Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - HR  - IT  - PL  - PT ]

PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 21. Oktober 2020

[Multimedia]


 

Katechese: 11. Psalmen, Schulen des Betens. 2

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wegen des Coronavirus müssen wir heute die Gestaltung dieser Audienz etwas verändern. Ihr haltet Abstand und tragt auch Schutzmasken, und ich bin hier etwas weiter entfernt und kann nicht das tun, was ich immer tue: nahe zu euch kommen. Denn immer, wenn ich euch nahekomme, rückt ihr alle zusammen, der Abstand geht verloren, und für euch besteht Ansteckungsgefahr. Es tut mir leid, das zu tun, aber es geschieht zu eurer Sicherheit. Statt dass ich nahe zu euch komme und euch die Hände schüttle, um euch zu begrüßen, begrüßen wir einander aus der Ferne, aber ihr sollt wissen, dass ich euch mit dem Herzen nahe bin. Ich hoffe, ihr versteht, warum ich das tue.

Außerdem hat, während die Lektoren den Abschnitt aus der Bibel gelesen haben, das weinende Kind – ein Junge oder ein Mädchen – meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Und ich habe gesehen, dass die Mutter das Kind liebkost und gestillt hat, und ich habe gedacht: »So macht Gott es mit uns, wie diese Mutter«. Wie zärtlich hat sie versucht, das Kind zu wiegen, zu stillen. Das sind wunderschöne Bilder. Und wenn so etwas in der Kirche passiert, wenn ein Kind weint, dann weiß man, dass dort die Zärtlichkeit einer Mutter ist, wie heute, dass dort die Zärtlichkeit einer Mutter ist: das Sinnbild der Zärtlichkeit, die Gott uns entgegenbringt. Wenn ein Kind in der Kirche weint, darf man es nie zum Schweigen bringen, nie, denn es ist die Stimme, die die Zärtlichkeit Gottes anzieht. Danke für dein Zeugnis. Wir schließen heute die Katechese über das Psalmengebet ab. Zunächst sehen wir, dass in den Psalmen oft eine negative Gestalt erscheint, die des »Frevlers«: also jenes Menschen – Mann oder Frau –, der so lebt, als gäbe es Gott nicht. Es ist der Mensch ohne jeden Bezug zur Transzendenz, der seine Arroganz nicht zügelt, der über das, was er denkt und was er tut, kein Urteil fürchtet. Aus diesem Grund präsentiert uns der Psalter das Gebet als die grundlegende Wirklichkeit des Lebens.

Der Bezug auf das Absolute und Transzendente hin – die Lehrer des geistlichen Lebens sprechen von der »Ehrfurcht vor Gott« – ist das, was uns wirklich menschlich macht, ist die Grenze, die uns vor uns selbst rettet und verhindert, dass wir uns räuberisch und gierig auf dieses Leben stürzen. Das Gebet ist die Rettung des Menschen. Gewiss gibt es auch ein falsches Gebet, ein Gebet, das nur dazu dient, von den anderen bewundert zu werden. Wer nur zur Messe geht, um zu zeigen, dass er katholisch ist, oder um das neueste Modell zu präsentieren, das er erworben hat, oder um gesellschaftlich einen guten Eindruck zu machen, der geht zu einem falschen Gebet. Jesus hat nachdrücklich davor gewarnt (vgl. Mt 6,5-6; Lk 9,14). Wenn jedoch der wahre Geist des Gebets aufrichtig angenommen wird und in das Herz einzieht, dann lässt es uns die Wirklichkeit mit Gottes Augen betrachten. Wenn man betet, bekommt alles »Tiefgang«. Das ist interessant beim Gebet: Vielleicht beginnen wir mit etwas Geringem, aber im Gebet bekommt es Tiefgang, bekommt es Gewicht, so, als würde Gott es in die Hand nehmen und verwandeln.

Der schlechteste Dienst, den man Gott und auch dem Menschen erweisen kann, ist es, müde zu beten, aus reiner Gewohnheit. Beten wie die Papageien. Nein, man betet mit dem Herzen. Das Gebet ist der Mittelpunkt des Lebens. Wenn das Gebet da ist, dann wird auch der Bruder, die Schwester, sogar der Feind wichtig. Ein alter Spruch der ersten christlichen Mönche lautet so: »Selig der Mönch, der – nach Gott – alle Menschen wie Gott betrachtet« (Evagrius Ponticus, Über das Gebet, Nr. 123). Wer Gott anbetet, liebt seine Kinder. Wer Gott achtet, achtet die Menschen. Darum ist das Gebet kein Beruhigungsmittel, um die Ängste des Lebens zu lindern; oder zumindest ist ein solches Gebet gewiss nicht christlich. Das Gebet weckt vielmehr das Verantwortungsbewusstsein eines jeden von uns. Das sehen wir deutlich im »Vaterunser«, das Jesus seine Jünger gelehrt hat.

