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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 21. Dezember 2011

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Die Heilige Nacht

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch wenige Tage vor der Feier der Geburt des Herrn zur Generalaudienz zu empfangen. Der Gruß, der in diesen Tagen in aller Munde ist, lautet: »Frohe Weihnachten! Ich wünsche dir ein schönes Weihnachtsfest!« Laßt uns dafür sorgen, daß der Austausch guter Wünsche auch in der heutigen Gesellschaft nicht seinen tiefen religiösen Wert verliert und das Fest nicht von den äußeren Aspekten vereinnahmt wird, die die Saiten des Herzens berühren. Gewiß sind die äußeren Zeichen schön und wichtig, solange sie uns nicht ablenken, sondern uns vielmehr helfen, Weihnachten in seiner wahren Bedeutung zu leben – der religiösen und christlichen –, damit auch unsere Freude nicht oberflächlich ist, sondern in die Tiefe geht.

Durch die Weihnachtsliturgie führt die Kirche uns in das große Geheimnis der Menschwerdung ein. Denn das Weihnachtsfest ist nicht einfach nur der Jahrestag der Geburt Jesu – es ist auch das –, sondern es ist mehr, es ist die Feier eines Geheimnisses, das die Geschichte des Menschen geprägt hat und weiterhin prägt: Gott selbst hat unter uns gewohnt (vgl. Joh 1,14), er ist einer von uns geworden. Es ist ein Geheimnis, das unseren Glauben und unser Leben betrifft; ein Geheimnis, das wir in den liturgischen Feiern, besonders in der heiligen Messe, konkret erleben. Jemand könnte sich fragen: Wie ist es möglich, daß ich dieses Ereignis, das zeitlich so fern ist, jetzt erlebe?

Wie kann ich fruchtbringend an der Geburt des Sohnes Gottes teilhaben, die sich vor über 2000 Jahren ereignet hat? In der heiligen Messe der Heiligen Nacht werden wir als Kehrvers zum Antwortpsalm folgende Worte wiederholen: »Heute ist uns der Heiland geboren.« Das Temporaladverb »heute« kommt mehrmals in allen Feiern der Weihnachtszeit vor und bezieht sich auf das Ereignis der Geburt Jesu und auf das Heil, das die Menschwerdung des Sohnes Gottes bringt. In der Liturgie geht dieses Ereignis über die Grenzen von Raum und Zeit hinaus und wird im Jetzt gegenwärtig; seine Wirkung dauert an, auch wenn Tage, Jahre und Jahrhunderte vergehen. Wenn sie darauf hinweist, daß Jesus »heute« geboren wird, gebraucht die Liturgie keinen sinnlosen Ausdruck, sondern sie hebt hervor, daß diese Geburt die ganze Geschichte umfaßt und durchdringt, sie auch heute eine Wirklichkeit bleibt, zu der wir gerade in der Liturgie gelangen können.

Für uns Gläubige erneuert das Weihnachtsfest die Gewißheit, daß Gott wirklich bei uns gegenwärtig ist, daß er immer noch »Fleisch« und nicht nur fern ist: Obwohl er beim Vater ist, ist er uns nahe. In jenem Kind, das in Betlehem geboren wurde, hat Gott sich dem Menschen genähert: Wir können ihm jetzt begegnen, in einem »Heute«, das nie vergeht. Ich möchte auf diesen Punkt noch weiter eingehen, denn der Mensch unserer Zeit, der Mensch des »Wahrnehmbaren«, des empirisch Erfahrbaren, tut sich immer schwerer, die Horizonte zu öffnen und in Gottes Welt einzutreten. Gewiß geschieht die Erlösung der Menschheit in einem bestimmten und bestimmbaren Augenblick der Geschichte: im Ereignis Jesu von Nazaret. Aber Jesus ist der Sohn Gottes, er ist Gott selbst, der nicht nur zum Menschen gesprochen, ihm wunderbare Zeichen offenbart, ihn in einer ganzen Heilgeschichte geleitet hat, sondern er ist Mensch geworden und bleibt Mensch. Der Ewige ist in die Grenzen von Zeit und Raum eingetreten, um »heute« die Begegnung mit ihm möglich zu machen. Die liturgischen Texte der Weihnachtszeit helfen uns zu verstehen, daß die Ereignisse des von Christus gewirkten Heils stets zeitgemäß sind, daß sie jeden Menschen und alle Menschen betreffen.

