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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Die Menschen ohne Namen

Donnerstag, 8. Oktober  2015

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 43, 23. Oktober 2015

 

Die eindringlichen Fragen nach dem »Warum?«, die Menschen inständig an Gott richten, kehren schwarz auf weiß auch in den zahlreichen Briefen wieder, die Papst Franziskus Tag für Tag erhält. Das hat er selbst gestanden, als er die Gefühle einer jungen Familienmutter angesichts einer tragischen Tumorerkrankung und jene einer alten Frau an die Öffentlichkeit brachte, die ihren von der Mafia ermordeten  Sohn beweint. Sie haben an den Papst geschrieben, um zu fragen, warum die Bösen glücklich zu sein scheinen, während bei den Gerechten immer  alles schiefgeht. Und gerade diese gewichtigen Fragen hat der Papst beantwortet, als er am Donnerstag, 8. Oktober, in der Kapelle des Hauses Santa Marta die Frühmesse feierte.

Bei seinen Reflexionen ging er aus von den Worten des 1. Psalms – »Gesegnet, wer auf den Herrn sich verlässt« – der so etwas wie »eine Antwort auf die Klagen vieler Menschen ist, auf viele ›Warum?‹, die wir an Gott richten«. Und diese »vielen ›Warum?‹ kommen gerade an der Bibelstelle aus dem Buch des Propheten Maleachi (3,13-20) vor, die Gegenstand der Ersten Lesung war.

»Der Herr«, so versicherte Franziskus, »beschwert sich bei diesem Volk, auch er beschwert sich, und spricht: ›Was ihr über mich sagt, ist kühn.‹« Und weiter »sagt der Herr, ihr geht hin und sagt: ›Was sagen wir denn über dich?‹ Ihr habt versichert: ›Es hat keinen Sinn, Gott zu dienen. Was haben wir davon, dass wir auf seine Anordnungen achten und vor dem Herrn der Heere in Trauergewändern umhergehen? Darum preisen wir die Überheblichen glücklich, denn die Frevler haben Erfolg; sie stellen Gott auf die Probe und kommen doch straflos davon.‹« »Wie oft«, so sagte der Papst, »sehen wir, dass das die Wirklichkeit ist angesichts schlechter Menschen; Menschen, die Böses tun und denen im Leben alles gut zu gehen scheint: sie sind glücklich, haben all das, was sie sich nur wünschen können, es mangelt ihnen an rein gar nichts.« Daher stelle sich die Frage: »Warum, Herr?« Ja, so versicherte der Papst, »das ist eines der vielen ›Warum‹: Warum geht diesem Menschen da, diesem unverschämten Kerl, dem Gott und seine Mitmenschen völlig egal sind, einem ungerechten und außerdem schlechten Menschen, im Leben alles gut, warum hat er alles, was sein Herz begehrt und wir, die Gutes tun, haben unzählige Probleme?«.

In diesem Zusammenhang gestand der Papst, er habe gerade am Tag zuvor »den Brief einer ›Mutter Courage‹ erhalten«: 40 Jahre alt, drei Kinder, einen Mann, und zuhause die Tragödie eines Tumors, »einen von der schlimmen Art«. Die Frau hatte an Franziskus geschrieben, um ihn zu fragen: »Aber warum stößt mir das zu?« Außerdem, so fügte der Papst hinzu, habe ihn »vor einigen Wochen« in »einem anderen Brief eine alte Frau, die allein geblieben ist, weil ihr Sohn von der Mafia ermordet worden ist« auch nach dem »Warum?« gefragt. Und hinzugefügt: »Ich bete.« Und noch »ein weiteres ›Warum?‹« in einem weiteren Brief: »Ich erziehe meine Kinder, mache weiter mit einer Familie, die Gott liebt: Warum?« »Diese ›Warum?‹«, so versicherte der Papst, stellten wir uns in Wirklichkeit alle. Vor allem aber fragten wir uns, »warum die schlechten Menschen so glücklich zu sein scheinen?« Diesen Fragen komme das Wort Gottes zu Hilfe. In der Lesung aus dem Buch Maleachi, so erinnerte der Papst, lese man gerade: »Der Herr horchte auf und hörte hin.« In der Tat »hört der Herr unsere ›Warum?‹, immer!« Und in der Schriftlesung zum Tage stehe weiter: »Man schrieb vor ihm ein Buch, das alle in Erinnerung hält, die den Herrn fürchten und seinen Namen achten. Sie werden an dem Tag, den ich herbeiführe (…) mein besonderes Eigentum sein.« Also, so fuhr Franziskus fort, »die Erinnerung Gottes an die Gerechten, an jene, die in diesem Augenblick leiden, die sich ihre Lage nicht zu erklären vermögen«. Ja, »die Erinnerung Gottes an jene, die dem Herrn vertrauen, obwohl sie ›Warum?‹, ›Warum?‹, ›Warum?‹ sagen«.

