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APOSTOLISCHE REISE
VON PAPST BENEDIKT XVI.
NACH BRASILIEN ANLÄSSLICH DER V. GENERALKONFERENZ
DES EPISKOPATS VON LATEINAMERIKA UND DER KARIBIK

TREFFEN MIT DEN JUGENDLICHEN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Stadion von Pacaembu, São Paulo
Donnerstag, 10. Mai 2007


Liebe Jugendliche! Liebe Freundinnen und Freunde!

»Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen … dann komm und folge mir nach« (Mt 19,21).

1. Nach der Begegnung mit euch auf dieser, meiner ersten Reise nach Lateinamerika habe ich mich sehr gesehnt. Ich bin gekommen, um die V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik zu eröffnen, die auf meinen Wunsch in Aparecida, hier in Brasilien, im Heiligtum Unserer Lieben Frau, stattfinden wird. Sie führt uns zu Füßen Jesu, damit wir von ihm über das Reich Gottes lernen, und sie ermutigt uns, seine Missionare zu sein, damit die Völker dieses »Kontinents der Hoffnung« in ihm das Leben in Fülle haben.

Eure Bischöfe hier in Brasilien haben sich in ihrer Vollversammlung im letzten Jahr dem Thema der Evangelisierung der Jugend gewidmet und euch ein Dokument in die Hand gegeben. Sie haben euch darum gebeten, es anzunehmen und es das ganze Jahr über zu vervollständigen. In der letzten Versammlung haben sie das Thema, das durch eure Mitarbeit bereichert wurde, wieder aufgegriffen, und sie möchten, daß die Überlegungen und Orientierungsvorschläge als Anregung und Leuchtfeuer für euren Weg dienen mögen. Die Worte des Erzbischofs von São Paulo und des Beauftragten für die Jugendpastoral, denen ich danke, bestätigen den Geist, der euer aller Herz bewegt.

Als ich gestern abend über Brasilien flog, dachte ich bereits an unsere Begegnung im Stadion von Pacaembu und hatte den Wunsch, euch alle mit einer großen, sehr brasilianischen Umarmung fest in die Arme zu schließen und die Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die ich im Innersten meines Herzens trage und die uns die heutige Lesung aus dem Evangelium sehr passend darlegt.

Ich habe bei solchen Begegnungen stets eine ganz besondere Freude empfunden. Insbesondere erinnere ich mich an den »XX. Weltjugendtag«, dem ich vor zwei Jahren in Deutschland vorstehen durfte. Auch einige von euch, die ihr hier anwesend seid, waren dort! Es ist eine bewegende Erinnerung aufgrund der überreichen Früchte der Gnade, die der Herr gewährt hat. Und die erste Frucht unter vielen, die ich entdecken konnte, war zweifellos die vorbildliche Brüderlichkeit unter allen, als eindeutiger Beweis der immerwährenden Lebenskraft der Kirche für die ganze Welt.

2. Darum, liebe Freunde, bin ich sicher, daß heute dieselben Eindrücke, die ich bei jener Begegnung in Deutschland hatte, erneuert werden. 1991 sagte der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. seligen Angedenkens bei seinem Besuch im Mato Grosso, daß die jungen Menschen die ersten Protagonisten des dritten Jahrtausends sind. Sie sind es, die das Geschick dieser neuen Etappe der Menschheit bestimmen werden (vgl. Ansprache an die Jugendlichen im Sportpalast der Universität des Bundesstaates Mato Grosso [Cuiaba], 16.10.1991). Heute drängt es mich, dasselbe zu euch zu sagen.

