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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE DER BRASILIANISCHEN KIRCHENPROVINZEN REGION WEST 1 UND 2 
ANLÄßLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 21. September 2002

 

Liebe Brüder im Bischofsamt! 

1. Mit Freude empfange ich euch heute, die Erzbischöfe und Bischöfe der Kirchenprovinzen der Region West 1 und 2, die den Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Mato Grosso entsprechen. Ihr seid nach Rom gekommen, um euren Glauben an den Gräbern der Apostel zu erneuern. Es ist das erste Mal, daß die Diözese Juína und die Prälatur Paranatinga, die beide im Lauf der vergangenen fünf Jahren errichtet wurden, einen »Ad-limina«-Besuch abstatten, mit dem alle Bischöfe ihr gemeinschaftliches Band mit dem Nachfolger Petri bekräftigen. 

Von Herzen danke ich dem Erzbischof von Cuiabá, Msgr. Bonifacio Piccinini, für sein im Namen aller an mich gerichtetes Grußwort und jedem einzelnen von euch für die Gelegenheit, in den persönlichen Begegnungen die Gesinnung jener Gemeinden kennenzulernen, denen ihr als Hirten dient, und somit den innigen Wunsch zu teilen, daß eure Herde »in allem wachsen [möge], bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt« (Eph 4, 15). Um euch in eurer Hirtensorge zu ermutigen, möchte ich nun einige Überlegungen mit euch teilen, die aus der konkreten Situation eures Dienstes der Verkündigung und Predigt des Geheimnisses Christi erwachsen (vgl. Kol 4, 3).

2. Der »Ad-limina«-Besuch so vieler aufeinanderfolgenden Gruppen von brasilianischen Bischöfen ist aufgrund der zahlreichen und erbaulichen Gespräche wegweisend und eine intensive Erfahrung affektiver und effektiver Gemeinschaft;das habe ich bereits bei dem vorhergehenden Treffen mit der Gruppe aus Amazonien betont. Mit Wohlwollen anerkenne ich eure Anstrengungen sowohl auf gemeinschaftlicher Ebene als auch in den einzelnen Diözesen zugunsten des Aufbaus einer kirchlichen Gemeinschaft voll Lebenskraft und Evangelisierungseifer, die eine zutiefst christliche, vom Wort Gottes, vom Gebet und von den Sakramenten genährte Erfahrung machen möge, die im personalen, familiären und gesellschaftlichen Dasein mit den Werten des Evangeliums übereinstimmt. 

Im Rahmen eurer vielfältigen und großen Verantwortung möchte ich besonders auf die Mitarbeit der Laien im diözesanen Leben, vor allem aber im heiligen Weiheamt der Priester, näher eingehen

Es ist nicht neu, daß euer Land weltweit die höchste Anzahl getaufter Katholiken aufweist. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, der Bischofssynode von 1987 und dem aus ihr hervorgegangenen Apostolischen Schreiben Christifideles laici wurde die Tatsache hervorgehoben, daß die Identität der Laien auf der »in der Taufe […] liegenden radikalen Neuheit des Christlichen« gründet (Nr. 10). Der an alle Glieder des mystischen Leibes Christi gerichtete Aufruf, aktiv am Aufbau des Volkes Gottes teilzuhaben, wird in den Dokumenten des kirchlichen Lehramtes unablässig wiederholt (vgl. Lumen gentium, 3; Dekret Apostolicam actuositatem, 24). 

3. Im Jahr 1997 wurde dieses Prinzip erneut hervorgehoben, das die Identität, die den Laien, den Priestern und den Gottgeweihten eigen ist, in ihrer gemeinsamen Würde und in der Verschiedenheit ihrer Aufgaben neu bekräftigt (Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, Vowort). Es ist wichtig, über diese Teilhabe nachzudenken, um sie insbesondere in jenen Gemeinschaften in angemessener Form zu verwirklichen, die normalerweise das Leben der Diözesen verkörpern und bei denen ihre Mitglieder aktiv mitarbeiten. 

Die Kirche wird »nach dem völlig freien, verborgenen Ratschluß der Weisheit und Güte« (vgl. Lumen gentium, 2) des Vaters geboren, um alle Menschen durch seinen Sohn und im Heiligen Geist zu retten. »De unitate Patris et Filii et Spiritus Sancti plebs adunata«, so beschreibt der hl. Bischof und Märtyrer Cyprian die Kirche (De Orat. dom. 23; Pl 4, 553). Christus gründet seine Kirche nicht als eine sich rechtlich selbsterhaltende Institution, der sich die Menschen anschließen, um das Heil zu erlangen. Sie ist viel mehr als das. Der Vater hat Menschen bestellt, damit sie ein Volk Gottes im Sohn, in Christus, mit Hilfe des Opfers seines menschgewordenen Sohnes bilden, mit anderen Worten, damit sie Leib Christi sind. 

