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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 3. Juli 2002

 

Lesung: Psalm 93, 1.3–4 


Liebe Schwestern und Brüder!

1. Der Inhalt von Psalm 93, über den wir heute nachdenken, ist im wesentlichen in einigen Versen des Hymnus, den das Stundengebet montags für die Vesper anbietet, eindrucksvoll wiedergegeben: »Des Himmels Schöpfer, großer Gott, du hast das Firmament gebaut und so geschieden Flut von Flut, daß sie nicht wirr zusammenströmt. Den Wolken wiesest du die Bahn, den Flüssen zeigtest du ihr Bett; nun hemmt die Flut des Feuers Macht, damit die Erde nicht verbrennt.« 

Bevor wir den Psalm eingehender untersuchen, in dem das Bild der Wasserfluten vorherrscht, wollen wir sein Grundmotiv erfassen, die literarische Gattung, die ihn leitet. Denn dieser Psalm wird wie die nachfolgenden Psalmen 95–98 von den Bibelforschern als »Königslied« bezeichnet. Er rühmt das Reich Gottes, die Quelle des Friedens, der Wahrheit und der Liebe, das wir im Vaterunser herbeirufen, wenn wir flehentlich bitten: »Dein Reich komme!« 

In der Tat beginnt Psalm 93 mit einem Freudenruf, der so klingt: »Der Herr ist König« (V. 1). Der Psalmist feiert das aktive Königtum Gottes, das heißt sein wirksames und heilbringendes Handeln, das die Welt erschaffen und den Menschen erlöst hat. Der Herr ist kein gleichgültiger in seinem fernen Himmel eingeschlossener Herrscher, sondern er ist mitten unter seinem Volk gegenwärtig als machtvoller Erlöser, groß in der Liebe. 

2. Im ersten Teil des Lobhymnus thront der König, der Herr. Er sitzt wie ein Herrscher auf einem ruhmvollen Thron, der feststeht von Ewigkeit (vgl. V. 2). Er hat sich bekleidet mit Hoheit, gegürtet mit Macht (vgl. V. 1). Im Zentrum des Psalms wird Gottes Allmacht offenbar, anschaulich dargestellt von den Wasserfluten. 

Der Psalmist weist insbesondere auf das »Brausen« der Fluten, das heißt auf das Geräusch des Wassers hin. In der Tat erzeugt das ohrenbetäubende Getöse großer Wasserfälle im Zuschauer das Gefühl einer furchterregenden Gewalt und läßt ihn erzittern. Psalm 42 erinnert an dieses Gefühl, wenn es heißt: »Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser, all deine Wellen und Wogen gehen über mich hin« (V. 8). Angesichts dieser Naturgewalt fühlt sich der Mensch hilflos. Aber der Psalmist bedient sich dieses Sprungbretts, um die viel größere Macht des Herrn zu rühmen. Die dreifache Wiederholung der Worte »Fluten erheben« ihr Brausen (vgl. Ps 93, 3), wird beantwortet durch die dreifache Bekräftigung der noch größeren Macht Gottes. 

3. Wenn die Kirchenväter diesen Psalm kommentieren, beziehen sie ihn gern auf Christus, den »Herrn und Erlöser«. Origines, der von Hieronymus ins Lateinische übersetzt wurde, sagt: »Der Herr ist König, er hat sich mit Schönheit bekleidet. Das heißt, er, der zuvor in der Niedrigkeit des Fleisches erzitterte, erstrahlt jetzt in göttlicher Majestät.« Die Wasserfluten, die ihr Brausen erheben, stellen »die bedeutenden Gestalten der Propheten und der Apostel« dar, die »den Herrn lobpreisen und verherrlichen und seinen Richterspruch in der ganzen Welt verkünden« (vgl. 74 omelie sul libro dei Salmi, Milano 1993, Ss. 666 –669). 

