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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE PILGER, DIE ZUR SELIGSPRECHUNG
VON ADOLPH KOLPING NACH ROM GEKOMMEN SIND

Audienzenhalle - Dienstag, 29. Oktober 1991

 

Herr Kardinal,
Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
Liebe Schwestern und Brüder!

Zur Sonderaudienz anläßlich der Seligsprechung des Kölner Diözesanpriesters Adolph Kolping darf ich Euch alle herzlich begrüßen. Ihr habt eben schon mit unserem lieben Kardinal Meisner den festlichen Gottesdienst gefeiert.

Der neue Selige Adolph Kolping, der am vergangenen Sonntag zur Ehre der Altäre erhoben wurde, ist eine normative Gestalt für alle Christen, namentlich für die Kolpingsbrüder und -schwestern. In den Seligen und Heiligen der Kirche richtet Gott immer eine Botschaft an die über die Welt verstreuten Christen in seiner Kirche. Das gilt auch für Adolph Kolping.

Er stand mit beiden Beinen fest verwurzelt auf der Erde und orientierte sich am Himmel. Er war, wie die Heilige Schrift sagt, in der Welt, aber nicht von der Welt. Adolph Kolping führte keine Doppelexistenz, indem er im Kirchenraum Priester war und außerhalb des Gotteshauses dann Weltmensch - wie auch ein Christ nicht nur am Sonntag beim Gottesdienst Christ sein darf, um dann an den übrigen sechs Wochentagen als Weltmensch zu leben. Adolph Kolping betete seine Arbeit und arbeitete dann sein Gebet. Das ist sein spezielles Charisma und seine Botschaft an uns heute. Indem wir täglich unsere Arbeit beten und unser Gebet dann arbeiten, erfüllen wir unsere christliche Berufung. Nur wer Gott kennt, der kennt auch den Menschen. Im Gebet lernt der Mensch Gott kennen, so daß er dann auch sein Abbild, den Menschen, in seinen wirklichen Dimensionen mit all seinen Nöten und Bedürfnissen erkennt. Im Gebet erlebt der Mensch einen Gott, der auf die Menschen zugeht, um sie zu heilen, so daß ihn das Gebet zum Dienst an den Mitmenschen verweist. Nur wer im Gebet das Antlitz Gottes sucht und findet, wird auch auf dem Gesicht des Mitmenschen das Antlitz Gottes erkennen können.

Hier liegt die Wurzel für das große soziale Werk Adolph Kolpings: Er war ein Mystiker der Tat. Indem ihm Gott im Gebet nahe war, suchte er die Nähe der Menschen. Wir leben heute in einer Weltsituation, wo gerade solche Christen gebraucht werden. Statt die schöne neue Welt zu planen und zu beschreiben, sollen wir die alte zu heilen suchen. Den Menschen zu ändern heißt in der Tat, ihn zu heilen von seinen Fehlern. Wir müssen die menschliche Gesellschaft neu entwerfen und die Ausgesetzten in sie zurückführen, indem wir ihr Leben mit allen Mitteln ordnen und schützen.

Es gehört heute viel Mut dazu, diese kleinen Schritte des Heilens und Helfens zu tun, die zur Erfüllung dieser existentiellen Aufgaben unabdingbar sind, die der eigentlichen Erneuerung des Menschen und unserer Welt dienlich sind. Und es gehört Mut dazu, sich persönlich dazu berufen und von Gottes Gnade ermächtigt zu fühlen und auf seinem eigenen schmalen Lebensweg damit wirklich anzufangen. Lassen wir uns das nochmals sagen: Wenn wir schon nicht die ganze Welt verändern können, so sollen wir doch das kleine Stück Welt ändern, das für uns erreichbar ist. Wenn wir nicht für die ganze Menschheit Großes erreichen können, dürfen wir dennoch keinesfalls die im Stich lassen, die wir retten können, und sei es nur ein einziger. Wir sollen dort anfangen, wo Platz für etwas Neues ist. Wir sollen uns wie Adolph Kolping für einen Schritt vorwärts einsetzen und daran unser Leben verschwenden.

