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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 23. Juni 2010

 

 

Hl. Thomas von Aquin (3)

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich mit einem dritten Teil meine Katechesen über den hl. Thomas von Aquin beenden. Auch über 700 Jahre nach seinem Tod können wir viel von ihm lernen, wie schon mein Vorgänger Papst Paul VI. in Erinnerung gerufen hat. In einer Ansprache, die er am 14. September 1974 in Fossanova anläßlich des 700. Todestages des hl. Thomas hielt, fragte er sich: »Meister Thomas, welche Lehre kannst du uns geben?«. Und er antwortete: »Das Vertrauen in die Wahrheit des religiösen katholischen Denkens, das von ihm verteidigt, entfaltet und der Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes erschlossen worden ist« (Predigt in der Abtei von Fossanova, 14. September 1974; in O.R. dt., Nr. 39, 27.9.1974, S. 4). Und am selben Tag sagte er in Aquino, wieder in bezug auf den hl. Thomas: »Wir alle können und müssen als gläubige Söhne und Töchter der Kirche zumindest in gewisser Weise seine Schüler sein« (Predigt in Aquino, 14. September 1974; in O.R. dt., Nr. 39, 27.9.1974, S. 5).

Begeben also auch wir uns in die Schule des hl. Thomas und seines Hauptwerkes, der Summa theologiae. Sie ist unvollendet geblieben, und dennoch ist sie ein monumentales Werk: Sie enthält 512 Fragen und 2669 Artikel. Es handelt sich um eine in sich schlüssige Argumentation, in der die Anwendung der menschlichen Intelligenz auf die Geheimnisse des Glaubens mit Klarheit und Tiefe geschieht, indem Fragen und Antworten miteinander verknüpft werden, in denen der hl. Thomas die Lehre der Heiligen Schrift und der Kirchenväter, vor allem des hl. Augustinus, vertieft. Bei diesen Überlegungen, in der Begegnung mit echten Fragen seiner Zeit, die oft auch unsere Fragen sind, gelangt der hl. Thomas – auch unter Anwendung der Methode und des Denkens der antiken Philosophen, insbesondere des Aristoteles – zu genauen, klaren Formulierungen, welche die Glaubenswahrheiten betreffen, wo die Wahrheit Geschenk des Glaubens ist, aufleuchtet und für uns, für unsere Reflexion zugänglich wird. Dieses Bemühen des menschlichen Geistes ist jedoch – so ruft der Aquinat durch sein eigenes Leben in Erinnerung – stets vom Gebet erleuchtet, vom Licht, das aus der Höhe kommt. Nur wer mit Gott und mit den Geheimnissen lebt, kann auch verstehen, was sie sagen.

In der Summa der Theologie geht der hl. Thomas davon aus, daß es drei verschiedene Seins- und Wesensarten Gottes gibt: Gott existiert in sich selbst, er ist der Anfang und das Ende aller Dinge, daher gehen alle Geschöpfe von ihm aus und hängen von ihm ab; dann ist Gott durch seine Gnade im Leben und im Handeln des Christen, der Heiligen, gegenwärtig; schließlich ist Gott auf ganz besondere Weise gegenwärtig in der Person Christi. Hier ist er wirklich mit dem Menschen Jesus vereint und wirkt in den Sakramenten, die seinem Erlösungswerk entspringen. Der Aufbau dieses monumentalen Werkes (vgl. Jean-Pierre Torrell, La »Summa« di San Tommaso, Mailand 2003, S. 29–75; ital. Übers. des franz. Originals: La »Somme de théologie« de saint Thomas d’Aquin, Paris 1998), eine Untersuchung der Fülle Gottes mit »theologischem Blick« (vgl. Summa theologiae, Ia, q. 1, art. 7), ist in drei Teile gegliedert und wird vom »Doctor communis« – dem hl. Thomas – folgendermaßen erläutert: »Die Hauptaufgabe dieser heiligen Lehre liegt also darin, uns Gott erkennen zu lassen, nicht nur wie er in sich ist, sondern auch soweit er Ursprung und Ziel der Dinge und im besonderen der vernünftigen Geschöpfe ist. Wir handeln also: 1. über Gott; 2. über die Bewegung der vernünftigen Schöpfung zu Gott hin; 3. über Christus, der als Mensch für uns der Weg zu Gott ist« (ebd., I, q. 2). Es ist ein in sich geschlossener Kreis: Gott an sich kommt aus sich heraus und nimmt uns an der Hand, so daß wir mit Christus zu Gott zurückkehren, mit Gott vereint sind und Gott alles in allem sein wird.

