Index   Back Top Print

[ DE ]

PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

Wahre Demut

Dienstag, 5. Dezember 2017

 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 2, 12. Januar 2018)

 

Am Anfang des Wegs durch den Advent verwies Papst Franziskus bei der Messe in Santa Marta am Dienstag, den 5. Dezember, auf zwei grundlegende Aspekte für jeden Christen: die Aufgabe, die es zu verfolgen gilt, und den einzuhaltenden Stil. Dabei konzentrierte er sich auf die erste Lesung vom Tag aus dem Buch des Propheten Jesaja (11,1-10).

Es handle sich um einen Abschnitt, der »vom Kommen des Herrn spricht, von der Befreiung, die Gott seinem Volk bringen wird, von der Erfüllung der Verheißung«. Der Prophet kündige an, dass »ein Reis aus der Wurzel Isais hervorwächst«. Auf diesen ersten Ausdruck lenkte der Papst zunächst die Aufmerksamkeit und unterstrich, dass von einem »jungen Trieb« die Rede sei, »klein wie ein Keim«, auf dem aber »sich der Geist des Herrn niederlassen wird, Geist der Weisheit und der Einsicht, Geist des Rates und der Stärke, Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht«, das heißt »die Gaben des Heiligen Geistes«. Das also sei der erste grundlegende Aspekt: »von der Kleinheit des Triebs zur Fülle des Geistes. Das ist die Verheißung, das ist das Reich Gottes.« Dieses Reich, fügte Franziskus hinzu, »beginnt im Kleinen. Es kommt aus einer Wurzel, es keimt auf, ein Spross: Es wächst, es geht weiter – weil da der Geist ist – und es gelangt zur Fülle.«

Dies sei eine Dynamik, so der Papst weiter, die auch in Jesus selbst zu finden sei, der »sich seinem Volk in der Synagoge von Nazareth« auf dieselbe Weise vorstelle. Er sage nicht: »Ich bin der Spross«, sondern er trete in Demut auf und erkläre: »Der Geist ist auf mir«, in dem Bewusstsein, gesandt worden zu sein, »um die frohe Botschaft zu überbringen, und zwar den Armen«. Dieselbe Dynamik sei auf »das Leben des Christen« anzuwenden. Es sei nämlich notwendig, sich bewusst zu machen, »dass ein jeder von uns ein Spross aus jener Wurzel ist, der wachsen muss, wachsen mit der Kraft des Heiligen Geistes, bis zur Fülle des Heiligen Geistes in uns«. Und dann fragte er: »Was wäre also die Aufgabe des Christen?« Die Antwort sei einfach: »Den Spross, der in uns wächst, bewahren, das Wachstum bewahren, den Geist bewahren. ›Beleidigt nicht den Heiligen Geist‹, sagt Paulus.« Als Christ leben heiße also, »diesen Spross zu bewahren, das Wachstum zu bewahren, den Geist zu bewahren und die Wurzel nicht zu vergessen«. Und der Papst präzisierte: »Die Wurzel nicht zu vergessen, aus der du kommst. Erinnere dich, woher du kommst! Das ist die christliche Weisheit.«

Wenn das die Aufgabe sei, »was ist dann der Stil?« Franziskus erklärte es: »Man sieht es ganz klar: ein Stil wie der Stil Jesu, ein Stil der Demut.« Denn »es bedarf des Glaubens und der Demut, um daran zu glauben, dass dieser Spross, diese so kleine Gabe, zur Fülle der Gaben des Heiligen Geistes gelangen wird. Es bedarf der Demut, um zu glauben, dass der Vater, der Herr des Himmels und der Erde, wie es im heutigen Evangelium heißt, diese Dinge den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hat.« Im täglichen Leben »heißt Demut klein sein, wie der kleine Spross, der jeden Tag wächst, so klein, dass er des Heiligen Geistes bedarf, um vorangehen zu können, hin zur Fülle des eigenen Lebens«.

Im Übrigen, so erklärte der Papst, »war Jesus demütig, auch Gott war demütig. Gott ist demütig, weil Gott mit uns Geduld gehabt hat und viel Geduld hat. Und die Demut Gottes zeigt sich in der Demut Jesu.« Doch sei es notwendig, fügte er hinzu, sich hinsichtlich der Bedeutung des Wortes Demut klar zu werden: »Manch einer meint, demütig zu sein, wenn er wohlerzogen, freundlich ist und die Augen beim Beten schließt…«. Er glaubt, demütig zu sein bedeute, eine Art »Heiligenbildchengesicht« zu haben. Aber: »Nein, das heißt nicht, demütig zu sein.« Den Interpretationsschlüssel lieferte Franziskus selbst: »Es gibt da ein Zeichen, ein Signal, das einzige: die Erniedrigungen anzunehmen. Demut ohne Erniedrigungen ist keine Demut. Demütig ist jener Mann, jene Frau, die fähig sind, die Erniedrigungen zu ertragen, wie sie Jesus ertragen hat, der Erniedrigte, der große Erniedrigte.«

Das stelle den Christen auf die Probe: »Wenn wir erniedrigt werden, wenn wir uns von jemandem gedemütigt fühlen, dann spüren wir oft sofort den Wunsch, darauf zu reagieren oder uns zu verteidigen.« Und stattdessen? Stattdessen sei es wichtig, auf Jesus zu blicken: »Im Augenblick der größten Erniedrigung sagte Jesus nichts.« Denn, so der Papst, »es gibt keine Demut ohne die Annahme der Erniedrigungen.« Also »besteht Demut nicht nur darin, ruhig und friedlich zu sein. Nein, nein. Demut heißt, die Erniedrigungen anzunehmen, wenn sie kommen, wie es Jesus getan hat.« Der Christ sei dazu aufgerufen, »die Erniedrigungen des Kreuzes« anzunehmen, wie Jesus, der »fähig war, den Spross zu bewahren, das Wachstum zu bewahren, den Geist zu bewahren«.

Das sei weder etwas Einfaches noch etwas Unmittelbares. Diesbezüglich erinnerte sich der Papst daran, einmal jemanden gehört zu haben, der gescherzt habe: »Ja, ja, demütig schon, aber erniedrigt nie!« Ein Scherz, aber ein Scherz, so der Kommentar des Papstes, der »etwas Wahres berührte«. Denn es gebe viele von denen, die sagen: »Ja, ich bin fähig, die Demut anzunehmen, demütig zu sein, doch ohne Erniedrigungen, ohne Kreuz.«

Seine Betrachtungen abschließend fasste Franziskus seinen Gedanken zum Tage so zusammen: »Den Spross in einem jeden von uns bewahren. Das Wachstum bewahren, den Geist bewahren, der uns zur Fülle bringen wird«. Und »die Wurzel nicht vergessen. Und der Stil? Demut «. Dann fügte er hinzu: »Wie weiß ich, ob ich demütig bin? Wenn ich mit der Gnade des Herrn fähig bin, die Erniedrigungen anzunehmen.« Und er lud dazu ein, an das Beispiel »der vielen Heiligen zu denken, die die Erniedrigungen nicht nur akzeptiert, sondern nach ihnen verlangt haben: ›Herr, sende mir Erniedrigungen, um dir zu ähneln, um dir ähnlicher zu sein.‹«

»Der Herr«, so beendete der Papst seine Betrachtung, »möge uns die Gnade schenken, das Kleine bis zur Fülle des Geistes hin zu bewahren, und außerdem die Gnaden, die Wurzel nicht zu vergessen und die Erniedrigungen anzunehmen«.

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana