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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Als ob nichts geschehen wäre

Donnerstag, 16. März 2017
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 13, 31. März 2017)

 

Die Obdachlosen, die neuen Armen ohne Geld für die Miete, die Arbeitslosen und die Kinder, die um Almosen betteln – ungern gesehen, weil sie zu »jenen Leuten gehören, die stehlen« – sie scheinen mittlerweile zum »Panorama der Stadt« zu gehören. Fast »wie eine Statue, die Bushaltestelle, das Postamt«. Und sie werden mit derselben Gleichgültigkeit behandelt, als existierten sie nicht, als sei ihre Situation sogar »normal« und komme nicht dazu, an das Herz zu rühren. Doch so rutscht man »von der Sünde in die Korruption« ab, für die es kein Heilmittel gibt, warnte Papst Franziskus in der Messe am Donnerstagmorgen, 16. März. Es ist also so, betonte der Papst, als dächten wir, mit »einem ›Gegrüßt seist du, Maria‹ und einem Vaterunser« davonzukommen und dann weiterzuleben, »als sei nichts geschehen«, selbst wenn man im Fernsehen und in den Zeitungen Kinder sieht, die von einer auf ein Krankenhaus oder eine Schule abgeworfenen Bombe getötet wurden.

»Im Eröffnungsvers«, merkte der Papst sofort in seiner Predigt an und zitierte dabei Psalm 139 (23-24), »haben wir gebetet: ›Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Sieh her, ob ich auf einem Weg bin, der dich kränkt, und leite mich auf dem Weg, der zum ewigen Leben führt‹«. Denn »wir können einen Weg der Lüge, des Scheins beschreiten: etwas tritt in Erscheinung, doch die Wirklichkeit ist eine andere«. Gerade »aus diesem Grund bitten wir den Herrn, dass er die Wahrheit unseres Lebens erforsche: und wenn ich einen Weg der Lüge beschreite, dass er mich auf den Weg des Lebens führe, des wahren Lebens«.

»Dieses Gebet«, erklärte Franziskus, »steht in Harmonie mit dem, was uns der Prophet Jeremia in der ersten Lesung sagt« (17,5-10), wenn er »diese beiden Optionen« vorlegt, »die Säulen des Lebens sind: ›Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut. Gesegnet der Mann, der auf den Herrn sich verlässt.‹« Also: »Verflucht und gesegnet.« Auf der einen Seite ist da »der Mensch, der auf den Menschen vertraut, auf Fleisch sich stützt, das heißt: auf die Dinge, die er erledigen kann, auf die Eitelkeit, auf den Stolz, auf die Reichtümer, auf sich selbst«, und »er fühlt sich, als sei er ein Gott, er wendet sein Herz vom Herrn ab«. Gerade »diese Abwendung vom Herrn ›wird das Gute nicht kommen sehen‹«, schreibt der Prophet Jeremia. Und der Mensch »wird wie ein kahler Strauch in der Steppe sein«, das heißt »ohne Frucht, er wird nicht fruchtbar sein: alles endet mit ihm, er wird kein Leben hinterlassen, er verschließt sich jenen Weg mit dem eigenen Tod, da er sein Vertrauen auf sich selbst setzte«.

»Dagegen ›gesegnet der Mann, der auf den Herrn sich verlässt und dessen Hoffnung der Herr ist‹«, sagte der Papst und wiederholte dabei wieder die Worte Jeremias. Denn jener Mensch »vertraut auf den Herrn, er hält sich am Herrn fest, er lässt sich vom Herrn führen«. Wer auf den Herrn vertraut, wird, wie Jeremia schreibt, »wie ein Baum sein, der am Wasser gepflanzt ist und am Bach seine Wurzeln ausstreckt. Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt«. Mit einem Wort: »Er wird Frucht tragen.« Während jener, der auf sich selbst vertraut, »›wie ein kahler Strauch in der Steppe‹ sein wird, unfruchtbar«.

»Diese Entscheidung« also, so der Papst, »zwischen zwei Lebensweisen, die dann Säulen des Lebens werden, kommt aus dem Herzen: die Fruchtbarkeit des Menschen, der auf Gott vertraut, und die Sterilität des Menschen, der auf sich selbst setzt, auf seine Dinge, auf seine Welt, auf seine Phantasien oder auch auf seine Reichtümer, auf seine Macht«. Jeremia unterlässt es nicht, uns zu warnen: »Sei vorsichtig, vertraue nicht deinem Herzen: ›Arglistig ohnegleichen ist das Herz und unverbesserlich!‹« Unser Herz also »verrät uns, wenn wir nicht vorsichtig sind, wenn wir nicht ständig wachsam sind, wenn wir faul sind, wenn wir mit Leichtigkeit leben, ein wenig so, und nur die Dinge in den Blick nehmen«. Und »dieser Weg ist gefährlich, es ist ein rutschiger Weg, wenn ich allein auf mein Herz vertraue: denn es ist unverbesserlich, es ist gefährlich«.