Der Herr schaut zweifellos mit Wertschätzung auf euer christliches Leben in den zahlreichen Pfarrgemeinden und in den kleinen kirchlichen Gemeinschaften, in den Universitäten, Kollegien und Schulen und vor allem auf den Straßen und an den Arbeitsplätzen der Städte und auf dem Land. Aber man muß vorangehen. Wir können niemals sagen: »Es ist genug«, denn die Liebe Gottes ist unendlich, und der Herr bittet uns oder, besser gesagt, er fordert von uns, daß wir unsere Herzen öffnen, damit in ihnen immer mehr Liebe, Güte und Verständnis für unsere Mitmenschen sei und für die Probleme, die nicht nur das menschliche Zusammenleben betreffen, sondern auch den effektiven Schutz und die Bewahrung der natürlichen Umwelt, zu der wir alle gehören. »Unsere Wälder besitzen mehr Leben«: Laßt diese Flamme der Hoffnung, die eure Nationalhymne auf eure Lippen legt, nicht verlöschen. Die Umweltzerstörung in Amazonien und die Bedrohung der Menschenwürde der dortigen Bevölkerung erfordern größeren Einsatz in den verschiedenen Bereichen, in denen die Gesellschaft zum Handeln aufruft.

3. Heute möchte ich mit euch über den Text des hl. Matthäus (vgl. 19,16–22) nachdenken, den wir gerade vernommen haben. Er spricht von einem jungen Mann, der auf Jesus zulief. Seine Ungeduld verdient hervorgehoben zu werden. In diesem jungen Mann erkenne ich euch alle, liebe Jugendliche Brasiliens und Lateinamerikas. Ihr seid zu unserer Begegnung aus den verschiedenen Teilen dieses Kontinents gekommen. Ihr wollt durch die Stimme des Papstes die Worte Jesu selbst hören.

Ihr habt ihm eine sehr wichtige Frage zu stellen, die das Evangelium wiedergibt. Es ist dieselbe Frage des jungen Mannes, der auf Jesus zulief: »Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« Ich möchte mit euch diese Frage vertiefen. Es geht um das Leben, das Leben, das in euch überreich und schön ist. Was soll man aus ihm machen? Wie soll man es in Fülle leben?

In der Formulierung der Frage sehen wir sofort, daß das »Hier« und »Jetzt« nicht ausreicht. Anders ausgedrückt: Es gelingt uns nicht, unser Leben nur auf Raum und Zeit zu begrenzen, so sehr wir es auch versuchen, seine Horizonte zu erweitern. Das Leben geht über sie hinaus. Mit anderen Worten: Wir wollen leben und nicht sterben. Wir spüren, daß etwas uns offenbart, daß das Leben ewig ist und man sich anstrengen muß, damit dies geschieht. Es liegt also in unseren Händen und hängt in gewisser Weise von unserer Entscheidung ab.

Die Frage des Evangeliums betrifft nicht nur die Zukunft. Sie betrifft nicht nur das Problem, was nach dem Tod geschehen wird. Im Gegenteil, es besteht hier und jetzt eine Verpflichtung gegenüber der Gegenwart, die Authentizität und folglich die Zukunft gewährleisten soll. Kurz gesagt, der Sinn des Lebens wird hinterfragt. Daher kann die Frage so formuliert werden: Was muß ich tun, damit mein Leben einen Sinn hat? Oder: Wie muß ich leben, um die Früchte des Lebens in Fülle zu ernten? Oder auch: Was muß ich tun, damit mein Leben nicht nutzlos vorübergeht?

Jesus ist der einzige, der uns eine Antwort geben kann, weil er der einzige ist, der uns das ewige Leben gewährleisten kann. Daher ist er auch der einzige, der den Sinn des gegenwärtigen Lebens aufzeigen und ihm Inhalt in Fülle verleihen kann.

4. Aber bevor er seine Antwort gibt, geht Jesus der Frage des jungen Mannes unter einem sehr wichtigen Gesichtspunkt nach: Was fragst du mich nach dem Guten? In dieser Frage liegt der Schlüssel zur Antwort. Der junge Mann spürt, daß Jesus gut ist und daß er Meister ist. Ein Meister, der nicht täuscht. Wir sind hier, weil wir derselben Überzeugung sind: Jesus ist gut. Es kann sein, daß wir den Grund für diese Wahrnehmung nicht ganz erklären können, aber sicher ist, daß sie uns ihm nahebringt und uns seiner Lehre gegenüber öffnet: ein guter Meister. Wenn jemand das Gute erkennt, dann bedeutet das, daß er liebt. Und jeder, der liebt, erkennt Gott – wie der hl. Johannes es so schön zum Ausdruck bringt (vgl. 1 Joh 4,7). Der junge Mann des Evangeliums hat Gott in Jesus Christus wahrgenommen.

Jesus versichert uns, daß nur Gott »der Gute« ist. Offen zu sein gegenüber dem Guten bedeutet, Gott anzunehmen. So lädt er uns ein, Gott in allen Dingen und in allen Ereignissen zu sehen, auch dort, wo die Mehrheit nur die Abwesenheit Gottes sieht. Wenn man die Schönheit der Geschöpfe sieht und das Gute, das in ihnen allen vorhanden ist, dann ist es unmöglich, nicht an Gott zu glauben und seine heilbringende und tröstende Gegenwart nicht zu erfahren. Wenn wir all das Gute sehen könnten, das es in der Welt gibt, und darüber hinaus das Gute erfahren könnten, das von Gott selbst kommt, dann würden wir niemals aufhören, uns ihm zu nähern, ihn zu loben und ihm zu danken. Er erfüllt uns ohne Unterlaß mit Freude und mit Gutem. Seine Freude ist unsere Kraft.

Aber unsere Erkenntnis ist nur bruchstückhaft. Um das Gute zu verstehen, brauchen wir Hilfen, die uns die Kirche bei vielen Gelegenheiten bietet, vor allem in der Katechese. Jesus selbst zeigt, was für uns gut ist, und gibt uns dadurch seine erste Katechese. »Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote!« (Mt 19,17). Er beginnt bei dem Wissen, das der junge Mann sicherlich bereits in seiner Familie und in der Synagoge erhalten hat: In der Tat kennt er die Gebote. Sie führen zum Leben, was bedeutet, daß sie uns Authentizität gewährleisten. Sie sind die großen Wegweiser, die uns den rechten Weg zeigen. Wer die Gebote beachtet, befindet sich auf Gottes Weg.

Es genügt jedoch nicht, sie zu kennen. Das Zeugnis ist wirksamer als das Wissen, oder, mit anderen Worten, es ist angewandtes Wissen. Die Gebote werden nicht von außen auferlegt, sie schmälern nicht unsere Freiheit. Im Gegenteil: Sie sind ein kraftvoller innerer Ansporn, der uns dazu bringt, unserem Handeln eine gewisse Richtung zu geben. Ihre Grundlagen sind die Gnade und die Natur, die uns nicht stillstehen lassen. Wir müssen gehen. Wir werden angetrieben, etwas zu tun, um uns zu verwirklichen. Sich durch das Handeln zu verwirklichen heißt in Wirklichkeit, sich selbst wirklich zu machen. Wir sind zum großen Teil von Jugend auf das, was wir sein wollen. Wir sind sozusagen das Werk unserer Hände.

5. An diesem Punkt wende ich mich wieder an euch, liebe Jugendliche, denn ich möchte auch von euch die Antwort des jungen Mannes aus dem Evangelium hören: Alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Der junge Mann des Evangeliums war gut. Er befolgte die Gebote. Er ging auf Gottes Weg. Daher sah Jesus ihn an, und er liebte ihn. Da er erkannte, daß Jesus gut war, zeigte er, daß auch er selbst gut war. Er hatte das Gute und daher Gott erfahren. Und ihr, liebe Jugendliche Brasiliens und Lateinamerikas, habt ihr schon entdeckt, was gut ist? Befolgt ihr die Gebote des Herrn? Habt ihr entdeckt, daß dies der wahre und einzige Weg zum Glück ist?

