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BOTSCHAFT ANLÄSSLICH DER AUFFÜHRUNG DER
"MISSA SOLEMNIS" IM KÖLNER DOM

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Freitag, 29. Juli 2005

 

Zur Aufführung der »Missa solemnis« von Ludwig van Beethoven am 29. Juli im Kölner Dom sandte Papst Benedikt XVI. eine Video- Grußbotschaft. International renommierte Opernsänger und Musiker führten das Werk aus Anlaß des Weltjugendtages auf. Im folgenden der Wortlaut der Botschaft des Papstes.

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Kölner Domkonzert!

Von Anfang an hat zur heiligen Messe die Musik, das Singen gehört. Wenn der Mensch vor Gott steht, reicht ihm das bloße Reden nicht aus. Sowie ganz allgemein Liebe und Leid die Grenzen der bloßen Worte sprengen und einen Ausdruck suchen, der auch das Unsagbare einbegreift, so ist es auch in der Begegnung mit Gott, in der der Mensch sich selbst überschreiten will. Während das Beten Israels auch die Instrumente, die Stimmen der Schöpfung, zu Hilfe gerufen hatte, um Gott angemessen zu antworten, hat die Kirche zunächst aus vielerlei Gründen nur die menschliche Stimme für würdig gehalten, ihre Freude an Gott und ihr Ringen mit Gott auszudrücken.In der vergangenen Woche haben wir zweimal oder – mir scheint – dreimal das Gleichnis vom Sämann gehört, das ja eine tröstliche Parabel in einer anderen Situation ist, die aber in gewissem Sinn unserer Situation ähnelt.

So ist der gregorianische Choral entstanden, dessen innere Reinheit und Leuchtkraft uns auch heute ganz unmittelbar die Gegenwart Gottes spüren läßt. Im Mittelalter, in der Welt der Kathedralen, fing man an, nach noch mehr und nach Größerem zu suchen. Es entstand die Polyphonie. Zur Orgel, als einer Synthese der Stimmen der Schöpfung, traten nun auch die verschiedenen Instrumente. Alles sollte aufgeboten werden, um Gott zu lobpreisen. Von da an sahen es die großen Meister der Komposition als eine ihrer höchsten Möglichkeiten an, dem Gotteslob in der Liturgie der heiligen Messe musikalische Gestalt zu geben, Messen zu komponieren, gleichsam ihre Meisterschaft Gott selbst zu Füßen zu legen und dabei zugleich der Gemeinschaft der betenden Menschen zu dienen.

So hat auch Johann Sebastian Bach, obgleich evangelischer Christ, das unvergleichliche Werk der h-moll-Messe geschaffen, die doch wohl als eine innere Einheit komponiert ist und uns die Kraft eines Glaubens spüren läßt, durch den uns die Gegenwart Gottes von innen her anrührt. Auch für Beethoven, diesem in einer Wende der Zeiten ringenden und leidenden Menschen, war es offenbar ein inneres Muß nach der auf die liturgischen Möglichkeiten bedachten Messe in C, eine große Meßkomposition zu schaffen, in die er seine ganze Seele, die Leidenschaft seines Ringens mit Gott hineinlegte, ohne sich von der Frage nach der praktischen Realisierbarkeit des Werkes einengen zu lassen.

Die »Missa solemnis« ist nicht mehr eigentlich liturgische Musik. Das Subjekt mit seiner ganzen Leidenschaft und Größe tritt nun der veränderten Geschichtsstunde entsprechend in den Vordergrund. Auch der Glaube der Kirche ist jetzt nicht mehr als selbstverständliche Vorgabe da; die Gebetsworte der Menschen werden nun zu Wegen des Ringens um Gott, des Leidens an Gott und an sich selbst, aber so auch zu Stufen einer Leiter, an der der Mensch sich festhält, durch die er Gott festhält, ihm entgegengeht und so auch die Freude an Gott neu erfährt.

In diesem Sinn ist die »Missa solemnis« ein immer von neuem erschütterndes Zeugnis eines suchenden Glaubens, der Gott nicht losläßt und ihn über das Beten der Jahrhunderte neu ertastet. Die »Missa solemnis« gehört mit ihrer einzigartigen Größe der Welt des christlichen Glaubens zu, ist Gebet im tiefsten Sinn des Wortes: Sie macht uns zu Betenden. Sie führt uns zu Gott.

Dem WDR danke ich herzlich, daß er uns dieses Konzert schenkt, das mehr ist als ein Konzert. Dem »Royal Philharmonic Orchestra«, dem »London Philharmonic Choir«, den Solisten und dem Dirigenten Sir Gilbert Levine gilt gleichfalls unser aller herzlichster Dank.

 

© Copyright 2005 - Libreria Editrice Vaticana



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