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EUCHARISTIEFEIER IM PETERSDOM ZU BEGINN DES AKADEMISCHEN JAHRES DER KIRCHLICHEN UNIVERSITÄTEN

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Freitag, 25. Oktober 2002

 

1. »Das sind die Menschen, […] die dein Antlitz suchen, Gott Jakobs« (Ps 24, 6). 

Die Worte, die wir als Kehrvers zum Antwortpsalm gesungen haben, nehmen heute in dieser Basilika eine ganz besondere Bedeutung an. Hier haben sich nämlich Rektoren, Professoren und Studierende der römischen kirchlichen Universitäten für die traditionsreiche Feier zu Beginn des akademischen Jahres versammelt. 

An alle richte ich meinen herzlichen Gruß. Ein besonderer Gedanke geht an Kardinal Zenon Grocholewski, der dieser Eucharistiefeier vorsteht, und an seine Mitarbeiter, denen wir für die Arbeit danken wollen, die sie täglich in der Kongregation für das Katholische Bildungswesen leisten. 

2. Wenn ich meinen Blick auf euch richte, liebe Brüder und Schwestern, denke ich dankerfüllt: Sieh, Herr, »das sind die Menschen, die dein Antlitz suchen«. Denn was ist das Studium der Theologie, wenn nicht eine besondere Art und Weise, nach dem Antlitz Gottes zu suchen? Das gleiche gilt für die Beschäftigung mit anderen Wissenschaften, die an euren Universitäten gelehrt werden: Was ist es anderes als eine Annäherung an die Wirklichkeit des Menschen, der Kirche, der Geschichte, in der Gott sich selbst und sein unergründliches Heilsgeheimnis offenbart? 

»Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner« (Ps 24, 1): Von welcher Warte aus der Gläubige auch auf die Wirklichkeit blicken mag, er weiß, daß er sich sozusagen auf »heiligem Boden« bewegt (vgl. Ex 3, 5), denn es gibt nichts Positives innerhalb und außerhalb des Menschen, das nicht in gewisser Weise die göttliche Weisheit widerspiegeln würde. »Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde;über den Himmel breitest du deine Hoheit aus« (Ps 8, 2. 10). 

3. Die Perikope aus dem Evangelium, die soeben vorgelesen wurde, spricht von zwei Ebenen der »Weisheit«: Eine erste Ebene besteht darin, »das Aussehen der Erde und des Himmels zu deuten« (vgl. Lk 12, 56), das heißt die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in den Naturphänomenen zu erkennen. Auf einer anderen, tieferen Ebene steht hingegen die Fähigkeit, die »Zeit« zu beurteilen, in der sich die Heilsgeschichte entwickelt, die Zeit, in der Gott wirkt und die Mitarbeit des Menschen erwartet. 

In der »Fülle der Zeit«, so schreibt der hl. Paulus (Gal 4, 4), sandte Gott seinen eingeborenen Sohn. Der Evangelist Johannes jedoch merkt an: »Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf« (Joh 1, 11). Die Gegenwart des menschgewordenen Wortes erfüllt die Zeit mit einer einzigartigen Eigenschaft: Sie verleiht dieser Zeit einen »entscheidenden« Wert in dem Sinne, daß sich in ihr das ewige Schicksal jedes einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit entscheidet. Dem größten Geschenk Gottes entspricht die größte Verantwortung des Menschen. 

4. Die strengen Worte, die Christus an die Menschenmenge richtet, lassen sich gut auf unsere Epoche anwenden, in der die Menschheit eine ausgeprägte Fähigkeit entwickelt hat, die Phänomene sozusagen »an der Oberfläche« zu analysieren und zu deuten. Zugleich neigt sie dazu, den tieferen Fragen über die letztendlichen Zusammenhänge, über den Sinn von Leben und Sterben, über das Gute und das Böse in der Geschichte aus dem Weg zu gehen. 