Wenn wir in den liturgischen Feiern hören oder sagen: »Heute ist uns der Heiland geboren «, dann gebrauchen wir keinen leeren konventionellen Ausdruck, sondern wollen sagen, daß Gott »heute«, jetzt, uns, mir, jedem von uns die Möglichkeit bietet, ihn zu erkennen und anzunehmen, wie die Hirten in Betlehem es taten, damit er auch in unserem Leben geboren wird und es erneuert, es erleuchtet, es mit seiner Gnade, mit seiner Gegenwart verwandelt. Das Weihnachtsfest ist also das Gedächtnis der Geburt Jesu im Fleisch, aus der Jungfrau Maria – und zahlreiche liturgische Texte führen uns diese oder jene Episode vor Augen –, gleichzeitig aber ist es ein für uns wirksames Ereignis. Der heilige Papst Leo legte den tiefen Sinn des Weihnachtsfestes dar und lud seine Gläubigen mit folgenden Worten ein: »Meine Lieben! Laßt uns frohlocken im Herrn, laßt uns im Geiste vor Freude jauchzen; denn erschienen ist der Tag, der uns Erlösung bringt, auf den die alten Zeiten hinwiesen, und der uns ewiges Glück beschert! Kehrt doch alljährlich das Geheimnis unseres Heiles wieder, jenes Geheimnis, das von Anfang an verheißen wurde, am Ende der festgesetzten Zeit in Erfüllung ging und endlos dauern soll« (Sermo 22, In Nativitate Domini, 2,1: PL 54,193).

Ich möchte kurz auch auf einen zweiten Aspekt hinweisen: Das Ereignis von Betlehem muß im Licht des Ostergeheimnisses betrachtet werden. Das eine wie das andere sind Teil des einen Erlösungswerks Christi. Die Menschwerdung und die Geburt Jesu laden uns bereits ein, den Blick auf seinen Tod und seine Auferstehung zu richten: Weihnachten und Ostern sind beides Feste der Erlösung. Ostern feiert die Erlösung als Sieg über Sünde und Tod: Es bezeichnet das Ende, an dem die Herrlichkeit des Gottmenschen strahlt wie der helle Tag. Weihnachten feiert die Erlösung als Eintreten Gottes in die Geschichte: Gott wird Mensch, um den Menschen zu Gott zu bringen. Es bezeichnet sozusagen den Anfang, an dem die Morgendämmerung aufzieht. Aber so wie die Morgendämmerung dem Tageslicht vorausgeht und es erahnen läßt, so kündigt Weihnachten bereits das Kreuz und die Herrlichkeit der Auferstehung an. Auch die zwei Jahreszeiten, in denen die beiden großen Feste begangen werden, zumindest in einigen Teilen der Welt, können dabei helfen, diesen Aspekt zu verstehen. Denn während Ostern auf den Beginn des Frühlings fällt, wenn die Sonne die dichten, kalten Nebel besiegt und das Antlitz der Erde erneuert, fällt Weihnachten genau auf den Beginn des Winters, wenn es dem Licht und der Wärme der Sonne nicht gelingt, die Natur zu wecken, die von der Kälte umhüllt ist, unter deren Decke jedoch das Leben pulsiert und der Sieg der Sonne und der Wärme aufs Neue beginnt.

