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PASTORALBESUCH IN DER SCHWEIZ

LOBFEIER

 PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Heiligtum von Einsiedeln - Freitag, 15. Juni 1984

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wir sind an diesem neuen Morgen im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Einsiedeln versammelt zum Lobe Gottes. Von Herzen grüße ich die treuen Hüter dieses Gnadenortes, die Söhne des hl. Benedikt und ihre ganze Klostergemeinschaft; ich grüße diejenigen, die heute hierher gepilgert sind, wie auch alle jene, die zu Hause in ihren Familien diesen Gottesdienst mitfeiern.

Im ersten Psalm haben wir soeben gesungen: ”Gott, du mein Gott, dich suche ich; meine Seele dürstet nach dir . . . Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen . . .“ (Ps 63, 2. 3.). Die Stimme dieses Psalmes ist unsere Stimme; ”Gott, du mein Gott, dich suche ich . . .“. In jedem Menschenherzen ist diese Sehnsucht eingepflanzt - wenn sie auch manchmal verschüttet ist: die Sehnsucht nach einer uns für immer beglückenden Fülle des Lebens, die Sehnsucht nach Gott! Wenn unsere innere Stimme nicht übertönt wird, hören wir unser Herz nach einer Erfahrung Gottes rufen. Immer wieder kommen auf unsere Lippen die Worte des Psalmisten: ”Gott, du mein Gott,  . . . meine Seele dürstet nach dir . . .“. Wir suchen ein Glück, das es nur in ihm zu finden gibt.

Gott läßt sich jedoch nicht erfahren, wie man die Dinge der Natur erfährt. Deshalb halten wir wie der Psalmist Ausschau nach ihm in seinem ”Heiligtum“. Wir können Gott nur im Glauben begegnen. Jesaja spricht in der heutigen Lesung von seiner eigenen, persönlichen Gotteserfahrung. Er schaut auf geheimnisvolle Weise den heiligen Gott und hört den Preisgesang: ”Heilig, heilig, heilig ist der Herr!“ (Jes 6, 3). Als Mensch erlebt er den heiligen ehrfurchtgebietenden Gott und zugleich seine eigene Sündhaftigkeit: ”Wehe mir!“. Die Erfahrung der Nähe Gottes ist für den Menschen eine Grenzerfahrung. Aber der Prophet vernimmt sogleich das verzeihende Wort: ”Deine Schuld ist getilgt!“ (ebd. 6, 5-7). Die Nähe des heiligen Gottes ist eine liebende und heilende Nähe. Eine beglückende Erfahrung: Wen Gott in seine Nähe ruft, den heilt er!

2. An diesem Morgen halten wir wie der Psalmist gemeinsam Ausschau nach Gott im Heiligtum Marias. Mehr noch als der Prophet Jesaja erlebte Maria, was es heißt, die Nähe Gottes erfahren zu dürfen. Maria ist die Jungfrau, deren Herz nicht geteilt ist; sie sorgt sich nur um die Sache des Herrn und will ihm allein gefallen in ihrem Tun und Denken (1 Kor 7, 32-34). Gleichzeitig empfindet jedoch auch sie heilige Scheu und ”erschrickt“ über die Worte des Gottesboten. Diese Jungfrau hat Gott auserwählt und geheiligt als Wohnung seines ewigen Wortes.

Maria, die erhabene Tochter Zion, erfuhr wie niemand sonst, wie nahe die ”Macht und Herrlichkeit“ Gottes ist. Sie ruft voller dankbarer Freude aus im Magnifikat: ”Meine Seele preist die Größe des Herrn . . . Der Mächtige hat Großes an mir getan. Sein Name ist heilig“. Maria ist sich zugleich ihrer Geschöpflichkeit zutiefst bewußt: ”Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“. Sie weiß, daß alle Geschlechter sie selig preisen werden (Luk 1, 46-49), aber sie weist von sich weg auf Jesus hin: ”Tut, was er euch sagt!“ (Joh 2, 5). Sie kümmert sich um die Sache des Herrn. In einer immer neu geforderten Verfügbarkeit für ihren Gott ging Maria den ”Pilgerweg des Glaubens“ (Lumen Gentiutm, 58). Die Jungfrau von Nazaret hat das unbegreifliche Handeln Gottes mit den Augen des Glaubens betrachtet. Zweimal betont Lukas, daß sie ”in ihrem Herzen“ bedachte, was sich ereignet hatte (Luk 2, 19. 51). Solcher Glaube wird selig gepriesen: ”Selig ist, die geglaubt hat . . .“ (Ebd. 1, 45).