Gerade dies, fuhr der Papst fort und ging auf den Abschnitt aus dem Lukasevangelium (16,19.31) ein, »ist jenem reichen Herrn des Evangeliums geschehen: wenn ein Mensch in seinem verschlossenen Umfeld lebt, atmet er jene Luft seiner Güter, seiner Zufriedenheit, seiner Eitelkeit, seiner Sicherheit, und er vertraut nur auf sich selbst, er verliert die Orientierung, er verliert den Kompass und weiß nicht, wo seine Grenzen sind«. Sein Problem ist, dass »er nur dort lebt: er geht nicht aus sich heraus«.

Es ist dies die Geschichte des reichen Mannes, von dem Jesus im Bericht des Lukas spricht: »Er lebte gut, es fehlte ihm nichts, er hatte viele Freunde«, denn »wenn Geld da ist, dann sind da auch Freunde, und wenn kein Geld da ist, dann gibt es keine Feste, die Freunde fliegen aus, sie gehen «. Jener Mann also »war immer mit den Freunden zusammen, auf den Festen«, doch an seiner »Tür war da jener Arme«. Aber »er wusste, wer jener Arme war – er wusste es! – denn als er dann zum Vater Abraham spricht, sagt er: ›Schick Lazarus zu mir!« Deshalb »wusste er auch, wie er hieß, aber er war ihm egal«. Nun: »War er ein Sünder? Ja. Aber von der Sünde kann man sich abkehren, man bittet um Vergebung und der Herr vergibt«. Was dagegen jenen reichen Mann betrifft, »hat ihn das Herz bis zu dem Punkt auf einen Weg des Todes geführt, dass man nicht zurückkehren kann: es ist da ein Punkt, ein Moment, eine Grenze, bei der es schwierig ist, umzukehren«. Und »das ist dann der Fall, wenn die Sünde sich in Korruption verwandelt«.

Der Papst erklärte: deshalb war jener reiche Mann »kein Sünder, er war ein Korrupter. Denn er wusste um das viele Elend, doch er war glücklich und es war ihm egal«. So erklingen erneut die Worte Jeremias: »Verflucht der Mensch, der auf sich selbst vertraut, der auf sein Herz vertraut, ›arg listig ohnegleichen ist das Herz und unverbesserlich‹, und wenn du auf jenem Weg der Krankheit bist, wird es schwer sein, dass du genest«.

An diesem Punkt schlug Franziskus eine Gewissenserforschung vor: »Ich stelle heute an euch alle eine Frage: was spüren wir im Herzen, wenn wir auf der Straße unterwegs sind und einen Obdachlosen sehen, wenn wir die Kinder sehen, die allein sind und um Almosen betteln?« Vielleicht denken wir, dass »das die jenen Leuten da sind, die stehlen«. Aber »was spüre ich, wenn ich die Obdachlosen sehe, die Armen, die Verlassenen, auch jene gut gekleideten Obdachlosen, weil sie kein Geld haben, um die Miete zu zahlen, weil sie keine Arbeit haben?«. Und »ist all das Teil des Panoramas, der Landschaft einer Stadt, wie eine Statue, die Bushaltestelle, das Postamt: und auch die Obdachlosen sind Teil der Stadt? Ist das normal? Seid vorsichtig, seien wir vorsichtig! Wenn diese Dinge in unserem Herzen wie normal klingen – ›aber ja doch, so ist das Leben, ich esse, ich trinke, aber um mein Schuldgefühl etwas abzuschwächen, gebe ich etwas und gehe weiter‹ – ist der Weg nicht in Ordnung«.

Wenn wir derartige Gedanken hegen, heißt das, dass »wir in jenem Moment auf jenem rutschigen Weg sind«, der »von der Sünde zur Korruption « führt. Daher, fuhr der Papst fort, ist es angebracht, uns zu fragen: »Was spüre ich, wenn ich in den Nachrichten, in den Zeitungen sehe, dass dort eine Bombe gefallen ist, auf ein Krankenhaus, und viele Kinder gestorben sind, auf eine Schule, die armen Leute?« Vielleicht »spreche ich ein ›Gegrüßt seist du, Maria‹ und ein Vaterunser und lebe dann weiter, als ob nichts geschehen wäre«. Dagegen ist es gut, sich zu fragen, ob das Drama so vieler Menschen »in mein Herz vordringt « oder ob ich »wie jener Reiche« bin, von dem das Evangelium spricht, dem »Lazarus, dessen sich die Hunde mehr erbarmten, nie ins Herz eintrat«. Und »sollte ich sein wie jener Reiche, wäre ich auf dem Weg von der Sünde zur Korruption«.

»Deshalb bitten wir den Herrn, beschloss Franziskus und erinnerte an die Worte des Psalms 139 des Eröffnungsverses: ›Erforsche mich, Herr, und erkenne mein Herz. Schau, ob mein Weg falsch ist, ob ich mich auf jenem rutschigen Weg von der Sünde hin zur Korruption befinde, aus der man nicht zurückkehren kann.‹« Denn »wenn der Sünder bereut, kehrt er gewöhnlich zurück; beim Korrupten ist das schwer, denn er ist in sich selbst verschlossen«. Deshalb »ist das Gebet, das heute zu beten ist«, gerade dieses: »Erforsche mich, Herr, und erkenne mein Herz und lass mich begreifen, auf welchem Weg ich mich befinde, auf welchem Weg ich gehe.«

 



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