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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
AN JACQUES DIOUF, GENERALDIREKTOR DER F.A.O.,
ANLÄßLICH DES WELTERNÄHRUNGSTAGES 2003

 

An Herrn Jacques Diouf,
Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (FAO)

Die Feier des Welternährungstages lädt uns ein, über die Tatsache nachzudenken, daß Hunger und Unterernährung täglich das Überleben vieler unserer Brüder und Schwestern gefährden. Diese bittere Wirklichkeit ist die Ursache von Spaltungen zwischen Einzelpersonen, gesellschaftlichen Gruppen, Gemeinschaften und Ländern. In der Tat zeigt sie das Gefälle auf, das zwischen den unterschiedlichen Stufen der Entwicklung und der Lebenserwartung in den verschiedenen Regionen der Welt besteht.

Vielsagend ist die Wahl des diesjährigen Themas: »Internationale Allianz gegen den Hunger«, denn der Hunger und die durch ihn hervorgerufenen Spannungen können nur durch ein schnelles und wirksames Eingreifen überwunden werden, dem gemeinsame Bestrebungen und Bemühungen zugrunde liegen. Dies entspricht auch den zu Beginn dieses Jahrtausends von der Internationalen Gemeinschaft verkündeten Zielsetzungen, und ferner bildet es die Grundlage jener Verpflichtungen, die die am »Welternährungsgipfel – fünf Jahre danach« teilnehmenden Staaten eingegangen sind, die eine solche »Allianz« der verschiedenen in diesem gemeinsamen Bemühen zusammenarbeitenden Kräfte als Garantie für konkrete Ergebnisse ansehen.

In zunehmendem Maße sind sich die Menschen der Notwendigkeit gemeinsamer Ziele und Aktionen bewußt. Gleiches gilt für die Kirche, die Hoffnung und Leid der Menschheit teilt. Sie ist darum bemüht, ihrerseits zu einer Lösung beizutragen, die den Erwartungen der Menschen entspricht. Anläßlich des Welternährungstages sehe ich mich zu einem erneuten Appell im Namen dieser »Allianz gegen den Hunger« veranlaßt, einer »Allianz«, die durch ein neues Verständnis vom Multilateralismus gestärkt werden muß.

Wenn dieser Multilateralismus wirksam sein soll, muß er auf dem Konzept der internationalen Gemeinschaft als »Völkerfamilie« gründen, die danach strebt, sich für das Wohl aller einzusetzen. Daher erfordert die Verwirklichung dieser »Allianz« die Solidarität der Regierungen, der internationalen Organisationen wie auch der Menschen aller Kontinente. Ihre Grundlage kann in einer von allen gemeinsam übernommenen Verantwortung für das Gemeinwohl und die Entwicklung der Ärmsten gesehen werden, damit jedes menschliche Wesen zunehmend zur menschlichen Person wird.

Die allen Mitgliedsstaaten wohlbekannte Arbeit der FAO zeigt, daß die Ursachen des bedrückenden Phänomens der Armut und des Hungers nicht allein in Umweltbedingungen, Wirtschaftsprozessen oder in den Nachwirkungen vergangener Situationen zu suchen sind. Naturereignisse und Umweltbedingungen spielen in dieser Tragödie zwar eine Rolle, aber dennoch müssen wir eingestehen, daß fehlendes Management, die zunehmende Verbreitung ideologischer und politischer Systeme, die von jedem Konzept der Solidarität weit entfernt sind, und die Zunahme von Kriegen und Konflikten, die im Gegensatz stehen zu den grundlegenden Prinzipien internationaler Koexistenz, sozio-ökonomische Ungerechtigkeiten schaffen und verschärfen.

Ohne andere Teile der Welt zu vergessen, richten sich meine Gedanken insbesondere auf den afrikanischen Kontinent, wo die Situation weiterhin zutiefst beunruhigend ist: Die Menschen dort leiden nicht nur unter der unzulänglichen Nahrungsmittelproduktion und der dadurch bedingten Knappheit an Nahrungsmitteln, sondern sie sind auch Konflikten, Epidemien und ständigen Vertreibungen ausgesetzt, die in vielen Fällen verhindert werden könnten durch die Umsetzung von Strategien und Programmen, die der Achtung des Lebens und der Würde des Menschen verpflichtet sind. Eine der offenkundigsten Auswirkungen all dessen ist die Verringerung der Anbaugebiete. Zudem scheinen viele der Länder, die in ständiger politischer und institutioneller Instabilität leben, in zunehmendem Maße von der Nahrungsmittelhilfe und -einfuhr aus wirtschaftlich höher entwickelten Nationen abhängig zu sein, was die Situation in der Tat untragbar macht. Zur Lösung dieser beunruhigenden Lage brauchen wir keine weiteren Formen der Gewalt gegen das Leben, sondern vielmehr die Verwirklichung einer von Gerechtigkeit und Brüderlichkeit beseelten internationalen Ordnung.

