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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 26. Juni 2002

 

Lesung: Psalm 8, 2.4 –7 

Liebe Schwestern und Brüder!

1. »Der Mensch erscheint uns hier im Mittelpunkt dieses Unternehmens als Gigant. Er offenbart sich uns als göttlich, nicht von sich aus, aber in seinem Ursprung und seiner Bestimmung. Dem Menschen gebührt also Ehre, seiner Würde, seinem Geist und seinem Leben gebührt Ehre.« Mit diesen Worten übergab Paul VI. im Juli 1969 den amerikanischen Astronauten vor ihrem Start zum Mond den soeben hier vorgetragenen Text von Psalm 8, damit dieser in den Weltraum eingeht (Insegnamenti VII, 1969, SS. 493 –494). 

Dieser Hymnus ist in der Tat ein Loblied auf den Menschen, der im Vergleich zur unendlichen Weite des Universums ein schwaches »Schilfrohr« im Wind ist – um einen berühmten Ausspruch des großen Philosophen Blaise Pascal zu verwenden (Pensées, Nr. 264). Und doch ist er ein »denkendes Schilfrohr«, das die Schöpfung erfassen kann, weil er von Gott als Herrscher über die Schöpfung eingesetzt und von ihm selbst gekrönt wurde (vgl. Ps 8, 6). Wie es bei den Liedern, die den Schöpfer lobpreisen, oft der Fall ist, beginnt und endet Psalm 8 mit einer feierlichen Antiphon an den Herrn, dessen Herrlichkeit sich über das Universum ausbreitet: »Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde« (V. 2.10). 

2. Der eigentliche Liedkörper läßt eine nächtliche Atmosphäre mit Mond und Sternen vermuten, die am Himmel aufgehen. In der ersten Liedstrophe (vgl. V. 2–5) steht Gott dem Menschen und dem Kosmos gegenüber. Es tritt zunächst der Herr in Erscheinung, dessen Herrlichkeit vom Himmel und auch von den Lippen der Menschheit verkündet wird. Das Lob, das spontan aus dem Mund der Kinder ertönt, bringt die überheblichen Reden der Gegner Gottes zum Verstummen (vgl. V. 3). Sie werden als Gegner, Feinde und Widersacher bezeichnet, denn sie meinen, den Schöpfer durch ihr Denken und Handeln herausfordern und sich ihm widersetzen zu können. 

Dann wird das eindrucksvolle Bild einer sternklaren Nacht sichtbar. Angesichts dieses unendlichen Horizonts drängt sich die ewige Frage auf: »Was ist der Mensch?« (Ps 8, 5). Die erste spontane Antwort spricht von der Nichtigkeit sowohl in bezug auf die Unendlichkeit des Himmels als auch hinsichtlich der Größe des Schöpfers. Denn der Mond und die Sterne – sagt der Psalmist –, »die du befestigst«, sind dein und »das Werk deiner Finger« (vgl. V. 4). Wie schön ist dieser Ausdruck anstelle des gewohnten »Werks deiner Hände« (vgl. V. 7)! Gott hat diese kolossalen Wirklichkeiten mit einer Leichtigkeit und Feinheit gleichsam wie eine Stickerei oder Ziselierarbeit geschaffen, unter dem zarten Klang eines Harfenspielers, der seine Finger über die Saiten gleiten läßt. 

3. Die erste Reaktion ist deshalb Erstaunen: Wie kann Gott an ein so zerbrechliches und unbedeutendes Geschöpf denken und sich seiner annehmen (vgl. V. 5)? Aber da kommt die große Überraschung: Dem Menschen, diesem schwachen Geschöpf, hat Gott eine wunderbar Würde verliehen: Er hat ihn nur wenig geringer als die Engel gemacht, oder, wie das hebräische Original auch übersetzt werden kann, wenig geringer als einen Gott (vgl. V. 6). 

