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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Freitag, 21. Januar 1983

 

Liebe Mitbrüder!

1. In der frohen Gewißheit unserer tiefen Verbundenheit als Glieder des Bischofskollegiums und unserer inneren Einheit in Christus, dem alleinigen wahren ”Guten Hirten“ inmitten des Gottesvolkes, empfange ich Euch heute am Ende Eures Ad-limina-Besuches gemeinsam im Vatikan, dem Ort des bleibenden Glaubenszeugnisses des hl. Petrus und seiner Nachfolger.

Wie bei der vorhergehenden Gruppe deutscher Bischöfe grüße ich in Euch die ganze Kirche in Eurem Land, von deren Lebenskraft und Glauben ich seit meinem Pastoralbesuch eindrucksvolle Erinnerungen bewahre. Mein besonderer Gruß gilt dem verehrten Herrn Kardinal Joseph Höffner, dem langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dem ich anläßlich seiner kürzlichen Wiederwahl Gottes Licht und Beistand erbitte. Zugleich gedenke ich in diesem Augenblick in Dankbarkeit des Bischofs Bernhard Stein, des früheren Oberhirten der Diözese Trier, und auch des allzu früh verstorbenen Bischofs von Münster, Heinrich Tenhumberg. Ihre Beiden Nachfolger heiße ich zu ihrem ersten Ad-limina-Besuch herzlich willkommen. Unsere brüderliche Begegnung ist Ausdruck und Vertiefung unserer kollegialen Verbundenheit in der gemeinsamen Verantwortung für die Heilsordnung Christi in unserer Zeit. Mögen daraus fruchtbare Impulse Für die pastorale Arbeit in Euren Diözesen und Gemeinden erwachsen.

2. Die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland bietet dem äußeren Betrachter einen kraftvollen Anblick, den einer wohlgeordneten, wirksamen Organisation mit vielfältigen pastoralen und sozialen Initiativen sowie großer Hilfsbereitschaft für weniger bemittelte Ortskirchen und notleidende Menschen in anderen Ländern und Kontinenten. Die jährlichen ausführlichen Berichte von den Arbeiten und Beschlüssen im Rahmen Eurer Bischofskonferenz bezeugen, mit welch hohem Verantwortungsgefühl die Kirche in Eurem Land auch an den schwerwiegenden Problemen in Staat und Gesellschaft Anteil nimmt und zu deren Lösung ihren spezifischen Beitrag leistet. Anerkennung und Dank gebührt Eurer stets großzügigen Mitarbeit in den vielfältigen Anliegen des Heiligen Stuhles und der Weltkirche sowie Euren intensiven Kontakten, die Ihr mit Mitbrüdern und Bischofskonferenzen in den Kirchen der Dritten Welt unterhaltet, wodurch Ihr den gegenseitigen Erfahrungsaustausch wie auch den Geist weltweiter Brüderlichkeit wirksam fördert.

Doch kann, wie Ihr selbst in Euren Gesprächen mit mir betont habt, dieses kraftvolle organisatorische Leben in der Kirche Eures Landes nicht die innere religiöse Krise vergessen lassen, die sich weltweit aus dem fortschreitenden Prozeß der Säkularisierung und aus der Gottergebenheit in der modernen Konsumgesellschaft herleitet und auch Euch und Eure Priester bei der täglichen Seelsorgsarbeit in den Gemeinden vor große Schwierigkeiten stellt. Die rückläufige Zahl der sonntäglich Kirchenbesucher die zunehmende Zerrüttung in Ehen und Familien mit wachsenden Scheidungsquoten, das Sinken der öffentlichen Moral und die Mißachtung menschlicher Grundwerte in Staat und Gesellschaft sind nur allzu deutliche Zeichen für eine bedrohlich um sich greifende Entchristlichung des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens. Diese stellt für die Kirche eine große Herausforderung dar, der sie nur durch eine radikale Besinnung auf ihren ureigensten Heilsauftrag wird begegnen können. Gefordert ist eine tiefgreifende innere Erneuerung der Kirche aus der Kraft des göttlichen Geistes und eine authentische Neuevangelisierung mit dem Aufruf Christi zu Umkehr und Glauben.