Die Jahre, die ihr durchlebt, sind die Jahre, die eure Zukunft vorbereiten. Das »Morgen« hängt sehr davon ab, wie ihr das »Heute« der Jugend lebt. Vor euren Augen, meine lieben Jugendlichen, liegt ein Leben, von dem wir wünschen, daß es lang sein möge; es ist jedoch nur eines, ein einziges: Laßt nicht zu, daß es nutzlos vorübergeht, vergeudet es nicht. Lebt mit Begeisterung, mit Freude, aber vor allem mit Verantwortungsbewußtsein.

Oftmals verspüren wir als Hirten die Sorge in unseren Herzen, wenn wir die gegenwärtige Situation betrachten. Wir hören von den Ängsten der Jugend von heute. Sie offenbaren uns einen enormen Mangel an Hoffnung: die Angst zu sterben, in dem Augenblick, in dem das Leben zur Entfaltung kommt und versucht, den eigenen Weg zur Verwirklichung zu finden; die Angst zu versagen, weil man den Sinn des Lebens nicht erkannt hat; die Angst, den Anschluß zu verlieren angesichts der erschütternden Schnelligkeit der Ereignisse und der Kommunikation. Wir wissen um die hohe Anzahl von Toten unter den Jugendlichen, die Bedrohung durch Gewalt und die beklagenswerte Ausbreitung der Drogen, die die Jugend von heute bis in die tiefsten Wurzeln erschüttert. Folglich ist daher die Rede von einer entgleisten Jugend.

Aber während ich euch, die hier anwesenden Jugendlichen, ansehe, die ihr Freude und Begeisterung ausstrahlt, nehme ich den Blick Jesu an: einen Blick der Liebe und des Vertrauens, in der Gewißheit, daß ihr den wahren Weg gefunden habt. Ihr seid die jungen Menschen der Kirche. Ich übertrage euch daher die große Sendung, die jungen Männer und Frauen zu evangelisieren, die in dieser Welt umherirren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Seid die Apostel der jungen Menschen. Ladet sie ein, mit euch zu gehen und wie ihr den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zu erfahren und Jesus zu begegnen, um sich wirklich geliebt und angenommen zu fühlen, mit der vollen Möglichkeit, sich zu verwirklichen. Mögen auch sie die sicheren Wege der Gebote entdecken, diese Wege gehen und so zu Gott gelangen.

Ihr könnt Protagonisten einer neuen Gesellschaft sein, wenn ihr versucht, euren Lebenswandel konkret an den universalen sittlichen Werten auszurichten und euch persönlich um eine lebenswichtige menschliche und geistliche Bildung zu bemühen. Ein Mann oder eine Frau, die nicht vorbereitet sind auf die echten Herausforderungen, die eine richtige Sichtweise des christlichen Lebens in ihrem jeweiligen Umfeld an sie stellt, werden leicht allen Angriffen des Materialismus und des Laizismus zum Opfer fallen, die auf allen Ebenen immer aktiver werden.

Seid freie und verantwortungsbewußte Männer und Frauen, macht die Familie zu einem Mittelpunkt, der Frieden und Freude ausstrahlt, seid Förderer des Lebens vom Anfang bis zu seinem natürlichen Ende, schützt die alten Menschen, denn sie verdienen Achtung und Bewunderung für das Gute, das sie euch getan haben. Der Papst erwartet sich auch, daß die jungen Menschen versuchen, ihre Arbeit zu heiligen, indem sie sie mit fachlicher Kompetenz und Sorgfalt durchführen, um beizutragen zum Fortschritt aller ihrer Brüder und um im Licht des Wortes alle menschlichen Tätigkeiten zu erleuchten (vgl. Lumen gentium, 36). Aber vor allem wünscht der Papst, daß sie Protagonisten einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft sein mögen und ihre Pflichten gegenüber dem Staat erfüllen: indem sie seine Gesetze achten, sich nicht von Haß und Gewalt leiten lassen, indem sie versuchen, Vorbilder zu sein für einen christlichen Lebenswandel im beruflichen und im sozialen Umfeld und indem sie sich auszeichnen durch Rechtschaffenheit in den gesellschaftlichen und beruflichen Beziehungen. Sie sollten daran denken, daß das maßlose Streben nach Reichtum und Macht zur persönlichen Korruption und der anderer führt; es gibt keine legitimen Gründe, die den Versuch rechtfertigen, die eigenen menschlichen Bestrebungen wirtschaftlicher oder politischer Natur mittels Betrug und Täuschung durchzusetzen.