Der erste Teil der Summa theologiae ist also eine Untersuchung über Gott an sich, über das Geheimnis der Dreifaltigkeit und über Gottes Schöpferwirken. In diesem Teil finden wir auch eine tiefe Reflexion über die echte Wirklichkeit des Menschen, der aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen ist, als Frucht seiner Liebe. Einerseits sind wir geschaffene, abhängige Wesen und kommen nicht aus uns selbst; anderseits jedoch haben wir eine wahre Autonomie, so daß wir nicht nur etwas Scheinbares sind – wie einige platonische Philosophen sagen –, sondern eine von Gott als solche gewollte Wirklichkeit, die in sich selbst einen Wert besitzt.

Im zweiten Teil betrachtet der hl. Thomas den von der Gnade gedrängten Menschen in seinem Streben, Gott zu kennen und zu lieben, um in Zeit und Ewigkeit glücklich zu sein. Als erstes legt der Autor die theologischen Prinzipien des sittlichen Handelns dar und untersucht, wie bei der freien Entscheidung des Menschen, Gutes zu tun, die Vernunft, der Wille und die Leidenschaften einander ergänzen. Hinzu kommt die Kraft, die die Gnade Gottes durch die Tugenden und die Gaben des Heiligen Geistes schenkt, ebenso wie die Hilfe, die auch durch das Sittengesetz geboten wird. Der Mensch ist also ein dynamisches Wesen: Er sucht sich selbst, er strebt danach, er selbst zu werden, und in diesem Sinne strebt er danach, Dinge zu tun, die ihn erbauen, ihn wirklich zum Menschen machen. Und hier kommen das Sittengesetz ins Spiel, die Gnade und die eigene Vernunft, der Wille und die Leidenschaften. Auf dieser Grundlage zeichnet der hl. Thomas das Erscheinungsbild des Menschen auf, der nach dem Heiligen Geist lebt und so zu einer Ikone Gottes wird. Hier befaßt sich der Aquinat mit den drei theologalen Tugenden – Glaube, Hoffnung und Liebe –, gefolgt von einer eingehenden Untersuchung von über 50 sittlichen Tugenden, die um die vier Kardinaltugenden herum angeordnet sind – Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit. Er endet dann mit einer Reflexion über die verschiedenen Berufungen in der Kirche.

Im dritten Teil der Summa untersucht der hl. Thomas das Geheimnis Christi – Weg und Wahrheit –, durch den wir uns wieder mit Gott vereinigen können. In diesem Abschnitt schreibt er nahezu unübertroffene Texte über das Geheimnis der Menschwerdung und des Leidens Jesu und fügt dann eine umfassende Abhandlung über die sieben Sakramente hinzu. Denn in ihnen schenkt das menschgewordene göttliche Wort die Wohltaten der Menschwerdung für unser Heil, für unseren Weg des Glaubens zu Gott und zum ewigen Leben, es bleibt unter den geschaffenen Wirklichkeiten gleichsam materiell gegenwärtig und berührt uns so im Innersten.

