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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Gott ist keine mathematische Gleichung

Freitag, 20. Mai 2016

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 22, 3. Juni 2016

 

»Heute sind bei dieser heiligen Messe acht Paare anwesend, die ihre Goldene Hochzeit feiern – das ist ein echtes Zeugnis in dieser Zeit einer Kultur des Provisorischen –, und ein Paar, das seine Silberne Hochzeit begeht.« Der Papst feierte die Frühmesse am 20. Mai in der Kapelle des Hauses Santa Marta für die Jubelpaare und sprach in der Predigt über die Ehe, um daran zu erinnern, dass Zeugnis von der Wahrheit zu geben auch heißt, verständnisvoll zu sein.

In den Schriftlesungen vom Tag werde die Aufmerksamkeit zunächst von der im Markusevangelium (10,1-12) geschilderten Szene angezogen: »Von Kafarnaum aus kam Jesus nach Judäa und in das Gebiet jenseits des Jordan«, und »wieder versammelten sich viele Leute bei ihm, und er lehrte sie, wie er es gewohnt war«. Der Protagonist sei »die Menge, die zu Jesus strömt: Er lehrte, und sie hörten zu.« All diese Menschen seien Jesus gerade deshalb gefolgt, weil sie ihm gerne zuhörten. Der Evangelientext sage, dass »er mit Vollmacht lehrte, anders als die Schriftgelehrten und Pharisäer«. Aus diesem Grunde »war die Menge, das Volk Gottes, auf der Seite Jesu«. Aber der Evangelist Markus bemerke, dass es »auf der anderen Seite« auch »diese kleinen Grüppchen von Pharisäern, Sadduzäern und Schriftgelehrten gab, die sich Jesus stets mit üblen Absichten näherten«. Das Evangelium sage klar und deutlich, dass es ihre Absicht gewesen sei, »ihn auf die Probe zu stellen«: Sie seien stets bereit gewesen, die klassische Bananenschale zum Einsatz zu bringen, »um Jesus ausrutschen zu lassen« und ihn so um seine »Vollmacht« zu bringen.

Diese Menschen, unterstrich der Papst, »waren vom Volk Gottes abgesondert: Es handelte sich um ein kleines Grüppchen aufgeklärter Theologen, die glaubten, im Besitz aller Wissenschaft und Weisheit dieser Welt zu sein.« Aber »da sie immer ihr eigenes ›theologisches Süppchen‹ kochten, waren sie in Kasuistik verfallen und konnten dieser Falle nicht mehr entkommen «. Daher hätten sie unentwegt wiederholt: »Man darf dieses nicht, man darf jenes nicht!« Jesus spreche »im 23. Kapitel des Matthäusevangeliums ausführlich über diese Menschen, und er beschreibt sie hervorragend«. »Es geht um die Ehe«, unterstrich Franziskus.

Ein Thema, das angesichts der anwesenden Jubelpaare »von der Vorsehung ausgewählt zu sein scheint«. Gleich »zwei Mal« stelle »die kleine Gruppe im Evangelium Jesus eine Frage über die Ehe«. Insbesondere »stellten einmal die Sadduzäer, die nicht an das ewige Leben glaubten, eine Frage über das Levirat [die Schwagerehe]«, also im Hinblick auf »jene Frau, die sieben Brüder geheiratet hatte und schließlich starb: Welcher von ihnen wird wohl im Jenseits ihr Gatte sein?« Eine Frage, die eigens mit der Absicht erdacht worden sei, »Jesus lächerlich zu machen«.

Die andere Frage hingegen habe gelautet: »Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?« Aber »in keinem der beiden Fälle lässt sich Jesus auf den spezifischen Fall ein, sondern geht darüber hinaus: Er bezieht sich auf die Vollendung der Ehe.« Der Papst erläuterte: »Im Fall der Leviratsehe bezieht sich Jesus auf die eschatologische Vollendung: ›Im Himmel werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel.‹« Er spreche über »die Fülle des Lichts, die von dieser eschatologischen Vollendung ausgeht«. So »erinnert Jesus an die Vollendung der Harmonie der Schöpfung: ›Von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen.‹« Es sei klar, dass »Jesus keinen Fehler macht. Er versucht keineswegs, vor ihnen eine gute Figur abzugeben: ›Gott erschuf sie als Mann und Frau‹«. Und er füge hinzu: »Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich mit seiner Frau vereinen. Und die Frau wird ihren Vater und ihre Mutter verlassen und sich mit ihrem Mann vereinen«, das sei mitgemeint. »Und die zwei werden ein Fleisch sein.« Das »ist etwas Großes«, kommentierte der Papst: »Eine Symbiose, ein Fleisch, und weiter: Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins.« Und: »Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.«