Die Kirchenväter haben die Geburt Christi stets im Licht des ganzen Erlösungswerkes verstanden, das seinen Höhepunkt im Ostergeheimnis findet. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes erscheint nicht nur als Beginn und Voraussetzung des Heils, sondern als die Gegenwart des Geheimnisses unseres Heils: Gott wird Mensch, er wird wie wir als Kind geboren, er nimmt unser Fleisch an, um den Tod und die Sünde zu besiegen. Zwei bedeutsame Texte des hl. Basilius erläutern das gut. Der hl. Basilius sagte zu den Gläubigen: »Gott nimmt das Fleisch an, um den darin verborgenen Tod zu besiegen. Wie ein Gegengift, das man eingenommen hat, die Wirkungen des Giftes aufhebt und wie das Sonnenlicht die Finsternis aus dem Haus vertreibt, so wurde der Tod, der über die menschliche Natur herrschte, von der Gegenwart Gottes zerstört. Und wie das Eis im Wasser fest bleibt, solange Nacht und Finsternis herrschen, in der warmen Sonne aber sofort schmilzt, so wurde der Tod, der bis zur Ankunft Christi geherrscht hatte, ›verschlungen vom Sieg‹ (1 Kor 15,54), als die Gnade Gottes, des Retters, erschien und die Sonne der Gerechtigkeit aufging, da er nicht zusammen mit dem Leben existieren konnte« (Predigt über die Geburt Christi, 2: PG 31,1461). Und in einem anderen Text forderte der hl. Basilius auf: »Laßt uns das Heil der Welt feiern, die Geburt des Menschengeschlechts. Heute wurde die Schuld Adams vergeben. Jetzt müssen wir nicht mehr sagen: ›Staub bist du, zum Staub mußt du zurück‹ (Gen 3,19), sondern: Vereint mit ihm, der vom Himmel gekommen ist, wirst du in den Himmel aufgenommen werden« (Predigt über die Geburt Christi, 6: PG 31,1473).

Im Weihnachtsfest begegnen wir der Zärtlichkeit und Liebe Gottes, der sich über unsere Grenzen, über unsere Schwächen, über unsere Sünden beugt und sich bis zu uns erniedrigt. Der hl. Paulus sagt: »Er war Gott gleich … entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich« (Phil 2,6–7). Schauen wir auf die Grotte von Betlehem: Gott erniedrigt sich so sehr, daß er in eine Krippe gelegt wird. Das ist bereits der Auftakt der Erniedrigung in der Stunde seines Leidens. Der Höhepunkt der Liebesgeschichte zwischen Gott und dem Menschen geht durch die Krippe von Betlehem und das Grab von Jerusalem.

Liebe Brüder und Schwestern, laßt uns mit Freude das sich nähernde Weihnachtsfest leben. Laßt uns dieses wunderbare Ereignis leben: Der Sohn Gottes wird »heute« noch geboren, Gott ist einem jeden von uns wirklich nahe und will uns begegnen, will uns zu ihm bringen. Er ist das wahre Licht, das die Finsternis erhellt und vertreibt, die unser Leben und die Menschheit umgibt. Laßt uns das Fest der Geburt des Herrn leben und den Weg der unendlichen Liebe Gottes betrachten, der uns zu sich emporgehoben hat durch das Geheimnis der Menschwerdung, des Leidens, des Todes und der Auferstehung seines Sohnes, denn – wie der hl. Augustinus sagt – »in [Christus] hat die Göttlichkeit des eingeborenen Sohnes teil an unserer Sterblichkeit, damit auch wir an seiner Unsterblichkeit teilhaben können« (Ep. 187,6,20: PL 33,839–840). Vor allem betrachten und leben wir dieses Geheimnis in der Feier der Eucharistie, dem Mittelpunkt des Weihnachtsfestes; dort wird Jesus wirklich gegenwärtig, das wahre Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, das wahre Lamm, das für unser Heil geopfert wurde.

Ich wünsche euch allen und euren Familien, ein wirklich christliches Weihnachtsfest zu feiern, so daß auch die gegenseitigen guten Wünsche an diesem Tag Ausdruck der Freude seien über das Wissen, daß Gott nahe ist und mit uns den Weg des Lebens gehen will. Danke.

* * * 

Ganz herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Von den Hirten wollen wir lernen, uns aufzumachen zu Gott und ihn in unser Leben hereinzulassen. Eine Lebenszeit, die wir Gott widmen und von ihm her unseren Mitmenschen zuwenden, ist nie verlorene Zeit. Euch allen wünsche ich eine gnadenreiche und frohe Weihnachtszeit.

 

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