Die scharfe Anschuldigung: »Ihr Heuchler!« (Lk 12, 56), die über die Lippen Jesu kommt, besagt eindeutig, daß es hier nicht nur darum geht, das, was recht ist, nicht beurteilen zu können (vgl. Lk 12, 57), sondern auch darum, es nicht annehmen zu wollen. Die Heuchelei besteht also in einer falschen Weisheit, die sich vieler Kenntnisse rühmt, aber davor zurückschreckt, sich auf anspruchsvolle Fragen religiöser und sittlicher Art einzulassen. 

5. Die Erste Lesung des heutigen Tages, die dem Brief des hl. Paulus an die Epheser entnommen ist, stellt eine wunderbare Synthese zwischen Glauben und Leben, zwischen Theologie und Weisheit des Evangeliums dar. Es ist die Perspektive der Einheit. Sie wird genährt durch verschiedene Tugenden, die vom Apostel aufgezählt werden: Demut, Friedfertigkeit, Geduld, gegenseitiges Ertragen in Liebe (vgl. Eph 4, 2). Die moralische Ermahnung des Paulus gründet ganz und gar auf der Betrachtung des Geheimnisses und auf seiner Umsetzung in das konkrete Verhalten der Gemeindemitglieder

Das Heilmittel gegen die Heuchelei ist also ein steter Kreislauf zwischen dem, was man weiß, und dem, was man lebt, zwischen der Botschaft der Wahrheit, die einem durch die christliche Berufung geschenkt wurde, und den konkreten persönlichen und gemeinschaftlichen Einstellungen – mit anderen Worten: zwischen dem Wissen des Glaubens und der Heiligkeit des Lebens

6. Diese vom Wort Gottes inspirierten Überlegungen betreffen besonders jene Menschen, die an den kirchlichen Universitäten tätig sind. Dozenten und Studierende sind aufgerufen, besondere Aufmerksamkeit walten zu lassen, um die Zeichen der Zeit im Hinblick auf das zentrale Zeichen der Offenbarung, den Herrn Christus, zu deuten. Insbesondere sind die Universitäten aufgefordert, sich stets von neuem in den Dienst an der Einheit der Kirche zu stellen. Diese Einheit, die sich ihrem Wesen nach über der katholischen Dimension eröffnet, findet hier in Rom das ideale Umfeld, daß man an sie glaubt, sie erforscht und ihr dient. 

Liebe Brüder und Schwestern! Die Einheit des Leibes der Kirche erhält und entfaltet sich durch das Band des Friedens in Wahrheit und Liebe (vgl. Eph 4, 3). Daher ist es nötig, daß eure Universitäten vor allem Orte wahrhafter christlicher Weisheit seien, an denen jeder sich persönlich dafür einsetzt, eine konsequente Verbindung zwischen Glauben und Leben, zwischen dem Gelernten und dem praktischen Verhalten herzustellen. 

Als Lehrer sollen euch hierbei vor allem die Heiligen dienen, die Kirchenlehrer und die Menschen, die ihr Leben für Studium und Lehre verwendet haben. Sie sind im edelsten Sinne »die Menschen, die das Antlitz Gottes suchen« (vgl. Ps 24, 6), und gerade weil sie selbst leidenschaftliche Betrachter des Antlitzes Gottes waren, konnten sie auch den anderen den leuchtenden Widerschein der Wahrheit, Schönheit und Güte, der von diesem Antlitz ausgeht, vermitteln. 

Die allerseligste Jungfrau Maria, Sitz der Weisheit, wache stets über euren akademischen Gemeinschaften und über einen jeden von euch. Sie erbitte für euch vom Heiligen Geist die überreichen Gaben der Weisheit, des Wissens und des Verstandes, damit ihr – wie der hl. Paulus im Epheserbrief sagt – »zusammen mit allen Heiligen dazu fähig seid, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt« (vgl. Eph 3, 18 -19). Amen!

 

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