Augustinus deutet das Zeichen der Wasserfluten und Meere noch weiter. Als überflutende Wasser, das heißt gestärkt und voll des Heiligen Geistes, haben die Apostel keine Angst mehr und erheben endlich ihre Stimme. Aber »als Christus von so vielen Stimmen verkündet wurde, begann das Meer zu beben«. Im aufgewühlten Meer dieser Welt – schreibt Augustinus – schien das Schifflein der Kirche gefährlich hin- und herzuschwanken unter den feindlichen Bedrohungen und Verfolgungen, aber »gewaltiger ist der Herr in der Höhe«: Er »ging auf dem See und hat die Fluten gebändigt« (Esposizioni sui salmi, III, Roma 1976, S. 231)

4. Gott ist Herr über alles, allmächtig und unbesiegbar; er ist seinem Volk, dem er seine Weisungen erteilt, immer nahe. Das ist der Leitgedanke, den Psalm 93 in seinem letzten Vers anbietet: Auf den höchsten Himmelsthron folgt der Thron der Arche des Tempels von Jerusalem. An Stelle der Macht seiner kosmischen Stimme tritt die Milde seines heiligen und unfehlbaren Wortes: »Deine Gesetze sind fest und verläßlich; Herr, deinem Haus gebührt Heiligkeit für alle Zeiten« (V. 5). 

So endet ein kurzer, aber bewegender Hymnus. Er ist ein Gebet, das den Gläubigen Vertrauen und Hoffnung einflößt, wenn sie oft beunruhigt sind und fürchten, von den Umwälzungen der Geschichte verschlungen und von dunklen, bedrohlichen Mächten ergriffen zu werden. 

Als Widerhall auf diesen Psalm ist die Offenbarung des Johannes zu betrachten, wo der inspirierte Schriftsteller in der Beschreibung der großen Schar im Himmel, die über den Untergang Babylons jubelt, bekräftigt: »Da hörte ich etwas wie den Ruf einer großen Schar und das Rauschen gewaltiger Wassermassen und wie das Rollen mächtiger Donner: Halleluja! Denn König geworden ist der Herr, unser Gott« (19, 6). 

5. Wir beenden unsere Reflexion über Psalm 93, indem wir das Wort an Gregor von Nazianz, den »Theologen« schlechthin unter den Vätern, weitergeben. Wir tun es durch eines seiner schönen Gedichte, in denen der Lobpreis an Gott, den Schöpfer und Herrscher, einen dreifaltigen Aspekt annimmt: »Du [Vater] hast das Universum erschaffen und jedem den Platz zugewiesen, der ihm zukommt; du erhältst ihn kraft deiner Vorsehung … Dein Wort ist Sohn-Gottes: Er ist wirklich eines Wesens mit dem Vater, ihm an Ehren gleich. Er hat das Universum harmonisch geordnet, um über alles zu herrschen. Und indem Gott der Heilige Geist alles umfängt, sorgt er für alles und schützt es. Ich will dich verkündigen, lebendige Dreifaltigkeit, eine und einzige Herrscherin, …dich, unerschütterliche Kraft, die die Himmel festigt, dich, unzugängliches Auge, das das ganze Universum anschaut und die verborgenen Tiefen der Erde bis in den Abgrund kennt. O Vater, sei mir gnädig … Laß mich Erbarmen und Gnade finden, denn dein ist der Ruhm und die Ehre ohne Ende bis in Ewigkeit« (Carme 31, in: Poesie/1, Roma 1994, Ss. 65 –66). 


„Der Herr ist König, er hat sich mit Hoheit bekleidet und mit Macht umgürtet – gewaltiger als das Tosen der Wasser ist der Herr in der Höhe" (vgl. Ps 93, 1. 4). Psalm 93 besingt das Königtum Gottes und seine Erhabenheit über die Schöpfung. 

Gottes Hoheit erzeugt im gläubigen Menschen Vertrauen und Hoffnung: Auch die „Unwetter" der Geschichte und die Mächte der Finsternis heben die Souveränität Gottes über das Werk seiner Hände nicht auf. Gott bleibt der Herr! Wer ihm vertraut, findet Ruhe auch in Zeiten der Bedrängnis. Darum wissend, beten wir täglich im „Vaterunser" um das Kommen seines Reiches. In der Bitte „Dein Reich komme!" bekennen wir uns zum Königtum Gottes, der gewaltiger ist als die Fluten jeder menschlichen Bedrohung. 

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Mit Freude begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Das Bekenntnis zum Königtum Gottes und die tägliche Bitte um das Kommen seines Reiches mögen Euer Leben als Christen prägen! Von Herzen erteile ich Euch und Euren Lieben daheim sowie allen, die heute mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.

       



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