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PAPST FRANZISKUS

INTERRELIGIÖSE GENERALAUDIENZ

ZUM 50. JAHRESTAG
DER PROMULGATION DER KONZILSERKLÄRUNG 
"NOSTRA AETATE"

Petersplatz
Mittwoch, 28. Oktober 2015

[Multimedia]


 

Grußworte des Heiligen Vaters an die in der Aula Paolo VI versammelten Kranken:

Guten Tag euch allen! Ihr seid heute  hier, nicht weil wir euch ins Gefängnis verbannt hätten, sondern weil das Wetter schlecht war und es geregnet hat. Ich glaube, jetzt hat es aufgehört, aber es ist unbeständig, so habt ihr es hier bequemer und ruhiger und könnt die Audienz auf der Großleinwand sehen. Und ich werde den Leuten auf dem Platz sagen, dass ihr hier seid, und so grüßen wir uns und sind alle zusammen. Ich bitte euch, für mich zu beten, und ich bete für euch.

Ihr könnt Jesus die Schmerzen der Krankheit aufopfern: Krankheiten sind alle schlimm, alle; wir können sie Jesus aufopfern und vorangehen und um die Gnade bitten, in Traurigkeit und Schmerz nicht die Hoffnung zu verlieren.

Die Hoffnung wird uns Freude schenken. Jetzt beten wir gemeinsam ein Gegrüßet seist du, Maria, und ich gebe euch den Segen. [Ave Maria…]

Eine gute Audienz von hier aus und betet für mich!
 



Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Bei den Generalaudienzen sind oft Personen oder Gruppen anwesend, die anderen Religionen angehören. Heute ist diese Anwesenheit jedoch von ganz besonderer Art, um gemeinsam des 50. Jahrestages der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Nostra aetate über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen zu gedenken. Dieses Thema lag dem seligen Papst Paul VI. sehr am Herzen. Bereits ein Jahr vor Abschluss des Konzils hatte er am Pfingstfest das Sekretariat für die Nichtchristen errichtet, heute der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog. Ich bringe daher den Personen und Gruppen verschiedener Religionen, die heute hier anwesend sind, meinen Dank zum Ausdruck und begrüße sie sehr herzlich – besonders jene, die von weit her gekommen sind.

Das Zweite Vatikanische Konzil war eine außerordentliche Zeit der Reflexion, des Dialogs und des Gebets, um den Blick der katholischen Kirche auf sich selbst und auf die Welt zu erneuern. Eine Deutung der Zeichen der Zeit im Hinblick auf ein »Aggiornamento«, das an einer zweifachen Treue ausgerichtet ist: Treue zur kirchlichen Überlieferung und Treue zur Geschichte der Männer und Frauen unserer Zeit. Denn Gott, der sich in der Schöpfung und in der Geschichte offenbart hat, der durch die Propheten gesprochen hat und in ganzer Fülle in seinem menschgewordenen Sohn (vgl. Hebr 1,1), wendet sich an das Herz und den Geist eines jeden Menschen, der die Wahrheit sucht und nach Wegen, sie umzusetzen.

Die Botschaft der Erklärung Nostra aetate ist immer noch zeitgemäß. Ich rufe kurz einige Punkte in Erinnerung:

– die wachsende Abhängigkeit der Völker untereinander (vgl. Nr. 1);

– die menschliche Suche nach einem Sinn des Daseins, des Leidens, des Todes: Fragen, die unseren Weg stets begleiten (vgl. Nr. 1);

– der gemeinsame Ursprung und das gemeinsame Ziel der Menschheit (vgl. Nr. 1);

– die Einzigartigkeit der Menschheitsfamilie (vgl. Nr. 1);

– die Religionen als Suche nach Gott oder nach dem Absoluten in den verschiedenen Völkern und Kulturen (vgl. Nr. 1); – der wohlwollende und aufmerksame Blick der Kirche auf die Religionen: Sie lehnt nichts von  alledem ab, was in ihnen schön und wahr ist (vgl. Nr. 2); – die Kirche betrachtet die Gläubigen aller Religionen mit Hochachtung und schätzt ihr geistliches und sittliches Bemühen (vgl. Nr. 3); – die Kirche ist offen für den Dialog mit allen, und gleichzeitig ist sie der Wahrheit treu, an die sie glaubt, angefangen bei jener Wahrheit, dass das allen angebotene Heil seinen Ursprung in Jesus, dem einzigen Erlöser, hat und dass der Heilige Geist als Quelle des Friedens und der Liebe wirkt.

In diesen letzten 50 Jahren gab es viele Ereignisse, Initiativen, institutionelle und persönliche Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen, und man kann sie schwerlich alle in Erinnerung rufen. Ein besonders bedeutsames Ereignis war die Begegnung in Assisi am 27. Oktober 1986. Sie wurde vom heiligen Johannes Paul II. ins Leben gerufen und gefördert. Ein Jahr vorher – also vor 30 Jahren – hatte er in einer Ansprache an die jungen Muslime in Casablanca den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass alle an Gott Glaubenden Freundschaft und Einheit zwischen Menschen und Völkern fördern mögen (19. August 1985). Die in Assisi entzündete Flamme hat sich über die ganze Welt ausgebreitet und stellt ein bleibendes Zeichen der Hoffnung dar.

