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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

»Skandalöse Christen« 

 Montag, 10. November 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 48, 28. November 2014

 

»Ärgernis, Vergebung und Glaube«: so lauten die drei eng miteinander verbundenen Worte, die der Papst in der Frühmesse am 10. November in der Kapelle des Hauses Santa Marta thematisierte. Es handelte sich dabei um Worte, die Franziskus dem in der Liturgie verlesenen Abschnitt aus dem Lukasevangelium (17,1-6) entnahm, wo »von drei Dingen die Rede ist: vom Ärgernis, von der Vergebung und vom Glauben«. Dies »sind drei Worte Jesu: vielleicht hat er sie nicht zusammen gesagt, im selben Augenblick, aber der Evangelist stellt sie zusammen.« Sie bildeten den roten Faden für die Meditation des Papstes.

Der erste dieser Begriffe, mit dem sich der Papst auseinandersetzte, war »das Ärgernis«. »Es beeindruckt mich«, so gestand er, »wie Jesus seine Rede beendet«. Denn nachdem er über das Ärgernis gesprochen habe, sage er: »Seht euch vor!« Er bediene sich starker Worte, um zu fordern, dass man »kein Ärgernis erregen« solle. Wie Lukas schreibt, sage er selbst, dass »es unvermeidlich ist, das Verführungen kommen«, er füge aber auch hinzu: »Aber wehe dem, der sie verschuldet! « Und noch eindeutiger: »Wehe dem, der einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt: das Volk Gottes, Menschen mit schwachem Glauben, Kinder, alte Menschen, die ihr ganzes Leben geglaubt haben… Wehe dem, der sie verführt! Lieber tot sein!« Jesus richte diese eindringlichen Worte auch »an uns, die Christen«. Und folglich »müssen wir uns diese Frage stellen: Errege ich Ärgernis?« Und zuerst: »Was ist ein Ärgernis?« Der Papst erläuterte in diesem Zusammenhang, dass ein Ärgernis »darin besteht, einen bestimmten Lebensstil vorzugeben und zu bekennen – ›ich bin ein Christ‹ – und dann zu leben wie ein Heide, der an nichts glaubt«. Und »das erregt Ärgernis, weil das Zeugnis fehlt: der bekannte Glaube ist gelebtes Leben.«

Diese Gedanken verband Franziskus mit der ersten Lesung aus dem Titusbrief (1,1-9): »Paulus schreibt seinem Schüler Bischof Titus und gibt ihm einige Ratschläge, wie sich Priester und Bischöfe als Verwalter Gottes verhalten sollen.« Und »er rät: ein Priester – sei er nun Pfarrer oder Bischof – muss unbescholten sein; er darf nicht überheblich sein, er darf die anderen Menschen nicht von oben herab anschauen; er darf nicht jähzornig sein, sondern sanftmütig; er soll kein Trinker sein, sondern spirituell, nicht Spirituosen zugeneigt; er darf nicht gewalttätig sein, sondern friedfertig; er soll nicht habgierig nach unrechten Verdiensten lechzen, darf nicht am Geld hängen, sondern er soll vielmehr gastfreundlich sein, das Gute lieben, besonnen, gerecht, fromm und beherrscht. Er muss ein Mann sein, der sich an das wahre Wort der Lehre hält, die er empfangen hat.« Denn »wenn ein Priester – sei er nun Pfarrer oder Bischof – nicht auf diese Weise lebt, dann erregt er Ärgernis, er gibt Ärgernis.« Und dann fühle man sich genötigt, ihm zu sagen: »Aber du bist der Lehrer, du sagst das Eine und lebst das Andere!« Daher bemerkte der Papst: »Wie viel Schaden fügen doch die Ärgernisse, die Priester erregen, dem Volk Gottes zu! Die Kirche leidet deshalb sehr!«

Diese Worte beträfen die Priester, seien aber auch »für alle anderen Christen« gültig. Die Tatsache, selbst kein Priester zu sein, rechtfertige es keineswegs »arrogant, jähzornig oder trunksüchtig zu sein«. Es handle sich um »allgemeingültige« Worte, bekräftigte der Papst. Man müsse stets bedenken: »Wenn ein Christ oder eine Christin, die in die Kirche gehen und in der Pfarrei aktiv sind, nicht so leben, dann erregen sie Ärgernis.« Franziskus fuhr fort: »Wie oft haben wir im übrigen gehört: ›Aber ich gehe nicht in die Kirche – ob Männer oder Frauen –, weil es besser ist, zuhause ehrlich zu sein, und sich nicht so zu verhalten wie dieser oder diese, die in die Kirche gehen und dann dies und jenes tun…« Man könne daran sehen, dass »das Ärgernis zerstört, es zerstört den Glauben.« Und »aus diesem Grund gebrauche Jesus harte Worte« und wiederhole: »Seht euch vor! Seht euch vor!« Denn: »Wir alle sind dazu imstande, Ärgernis zu erregen.«

