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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Das Evangelium in Griffweite

 Dienstag, 3. Februar 2015

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 7, 13. Februar 2015

 

Jeden Tag »zehn, fünfzehn Minuten und nicht länger« einen Abschnitt des Evangeliums lesen, dabei »den Blick fest auf Jesus gerichtet« halten, um »mich in die Szene hineinzuversetzen und so mit ihm zu sprechen, wie es mir mein Herz eingibt «: das sind die Merkmale des »kontemplativen Gebets«, der wahren Quelle der Hoffnung für unser Leben. So lautete die Anregung des Papstes in der Frühmesse am Dienstag, 3. Februar, die in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte.

Franziskus machte darauf aufmerksam, dass »der Verfasser des Hebräerbriefes (12,1-4) in der ersten Lesung an die allerersten Tage nach der Bekehrung, nach der Begegnung mit Jesus, erinnert, wie auch an das Gedenken an unsere Väter: ›Wie sehr haben sie gelitten, als sie aufgebrochen sind.‹« Gerade »im Hinblick auf diese Väter sagt er: ›Da auch uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt.‹« Also sei es »das Zeugnis unserer Vorväter«, das er »in Erinnerung ruft«. Und »er erinnert auch an unsere eigene Erfahrung, daran, wie glücklich wir bei unserer ersten Begegnung mit Jesus waren«. Das »ist die Erinnerung, die wir als einen Bezugspunkt des christlichen Lebens bezeichnet haben«.

Heute aber, so betonte der Papst, »spricht der Verfasser dieses Briefes über den anderen Bezugspunkt, das heißt über die Hoffnung«. Und »er sagt uns, dass wir den Mut aufbringen müssen, weiterzugehen: ›Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettlauf laufen, der uns aufgetragen ist.‹« Dann »sagt er, was der Hoffnung zugrunde liegt: ›auf Jesus blicken‹«. Gerade darum gehe es: »Wenn wir nicht auf Jesus blicken, dann können wir schwerlich Hoffnung haben.« Es sei nicht auszuschließen, »dass wir optimistisch sein können, dass wir positiv denken können, aber Hoffnung haben?«

Im Übrigen, so erläuterte Franziskus, »lernt man Hoffnung nur dadurch, dass man auf Jesus blickt, über Jesus nachdenkt; man lernt es durch das kontemplative Gebet«. »Das ist es, worüber ich heute sprechen möchte«, sagte er und fügte sofort hinzu: »Darf ich euch fragen: Wie betet ihr?« Man könne, so sagte er, beispielsweise antworten: »Vater, ich spreche die Gebete, die ich als Kind gelernt habe.« Und der Papst kommentierte: »In Ordnung, das ist gut.« Jemand anderes könnte noch hinzufügen: »Ich bete auch den Rosenkranz, und zwar jeden Tag!« Darauf der Papst: »Es ist gut, wenn man jeden Tag den Rosenkranz betet.« Schließlich könnte auch noch jemand sagen: »Ich spreche auch mit dem Herrn, wenn ich ein Problem habe, oder mit der Muttergottes oder mit den Heiligen…« Und auch »das ist gut«.

Angesichts dieser Antworten stellte der Papst gleichwohl noch eine weitere Frage: »Aber widmest du dich auch dem kontemplativen Gebet?« Eine Frage, die vielleicht ein wenig verblüffend wirkt, weshalb der eine oder andere fragen könnte: »Worum handelt es sich dabei, Vater? Was ist das für ein Gebet? Wo erhält man es? Wie geht das?« Die Antwort, die Franziskus erteilte, war eindeutig: »Man kann es nur mit dem Evangelium in der Hand tun.« Er schlug vor: »Du nimmst das Evangelium, suchst dir eine Stelle aus, liest sie einmal, liest sie ein zweites Mal; dann versetze dich so hinein, als könntest du sehen, was geschieht, und betrachte Jesus.«

Um einen praktischen Hinweis zu geben, nahm der Papst den Text des Tagesevangeliums (Mk 5,21-43) als Beispiel, das »uns viele schöne Dinge lehrt«. Mit diesem Text als Ausgangspunkt fragte er: »Wie stelle ich es an, das heutige Tagesevangelium zu betrachten?« Einen ersten Gedanken verband er mit seiner persönliche Erfahrung: »Ich sehe, dass Jesus mitten unter den Menschen war, um ihn herum war eine große Menschenmenge. Dieser Abschnitt wiederholt ganze fünf Mal das Wort ›Menge‹. Aber hat sich Jesus denn nicht ausgeruht? Ich denke etwa: Immer ist er von einer Menschenmenge umgeben! Der größte Teil des Lebens Jesu ereignete sich auf der Straße, inmitten einer Menschenmenge. Aber ruhte er denn nicht aus? Ja, einmal: Das Evangelium sagt, dass er auf dem Boot schlief, aber dann kam ein Sturm und die Jünger weckten ihn auf. Jesus war ständig mitten unter den Menschen.

« So »betrachtet man Jesus auf diese Art und Weise, ich betrachte Jesus so, so stelle ich mir Jesus vor. Und ich sage Jesus all das, was mir in den Sinn kommt und ich ihm sagen möchte.« Franziskus setzte seine Reflexion dann mit den folgenden Worten fort: »Dann war da mitten unter der Menge diese kranke Frau, und Jesus bemerkte sie. Aber wie kann Jesus unter so vielen Leuten bemerken, dass ihn eine Frau berührt hat?« Tatsächlich stelle er selbst die ganz direkte Frage: »Wer hat mein Gewand berührt?« Die Jünger ihrerseits hätten Jesus darauf hingewiesen: »Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: ›Wer hat mich berührt?‹« Der eigentliche Punkt, so präzisierte der Papst, sei, dass »Jesus nicht nur die Menge versteht, die Menge fühlt, sondern dass er den Herzschlag eines jeden von uns höre: er nimmt sich aller und auch jedes einzelnen Menschen an, immer!«

Der Papst setzte die Lektüre des Markustextes fort und erläuterte, dass sich diese Situation auch wiederholt habe, als sich »der Synagogenvorsteher « Jesus genähert habe, »um ihm von seiner schwerkranken Tochter zu erzählen. Und er lässt alles stehen und liegen und kümmert sich darum: Jesus im Großen wie im Kleinen, immer!« Dann, so fuhr er fort, »können wir weitergehen und sehen, wie er in dieses Haus kommt, das Durcheinander sieht, den Lärm hört, die Klageweiber, die man ruft, damit sie während der Totenwache weinen und jammern: Schreie, lautes Weinen«. Aber Jesus sage: »Seid still: das Kind schläft nur!« Als er das gesagt habe, hätten einige der Anwesenden gar angefangen, ihn auszulachen. Aber »er sagt nichts«, und bringe es fertig, diesen Augenblick mit seiner »Geduld« zu ertragen und denen nicht zu antworten, die ihn auslachten.

Der Höhepunkt dieser Begebenheit aus dem Evangelium sei »die Auferstehung des Mädchens «. Und »statt zu sagen: ›Auf geht’s, bei Gott!‹ sagt Jesus zu ihnen: ›Gebt ihr bitte etwas zu essen.‹ « Denn Jesus, so schloss der Papst, »denkt immer auch an die kleinsten Details«. »Das, was ich mit diesem Evangelientext getan habe«, so erläuterte dann Franziskus, »ist genau das, was kontemplatives Gebet ist: das Evangelium nehmen, es lesen und mich in die Szene hineinversetzen, mir vorstellen, was geschieht und so mit Jesus sprechen, wie es mir mein Herz eingibt.« Und »dadurch lassen wir unsere Hoffnung wachsen, weil wir den Blick fest auf Jesus gerichtet halten«. Daher forderte er auf: »Widmet euch diesem kontemplativen Gebet!« Und er regte an, dass man selbst bei zahlreichen Verpflichtungen immer die Zeit hierfür finden könne, etwa fünfzehn Minuten, zuhause: »Nimm das Evangelium, einen kurzen Abschnitt, stelle dir vor, was da geschehen ist und sprich mit Jesus darüber.« Auf diese Art und Weise »wird dein Blick fest auf Jesus gerichtet sein, und nicht etwa auf die Telenovela; dein Ohr konzentriert sich dann auf die Worte Jesu und weniger auf den Klatsch des Nachbarn oder der Nachbarin.«

»Das kontemplative Gebet hilft uns zu hoffen« und es bringt uns bei, »von dem zu leben, was der eigentliche Gehalt des Evangeliums ist«, unterstrich der Bischof von Rom. Und dazu müsse man »immerfort beten: die Gebete sprechen, den Rosenkranz beten, mit dem Herrn sprechen, aber sich auch diesem kontemplativen Gebet widmen, damit unser Blick fest auf Jesus gerichtet bleibt«. Von dorther komme die Hoffnung. Und so »bewegt sich unser christliches Leben in diesem Koordinatensystem zwischen Erinnerung und Hoffnung: Erinnerung an den ganzen bereits zurückgelegten Weg, Erinnerung an die zahlreichen Gnaden, die uns der Herr geschenkt hat – und Hoffnung: indem man den Herrn anblickt, den Einzigen, der mir Hoffnung schenken kann.« Und »um den Herrn anzuschauen, um den Herrn kennenzulernen, nehmen wir das Evangelium in die Hand und widmen wir uns diesem kontemplativen Gebet!«

Abschließend versäumte Franziskus nicht, erneut die Erfahrung des kontemplativen Gebets zu empfehlen: »Heute zum Beispiel«, regte er an, »nehmt euch zehn, fünfzehn Minuten Zeit, nicht mehr: lest das Evangelium, versetzt euch hinein und sagt etwas zu Jesus. Nichts weiter. Und dadurch wird eure Kenntnis Jesu zunehmen und eure Hoffnung wird wachsen. Vergesst nicht, dabei den Blick fest auf Jesus gerichtet zu halten!« Gerade deshalb heiße es auch »betrachtendes Gebet«.

 



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