3. Es kann keine geistige Erneuerung geben, die sich nicht in Buße und Umkehr vollzieht. Christus selbst hat die Verkündigung der Frohen Botschaft mit dem eindringlichen Bußruf begonnen: ”Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1, 15). Die Kirche ist heute in einer besonderen Weise aufgefordert, diesen Ruf des Herrn selber neu zu hören und zu befolgen sowie den Menschen zu verkünden. Er bildete das Motto Eures Katholikentages h Düsseldorf und wird eine gründliche Erörterung und Aktualisierung in den Beratungen der kommenden Bischofssynode erfahren. Der Bußruf Christi soll auch das zentrale Anliegen der pastoralen Erneuerung in Euren Diözesen und Gemeinden werden.

Vielleicht sind Buße und Bußsakrament noch nie zuvor so sehr in die Krise geraten wie in unserer Zeit. Das Bewußtsein des Menschen, daß er ein Sünder ist, die Bereitschaft, seine Schuld beim Namen zu nennen, und die Einsicht, daß nur der vergebende Gott einen Neuanfang schenken kann, sind heute weitgehend verdunkelt oder völlig geschwunden. Gleichzeitig hat jedoch derselbe Mensch, der mit Buße und Umkehr nicht mehr viel anzufangen weiß, von einer ganz anderen Seite her ein erschütternde Erfahrung der Grenze machen müssen. Der moderne Fortschritt ist in ein Tempo hineingeraten, das nach dem Rausch der Selbstsicherheit die Angst vor dem Entgleisen, vor der Katastrophe hat wachsen lassen. Grenzen des Wachstums sind sichtbar geworden, der Überdruß an einer Kultur des bloßen Habens und Genießens greift um sich; zugleich verbreitet sich der Schrecken vor einer inneren Erschöpfung der Lebensmöglichkeiten auf dieser Welt oder einer kriegerischen Selbstzerstörung der Menschheit. Die Verhältnisse selbst schreien dem Menschen heute den gleichen Ruf ins Bewußtsein, den der Herr an den Anfang seiner Predigt gestellt hat: Kehrt um!

Dennoch kann diese konkrete Grenzerfahrung den persönlichen Bußruf Christi nicht ersetzen, wenngleich sie ihm den Weg zu bahnen vermag. Wer nur den Umkehrruf hört, wie er sich angesichts der gegenwärtigen großen Gefährdung der Menschheit erhebt, droht in Resignation und Angst, in Protest gegen das Bestehende oder in letztlich gefährlichen Utopien steckenzubleiben, ohne das Unheil des Menschen an der Wurzel zu packen. Damit die Welt neu werden kann, muß der Mensch neu werden, und der Mensch kann nur neu werden, wenn er den ganzen Ruf der Frohen Botschaft ernst nimmt, den Markus an den Anfang der Predigt Jesu stellt: ”Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium. Kehrt um und glaubt!

4. In dieser Situation habt Ihr, liebe Mitbrüder, eine ganz besondere Verantwortung Eine neue Nachdenklichkeit ist allenthalben aufgebrochen, viele fragen wieder nach Orientierung, nach Halt und Weg. Es ist an Euch, den Hirten und Zeugen, die Stimme Gottes den Menschen noch vernehmbarer zu machen, damit auch solche, die sich in einem langen Prozeß der Ermüdung von der Kirche entfernt haben, Zeit der Gnade erfahren und sich neu dem pilgernden Gottesvolk anschließen, das unter der Führung und dem Gebet des Herrn die Straße in eine Zukunft findet, die er allein schenken kann.

