirchenrecht sowie in der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetzestexten, die von Gesetzgebern erlassen wurden, die unter der höchsten Autorität stehen. Durch verschiedene Initiativen ist der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte außerdem bemüht, den Hirten der Teilkirchen und den Bischofskonferenzen seine Hilfe für die richtige Auslegung und Anwendung des Rechts anzubieten; allgemeiner gesprochen durch die Verbreitung seiner Kenntnis und der Aufmerksamkeit ihm gegen über.

Es ist notwendig, das wahre Rechtsbewusst- sein in der Kirche, dem mystischen Leib Christi, wo das Wort Gottes und die Sakramente die Oberherrschaft haben, während die rechtliche Norm eine zwar notwendige Rolle hat, die jedoch dem
Dienst an der Gemeinschaft untergeordnet ist, wiederzuerlangen und zu vertiefen. Auf dieser Linie ist es angemessen, dass das Dikasterium dazu beiträgt, über eine echte juristische Ausbildung in der Kirche nachzudenken, die den »pastoralen« Charakter des Kirchenrechts, sein Hingeordnetsein auf die »salus animarum« (vgl. Can. 1752), seinen notwendigen Gehorsam gegenüber der Tugend der Gerechtigkeit, die stets bekräftigt und garantiert werden muss, verstehen lässt. Äußerst aktuell ist dieser Hinsicht die Aufforderung Benedikts XVI. im Schreiben an die Seminaristen, die jedoch für alle Gläubigen gilt: »Lernt aber auch, das Kirchenrecht in seiner inneren Notwendigkeit und in seinen praktischen Anwendungsformen zu verstehen und – ich wage es zu sagen – zu lieben: Eine Gesellschaft ohne Recht wäre eine rechtlose Gesellschaft. Recht ist die Bedingung der Liebe« (Nr. 5).

Die Gesetze der Kirche zu vermitteln und anzuwenden ist keine Behinderung der vermeintlichen pastoralen »Wirkkraft« dessen, der die Probleme ohne das Recht lösen will, sondern eine Garantie für die Suche nach nicht willkürlichen, sondern wahrhaft gerechten und daher wahrhaft pastoralen Lösungen. Indem es willkürliche Lösungen vermeidet, wird das Recht zum wichtigen Bollwerk zur Verteidigung der Geringsten und der Armen, zum Schutzschild derer, die Gefahr laufen, den Mächtigen der Stunde zum Opfer zu fallen. Wir sehen in unserem heutigen Kontext, dem »Dritten Weltkrieg in Stücken«, dass es immer am Recht fehlt, immer. Diktaturen entstehen und wachsen ohne Recht.

In der Kirche darf das nicht geschehen. Auch das Thema, das ihr in eurer Vollversammlung untersucht habt, geht in diese Richtung. Es hebt hervor, dass auch das Strafrecht ein pastorales Mittel ist und als solches betrachtet und angenommen werden muss. Der Bischof muss sich immer mehr bewusst sein, dass er in seiner Kirche, zu deren Hirte und Haupt er ernannt ist, eben deshalb auch Richter unter den ihm anvertrauten Gläubigen ist. Die Rolle des Richters hat jedoch stets eine pastorale Prägung, da sie auf die Gemeinschaft unter den Gliedern des Gottesvolkes ausgerichtet ist. Das ist im geltenden Codex vorgeschrieben: Nur dann, wenn der Ordinarius erkannt hat, dass durch andere Wege des pastoralen Bemühens ein Ärgernis nicht hinreichend behoben, die Gerechtigkeit wiederhergestellt und der Täter gebessert werden kann, muss er den Gerichts- oder Verwaltungsweg zur Verhängung oder Feststellung von Strafen, die angemessen sind, um das Ziel zu erreichen, beschreiten (vgl. Can. 1341).

Daraus lässt sich schließen, dass die Bestrafung immer die »extrema ratio«, das äußerste Mittel ist, auf das man zurückgreift, wenn alle anderen möglichen Wege zur Erfüllung des Gesetzes sich als wirkungslos erwiesen haben. Im Gegensatz zu der vom staatlichen Gesetzgeber vorgesehenen Strafe hat die Kirchenstrafe immer eine pastorale Bedeutung und dient nicht nur der Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern auch der Wiedergutmachung und vor allem dem Wohl des Täters selbst. Die Wiedergutmachung ist darauf ausgerichtet, den Zustand vor dem Delikt, das die Gemeinschaft gestört hat, so weit wie möglich wiederherzustellen. Denn jede Straftat betrifft die ganze Kirche, deren Gemeinschaft verletzt wurde von dem, der sie durch sein Verhalten angegriffen hat.

Das Ziel der Wiedereingliederung des Individuums hebt hervor, dass die Kirchenstrafe keine reine Zwangsmaßnahme ist, sondern vor allem einen heilenden Charakter hat. Sie stellt letztlich ein positives Mittel zur Verwirklichung des Reiches Gottes dar, um die Gerechtigkeit in der Gemeinschaft der Gläubigen, die zur persönlichen und gemeinschaftlichen Heiligung berufen sind, wiederherzustellen. Die Revision von Buch VI des lateinischen Codex, an der ihr einige Jahre gearbeitet habt und die mit dieser Vollversammlung zum Abschluss kommt, geht in die richtige Richtung: die Strafgesetzgebung zeitgemäß zu gestalten, um sie organischer zu machen und sie den neuen Situationen und Problemen des gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds besser anzupassen, und gleichzeitig geeignete Mittel anzubieten, um ihre Anwendung zu erleichtern. Ich ermutige euch, diese Aufgabe zielstrebig fortzusetzen. Ich bete dafür, und ich segne euch und eure Arbeit. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten, denn auch ich muss Richter sein. Danke.



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