Und gerade das sei die Einstellung, die im 1. Psalm nachgezeichnet sei: »Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt.« »Jetzt«, so erläuterte der Papst, »können wir die Früchte dieser leidenden Menschen, dieser Menschen, die das Kreuz tragen, noch nicht sehen «, genauso wenig »wie man an jenem Karfreitag und jenem Karsamstag die Früchte des gekreuzigten Gottessohnes und seiner Leiden sehen konnte«. Und »alles, was er tut, wird gut gelingen«, so sagt der 1. Psalm.

Was sage dieser Psalm dagegen »über die Bösen, über diese Leute, denen unseres Erachtens alles gut geht?« Franziskus verlas noch einmal diese Verse: »Nicht so die Frevler: Sie sind wie Spreu, die der Wind verweht. Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, der Weg der Frevler aber führt in den Abgrund.« Kurz: »Es geht dir heute gut, du hast alles, Gott kümmert dich nicht, die anderen Menschen kümmern dich nicht, du beutest die anderen Menschen aus: du bist ein Ungerechter, du denkst nur an dich selbst und nicht an die Anderen.«

Aber, so meinte der Papst, »es gibt etwas, das Jesus gesagt hat und das mir immer in den Sinn kommt: ›Sage mir deinen Namen.‹« Ja, diese Leute wissen noch nicht einmal, wie sie heißen, »sie haben keinen Namen«. Und er erinnerte an das Gleichnis vom armen Lazarus, »der nichts zu essen hatte und dessen Schwären von den Hunden beleckt wurden«. Wogegen »der reiche Mann, der Bankette feierte, das Leben in vollen Zügen genoss, ohne auf die Bedürfnisse der anderen zu achten«.

Und »es ist kurios«, so merkte der Papst an, dass »der Name dieses Mannes nicht genannt wird«, sondern »dass er nur ein Adjektiv ist: er ist reich«. Tatsächlich »ist in Gottes Buch der Erinnerung der Name der bösen Menschen nicht verzeichnet: er ist ein Frevler, er ist ein Betrüger, er ist ein Ausbeuter«. Es seien Menschen, die »keinen Namen haben, die nur Adjektive haben«. All die hingegen, so betonte der Papst, »die sich bemühen, auf dem Weg des Herrn zu gehen, werden bei seinem Sohn sein, dessen Name lautet: Jesus, der Retter. Aber das ist ein schwer verständlicher Name, unerklärlich auch wegen der Prüfung des Kreuzes und wegen all dem, was Er für uns erlitten hat«.

Abschließend forderte Franziskus dazu auf, sich gerade an die Worte des 1. Psalms zu erinnern: »Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, (…) nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn.« Und der so, »obwohl er leidet, auf den Herrn hofft«. Gerade so, »wie wir im Tagesgebet gebetet haben, bittet er den Herrn darum, das hinzuzufügen, was sein Gewissen ›nicht zu hoffen wagt‹«. Ja, »er bittet auch hierum: dass ihm der Herr mehr Hoffnung schenken möge«.

 



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