»Sowohl im Fall der Leviratsehe als auch in diesem Fall stehe Jesus für die gewaltige, überwältigende Wahrheit – das ist die Wahrheit! – ein, die Fülle, immer«, unterstrich Franziskus. Im Übrigen »verhandelt Jesus niemals über die Wahrheit«. Das »kleine Grüppchen aufgeklärter Theologen verhandelt dagegen immer über die Wahrheit und reduziert sie auf Kasuistik«. Im Gegensatz zu Jesus, der »nicht über die Wahrheit verhandelt: Das ist die Wahrheit über die Ehe: Es gibt keine andere Wahrheit.« Doch »Jesus ist so barmherzig, so groß, dass er niemals dem Sünder die Tür verschließt«. Das verstehe man, wenn er sie frage: »Was hat euch Mose vorgeschrieben? Was hat er befohlen?« Die Antwort laute, dass »Mose erlaubt hat, eine Scheidungsurkunde auszustellen «. Und »das ist wahr, das ist wahr«. Aber Jesus antworte: »Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben.«

Hier »steht auf der einen Seite die Fülle der Wahrheit, jene große, überwältigende Wahrheit, aber andererseits gibt es auch die menschliche Schwäche und Herzenshärte«. »Mose hat dies als Gesetzgeber getan, aber es muss klar bleiben: die Wahrheit ist das eine und das andere ist die Herzenshärte, der Zustand der Sünde von uns allen«. Daher »lässt Jesus hier die Tür offen für die Vergebung Gottes, aber zu Hause, gegenüber seinen Jüngern, wiederholt er die Wahrheit: ›Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch.‹« Jesus »sagt das ganz klar, ohne Umschweife: ›Auch wenn sie, aus der Ehe entlassen, einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.‹«

Das Evangelium offenbare uns »die Wahrheit, die Jesus uns gibt, die die ganze Wahrheit ist, von Gott empfangen, vom Vater. Diese Wahrheiten sind immer so.« Er zeige uns auch »die Art und Weise«, das heißt »wie Jesus sich gegenüber den Sündern verhält: mit der Vergebung, die Tür offen lassend«. Mit diesem Hinweis auf Mose »lässt er ein bisschen etwas für die Vergebung jener, denen es nicht gelungen ist, dieses Versprechen zu halten«. Im Übrigen sei auch »heute in dieser Welt, in der wir leben, mit dieser Kultur des Provisorischen, die Realität der Sünde sehr stark«.

»Wenn Jesus an Moses erinnert, dann sagt er uns, dass es die Härte des Herzens gibt, dass es die Sünde gibt.« Aber »etwas kann man tun: Vergebung, Verständnis, Begleitung, Integration, Unterscheidung dieser Fälle«. Verbunden mit dem Bewusstsein, dass »es niemals, niemals einen Ausverkauf der Wahrheit geben darf«. Jesus »ist in der Lage, diese große Wahrheit zu sagen und zugleich so verständnisvoll gegenüber den Sündern, den Schwachen zu sein«. Das »kleine Grüppchen aufgeklärter Theologen dagegen, die in Kasuistik verfallen, ist unfähig sowohl einen weiten Horizont zu haben als auch zu Liebe und Verständnis gegenüber der menschlichen Schwäche zu zeigen«.

»Wir sollten den Weg mit diesen beiden Dingen gehen, die Jesus uns lehrt: Wahrheit und Verständnis «, empfahl Franziskus. Und »das kann man nicht lösen wie eine mathematische Gleichung«, sondern nur »mit dem eigenen Fleisch: Das heißt, ich als Christ helfe jenem Menschen, jenen Ehen, die in Schwierigkeiten sind, die verletzt sind, ich helfe ihnen auf dem Weg, sich Gott zu nähern.« Die Tatsache bleibe bestehen, »dass dies die Wahrheit ist, aber da ist auch eine andere Wahrheit: Wir sind alle Sünder, wir sind alle auf dem Weg.« Und »es sei immer folgendes zu tun: wie man helfen kann, wie man begleiten kann, aber auch wie man jene, die heiraten wollen, die Wahrheit über die Ehe lehren kann«.

Es sei »eigenartig« festzustellen, dass Jesus »klare Worte verwendet, wenn er über die Wahrheit spricht Aber mit wie großer Milde behandelt er die Ehebrecher!« So sage er »zu jener Frau, die man vor ihn gebracht hat, um sie zu steinigen, mit großer Milde«: »Frau, hat keiner dich verurteilt? Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!« Und »mit wie großer Milde behandelt Jesus die Samariterin, die eine ganz schön lange Geschichte von Ehebrüchen aufzuweisen hatte«, wenn er zu ihr sage: »Geh, ruf deinen Mann!« und warte, dass sie sage: »Ich habe keinen Mann.«

Abschließend sprach Franziskus den Wunsch aus, »dass Jesus uns lehren möge, im Herzen eine tiefe Treue zur Wahrheit zu tragen und im Herzen zugleich großes Verständnis für all unsere Brüder und Schwestern in Schwierigkeiten zu haben und sie zu begleiten«. Und »das ist eine Gabe: Der Heilige Geist lehrt sie, nicht jene aufgeklärten Gesetzeslehrer, die die Fülle Gottes auf eine kasuistische Gleichung reduzieren müssen, um zu lehren.«

 



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