Rufer der Umkehr zu sein, ist nicht bequem. Auch wenn noch so viele erkennen, daß Umkehr not tut, dürfen wir uns nicht darüber wundern, daß viele vor den konkreten Schritten zurückschrecken, die dafür erforderlich sind. Ich möchte Euch in Eurem schweren Dienst bestärken, Rufes der Umkehr zu sein, und im folgenden auf einige Richtungen hinweisen, die neu einzuschlagen sind, damit wahrhaft Umkehr geschehe und die Menschen sich wieder neu Gott zuwenden und öffnen.

Wir müssen umkehren von der Anonymität zum Bekenntnis. Umkehr gibt es nicht, wenn nicht jeder bei sich selbst anfängt. Der Mensch der industriellen Massengesellschaft ist versucht, sich in der Anonymität der Masse zu verstecken. Andererseits möchte er jedoch aus dem Bann der Namenlosigkeit ausbrechen; er möchte wieder einen Namen, ein Ich haben und erleben. Es gibt geradezu einen Kult des Gespräches, des Aussprechens aller Schwierigkeiten, Probleme und Empfindungen. Warum finden wir nicht auch wieder neu den Weg zu jenem Gespräch, das wahrhaft befreit? Zum Gespräch, in dem ich meine Ohnmacht, mein Versagen dem allmächtigen Gott anvertraue und von ihm die Zusage der Vergebung und des neuen Anfangs empfange? Überall, wo Menschen, gerade auch junge Menschen, neu das Bußsakrament entdecken, gelingt ihnen ein Durchbruch zu neuer Freiheit. Werdet nicht müde, hier Wege zu eröffnen, Hilfen anzubieten, behutsam und mutig Menschen zu begleiten auf ihrem Weg zu Buße und Bußsakrament.

Wir müssen umkehren vom Ich zum Du, zum Wir. Der Mensch kann sich selbst nicht finden, wenn er nicht dem Du begegnet und sich zum Mitmenschen hin öffnet. Die Unfähigkeit zu personaler Bindung, zur Treue, zum Ja ohne Grenzen und Vorbehalte ist letztlich Unfähigkeit zum eigenen Menschsein. Umkehr vom Ich zum Du besagt Umkehr zu Bindung und Treue, die auch Krisen und Schwierigkeiten überdauern und sich in Ehe und Familie, in Kirche und Gesellschaft gegenüber Gott und den Mitmenschen bewähren. Jeder trägt Verantwortung für den anderen und für das Gemeinwohl. Gleichgültigkeit, Staatsverdrossenheit und Fatalismus stehen im Gegensatz zu christlicher Weltverantwortung. Welch große Tradition haben katholische Soziallehre und sozialer Katholizismus in Eurem Land! Laßt die Impulse nicht ungenutzt, die ich in meiner Enzyklika Laborem Exercens in dieser Richtung gegeben habe.

Wir müssen umkehren von Illusionen zur konkreten Verantwortung, Vor allem zur Verantwortung vor Gott. Nichts läge mir ferner, als jenen Idealismus zerstören zu wollen, der heute viele junge Menschen wieder ergreift. Aber es muß ein Idealismus sein, der sich auf dem Weg der Nachfolge bewährt und nicht vor Opfern und Kreuz kapituliert. Große Ziele auf dem kleinen Weg, das heißt durch kleine, bescheidene Schritte, zu erreichen, darum geht es. Helft, liebe Mitbrüder, gerade den jungen Menschen, ihre Ideale umzumünzen in die konkrete Verantwortlichkeit! Die großen geistlichen Lehren von der Unterscheidung der Geister, vom Gewinnen und Prüfen der eigenen Lebensentscheidung, eine Spiritualität christlich gelebter Alltäglichkeit tut heute not, damit Menschen wieder befähigt werden zum großen und ganzen Ja, durch das sie sich im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen in den vielfältigen Schwierigkeiten und Prüfungen des Alltags als wahre Christen bewährten können und das allein auch eine geistliche Berufung zum Leben nach den evangelischen Räten oder im Priestertum zu tragen vermag.