Letztendlich gibt es ein außerordentlich großes Handlungsspektrum, in dem die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen besondere Bedeutung annehmen, wenn sie sich am Evangelium und an der Gesellschaftslehre der Kirche orientieren: der Aufbau einer gerechteren und solidarischeren, versöhnten und friedlichen Gesellschaft; das Bemühen, der Gewalt Einhalt zu gebieten; die Initiativen zur Förderung des vollen Lebens, der demokratischen Ordnung und des Gemeinwohls und besonders die Initiativen, die darauf abzielen, gewisse Formen der Diskriminierung innerhalb der lateinamerikanischen Gesellschaften zu beseitigen, und die kein Grund zum Ausschluß, sondern zur gegenseitigen Bereicherung sind.

Habt vor allem große Achtung für die Institution des Sakraments der Ehe. Es kann zu Hause kein wahres Glück geben, wenn nicht gleichzeitig Treue zwischen den Ehepartnern herrscht. Die Ehe ist eine Institution des Naturrechts, die von Christus zur Würde eines Sakraments erhoben wurde; sie ist ein großes Geschenk, das Gott der Menschheit gemacht hat. Achtet sie, ehrt sie. Gleichzeitig ruft Gott euch auf, euch gegenseitig zu achten, auch in der Zeit des Verliebtseins und der Verlobung, denn das Eheleben, das durch göttliche Weisung den verheirateten Paaren vorbehalten ist, wird nur in dem Maße Quelle des Glücks und des Friedens sein, in dem ihr die Keuschheit innerhalb und außerhalb der Ehe zu einem Bollwerk für eure Zukunftshoffnungen zu machen wißt. Ich sage hier noch einmal zu euch allen: »Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade dann verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen« (Enzyklika Deus caritas est, 5). Kurz gesagt, er verlangt einen Geist der Opferbereitschaft und des Verzichts um eines größeren Gutes willen, das die alles übersteigende Liebe Gottes ist. Versucht, mit Tapferkeit den Verlockungen des Bösen zu widerstehen, das in vielen Bereichen vorhanden ist, euch zu einem ausschweifenden und paradoxerweise leeren Leben verleitet und euch das kostbare Geschenk eurer Freiheit und eures wahren Glücks verlieren läßt. Die wahre Liebe wird »im Zugehen auf den anderen immer weniger nach sich selber fragen, immer mehr das Glück des anderen wollen, immer mehr sich um ihn sorgen, sich schenken, für ihn da sein wollen« (ebd., 7) und wird daher immer treuer, unauflöslicher und fruchtbarer sein.

