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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 24. Oktober 200
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Lesung: Ps 51, 3 –5. 11 –12. 19 

1. Wir haben soeben das »Miserere« gehört, eines der bekanntesten Gebete des Psalters, den so eindrucksvollen und oft wiederholten Bußpsalm, den Gesang von Sünde und Vergebung, die tiefste Meditation über Schuld und Gnade. Das Stundengebet läßt es uns jeden Freitag bei der Laudes wiederholen. Seit vielen Jahrhunderten erhebt es sich zum Himmel aus zahllosen Herzen jüdischer und christlicher Gläubigen wie ein Seufzer der Reue und Hoffnung, der sich an den barmherzigen Gott richtet. 

Die jüdische Überlieferung legt den Psalm auf die Lippen Davids, der von den strengen Worten des Propheten Natan zur Buße aufgefordert wird (vgl. V. 1 –2; 2 Sam 11 –12). Natan hatte ihm seinen Ehebruch mit Batseba und die Tötung ihres Mannes Urija vorgeworfen. Der Psalm wird jedoch in den folgenden Jahrhunderten durch das Gebet vieler anderer Sünder bereichert, die die Themen des »reinen Herzens« und des »Geistes« Gottes wiederaufnehmen, der gemäß den Worten der Propheten Jeremia und Ezechiel dem erlösten Menschen gegeben wird (vgl. V. 12; Jer 31, 31 –34; Ez 11, 19;36, 24 –28). 

2. Der Psalm 51 zeigt uns zwei verschiedene Horizonte auf. Zunächst den finsteren Bereich der Sünde (V. 3 – 11), in dem sich der Mensch seit dem Anfang seines Daseins befindet: »Denn ich bin in Schuld geboren; in Sünde hat mich meine Mutter empfangen« (V. 7). Auch wenn diese Erklärung nicht als ausdrückliche Formulierung der Lehre über die Erbsünde, wie sie die christliche Theologie definiert hat, gewertet werden kann, besteht kein Zweifel daran, daß sie ihr entspricht, denn sie bringt die tiefe Dimension der angeborenen sittlichen Schwachheit des Menschen zum Ausdruck. Der Psalm erscheint in diesem Abschnitt als eine Art Analyse der Sünde, die vor Gott vorgenommen wird. Im Hebräischen gibt es drei Begriffe zur Umschreibung dieser traurigen Wirklichkeit, die auf eine schlecht genutzte menschliche Freiheit zurückzuführen ist. 

3. Das erste Wort, »hattá «, bedeutet wörtlich »das Ziel verfehlen« :Die Sünde ist eine Verirrung, die uns weit von Gott, dem grundlegenden Ziel unserer Beziehungen, und daher auch von unserem Nächsten wegführt. 

Das zweite hebräische Wort ist »‘awôn«; Sinnbild des Verdrehens, des Biegens. Die Sünde ist also eine krumme Abweichung vom rechten Weg; sie ist die Umkehrung, die Verdrehung, die Verformung von Gut und Böse in dem von Jesaja dargelegten Sinn: »Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen« (Jes 5, 20). Aus eben diesem Grund wird in der Bibel die Bekehrung als eine »Rückkehr« (auf hebräisch »shûb«) auf den rechten Weg durch eine Kurskorrektur bezeichnet. 

Der dritte Terminus, mit dem der Psalmist von der Sünde spricht, ist »peshá«. Er bringt die Auflehnung des Untertanen gegenüber seinem Herrscher zum Ausdruck, also eine offene Herausforderung, die sich gegen Gott und seinen Plan für die Menschheitsgeschichte richtet. 

4. Wenn der Mensch jedoch seine Sünde bekennt, ist die heilbringende Gerechtigkeit Gottes bereit, ihn tiefgreifend zu läutern. Somit kommen wir zur zweiten geistigen Dimension des Psalms, nämlich zum lichterfüllten Bereich der Gnade (vgl. V. 12 –19). Durch das Schuldbekenntnis öffnet sich für den Betenden ein Horizont des Lichts, in dem Gott am Wirken ist. Der Herr handelt nicht nur im negativen Sinne, also indem er die Sünde tilgt, sondern durch seinen lebenspendenden Geist schafft er die sündige Menschheit neu: Er gibt dem Menschen ein neues und reines »Herz«, also ein erneuertes Gewissen, und eröffnet ihm die Möglichkeit eines reinen Glaubens und eines Kultes, der Gott wohlgefällt. 