Angesichts der steten Sorge um die immer mehr abnehmende Nahrungsmittelerzeugung und -verfügbarkeit und um die Verschlechterung der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Ökosysteme, sind die wirtschaftlich ärmeren Länder häufig gezwungen, einer intensiven landwirtschaftlichen Bebauung den Vorzug zu geben. Auf diese Weise können sie wenigstens die Produkte ihres Landes verkaufen, in der Hoffnung, so mit dem Weltmarkt Schritt halten zu können. Demzufolge werden jene Anbautechniken aufgegeben, die auf der Beziehung zwischen Produktion und Nachfrage, zwischen Artenvielfalt und Umweltschutz gründen, und so wird der richtigerweise von der FAO als Hauptursache von Fehl- und Unterernährung wie auch Hunger beschriebene »Kreis der Armut« stets größer. Um diesen Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, muß, stets gemäß den moralischen und rechtlichen Prinzipien, an alle Kräfte der Wissenschaft, der Technologie und Wirtschaft appelliert werden.

Während nun die letzte Phase des von den Vereinten Nationen proklamierten »Jahrzehnts der indigenen Bevölkerung« beginnt, muß sich unsere Aufmerksamkeit auf konkrete Maßnahmen zum Schutz des traditionellen Wissens der einheimischen Bevölkerung konzentrieren und auf die Unterstützung autochthoner Gemeinschaften, die aufgrund von Vereinbarungen über Agrarerzeugnisse, mangels jeglicher Biodiversifizierung oder mitunter aufgrund der Zerstörung des Forstbestands und der unkontrollierten Ausbeutung der Fischbestände äußerst unvorteilhafte Lebensbedingungen hinnehmen müssen. In der Tat gehört die Abschaffung traditioneller Agrarmethoden, die nach ernährungsbezogenen und gesundheitlichen Anforderungen entstanden und entwickelt worden waren, zu den für die wachsende Armut der einheimischen Bevölkerungen verantwortlichen Ursachen. Folglich werden diese Bevölkerungsteile von den städtischen Gebieten angezogen, häufig sind sie sogar gezwungen, dorthin auszuwandern, mit offensichtlichen Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Fähigkeit, ihre besondere Identität zu wahren.

Durch die Unterstützung ihrer verschiedenen Institutionen und Organisationen möchte die Kirche ihrerseits zu dieser weltweiten »Allianz gegen den Hunger« beitragen, indem sie sich für die Förderung der Solidarität einsetzt und sie zu einem Element macht, das persönliche und soziale Beziehungen formt und auszeichnet. Das solidarische Verhalten kann somit zur Grundlage dieser Beziehungen werden und zum Aufbau einer Kultur der Solidarität und Liebe beitragen. Auf diese Weise möchte die Kirche dem Beispiel und der Lehre ihres Stifters folgen, in der Überzeugung, daß die mögliche Auswirkung einer solchen »Allianz« die Versöhnung mit Gott und zwischen den Menschen ist, ein besonders geeignetes Instrument zur Überwindung von Hindernissen und Spaltungen. Durch die Verwirklichung einer wahren Zivilisation der Liebe, die authentische und fundamentale Werte fördert, trägt sie dazu bei, daß Selbstsucht und Konflikte nicht die durch das Fehlen dieser Werte verursachte Leere füllen.

Daher fordere ich die christlichen Gemeinschaften, die Gläubigen sowie alle Männer und Frauen guten Willens auf, mehr und mehr im Dienst an den Armen und Hungerleidenden zu leben und zu arbeiten, um die wahre Versöhnung zwischen den einzelnen Menschen wie auch zwischen den Völkern zu ermöglichen. Aktiv am solidarischen und gemeinsamen Kampf gegen die Armut und den Hunger teilzunehmen, bedeutet zur Ausarbeitung wohldurchdachter und wirksamer Aktionsprogramme für Gerechtigkeit und Frieden beizutragen. Mögen unsere Bemühungen von jener Aufforderung unterstützt werden, die die Bibel an jedes Mitglied der menschlichen Familie richtet: »Wenn du … dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf … Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Wasser niemals versiegt« (Jes 58,10–11).

Mit dieser Hoffnung erbitte ich für Sie, Herr Generaldirektor, für alle Teilnehmer des heutigen Treffens und für die zukünftige Arbeit der FAO von ganzem Herzen das Licht und die Kraft des allmächtigen Gottes.

Aus dem Vatikan, am 16. Oktober 2003

IOANNES PAULUS II

 



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