Zählt dafür auf die Hilfe Jesu Christi, der dies mit seiner Gnade möglich machen wird (vgl. Mt 19,26). Das Leben im Glauben und im Gebet wird euch leiten auf den Wegen der Vertrautheit mit Gott und der Erkenntnis der Größe der Pläne, die er für jeden Menschen hat. »Um des Himmelreiches willen« (ebd., 12) sind einige zu einer totalen und endgültigen Hingabe berufen, um sich Gott im Ordensleben zu weihen, als »überaus hohe Gnadengabe«, wie das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hat (vgl. Perfectae caritatis, 12). Die Geweihten, die sich unter dem Antrieb des Heiligen Geistes ganz Gott hingeben, nehmen an der Sendung der Kirche teil, indem sie unter allen Menschen die Hoffnung auf das Himmelreich bezeugen. Daher segne ich alle Ordensleute, die sich im Weinberg des Herrn Christus und den Brüdern widmen, und rufe den göttlichen Schutz auf sie herab. »Die Personen des geweihten Lebens verdienen wirklich die Dankbarkeit der kirchlichen Gemeinschaft: die Mönche und Nonnen, die Kontemplativen, die Ordensleute, die sich den Werken des Apostolats widmen, die Mitglieder der Säkularinstitute und der Gesellschaften des apostolischen Lebens, die Einsiedler und die geweihten Jungfrauen. Ihre Existenz gibt Zeugnis von der Liebe zu Christus, wenn sie gemäß der Einladung des Evangeliums zu seiner Nachfolge aufbrechen und in tiefer Freude jenen Lebensstil annehmen, den Er für sich gewählt hat« (vgl. Kongregation für die Institute geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens, Instruktion Neubeginn in Christus, 5; O.R. dt., Nr. 27, 5.7.2002, S. 8). Ich wünsche, daß in diesem Augenblick der Gnade und der tiefen Gemeinschaft in Christus der Heilige Geist in den Herzen vieler junger Menschen eine leidenschaftliche Liebe für die Nachfolge und Nachahmung des keuschen, armen und gehorsamen Christus erwecken möge, der ganz der Herrlichkeit des Vaters und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern zugewandt ist.

6. Das Evangelium versichert uns, daß der junge Mann, der auf Jesus zulief, sehr reich war. Diesen Reichtum sollten wir nicht nur auf materieller Ebene verstehen. Das jugendliche Alter selbst ist ein einzigartiger Reichtum. Man muß ihn entdecken und wertschätzen. Jesus schätzte ihn so sehr, daß er am Ende den jungen Mann einlud, an seiner Heilssendung teilzunehmen. Er besaß alle Voraussetzungen, sich auf großartige Weise zu verwirklichen und ein großes Werk zu tun.

Aber das Evangelium berichtet uns, daß dieser junge Mann, als er die Einladung hörte, betrübt wurde. Er ging traurig und betrübt weg. Diese Episode läßt uns noch einmal über den Reichtum der Jugend nachdenken. Es handelt sich in erster Linie nicht um materielle Güter, sondern um das eigene Leben, mit den Werten, die zur Jugend gehören. Es kommt aus einem zweifachen Erbe: aus dem Leben, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und an dessen Ursprung Gott steht, der voller Weisheit und Liebe ist, und aus der Erziehung, die uns in die Kultur einfügt, so sehr, daß man fast sagen kann, daß wir mehr Kinder der Kultur und daher des Glaubens sind als Kinder der Natur. Aus dem Leben keimt die Freiheit, die sich, vor allem in dieser Phase, als Verantwortung zeigt. Es ist der große Augenblick der Entscheidung in zweifacher Hinsicht: erstens im Hinblick auf den Lebensstand und zweitens im Hinblick auf den Beruf. Es ergibt sich die Antwort auf die Frage: Was soll man aus dem eigenen Leben machen?

Mit anderen Worten, die Jugend erweist sich als Reichtum, weil sie zur Neuentdeckung des Lebens als Geschenk und als Aufgabe führt. Der junge Mann des Evangeliums kannte den Reichtum der eigenen Jugend. Er ging zu Jesus, dem guten Meister, um nach einer Orientierung zu suchen. In der Stunde der großen Entscheidung hatte er trotzdem nicht den Mut, alles auf Jesus Christus zu setzen. Folglich ging er betrübt und traurig weg. Das geschieht immer dann, wenn unsere Entscheidungen ins Wanken kommen und kleinherzig und eigennützig werden. Er verstand, daß ihm die Großherzigkeit fehlte, und dadurch konnte er sich nicht ganz verwirklichen. Er zog sich zurück auf seinen Reichtum und ließ diesen egoistisch werden.