Besonders müssen wir Gott danken für den echten Wandel, den die Beziehung zwischen Christen und Juden in diesen 50 Jahren erfahren hat. Gleichgültigkeit und Gegnerschaft haben sich in Zusammenarbeit und Wohlwollen verwandelt. Von Feinden und Fremden sind wir zu Freunden und Brüdern geworden. Das Konzil hat durch die Erklärung Nostra aetate den Weg aufgezeigt: »Ja« zur Wiederentdeckung der jüdischen Wurzeln des Christentums; »Nein« zu jeder Form von Antisemitismus, Verurteilung jeder Beleidigung, Diskriminierung und Verfolgung, die daraus hervorgehen. Gegenseitige Kenntnis, Achtung und Wertschätzung sind der Weg, der in besonderer Weise für die Beziehung mit den Juden gilt, aber ebenso auf die Beziehungen zu den anderen Religionen zutrifft. Ich denke insbesondere an die Muslime, die – wie das Konzil in Erinnerung ruft – »den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat« (Nostra aetate, 3). Sie nehmen Bezug auf die Vaterschaft Abrahams, verehren Jesus als Propheten, ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, erwarten den Tag des Gerichts und üben Gebet, Almosen und Fasten (vgl. ebd.).

Der Dialog, den wir brauchen, muss offen und respektvoll sein: Dann erweist er sich als fruchtbar. Die gegenseitige Achtung ist die Voraussetzung und gleichzeitig das Ziel des interreligiösen Dialogs: das Recht des Anderen auf Leben achten, auf körperliche Unversehrtheit, auf die Grundfreiheiten, das heißt Gewissens-, Meinungs-, Gedanken- und Religionsfreiheit. Die Welt blickt auf uns Gläubige, sie mahnt uns, untereinander und mit den Männern und Frauen guten Willens, die sich zu keiner Religion bekennen, zusammenzuarbeiten. Sie bittet uns um konkrete Antworten zu zahlreichen Themen: Friede, Hunger, das Elend, von dem Millionen von Menschen betroffen sind, die Umweltkrise, die Gewalt – insbesondere jene, die im Namen der Religion ausgeübt wird –, die Korruption, der sittliche Verfall, die Krisen der Familie, der Wirtschaft, der Finanz und vor allem der Hoffnung. Wir Gläubige haben keine Patentrezepte für diese Probleme, aber wir haben eine große Ressource: das Gebet. Und wir Gläubige beten. Wir müssen beten. Das Gebet ist unser Schatz, aus dem wir den jeweiligen Traditionen gemäß schöpfen, um die Gaben zu erbitten, nach denen die Menschheit sich sehnt.

Aufgrund von Gewalt und Terrorismus hat sich eine Haltung des Misstrauens oder sogar der Verurteilung der Religionen verbreitet. Obgleich keine Religionsgemeinschaft vor der Gefahr fundamentalistischer oder extremistischer Verblendung bei Individuen oder Gruppen gefeit ist (vgl. Ansprache vor dem Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika, 24. September 2015), muss  man auf die positiven Werte blicken, die sie leben und anbieten und die Quelle der Hoffnung sind. Es geht darum, den Blick zu erheben, um voranzukommen. Der auf vertrauensvolle Achtung gegründete Dialog kann Samen des Guten in sich tragen, die wiederum zu Keimen der Freundschaft und der Zusammenarbeit auf vielen Gebieten werden, vor allem im Dienst an den Armen, den Geringen, den alten Menschen, in der Aufnahme der Migranten, in der Aufmerksamkeit für die Ausgegrenzten. Wir können gemeinsam vorangehen, indem wir füreinander und für die Schöpfung Sorge tragen. Alle Glaubenden jeder Religion. Gemeinsam können wir den Schöpfer loben, dass er uns den Garten der Welt geschenkt hat, auf dass wir ihn als gemeinsames Gut bebauen und hüten. Wir können gemeinsame Pläne verwirklichen, um die Armut zu bekämpfen und jedem Mann und jeder Frau würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten.

Das außerordentliche Jubiläum der Barmherzigkeit, das vor uns liegt, ist eine günstige Gelegenheit, um im Bereich der Werke der Nächstenliebe zusammenzuarbeiten. Und in diesem Bereich, in dem vor allem das Mitgefühl zählt, können sich uns viele Menschen anschließen, die sich nicht gläubig fühlen oder auf der Suche nach Gott und nach der Wahrheit sind – Menschen, die das Gesicht des Anderen, insbesondere das Gesicht des notleidenden Bruders oder der notleidenden Schwester, in den Mittelpunkt stellen. Die Barmherzigkeit, zu der wir berufen  sind, schließt jedoch die ganze Schöpfung ein, die Gott uns anvertraut hat, um ihre Hüter und nicht ihre Ausbeuter oder – noch schlimmer – ihre Zerstörer zu sein. Wir sollten uns stets vornehmen, die Welt besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben (vgl. Enzyklika Laudato si’, 194), begonnen bei der Umwelt, in der wir leben, bei den kleinen Gesten unseres täglichen Lebens.

Liebe Brüder und Schwestern, was die Zukunft des interreligiösen Dialogs betrifft, so ist das Erste, was wir tun müssen: beten. Und füreinander beten: Wir sind Brüder! Ohne den Herrn ist nichts möglich; mit ihm wird alles möglich! Möge unser Gebet – jeder seiner eigenen Tradition gemäß –, möge es dem Willen Gottes vollkommen treu sein, der wünscht, dass alle Menschen einander als Brüder erkennen und als solche leben und in der Eintracht der Vielfalt die große Menschheitsfamilie bilden.

* * *

Einen herzlichen Gruß richte ich an die Pilger deutscher Sprache, besonders an die Offiziale der verschiedenen österreichischen, niederländischen, schweizerischen und deutschen Diözesen, die zu einer Konferenz nach Rom gekommen sind. Ich begrüße auch aus Bayern den Montinichor und die Schülerinnen und Schüler der Maria-Ward-Realschule aus Burghausen. Bitten wir den Herrn, dass eure Pilgerreise nach Rom euch eine lebendige Erfahrung der Menschheitsfamilie und ihrer Einheit in der Vielheit vermittle. Gott segne euch alle.

 



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