So kommen wir zur zweiten Strophe des Psalms (vgl. V. 6–10). Der Mensch wird als der königliche Statthalter des Schöpfers gesehen. Denn Gott hat ihn wie einen Vizekönig »gekrönt« und zu einer universalen Herrschaft bstimmt: »Du hast ihm alles zu Füßen gelegt.« Nach dem Adjektiv »alles« werden die verschiedenen Geschöpfe aufgezählt (vgl. V. 7. 9). Doch diese Herrschaft wird nicht von der Fähigkeit des Menschen erobert, die schwach und begrenzt ist; ebensowenig wird sie durch einen Sieg über Gott errungen, wie es der griechische Mythos des Prometheus haben möchte. Es ist eine von Gott geschenkte Herrschaft:Den zerbrechlichen und oft egoistischen Händen des Menschen ist der ganze Horizont der Schöpfung anvertraut, damit er deren Harmonie und Schönheit bewahrt, sie nutzt, aber nicht ausnützt, ihr Geheimnisse erschließt und ihre Möglichkeiten entfaltet. 

Wie die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils erklärt, ist »der Mensch ›nach dem Bild Gottes‹ geschaffen, fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von ihm zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt, um sie in Verherrlichung Gottes zu beherrschen und zu nutzen« (Nr. 12). 

4. Leider kann die in Psalm 8 bekräftigte Herrschaft des Menschen vom egoistischen Menschen mißverstanden und entstellt werden;eoft hat er sich mehr als irrsinniger Tyrann denn als kluger und weiser Herrscher erwiesen. Das Buch der Weisheit warnt vor solchen Abweichungen, wenn es erklärt, daß Gott den Menschen »durch seine Weisheit erschaffen hat, damit er über die Geschöpfe herrscht« (9, 2–3). Auch Ijob beruft sich auf unseren Psalm – wenn auch in einem anderen Zusammenhang –, um vor allem an die menschliche Schwachheit zu erinnern, die von seiten Gottes nicht so viel Aufmerksamkeit verdienen würde: »Was ist der Mensch, daß du groß ihn achtest und deinen Sinn auf ihn richtest, daß du ihn musterst jeden Morgen?« (7, 17–18). Der Lauf der Geschichte macht das Böse deutlich, das die menschliche Freiheit durch die Unweltverwüstungen und die eklatanten sozialen Ungerechtigkeiten in der Welt verbreitet. 

Im Gegensatz zu den Menschen, die ihresgleichen und die Schöpfung herabwürdigen, stellt sich Christus als der vollkommene Mensch vor, der »um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt wurde; es war nämlich Gottes gnädiger Wille, daß er für alle den Tod erlitt« (Hebr 2, 9). Er gebietet über das Universum mit jener Herrschaft des Friedens und der Liebe, die die neue Welt, den neuen Himmel und die neue Erde vorbereitet (vgl. 2 Petr 3, 13). Ja, seine Königsherrschaft wird – wie der Autor des Briefes an die Hebräer nahelegt, indem er Psalm 8 auf ihn bezieht – durch seine äußerste Selbsthingab im Tod »für alle« ausgeübt. . 

Christus ist kein Herrscher, der sich dienen läßt, sondern der den anderen dient und sich für sie hingibt: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mk 10, 45). Auf diese Weise vereint er alles, »was im Himmel und auf Erden ist« (Eph 1, 10). In diesem christologischen Licht offenbart Psalm 8 die ganze Kraft seiner Botschaft und seiner Hoffnung und lädt uns ein, unser Herrschaft über die Schöpfung nicht als Besitztum, sondern als Liebesdienst auszuüben. 


Das Staunen des Menschen vor Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, führt zum Nachdenken über sich selbst. Angesichts der alles überragenden Größe Gottes und seiner Allmacht taucht die Frage auf: „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst und dich seiner annimmst?" (vgl. Ps 8, 5). 

Psalm 8 gibt die Antwort: Gott hat dem Menschen eine wunderbare Würde verliehen. Er hat ihm die Herrschaft über seine Schöpfung übertragen, damit er ihre Schönheit bewahre und sich an ihr erfreuen kann. Leider erleben wir oftmals das Gegenteil: die Zerstörung des Menschen und seiner Umwelt. Wenn wir uns jedoch vom Geist Jesu Christi leiten lassen, werden wir fähig, an seiner Herrschaft des Friedens und der Liebe auf Erden mitzuarbeiten. 

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Von Herzen heiße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Euch allen und Euren Lieben daheim, sowie allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gerne den Apostolischen Segen.

 



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