In diesem Zusammenhang spricht Origenes von einer göttlichen Therapie, die der Herr durch sein Wort und durch das heilende Werk Christi vollzieht: »Wie Gott für den Körper die Heilmittel weise vermischter Heilkräuter vorsah, so wollte er auch für die Seele eine Medizin zubereiten mit seinen Worten, die er uns in den heiligen Schriften gab […] Gott schuf auch eine weitere medizinische Tätigkeit;ihr erhabenster Arzt ist der Erlöser selbst, der von sich sagt: ›Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.‹ Er war der Arzt schlechthin, der jede Schwäche und Krankheit zu heilen vermag« (vgl. Predigten über die Psalmen). 

5. Der reiche Inhalt des Psalms 51 würde eine detaillierte Exegese aller seiner Teile verdienen, und wir werden dies auch tun, wenn er wieder an den verschiedenen Freitagen in der Laudes erklingt. Der heutige Überblick über diese bedeutende Anrufung aus der Bibel offenbart uns bereits einige der grundlegenden Bestandteile einer Spiritualität, die sich auf das tägliche Leben der Gläubigen auswirken muß. Da wäre zunächst ein ausgeprägtes Empfinden für die Sünde zu nennen, die als freie Entscheidung in sittlicher und theologischer Hinsicht negativ geprägt aufgefaßt wird: »Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt« (V. 6). 

Im Psalm findet sich ein ebenso ausgeprägtes Empfinden für die Möglichkeit einer Bekehrung: Der aufrichtig bereuende Sünder (vgl. V. 5) stellt sich in seinem ganzen Elend und seiner Nacktheit vor Gott und fleht Ihn an, ihn nicht aus seiner Gegenwart zu verbannen (vgl. V. 13). 

Schließlich gewinnt man im »Miserere« die feste Überzeugung der Vergebung Gottes, die die Sünde »tilgt« und den Sünder »wäscht« und »rein macht« (vgl. V. 3 – 4) und ihn schließlich in ein neues Geschöpf mit verklärtem Geist, Sprache, Mund und Herz verwandelt (vgl. V. 14 –19). »Und wären unsere Sünden auch so schwarz wie die Nacht« – schrieb die hl. Faustyna Kowalska –, »die göttliche Barmherzigkeit ist stärker als unsere Schwachheit. Nur eines ist nötig: daß der Sünder die Tür seines Herzens wenigstens ein bißchen aufmacht […] Gott wird den Rest tun […] Alles beginnt und endet in deiner Barmherzigkeit« (vgl. M. Winowska, L’icona dell’Amore misericordioso. Il messaggio di suor Faustina, Rom 1981, S. 271). 


Liebe Schwestern und Brüder!

Der heutige Psalm bringt eine tröstliche Erfahrung ins Wort: Stärker als unser menschliches Versagen ist Gottes Barmherzigkeit. 

Zunächst stellt uns der Psalm das Dunkel der Sünde vor Augen. Sie führt uns weg von Gott, dem Licht des Lebens. So ist die Sünde ein Abirren von unserem eigentlichen Ziel. Wir entfremden uns nicht nur Gott gegenüber, auch der Nächste wird uns fern. 

Dem Entsetzen über unser menschliches Versagen stellt der Psalm die heilende Liebe Gottes gegenüber. Gott erwartet die Umkehr des Sünders. Umkehr besagt Kurskorrektur. Mit Gottes Hilfe findet der Sünder auf den rechten Weg zurück. Schließlich erwarten ihn die weit geöffneten Arme Gottes des Vaters. Vergebung ist weit mehr als eine Auslöschung der Sünde: Gott schenkt uns ein „neues Herz", ein „reines Gewissen", das uns stark und entschlossen macht auf dem Weg zum Guten. 

Mit diesen Gedanken grüsse ich in tiefem Vertrauen auf Gottes Liebe und Gnade die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Möge euch allen die Gabe der inneren Erneuerung zuteil werden! Mit diesem Wunsch erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen. 

                           



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