Der Psalter ist eine großartige Schule, wenn man lernen will, so zu beten. Wir haben gesehen, dass die Psalmen nicht immer kultivierte und freundliche Worte benutzen und dass sie oft die Narben des Lebens tragen. Dennoch sind diese Gebete zunächst im Tempel von Jerusalem und dann in den Synagogen benutzt worden; auch die innerlichsten und persönlichsten. Der Katechismus der Katholischen Kirche bringt es so zum Ausdruck: »Die vielfältigen Ausdrucksformen des Psalmengebetes nehmen zugleich in der gemeinsamen Liturgie des Tempels und im Herzen des einzelnen Menschen Gestalt an« (Nr. 2588). Und so schöpft und nährt sich das persönliche Gebet aus dem Gebet, das zunächst das des Volkes Israel und dann das des Kirchenvolkes ist. Auch die Psalmen in der ersten Person Singular, die uns die innersten Gedanken und Probleme eines Individuums anvertrauen, sind kollektives Eigentum und werden sogar von allen und für alle gebetet. Das Gebet der Christen hat diesen »Atem«, diese geistliche »Spannung«, die den Tempel und die Welt zusammenhält. Das Gebet kann im Halbdunkel eines Kirchenschiffs beginnen, aber dann endet es seinen Lauf auf den Straßen der Stadt. Und umgekehrt kann es im täglichen Tun aufkeimen und in der Liturgie seine Erfüllung finden. Die Kirchentüren sind keine Barrieren, sondern durchlässige »Membranen«, die bereit sind, die Klage aller Menschen aufzunehmen. Im Gebet des Psalters ist die Welt stets gegenwärtig. Die Psalmen geben zum Beispiel der göttlichen Verheißung des Heils der Schwächeren eine Stimme: »Wegen der Unterdrückung der Schwachen, wegen des Stöhnens der Armen stehe ich jetzt auf, spricht der Herr, ich bringe Rettung dem, gegen den man wütet« (12,6). Oder sie warnen vor der Gefahr der weltlichen Reichtümer, denn »der Mensch in Pracht, doch ohne Einsicht, er gleicht dem Vieh, das verstummt« (49,21). Oder sie öffnen den Horizont auf den Blick Gottes auf die Geschichte: »Der Herr vereitelte den Ratschluss der Nationen, er machte die Pläne der Völker zunichte. Der Ratschluss des Herrn bleibt ewig bestehen, die Pläne seines Herzens durch alle Geschlechter« (33,10-11). Kurz gesagt, wo Gott ist, dort muss auch der Mensch sein.

Die Heilige Schrift ist kategorisch: »Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.« Er geht uns immer voran. Er wartet immer auf uns, weil er uns als Erster liebt, und als Erster anschaut, uns als Erster versteht. Er wartet immer auf uns. »Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.« Wenn du täglich viele Rosenkränze betest, aber dann über die anderen klatschst und Groll in dir trägst, Hass gegen die anderen hegst, dann ist das reine Affektiertheit, es ist keine Wahrheit. »Und dieses Gebot haben wir von ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben« (1 Joh 4,19-21). Die Heilige Schrift lässt zu, dass ein Mensch Gott zwar aufrichtig sucht, ihm jedoch nie begegnet; aber sie sagt auch, dass man nie die Tränen der Armen verleugnen darf, denn sonst kann man Gott nicht begegnen. Gott duldet nicht den »Atheismus« dessen, der das göttliche Abbild leugnet, das in jedem Menschen eingeprägt ist. Jener alltägliche Atheismus: Ich glaube an Gott, aber zu den anderen halte ich Abstand, und ich erlaube mir, die anderen zu hassen. Das ist praktischer Atheismus. Den Menschen nicht als Abbild Gottes zu erkennen ist eine Gotteslästerung, ist ein Gräuel, ist die schlimmste Beleidigung, die man dem Tempel und dem Altar zufügen kann. Liebe Brüder und Schwestern, das Psalmengebet möge uns helfen, nicht in die Versuchung der »Gottlosigkeit« zu geraten – also so zu leben und vielleicht auch zu beten, als gäbe es Gott nicht und als gäbe es die Armen nicht.

* * *

Sehr herzlich heiße ich die Pilger deutscher Sprache willkommen. Der Missionsmonat Oktober erinnert uns daran, dass im Gebet die Welt immer zugegen sein muss. Die erste Mission ist das Gebet, unsere Beziehung zum Herrn, die unseren Einsatz für das Evangelium und für das Heil der Menschen, vor allem der Armen, erst fruchtbar macht. Bitten wir den Herrn, dass wir wirklich missionarische Jünger sind.

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana