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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
AN KARD. JOSEPH RATZINGER ANLÄßLICH DES 10. JAHRESTAGES DER VERÖFFENTLICHUNG VON "VERITATIS SPLENDOR"

 

An den verehrten Bruder
Kard. JOSEPH RATZINGER,
Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre

1. Mit Freude habe ich erfahren, daß diese Kongregation ein Symposium zum Thema »Die Anthropologie der Moraltheologie gemäß der Enzyklika "Veritatis splendor"« veranstaltet. Zehn Jahre nach ihrer Veröffentlichung erscheint der lehramtliche Wert der Enzyklika Veritatis splendor aktueller denn je. Lichtreich ist das Schicksal derer, die, zum Heil berufen durch den Glauben an Jesus Christus – »das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1,9) – jene Wahrheit annehmen und leben, die Er vermittelt, oder besser gesagt, jene Wahrheit, die Er ist. Dadurch können auch sie zum »Salz der Erde« und »Licht der Welt« (vgl. Mt 5,13.14) werden.

Das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes, »Mitte des Kosmos und der Geschichte« (Redemptor hominis, 1), ist der wahre Horizont des menschlichen Seins und Handelns. Auf die religiösen und moralischen Fragen der Menschheit gibt Jesus Christus nicht nur eine weise Antwort, sondern Er macht sich selbst zur entscheidenden Antwort, denn in seinem Geheimnis des fleischgewordenen Wortes klärt sich das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf (vgl. Gaudium et spes, 22). Wie der reiche Jüngling im Evangelium (vgl. Mt 19,16), so wendet sich auch der Mensch des dritten Jahrtausends an Jesus, den guten Meister, um von ihm das Licht der Wahrheit hinsichtlich dessen, was gut und dessen, was böse ist, zu erlangen.

2. Neu anfangen bei Christus, sein Antlitz betrachten, ihm beharrlich nachfolgen, das ist es, was die Enzyklika Veritatis splendor uns auch heute lehrt. Über all den vergänglichen kulturellen Wandel hinaus gibt es grundlegende Wirklichkeiten, die sich nicht verändern, sondern ihren letzten Grund in Christus finden, der derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit: »Er ist der ›Anfang‹, der, nachdem er die menschliche Natur angenommen hat, sie in ihren Grundelementen und in ihrem Dynamismus der Gottes- und der Nächstenliebe endgültig erleuchtet « (Nr. 53).

Quelle der christlichen Moral ist somit nicht die Kultur des Menschen, sondern der Schöpfungs- und Heilsplan Gottes. Im Ostergeheimnis und im Mysterium unserer Gotteskindschaft kommt die ursprüngliche Würde der Menschheit in ihrem vollen Glanz zum Ausdruck.

3. Gewiß, für die Hirten der Kirche, für die Wissenschaftler und die Lehrer der christlichen Moral wird es heute, in einer Atmosphäre der Auflehnung gegen die heilbringende Wahrheit und eines verbreiteten Relativismus hinsichtlich des Sittengesetzes, immer schwieriger, den Gläubigen zu helfen, sich ein wahrheitsgetreues Urteil zu bilden. Daher bestärke ich alle Teilnehmer des Symposiums, den wesentlichen Zusammenhang zwischen der Wahrheit, dem Guten und der Freiheit zu vertiefen. Über die Natur des Menschen hinaus findet diese Beziehung ihr ontologisches Fundament auch in der Menschwerdung, und sie wird im heilsgeschichtlichen Ereignis der Kreuzigung unseres Erlösers erneuert und mit Licht erfüllt.

Daher besteht das formende Geheimnis der Kirche darin, den Blick unverwandt auf den Gekreuzigten zu richten und sein Erlösungsopfer zu verkünden: »Auf diese Weise ist die Betrachtung des gekreuzigten Jesus der königliche Weg, den die Kirche Tag für Tag gehen muß, wenn sie den ganzen Sinn der Freiheit verstehen will: die Selbsthingabe im Dienst an Gott und den Brüdern. Die Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn ist dann die unversiegbare Quelle, aus der die Kirche unablässig schöpft, um in der Freiheit zu leben, sich hinzugeben und zu dienen (ebd., 87).

Die Wahrheit der christlichen Moral, die durch das Kreuz Jesu Christi besiegelt wurde, ist im Heiligen Geist zum neuen Gesetz des Volkes Gottes geworden. Daher hat die Antwort, die sie auf die Sehnsucht des heutigen Menschen nach Glück bietet, jene Macht und Weisheit des gekreuzigten Christus, der die Wahrheit ist, die sich aus Liebe hingibt.

4. Euch allen, die ihr an diesem wichtigen Symposium teilnehmt, möchte ich nun abschließend meinen Dank und einen Wunsch übermitteln. Meinen Dank spreche ich euch vor allem für die treue und aufrichtige Zusammenarbeit aus, die ihr durch euren Einsatz zur Erforschung und Vertiefung der katholischen Lehre im Bereich der Moral dem Lehramt der Kirche bietet. Diese Treue zur Wahrheit ist der beste Weg, sie zu verstehen und sie zum Ausdruck zu bringen.

Ferner hoffe ich, daß die Arbeiten dieses Symposiums sowie eure eingehenden Untersuchungen und weisen Eingebungen die Hirten und alle Gläubigen mehr und mehr erleuchten mögen, um jene »communio caritatis« in der Kirche zu stärken, die auf der »communio veritatis« gründet. Allen erteile ich meinen Segen!

A tutti la mia Benedizione!

Castelgandolfo, 24. September 2003

IOANNES PAULUS II

 



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