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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN HERRN ALMIR FRANCO DE SÁ BARBUDA,
N
EUER BOTSCHAFTER BRASILIENS BEIM HEILIGEN STUHL

Montag, 31. Oktober 2011

 

Herr Botschafter!

Während ich das Beglaubigungsschreiben entgegennehme, mit dem Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Föderativen Republik Brasilien beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden, entbiete ich Ihnen meine respektvollen Willkommenswünsche und danke Ihnen für die bedeutsamen Worte, die Sie an mich gerichtet haben und in denen Sie die Empfindungen bekunden, die Sie beim Antritt dieser neuen Mission im Herzen tragen. Ich habe mit großer Freude die Grüße entgegengenommen, die Sie mir von Ihrer Präsidentin, Exzellenz Dilma Rousseff, überbracht haben, und bitte Sie, Herr Botschafter, ihr höflich meinen Dank dafür zu übermitteln und sie meiner ergebenen Wünsche für den besten Erfolg bei der Ausübung ihres hohen Auftrags sowie meiner Gebete für das Gedeihen und Wohlergehen aller Brasilianer zu versichern, deren Liebe, die ich bei meinem Pastoralbesuch im Jahr 2007 erfahren habe, meiner Erinnerung unauslöschlich eingeprägt geblieben ist. Ich sehe mit lebhafter Wertschätzung und tiefer Dankbarkeit die von den verschiedenen Regierungskreisen der Nation sowie auch von der diplomatischen Vertretung beim Heiligen Stuhl bekundete Bereitschaft zur Unterstützung des XXVIII. Weltjugendtages, der, so Gott will, im Jahr 2013 in Rio de Janeiro stattfinden wird.

Brasilien hat, wie Sie, Herr Botschafter, erwähnt haben, kurz nach Erlangung seiner Unabhängigkeit als Nation diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl aufgenommen. Das war der Höhepunkt der fruchtbaren gemeinsamen Geschichte Brasiliens und der katholischen Kirche, die mit jener ersten, am 26. April 1500 gefeierten Messe ihren Anfang genommen und Zeugnisse in so vielen Städten, die den Namen von Heiligen der christlichen Überlieferung erhielten, und in unzähligen religiösen Denkmälern hinterlassen hat, von denen einige zum Symbol weltweiter Identifikation des Landes erhoben worden sind, wie die Christusstatue mit den im Gestus der Segnung der ganzen Nation ausgebreiteten Armen. Doch über die materiellen Bauten hinaus hat die Kirche zur Formung des brasilianischen Geistes beigetragen, der von Großzügigkeit, Fleiß, Hochschätzung der Werte der Familie und Verteidigung des Lebens in allen seinen Phasen geprägt ist.

Ein wichtiges Kapitel dieser fruchtbaren gemeinsamen Geschichte wurde mit dem 2008 unterzeichneten Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der brasilianischen Regierung geschrieben. Dieses Abkommen, das weder eine Quelle von Privilegien für die Kirche noch ein Angriff auf die Laizität des Staates ist, hat nur zum Ziel, der Unabhängigkeit und der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Realitäten einen offiziellen und rechtlich anerkannten Charakter zu verleihen. Inspiriert von den Worten ihres göttlichen Stifters, der gebot, »dem Kaiser zu geben, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört« (Mt 22,21), hat die Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihre Stellung so formuliert: »Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen« (Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 76). Die Kirche hofft, daß der Staat seinerseits anerkennt, daß eine gesunde Laizität die Religion nicht als ein lediglich individuelles religiöses Empfinden betrachtet, das man in den privaten Bereich verbannen kann, sondern als eine Wirklichkeit, die auch in sichtbaren Strukturen organisiert ist, weshalb es notwendig ist, daß ihre öffentliche Präsenz als Gemeinschaft anerkannt wird.

Daher kommt es dem Staat zu, die Möglichkeit der freien Kultausübung jedes religiösen Bekenntnisses zu gewährleisten und ebenso seine kulturellen, erzieherischen und karitativen Aktivitäten, insoweit sie nicht im Widerspruch zur moralischen und öffentlichen Ordnung stehen. Der Beitrag der Kirche beschränkt sich also nicht auf konkrete soziale, humanitäre, erzieherische und andere derartige Initiativen, sondern er hat in besonderer Weise das ethische Wachstum der Gesellschaft im Blick, das gefördert wird durch vielfältige Ausdrucksformen der Öffnung für die Transzendenz und durch die Bildung der Gewissen, damit sie für die Erfüllung der Verpflichtung zur Solidarität empfänglich werden. Daher ist das zwischen Brasilien und dem Heiligen Stuhl unterzeichnete Abkommen die Gewähr, die es der kirchlichen Gemeinschaft erlaubt, alle ihre Möglichkeiten zum Wohl jedes einzelnen Menschen und der ganzen brasilianischen Gesellschaft zu entfalten.

Unter diesen Bereichen gegenseitiger Zusammenarbeit, Herr Botschafter, möchte ich hier den der Erziehung hervorheben, zu dem die Kirche mit unzähligen Bildungseinrichtungen beigetragen hat, deren Ansehen von der gesamten Gesellschaft anerkannt wird. Die Rolle der Erziehung läßt sich nämlich nicht auf eine bloße Weitergabe von Kenntnissen und Fähigkeiten beschränken, die auf eine Berufsausbildung abzielen, sondern sie muß sämtliche Facetten der Person einschließen, von ihrem sozialen Aspekt bis zu ihrem Streben nach Transzendenz. Aus diesem Grund ist es angebracht, noch einmal zu bekräftigen, daß der konfessionelle Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen, so wie es in dem oben genannten Abkommen von 2008 festgelegt wurde, keineswegs bedeutet, daß der Staat ein bestimmtes religiöses Bekenntnis annimmt oder auferlegt, sondern darauf hinweist, daß die Religion als ein Wert anerkannt wird, der für die ganzheitliche Bildung der Person notwendig ist. Und dieser erwähnte Unterricht darf nicht auf eine allgemeine Soziologie der Religionen verkürzt werden, denn es gibt keine allgemeine, konfessionslose Religion. Somit ist der konfessionelle Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen nicht nur keine Verletzung der Laizität des Staates, sondern gewährleistet das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder zu wählen und auf diese Weise zur Förderung des Gemeinwohls beizutragen. Schließlich weiß die brasilianische Regierung, daß sie im Bereich der sozialen Gerechtigkeit auf die Kirche als bevorzugten Partner bei all jenen Initiativen zählen kann, die die Beseitigung von Hunger und Elend zum Ziel haben. »Die Kirche kann und darf sich nicht an die Stelle des Staates setzen. Aber sie kann und darf im Ringen um Gerechtigkeit auch nicht abseits stehen« (Enzyklika Deus caritas est, 28), weshalb sie sich immer glücklich darüber zeigen wird, wenn sie zur Fürsorge für die Bedürftigsten beitragen kann, indem sie ihnen hilft, sich aus ihrer Situation von Elend, Armut und Ausgrenzung zu befreien.

Herr Botschafter, zum Abschluß dieser Begegnung wiederhole ich meine Wünsche für einen guten Verlauf Ihrer Mission. Bei deren Erfüllung werden Ihnen die verschiedenen Ämter der Römischen Kurie immer zur Verfügung stehen. Von Gott dem Allmächtigen erbitte ich auf die Fürsprache »Unserer Lieben Frau von Aparecida« reichen Segen für Sie persönlich, für alle Ihre Lieben und für die Föderative Republik Brasilien, die beim Heiligen Stuhl zu vertreten Sie ab heute die Ehre haben.

  

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