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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Vor dem Spiegel

Montag, 20. Juni 2016

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 27, 8. Juli 2016

 

Es gibt eindeutige, von Jesus vorgegebene Regeln, deren Befolgung uns davor bewahrt, zum Heuchler zu werden: nicht über die anderen urteilen, um nicht auch unsererseits nach dem selben Maßstab beurteilt zu werden. Und wenn wir versucht sein sollten, es doch zu tun, dann ist es besser, vorher einen Blick in den Spiegel zu werfen – und zwar keineswegs, um uns hinter der Schminke zu verstecken, sondern um gut zu sehen, wie wir wirklich sind. Papst Franziskus, der daran erinnerte, dass das einzige wahre Urteil dasjenige Gottes mit seiner Barmherzigkeit sei, empfahl in der Frühmesse, die er am Montag, 20. Juni, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, nicht der Versuchung nachzugeben, den Platz des Herrn einnehmen zu wollen und sein Wort anzuzweifeln. »Jesus spricht zum Volk und lehrt es viele Dinge im Hinblick aufs Gebet, auf die Reichtümer, auf Sorgen, die man sich über vergängliche Dinge macht, darüber, wie sich jemand verhalten soll, der sein Jünger sein will«, so bekräftigte Franziskus. Und so »kommt er zu jener Stelle des Evangeliums, wo vom Richten die Rede ist«, von der im Tagesevangelium (Mt 7,1-15) berichtet wird. Es sei dies ein Abschnitt, wo »der Herr sehr konkret wird«. Auch wenn der Herr uns in der Tat »einige Male ein Gleichnis erzählt, um uns etwas verständlich zu machen, so geht es hier ›zack, zack‹: ganz direkt, weil das Urteil etwas ist, das ausschließlich ihm zusteht«. Diese Tatsache beginnt mit einem eindeutigen Wort Jesu: »Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!« Denn »wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.«

»Wir alle hoffen, dass uns der Herr am Tag des Gerichts mit Wohlwollen anschaut, dass der Herr viele hässliche Dinge vergessen wolle, die wir im Lauf des Lebens begangen haben«, so sagte Franziskus. Und »das ist gerecht so, denn wir sind Kinder, und ein Kind erwartet sich das vom Vater: immer«. Aber »wenn du unentwegt über andere zu Gericht sitzt, dann wirst auch du selbst nach demselben Maß gerichtet werden: das ist klar«. »Erstens das Gebot, die Tatsache: ›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!‹«, so wiederholte der Papst und fügte hinzu: »Zweitens: der Maßstab, der angelegt werden wird, ist derselbe, den ihr bei euren Brüdern und Schwestern anlegt«. Und schließlich »der dritte Schritt: Betrachte dich im Spiegel, aber nicht etwa, um dich zu schminken, damit die Falten nicht mehr zu sehen sind; o nein, nein, nein, so lautet der Rat nicht!« Vielmehr, so empfahl Franziskus, »schau in den Spiegel, um dich genau zu betrachten, so wie du bist«. Die Worte Jesu seien eindeutig: »Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ›Lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!‹, und dabei steckt in deinem Auge ein Balken?«

»Wie wird uns der Herr einstufen«, so fragte sich der Papst, »wenn wir das tun? Nur ein einziges Wort: ›Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.« In Wirklichkeit dürfe uns die Reaktion des Herrn nicht überraschen, der »sich ärgert, und zwar sehr, und es hat auch den Anschein, dass er uns beleidigt: Er nennt diejenigen ›Heuchler‹, die über andere zu Gericht sitzen«. Der Grund dafür sei, dass »wer urteilt«, so erläuterte der Papst, »sich an den Platz Gottes stellt, sich selbst zu Gott macht und das Wort Gottes anzweifelt«. Genau das sei es, »wozu die Schlange unsere Stammeltern überredet hat: ›Nein, nein, Gott ist ein Lügner, wenn ihr von diesem Baum esst, werdet ihr sein wie er‹. Und sie wollten Gottes Platz einnehmen.« Deshalb, so insistierte der Papst, »ist es so häss lich, wenn man urteilt: das Urteil steht nur Gott zu, ihm allein!« Uns dagegen stehe »die Liebe, das Verständnis, das Beten für die anderen, wenn wir Dinge sehen, die nicht gut sind« an, und wenn nötig »auch mit ihnen zu sprechen«, um sie zu warnen, wenn etwas nicht so zu gehen scheine, wie es solle. Auf keinen Fall »urteilen, niemals«, denn »wenn wir urteilen, dann ist das Heuchelei«.

Im Übrigen, so versicherte Franziskus, »stellen wir uns, wenn wir urteilen, an den Platz Gottes, das ist wahr, aber unser Urteil ist ein jämmerliches Urteil: nie, niemals können wir ein wahres Urteil fällen«. Und zwar gerade deshalb, weil »das wahre Urteil jenes ist, das Gott fällt«. Und »warum kann unser Urteil nicht so sein wie das Urteil Gottes? Weil Gott allmächtig ist und wir nicht? Nein: weil es unserem Urteil an Barmherzigkeit mangelt«. Und »wenn Gott urteilt, dann urteilt er mit Barmherzigkeit«.

Abschließend regte der Papst an, heute an das zu denken, »was der Herr uns sagt: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!; nach dem Maß, mit dem wir messen, wird auch uns zugeteilt werden; und drittens sollten wir uns genau im Spiegel anschauen, bevor wir urteilen«. Und daher sei es, wenn wir Lust bekämen, zu sagen: »Die da tut dies, der da tut das«, besser, in den Spiegel zu schauen, bevor wir den Mund öffnen«. Sonst »werde ich zum Heuchler«, so wiederholte Franziskus, »weil ich Gottes Platz einnehme«. Und ohnehin »ist mein Urteil ein armseliges Urteil: es fehlt etwas sehr Wichtiges, das hingegen in Gottes Urteil enthalten ist: es fehlt die Barmherzigkeit «. Der Herr, so brachte der Papst den Wunsch zum Ausdruck, »möge uns diese Dinge gut verstehen lassen«.

 



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