Das Konzil öffnete sich einer positiven Sicht im Hinblick auf die besondere Eigenschaft der gläubigen Laien, deren kennzeichnender Aspekt es ist, »in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen« (Lumen gentium, 31). Die, die in der Welt leben und aus ihr den Rohstoff ihrer Heiligkeit schöpfen, sind bemüht, die menschlichen Wirklichkeiten zu verändern, um das familiäre, soziale und politische Wohl aller zu fördern, vor allem aber, um sie zu Gott zu erheben, indem sie den Schöpfer verherrlichen und unter ihresgleichen als Christen leben. 

Einige der hier anwesenden Bischöfe werden sich daran erinnern, daß ich anläßlich meines Treffens von 1991 mit den katholischen Laien in Campo Grande auf die »verschiedenen Formen organischer Beteiligung der Laien an der einen Sendung der Kirche als Gemeinschaft« hingewiesen habe, gerade in der Situation und an dem Ort, für den Gott sie in der Welt ausersehen hat (Nr. 1).

Ziel der Kirche ist es, die Heilssendung Christi in der Welt fortzusetzen. Im Lauf der Geschichte ist sie bemüht, diesen Sendungsauftrag mit dem Licht des Heiligen Geistes und durch das Handeln ihrer Glieder im Rahmen der eigenen Funktion zu erfüllen, die jeder einzelne im mystischen Leib Christi ausübt. 

4. Zu den Zielsetzungen der vom II. Vatikanischen Konzil beschlossenen liturgischen Reform gehörte die Notwendigkeit, »alle Gläubigen zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern zu führen, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, ›das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk‹ (1 Petr 2, 9; vgl. 2, 4–5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist« (vgl. Sacrosanctum concilium, 14). 

Um dieses hoffnungsvolle Ziel zu erreichen, kam es in Wirklichkeit jedoch in den Jahren nach dem Konzil zu einer willkürlichen und weitgehenden »Verwechselung der Rollen, zumal was den Dienst der Priester und die Rolle der Laien angeht (man spricht unterschiedslos und gemeinsam das eucharistische Hochgebet; die Homilie wird von Laien gehalten; Laien teilen die Kommunion aus, während die Priester sich davon dispensieren« (Instruktion Inestimabile donum, 3.4.1980, Vorwort). 

Ein derart schwerwiegender Mißbrauch der Praxis ist häufig auf lehramtliche Irrtümer zurückzuführen, insbesondere im Hinblick auf das Wesen der Liturgie, das allgemeine Priestertum der Christen, die Berufung und Sendung der Laien und das Weiheamt der Priester. 

Verehrte Brüder im Bischofsamt, wie euch bekannt ist, sah das Konzil die Liturgie »als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d.h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen« (Sacrosanctum concilium, 7). 

Die Erlösung wird vollends durch Christus verwirklicht. Doch in diesem großen Werk, in dem Gott vollkommen verherrlicht und die Menschen geheiligt werden, gesellt sich unserem Erlöser immer wieder die Kirche zu, seine geliebte Braut (vgl. Sacrosanctum concilium, 7). Durch die Liturgie »setzt Christus, unser Erlöser und Hoherpriester, in seiner Kirche, mit ihr und durch sie das Werk unserer Erlösung fort« (Katechismus der Katholischen Kirche, 1069). 

Die Liturgie ist eine Handlung des gesamten mystischen Leibes Christi, des Hauptes und seiner Glieder (vgl. ebd., 1070). Sie ist eine Handlung aller Gläubigen, denn alle haben teil am Priestertum Christi (vgl. ebd., 111 und 1273). Nicht alle aber haben die gleiche Funktion, denn nicht alle teilen das Priestertum Christi auf die gleiche Art und Weise. Durch die Taufe haben alle Gläubigen am Priestertum Christi teil; das ist es, was man das »gemeinsame Priestertum aller Gläubigen« nennt. Außer diesem Priestertum, und um ihm zu dienen, besteht eine weitere Teilhabe an der Sendung Christi: die des Dienstes, die durch das Weihesakrament übertragen wird (Katechismus der Katholischen Kirche, 1591), nämlich das Amtspriestertum. »Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe« (Lumen gentium, 10). 

5. Das Nichtbeachten dieses grundlegenden Unterschieds und die gegenseitige Zuordnung zwischen dem Amtspriestertum und dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen hatte unmittelbare Auswirkungen auf die liturgischen Handlungen, auf die Handlungen der organisch verfaßten Kirche.

Ich habe an diese Erklärungen des kirchlichen Lehramtes erinnern wollen in der Überzeugung, daß ihr sie, obwohl ihr sie sehr wohl kennt, erneut in einfacher Form darlegen könnt, damit die Laien vermeiden, in der Liturgie jene Funktionen auszuüben, die ausschließlich in den Kompetenzbereich des Amtspriestertums gehören, denn nur dieses handelt ausdrücklich »in persona Christi capitis«. 