Wenn der hl. Thomas von den Sakramenten spricht, verweilt er insbesondere beim Geheimnis der Eucharistie, für das er eine große Verehrung hegte, die so weit ging, daß er – den älteren Biographen zufolge – oft sein Haupt an den Tabernakel legte, als wolle er das göttliche und menschliche Herz Jesu schlagen hören. In einem seiner Schriftkommentare hilft uns der hl. Thomas, die große Erhabenheit des Sakraments der Eucharistie zu verstehen, wenn er schreibt: »Da die Eucharistie das Sakrament des Leidens unseres Herrn ist, enthält sie in sich Jesus Christus, der für uns gelitten hat. Alles, was aus dem Leiden unseres Herrn hervorgeht, geht daher auch aus diesem Sakrament hervor, denn es ist nichts anderes als die Umsetzung des Leidens des Herrn in uns« (In Ioannem, c. 6, lect. 6, Nr. 963). Wir können gut verstehen, warum der hl. Thomas und andere Heilige bei der Feier der Heiligen Messe Tränen des Mitleids vergossen haben für den Herrn, der sich für uns als Opfer darbringt, Tränen der Freude und der Dankbarkeit.

Liebe Brüder und Schwestern, verlieben wir uns in der Schule der Heiligen in dieses Sakrament! Nehmen wir mit innerer Sammlung an der heiligen Messe teil, um ihre geistlichen Früchte zu erlangen, nähren wir uns am Leib und am Blut des Herrn, um unablässig von der göttlichen Gnade gespeist zu werden! Laßt uns gerne und häufig, von Angesicht zu Angesicht, beim Allerheiligsten Sakrament verweilen.

Was der hl. Thomas in seinen großen theologischen Werken, wie der Summa theologiae und der Summa contra gentiles, mit wissenschaftlicher Strenge erläutert hat, ist auch in seinen Predigten dargelegt, die an die Studenten und Gläubigen gerichtet sind. 1273, ein Jahr vor seinem Tod, predigte er die ganze Fastenzeit hindurch in der Kirche »San Domenico Maggiore« in Neapel. Der Inhalt dieser Predigten wurde gesammelt und aufbewahrt: Es sind die opuscula, in denen er das Apostolische Glaubensbekenntnis erklärt, das Vaterunser auslegt, die Zehn Gebote erläutert und das Ave-Maria kommentiert. Der Inhalt der Predigten des »Doctor angelicus« entspricht fast völlig dem Aufbau des Katechismus der Katholischen Kirche. In einer Zeit wie der unseren, in der man sich um die Neuevangelisierung bemüht, sollten nämlich in der Katechese und in der Predigt folgende grundlegende Themen nie fehlen: was »wir glauben«, also das Glaubensbekenntnis; was »wir beten«, also das Vaterunser und das Ave-Maria; und was »wir leben«, wie uns die biblische Offenbarung lehrt, also das Gesetz der Gottes- und Nächstenliebe und die Zehn Gebote als Entfaltung dieses Liebesgebots.

Ich möchte einige Beispiele aus dem – einfachen, wesentlichen und überzeugenden – Inhalt der Lehre des hl. Thomas anführen. In seinem Opusculum zum Apostolischen Glaubensbekenntnis legt er den Wert des Glaubens dar. Durch ihn, so sagt er, vereint sich die Seele mit Gott; es entsteht gleichsam eine Keimzelle des ewigen Lebens. Das Leben erhält eine sichere Ausrichtung, und wir überwinden leicht die Versuchungen. Wer einwendet, daß der Glaube eine Torheit ist, weil er an etwas glauben läßt, was nicht mit den Sinnen erfahrbar ist, dem gibt der hl. Thomas eine sehr ausgearbeitete Antwort. Er ruft in Erinnerung, daß dieser Einwand unhaltbar ist, da die menschliche Intelligenz beschränkt ist und nicht alles erkennen kann. Nur wenn wir alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge vollkommen erkennen könnten, wäre es eine wahre Torheit, Wahrheiten aus reinem Glauben anzunehmen. Im übrigen, so der hl. Thomas, könne man nicht leben, ohne dort, wohin die persönliche Erkenntnis nicht gelangt, der Erfahrung anderer zu vertrauen. Es ist also vernünftig, dem sich offenbarenden Gott Glauben zu schenken, ebenso wie dem Zeugnis der Apostel: Sie waren nur wenige, sie waren einfach und arm, betrübt über die Kreuzigung ihres Meisters, und dennoch haben sich viele kluge, edle und reiche Menschen innerhalb kurzer Zeit bekehrt, als sie ihre Verkündigung hörten. In der Tat handelt es sich um ein außerordentliches Phänomen in der Geschichte, auf das man schwerlich eine andere vernünftige Antwort geben kann als die der Begegnung der Apostel mit dem auferstandenen Herrn.