Jesus bedauerte die Traurigkeit und die Kleinherzigkeit des jungen Mannes, der zu ihm gekommen war. Die Apostel, so wie ihr alle heute, füllten die Leere auf, die jener junge Mann hinterlassen hatte, der betrübt und traurig weggegangen war. Sie und wir sind glücklich, weil wir wissen, wem wir Glauben geschenkt haben (vgl. 2 Tim 1,12). Wir wissen und bezeugen mit unserem Leben, daß nur er Worte des ewigen Lebens hat (vgl. Joh 6,68). Daher können wir mit dem hl. Paulus ausrufen: Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! (vgl. Phil 4,4).

7. Mein heutiger Appell an euch, liebe Jugendliche, die ihr zu dieser Begegnung gekommen seid, ist: Vergeudet eure Jugend nicht. Versucht nicht, vor ihr zu fliehen. Lebt sie intensiv. Weiht sie den hohen Idealen des Glaubens und der menschlichen Solidarität.

Ihr, liebe Jugendliche, seid nicht nur die Zukunft der Kirche und der Menschheit, als sei dies gleichsam eine Art Flucht aus der Gegenwart. Im Gegenteil: Ihr seid die junge Gegenwart der Kirche und der Menschheit. Ihr seid ihr junges Gesicht. Die Kirche braucht euch als junge Menschen, um der Welt das Antlitz Jesu Christi zu zeigen, das in der christlichen Gemeinschaft sichtbar wird. Ohne dieses junge Gesicht wäre die Kirche entstellt.

Liebe Jugendliche, binnen kurzem werde ich die V. Konferenz der Bischöfe von Lateinamerika eröffnen. Ich bitte euch, ihre Arbeiten aufmerksam zu verfolgen, an ihren Diskussionen teilzunehmen und ihre Früchte anzunehmen. Ebenso wie es bei den vorausgegangenen Konferenzen der Fall gewesen ist, wird auch diese die nächsten zehn Jahre der Evangelisierung in Lateinamerika und in der Karibik bedeutend prägen. Niemand darf bei diesen Bemühungen der Kirche am Rande stehen oder ihnen gegenüber gleichgültig bleiben, und noch weniger die jungen Menschen. Ihr seid ein vollberechtigter Teil der Kirche, die das Antlitz Jesu Christi für Lateinamerika und die Karibik darstellt.

Ich grüße die französischsprachigen Einwohner des lateinamerikanischen Kontinents, und ich lade sie ein, Zeugen des Evangeliums und Protagonisten des kirchlichen Lebens zu sein. Mein Gebet gilt auf ganz besondere Weise euch Jugendlichen: Ihr seid berufen, euer Leben auf Christus und auf den menschlichen Grundwerten aufzubauen. Alle sollen sich eingeladen fühlen, am Aufbau einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens mitzuarbeiten.

Liebe junge Freunde, wie der junge Mann des Evangeliums, der Jesus fragte: »Was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?«, so sucht ihr alle nach den Wegen, um großherzig auf den Ruf Gottes zu antworten. Ich bete darum, daß ihr seine heilbringenden Worte hören mögt und seine Zeugen werdet für die Völker von heute. Gott gieße über euch alle seinen Segen des Friedens und der Freude aus.

Liebe Jugendliche, Christus beruft euch zur Heiligkeit. Er selbst lädt euch ein und will mit euch gehen, um mit seinem Geist die Schritte Brasiliens an diesem Anfang des dritten Jahrtausends des christlichen Zeitalters zu beseelen. Ich bitte die »Senhora Aparecida«, euch mit ihrer mütterlichen Hilfe zu führen und durch das Leben zu begleiten.

Gelobt sei unser Herr Jesus Christus!

 

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