In dieser Weise begann Adolph Kolping sein heute die Welt umspannendes Werk. Sein Glaube schenkte ihm den Mut, das Unmögliche zu erhoffen und, während das Mögliche in die Tat umgesetzt wird, Aufgaben anzugehen, die ganz sicher die Spanne des eigenen Lebens überschreiten würden. Aus diesem Glauben läßt sich dann von einem solchen Lebenswerk sagen: es war nur ein kleiner Beitrag, aber er hat sich gelohnt, denn er hat seinen Sinn und seinen Wert von Gott her erhalten. Zu solch einem christlichen Lebensmut ruft uns heute Adolph Kolping mit seinem segensreichen Engagement auf. Darum hat ihn die Kirche zur Ehre der Altäre erhoben, um uns den Blick für Gottes Möglichkeiten in unseren alltäglichen Lebensumständen zu schärfen, wenn wir uns nur in unserem Leben wirklich einsetzen und uns den Eingebungen der göttlichen Gnade öffnen.

Dieser christliche Realismus, den die Bibel schlicht ”Glauben“ nennt, zeigt uns, daß die Verwirrung unserer Weltumstände ihren Ursprung oftmals im Mangel innerer Ausgewogenheit des Menschen hat. Darum wenden die Christen zur Heilung der Welt eine andere Therapie an als etwa die Materialisten. Letztere wollten das Bewußtsein der Menschen heilen, indem sie den Weltzustand revolutionär zu verändern suchten. Sie meinten, nicht im Menschen brauche sich etwas zu verändern, sondern in den Verhältnissen um den Menschen. Wir wissen heute deutlicher denn je, daß diese Therapie absolut unangebracht ist.

Die Christen erwarten nicht, daß der sich selbst fremd gewordene Mensch von sich aus eine heile Welt schaffen kann, da er nicht die Möglichkeit der Selbsterlösung hat. Sie glauben vielmehr, daß die Revolution beim Menschen selbst anfangen muß: Nicht um den Menschen muß sich zuerst etwas ändern, sondern im Menschen selbst. Wir glauben, daß in Jesus Christus diese Heilung auch durch uns als Christen anderen widerfahren kann. Am Anfang eines christlichen Lebens steht nicht die Aufgabe, die Forderung, das Programm, sondern eine Ermächtigung: die Überzeugung, an der Befreiung der Mitmenschen von den Problemen und auferlegten Bedingungen mitwirken zu können. Dein Leben enthält diese Möglichkeit, die Gott dir gibt. Bist du bereit, sie einzusetzen? Das ist eine bestürzende Frage, weil sie einen Menschen nötigen kann, sein eigenes Leben gänzlich neu auszurichten. Das veranlaßte Adolph Kolping zum Berufswechsel: vom Handwerker zum Priester. Er ließ sich von Gott auf seine Verantwortung für die Mitmenschen ansprechen, womit er weit über sein ursprüngliches Berufsverständnis hinausging. So wuchs er in seiner Wirksamkeit über die Grenzen seines Aufgabengebietes in Köln und in Deutschland hinaus und wies vielen Menschen den Weg zu wirklicher Mitverantwortung für das Heil der Welt. Das gilt auch heute noch. Nicht das Erreichen eines gewissen Lebensstandards und das Mithalten mit der allgemeinen Leistungsnorm wären die ersten Fragen - so wichtig sie bleiben -, sondern das alles würde zweitrangig, würde gleichsam zum Material für eine mögliche Antwort auf diese Grundfrage: Willst du in deinem Leben ernst machen mit dieser Ermächtigung, mitzuwirken an der Heilung deiner Mitmenschen von den Schwierigkeiten ihrer Zeit? Würdest du das als ein Leitmotiv für dein Leben gelten lassen? Wenn wir heute diese Fragen aus gläubigem Herzen zustimmend beantworten können, dann wäre das Leben Adolph Kolpings auch in unserem Dasein fruchtbar. Das möchte die Seligsprechung Adolph Kolpings in der Kirche und für die Welt bewirken.

In diesem Sinne erteile ich Euch allen sowie Euren Lieben zu Hause und den mit uns über Fernsehen und Radio Vatikan verbundenen Hörerinnen und Hörern von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.

 

© Copyright 1991 - Libreria Editrice Vaticana

 



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