Als er den Artikel des Glaubensbekenntnisses über die Menschwerdung des göttlichen Wortes kommentiert, stellt der hl. Thomas einige Überlegungen an. Er sagt, daß der christliche Glaube durch die Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung gestärkt wird; die Hoffnung erhebt sich vertrauensvoller bei dem Gedanken, daß der Sohn Gottes zu uns gekommen ist, als einer von uns, um den Menschen seine Göttlichkeit mitzuteilen; die Liebe wird belebt, denn es gibt kein deutlicheres Zeichen der Liebe Gottes zu uns, als wenn man sieht, daß der Schöpfer des Universums selbst zum Geschöpf wird, zu einem von uns. Durch die Betrachtung des Geheimnisses der Menschwerdung entzündet sich schließlich in uns das Verlangen, zu Christus in die Herrlichkeit einzugehen. Mit einem einfachen und eindrucksvollen Vergleich sagt der hl. Thomas: »Wenn der Bruder eines Königs in der Ferne wäre, würde er sich danach sehnen, bei ihm zu sein. Für uns ist Christus der Bruder. Wir müssen also seine Nähe wünschen, danach streben, ein Herz und eine Seele mit ihm zu werden« (Opuscoli teologico-spirituali, Rom 1976, S. 64).

Bei der Darlegung des Gebets des Vaterunser zeigt der hl. Thomas, daß es in sich vollkommen ist, da es alle fünf Merkmale hat, die ein gutes Gebet besitzen sollte: vertrauensvolle und ruhige Hingabe, angemessenen Inhalt – denn der hl. Thomas sagt, daß »es sehr schwierig ist, genau zu wissen, worum man bitten soll und worum nicht, da wir Schwierigkeiten haben, zwischen unseren Wünschen zu unterscheiden« (ebd., S. 120); und dann die rechte Ordnung der Bitten, die eifrige Nächstenliebe und die aufrichtige Demut. Wie alle Heiligen brachte der hl. Thomas der Gottesmutter große Verehrung entgegen. Er gab ihr den wunderschönen Namen »Triclinium totius Trinitatis«: Triclinium, also Ort, an dem die Dreifaltigkeit ruhen kann. Denn aufgrund der Menschwerdung wohnen die drei göttlichen Personen in ihr wie in keinem anderen Geschöpf und verspüren Wonne und Freude, in ihrer gnadenerfüllten Seele zu leben. Durch ihre Fürsprache können wir jede Hilfe erhalten.

Durch ein Gebet, das die Überlieferung dem hl. Thomas zuschreibt und das in jedem Fall die Elemente seiner tiefen Marienverehrung widerspiegelt, sagen auch wir: »O allerseligste und liebreiche Jungfrau Maria, Mutter Gottes…, deinem erbarmungsvollen Herzen vertraue ich mein ganzes Leben an… Erwirke mir, o meine liebreiche Herrin, wahre Liebe, mit der ich aus ganzem Herzen deinen heiligsten Sohn und nach ihm dich über alles lieben kann, und den Nächsten in Gott und durch Gott«.

* * *

Von Herzen heiße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen. Euch alle ermutige ich, wie Thomas von Aquin – jeder nach seiner Art – aus der Kraft des Heiligen Geistes zu leben, sich vom Wort Gottes und den Sakramenten zu nähren und so auf dem Weg des rechten Lebens, auf dem Weg zur Gemeinschaft mit Gott und mit den Nächsten voranzuschreiten. Der Segen Gottes begleite euch alle!

 

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