5. Liebe Mitbrüder! ”Das ist der Wille Gottes, daß ihr heilig lebt“ (1 Thess 4, 3),  so ermahnt der hl. Paulus seine Gläubigen. Der einzige Weg zu solcher Heilung ist der Weg der Umkehr und Buße, wie Christus und die Kirche ihn ehren. Um in Menschen das rechte Gespür dafür zu wecken, was Sünde ist, muß er vor allem seine große Verantwortung vor Gott und gegenüber seinen Mitmenschen erkennen. Eine tiefe Gewissenserziehung ist dazu erforderlich. Ohne Sündenerkenntnis kann es kein Sündenbekenntnis geben. Bemüht Euch zusammen mit Euren Priestern darum, die Gläubigen zu einer echten Bußgesinnung zu fuhren und darauf hinzuwerfen, daß sie das Bußsakrament als wirksames Zeichen der Versöhnung erfahren und davon häufigen Gebrauch machen. Die neue Ordnung zur Feier der Buße bietet dafür wertvolle Anregungen und pastorale Hilfen, die es voll auszuschöpfen gilt.

Die Kirche kann den Aufruf Christi zu Umkehr und Glaube nur dann überzeugend den Menschen als Heilsbotschaft verkünden, wenn sie ihn zuallererst selbst befolgt und beispielhaft vorlegt. In der kommenden Bischofssynode wird die Kirche sich gewissenhaft darüber Rechenschaft geben und ihren Verkündigungsauftrag vom Bußruf des Herrn her neu bestimmen. Sucht die wertvollen Anregungen und Erfahrungen Eures erfolgreich verlaufenen Düsseldorfer Katholikentages für die konkrete Seelsorge in Euren Diözesen und Gemeinden fruchtbar zu machen. Das von mir angekündigte Jubiläumsjahr der Erlösung bietet dafür einen zusätzlichen Anlaß und große pastorale Hilfen. Das Jubiläumsjahr selbst will ein Aufruf zur Buße und zu einem fruchtbaren Empfang der Gnade der Erlösung sein.

6. Durch das ernsthafte Bemühen der Kirche um geistliche Erneuerung durch Umkehr und Buße wird zugleich das zentrale und heute so dringliche Anliegen der Einheit aller Christen neue Impulse erhalten, dessen wir gerade in der jetzigen Weltgebetsoktav wieder besonders gedenken. Es gibt, wie das II. Vatikanische Konzil nachdrücklich betont, ”keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung“ (Unitatis Redintegratio, 7).  Mit Freude habe ich die Schritte verfolgt, die Ihr im Anschluß an meinen Besuch in Eurem Land in der gemeinsamen ökumenischen Arbeit unternommen habt. Laßt Euch durch die Schwierigkeiten, denen Ihr dabei begegnet, nicht entmutigen. Setzt den gemeinsamen Weg fort mit aller Liebe und Entschlossenheit, mit Klarheit und Mut zur Hoffnung, zu der uns Christi verheißener Beistand und sein Gebet berechtigen.

Möge Gott Euch, liebe Mitbrüder, in Eurem unermüdlichen Wirken für die großen Anliegen der Kirche in unserer Zeit: für die geistige Erneuerung die Kirche und die Einheit der Christen durch Umkehr und Buße stets mit seinem Licht und Beistand begleiten. Er erhöre unser Gebet, das wir am Ende unserer brüderlichen Begegnung mit den Worten der Liturgie an ihn richten: ”Herr, unser Gott, wir haben uns im Namen deines Sohnes versammelt und rufen zu dir: . . . mach uns hellhörig für unseren Auftrag in dieser Zeit und gib uns die Kraft, ihn zu erfüllen“ (Oratio dominicae in hebdomada III per annum). 

Das erbitte ich Euch, Euren Mitarbeitern und allen Gläubigen in Euren Diözesen von Herzen mit Meinem besonderen Apostolischen Segen.

 

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