Bereits bei anderen Gelegenheiten habe ich auf diese Unklarheit und gelegentlich auch auf die Gleichstellung zwischen gemeinsamem Priestertum und Amtspriestertum, auf die geringe Beachtung gewisser kirchlicher Bestimmungen und Normen, auf die willkürliche Interpretation des Begriffs »Stellvertretung«, die Tendenz der »Klerikalisierung« der Laien usw. aufmerksam gemacht und auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß »die Hirten darüber wachen müssen, daß nicht leichtfertig oder gar unrechtmäßig auf vermeintliche ›Notsituationen‹ oder auf die Notwendigkeit einer ›Stellvertretung‹, wo sie in der Tat nicht vorhanden sind oder wo man sie mit einer rationelleren pastoralen Planung vermeiden könnte, zurückgegriffen wird« (Christifideles laici, 23). 

Hier möchte ich daran erinnern, daß nichtgeweihte Laien gewisse Aufgaben oder Funktionen der Mitarbeit am pastoralen Dienst nur dann ausüben können, wenn sie ausdrücklich von ihren jeweiligen Hirten und den Rechtsvorschriften entsprechend (can. 228, 1) vorbereitet wurden. Weder Diakone noch nichtgeweihte Laien können sich des aktiven und passiven Wahlrechts im »Priesterrat« erfreuen, ebensowenig wie Priester, die aus dem Klerikerstand entlassen wurden oder die Ausübung des geistlichen Dienstes aufgegeben haben (vgl. Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, Art. 5). 

Schließlich möchte ich noch daran erinnern, daß die Mitglieder des Pastoralrats der Diözese oder Pfarrgemeinde ausschließlich über ein beratendes Stimmrecht verfügen, das nicht zu einem entscheidenden werden kann (ebd.). Der Bischof wird die Gläubigen, Kleriker und Laien, anhören, um sich eine Meinung zu bilden, auch wenn sie kein definitives Urteil der Kirche formulieren können, das allein der Bischof entscheiden und aussprechen kann, nicht weil es lediglich eine Sache des Gewissens ist, sondern aufgrund seiner Stellung als authentischer Lehrer des Glaubens (can. 212 und 512, 2). So kann vermieden werden, daß der Pastoralrat zwangsläufig als ein die Gläubigen der Diözese vertretendes oder für sie sprechendes Organ verstanden wird. 

6. In einem breiteren Kontext, aber ohne sich von den soeben gemachten Überlegungen entfernen zu wollen, möchte ich auch das Thema der Wiedereinrichtung des ständigen Diakonats für verheiratete Männer anschneiden, das nach dem Konzil eine wesentliche Bereicherung für die Sendung der Kirche war. 

Der Katechismus der Katholischen Kirche sieht seinen Nutzen »im liturgischen und pastoralen Leben, …in den sozialen und karitativen Werken« (1571). Die Mitarbeit, die der ständige Diakon der Kirche vor allem dort bietet, wo es an Priestern fehlt, ist zweifellos von großem Vorteil für das kirchliche Leben. In Brasilien besteht eine Nationale Kommission der Diakone, deren Funktion es ist, unter der Autorität des Bischofs das Wesen ihres Dienstes dort zum Ausdruck zu bringen, wo es für das Wohl der Gläubigen erforderlich ist. Gewiß ist der Dienst des ständigen Diakons den Rechtsvorschriften unterworfen – und wird es immer sein –, denn nur der Priester kann die amtliche Vollmacht ausüben; auf diese Weise wird die Gefahr der Zweideutigkeit ausgeschlossen, die vor allem in den liturgischen Feiern die Gläubigen verwirren kann. 

Daher müssen sich die Hirten der Notwendigkeit bewußt sein, die Berufungspastoral jener jungen Menschen zu fördern, die sich aus Liebe zu Gott und seiner Kirche in wahren und endgültigen apostolischen Zölibat, in moralischer Rechtschaffenheit und wirklicher geistlicher Freiheit der Sache Gottes übereignen. Das von der Kirche angebotene priesterliche Zölibat stellt klare Anforderungen: die vollkommene Enthaltsamkeit für das Reich Gottes. 

7. Am Ende dieses Treffens bitte ich euch, den Gläubigen eurer Diözesen des Mato Grosso meine herzlichen Grüße zu überbringen. Ganz besonders denke ich an die jungen Menschen am Anfang ihres kirchlichen Weges. Habt teil an der Erfahrung dieser ältesten diözesanen Gemeinschaften, und lebt den Glauben an Christus, unseren Erlöser, mit Freude. 

Eure Vorhaben und Pastoralpläne vertraue ich dem mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria an, die in Brasilien stets mit großer Inbrunst als »Senhora Aparecida« angerufen wird. Ferner nehme ich die Gelegenheit wahr, um durch euch die Priester und alle Diener der Kirche, die ständigen Diakone, die Ordensgemeinschaften, die Pfarreien, die christlichen Vereinigungen, die Familien, die Alten und all jene zu grüßen, die alle möglichen körperlichen oder moralischen Leiden erdulden müssen; mit Freude denke ich auch an die Jugendlichen und Kinder, in die ich meine große Hoffnung setze; schließlich versichere ich alle mir lieben Menschen der Diözesen des Mato Grosso und des Mato Grosso do Sul meiner Zuneigung und ermutige sie, ihre christliche Berufung in Einheit mit Gott, unserem Herrn, und dem Nachfolger Petri zu leben. Von Herzen erteile ich ihnen meinen Apostolischen Segen.

 



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