Das zweite Wort aus dem Lukasevangelium laute »Vergebung«. Jesus spreche im Evangelium »von der Vergebung und empfiehlt uns«, so der Papst, »nicht müde zu werden, zu vergeben: immer zu vergeben. Und warum? Weil mir vergeben worden ist.« In der Tat »bin ich der erste, dem vergeben wurde. Und aus diesem Grund habe ich kein Recht, Vergebung zu verweigern: ich bin aufgrund der Vergebung, die mir selbst zuteil wurde, dazu gezwungen, den anderen Menschen zu vergeben.« Man müsse also »vergeben: einmal, zweimal, dreimal, siebenundsiebzig Mal, immer! Auch an ein und demselben Tag.« Und hier, so erklärte der Papst, habe Jesus in einem gewissen Sinne »übertrieben, um uns verständlich zu machen, wie wichtig die Vergebung ist«. Denn »ein Christ, der nicht imstande ist zu vergeben, erregt Ärgernis: er ist kein Christ.« Deshalb müsse man zu ihm sagen, »um ihn ein wenig zu erschrecken: Wenn du außerstande bist, zu vergeben, dann bist du auch außerstande, selbst Gottes Vergebung zu empfangen.« Kurzum, wir »müssen vergeben«, weil uns selbst »vergeben« wurde. Diese Wahrheit »ist im Vaterunser enthalten: Jesus hat es uns dort gelehrt«, so erinnerte der Papst. Sicher, so gab er zu, man könne diese Worte über die Vergebung »nicht mit Hilfe der menschlichen Logik verstehen«. In der Tat »drängt dich die menschliche Logik dazu, nicht zu vergeben, sie drängt auf Rache; sie bringt dich dazu, zu hassen, sie führt zur Trennung.« Und so sähen wir, »wie viele gespaltene Familien es gibt, weil sie einander nicht vergeben, wie viele Familien! Kinder, die sich von ihren Eltern entfernt haben, Mann und Frau, die sich voneinander entfernt haben…« Das sei also der Grund dafür, dass »es äußerst wichtig ist, so zu denken: Wenn ich nicht vergebe, dann habe ich anscheinend auch keinen Anspruch darauf, dass mir vergeben wird, oder aber ich habe nicht verstanden, was es bedeutet, dass mir der Herr vergeben hat.«

Gewiss, so bekräftigte der Papst von Neuem, »man kann nachvollziehen, dass die Jünger, als sie diese Dinge hörten, zum Herrn gesagt haben: Stärke unseren Glauben!« Denn »ohne den Glauben ist es unmöglich, ein Leben zu führen, ohne Ärgernis zu erregen und beständig zu vergeben. Wir benötigten das »Licht des Glaubens, dieses Glaubens, den wir empfangen haben, des Glaubens an einen barmherzigen Vater, an einen Sohn, der sein Leben für uns hingegeben hat, an einen Heiligen Geist, der in uns wohnt und uns hilft zu wachsen, des Glaubens an die Kirche, des Glaubens an das getaufte und heilige Gottesvolk. « Und »das ist ein Geschenk: der Glaube ist ein Geschenk. Niemand«, so Franziskus, »kann über Bücher, über den Besuch von Vorträgen, zum Glauben kommen.« Im Übrigen hätten die Apostel gerade weil »der Glaube ein Geschenk Gottes ist, das du erhältst, Jesus gebeten: ›Stärke unseren Glauben!‹«

Der Papst schloss mit der Anregung, gut »über diese drei Worte« nachzudenken: »das Ärgernis, die Vergebung und den Glauben«. Im Hinblick auf das Ärgernis, so fasste er zusammen, genüge es, sich »nur an diese Worte Jesu« zu erinnern: »Seht euch vor! Und das ist gefährlich«: In der Tat sei es besser, »mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen zu werden«, als Ärgernis zu erregen. Im Hinblick auf die Vergebung forderte der Papst auf, stets daran zu denken, dass uns als Erste vergeben wurde. Zum Aspekt des Glaubens schließlich betonte er, dass man ohne diesen »niemals ein Leben führen könnte, ohne Ärgernis zu erregen, und auch kein Leben der Vergebung«.

 



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