3. Liebe Brüder und Schwestern! Folgt dem Pilgerweg des Glaubens, den Maria gegangen ist! Öffnet wie sie euer Herz ganz für die Sache des Herrn! Ich richte diese Einladung an alle, an Bischöfe, Priester und Diakone, an Ordensleute und Laien, an Männer und Frauen. In uns allen lebt ja die tiefe Sehnsucht der Menschen nach der Erfahrung des lebendigen Gottes. Diese Sehnsucht hat immer wieder Menschen auf den Weg gläubiger Christusnachfolge gerufen. Ist dieses Marienheiligtum nicht geprägt von der Sehnsucht zahlloser Pilger im Glauben nach der Erfahrung von Gottes Gegenwart in dieser Welt? Hier durften diese suchenden Menschen eintreten in eine Atmosphäre des Gebetes. An dieser Stätte hat der hl. Einsiedler Meinrad (+ 861) in der Stille Gott gesucht. Heilige pilgerten hierher: die Bischöfe Ulrich (+ 983), Wolfgang (+ 994) und Konrad (+ 995), die Pilgerin Dorothea von Montau (um 1384), der Beter Nikolaus von Flüe (um 1474), der Erneuerer des kirchlichen Lebens Karl Borromäus (1570), der Glaubenslehrer Petrus Canisius (+ 1597), der Büßer Benedikt Josef Labre (+ 1783), die Helferin der Armen Johanna Antida Thouret (1795) und unzählige namenlose Heilige. Sie und alle Pilger waren sich ihrer Hilfsbedürftigkeit und Sündhaftigkeit bewußt. Zusammen mit Maria, der Mutter Jesu, verharrten sie hier im Gebet, offen für Gott und seinen Geist.

So wird Glaube weitergegeben: der lebendige Glaube des Gebetes, die persönliche Erfahrung mit Gott. Wer die Gemeinschaft von Glaubenden aufsucht, im besonderen wer sich Maria nähert, tritt in eine Atmosphäre des Geistes ein. Maria erhielt ja vom Engel die zusage der Gnade und des Geistes (Luk 1, 28. 35). Wie Maria wollen wir offen sein für Gottes Geist, damit wir seine Kraft erfahren, die uns ausrüstet für den Dienst und das Zeugnis, zu dem wir berufen sind.

4. Liebe Brüder und Schwestern! Sorgt euch um die Sache des Herrn! Haltet Ausschau nach dem heiligen Gott! Ich erinnere noch einmal an die Berufungsvision des Propheten Jesaja. In der persönlichen Erfahrung des dreimalheiligen Gottes wurzelt seine Sendung zu den Menschen. Er wird fähig, die Stimme des Herrn zu hören. Er vernimmt die Frage nach der Bereitschaft zum prophetischen Dienst. Und er gibt seine Zustimmung zur Sendung, die von oben kommt: ”Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6, 8). Nun erhält er den Auftrag: ”Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr . . .“ (Ebd. 6, 8-9). Der Prophet wird von Gott bedingungslos in Dienst genommen. Er steht fortan ungeteilt auf der Seite Gottes. Aber er wird auch solidarisch bleiben mit dem Volk, zu dem er gesandt ist.

Auch Maria hat zunächst die Nähe des Herrn erfahren dürfen: ”Der Herr ist mit dir!“. Sie hat die Zusage der Gnade erhalten, bevor sie um ihre Bereitschaft zu der einmaligen Sendung gefragt wurde, Mutter des Messias zu werden. Darauf gibt sie ihr vorbehaltloses Ja zu ihrer Mitwirkung im Heilswerk Gottes: ”Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 28. 30). Sie handelt überlegt; aber auch sie setzt keine Bedingungen. Sie ist dienstbereit, weil sie den heiligen Gott nahe weiß. Mit Geduld geht sie den ”Pilgerweg des Glaubens“ bis unter das Kreuz ihres Sohnes. Auf diesem Weg ist sie ganz solidarisch mit uns: eine mitfühlende Mutter und Schwester.

Nehmen wir, liebe Brüder und Schwestern, uns Maria, die Mutter Jesu, die zugleich die Mutter der Kirche und unsere Mutter ist, zu unserem Vorbild und zu unserer Weggefährtin auf dem Weg unserer irdischen Pilgerschaft! In allen Situationen unseres Lebens wollen wir mit ihr Ausschau halten nach dem heiligen Gott, der immer anders und größer ist als wir, der uns aber doch stets geheimnisvoll nahe ist und uns liebt. Im Blick auf diesen Gott, der in Christus unser Vater geworden ist, sprechen auch wir: ”Hier bin ich, sende mich!“ - ”Mir geschehe nach deinem Wort!“. Im Dienst vor Gott und im Dienst an den Menschen. Amen.

 

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