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FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Die Konkretheit und die Einfachheit der Kleinen

Mittwoch, 29. April 2020

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Gebetsanliegen:

Heute ist sie der Festtag der heiligen Kirchenlehrerin Katharina von Siena, Patronin Europas. Lasst uns für Europa beten, für die Einheit Europas, für die Einheit der Europäischen Union: dass wir alle zusammen als Geschwister voranschreiten können.

Predigt:

Im ersten Brief des Apostels Johannes gibt es viele Gegensätze: zwischen Licht und Finsternis, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Sünde und Unschuld (1 Joh 1,5-7). Aber der Apostel ruft immer zur Konkretheit, zur Wahrheit auf und sagt uns, dass wir nicht in Gemeinschaft mit Jesus sein und in der Finsternis wandeln können, weil er Licht ist. Entweder das eine oder das andere: das Grau ist noch schlimmer, denn das Grau lässt dich glauben, dass du im Licht gehst, denn du befindest dich nicht in der Finsternis, und das beruhigt dich. Das Grau ist sehr verräterisch. Entweder das eine oder das andere.

Der Apostel fährt fort: »Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns« (1 Joh 1,8), denn wir haben alle gesündigt, wir sind alle Sünder. Und hier gibt es etwas, das uns täuschen kann: zu sagen »Wir sind alle Sünder«, wie diejenigen, die »Guten Morgen«, »Guten Tag« sagen, eine Gewohnheit, sogar eine soziale Gepflogenheit, wir haben kein wirkliches Bewusstsein der Sünde. Nein: Ich bin ein Sünder wegen dem, dem und dem. Die Konkretheit. Die Konkretheit der Wahrheit: Wahrheit ist immer konkret; die Lügen sind ätherisch, sie sind wie Luft, man kann sie nicht fassen. Die Wahrheit ist konkret. Und man kann nicht hingehen und seine Sünden auf abstrakte Weise bekennen: »Ja, ich... ja, ich habe einmal die Geduld verloren, ich habe wieder die Geduld verloren...«, und abstrakte Dinge. »Ich bin ein Sünder«. Die Konkretheit: »Ich habe das getan. Das habe ich mir gedacht. Das habe ich gesagt«. Die Konkretheit ist das, was mir das Gefühl gibt, ein echter Sünder zu sein und nicht »ein Sünder in der Luft«.

Jesus sagt im Evangelium: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast« (Mt 11,25). Die Konkretheit der Kleinen. Es ist schön, den Kleinen zuzuhören, wenn sie zur Beichte kommen: sie sagen keine seltsamen Dinge, so »in die Luft«; sie sagen konkrete Dinge, und manchmal allzu konkrete, weil sie diese Einfachheit haben, die Gott den Kleinen gibt. Ich erinnere mich stets an ein Kind, das einmal zu mir kam, um mir zu sagen, dass es traurig sei, weil es sich mit seiner Tante gestritten hatte... Aber dann ging es noch weiter. Ich sagte: »Was hast du denn getan?« – »Eh, ich war zu Hause, ich wollte Fußball spielen gehen« – ein Kind, nicht wahr? – aber die Tante - Mama war nicht da die Tante sagt: »Nein, du gehst nicht raus: du musst erst deine Hausaufgaben machen.« Ein Wort führt zum anderen, und »am Ende sagte ich ihr, sie solle sich dorthin verziehen, wo der Pfeffer wächst«. Es war ein Kind von großer geographischer Kultur... Es nannte mir sogar den Namen des Landes, in das er seine Tante geschickt hatte! So sind sie: einfach, konkret.

Auch wir müssen einfach, konkret sein: die Konkretheit führt dich zur Demut, denn Demut ist konkret. »Wir sind alle Sünder« ist eine abstrakte Sache. Nein: »Ich bin ein Sünder wegen dem, dem und dem«, und das führt mich dazu, mich zu schämen, Jesus anzuschauen: »Vergib mir«. Die wahre Haltung des Sünders. »Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns« (1 Joh 1,8). Es ist eine Art zu sagen, dass wir ohne Sünde seien, es ist diese abstrakte Haltung: »Ja, wir sind Sünder, ja, ich habe einmal die Geduld verloren...«, aber alles hängt in der Luft. Ich erkenne die Realität meiner Sünden nicht. »Aber, wissen Sie, wir alle, wir alle tun diese Dinge, es tut mir leid, es tut mir leid... es bereitet mir Schmerz, ich will es nicht mehr tun, ich will es nicht mehr sagen, ich will es nicht mehr denken«. Es ist wichtig, dass wir in uns selbst unsere Sünden benennen. Die Konkretheit. Denn wenn wir es »in der Luft hängen lassen«, werden wir in der Finsternis enden. Werden wir wie die Kleinen, die sagen, was sie fühlen, was sie denken: sie haben noch nicht die Kunst gelernt, die Dinge ein wenig »beschönigt« zu sagen, damit man sie versteht, aber nicht sie nicht ausspricht. Das ist eine Kunst der Großen, die uns oft alles andere als gut tut.

Gestern habe ich einen Brief von einem Jungen aus Caravaggio erhalten. Er heißt Andrea. Und er hat mir Dinge über sich erzählt: die Briefe von Kindern sind so schön, weil sie konkret sind. Und er sagte mir, dass er die Messe im Fernsehen gehört habe und dass er mir eines »vorwerfen« müsse: dass ich sage: »Friede sei mit euch«, »und das können Sie nicht sagen, denn bei der Pandemie können wir uns nicht berühren«. Er sieht nicht, dass [ihr hier] euch mit dem Kopf verneigt und euch nicht berührt. Aber er hat die Freiheit, die Dinge so zu sagen, wie sie sind.

Auch wir müssen dem Herrn gegenüber die Freiheit haben, die Dinge zu sagen, wie sie sind: »Herr, ich bin in Sünde: hilf mir«. Wie Petrus nach dem ersten wunderbaren Fischfang: »Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein Sünder« (vgl. Lk 5,8). Diese Weisheit der Konkretheit haben. Denn der Teufel will, dass wir in Lauheit leben, lau, im grauen Bereich: weder gut noch schlecht, weder weiß noch schwarz: grau. Ein Leben, das dem Herrn nicht gefällt. Der Herr mag keine lauen Menschen. Konkretheit. Keine Lügner sein. »Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht«. Er vergibt uns, wenn wir konkret sind. Das geistliche Leben ist so einfach, so einfach; aber wir machen es kompliziert mit diesen Nuancen, und am Ende kommen wir nie an...

Bitten wir den Herrn um die Gnade der Einfachheit, und möge er uns diese Gnade schenken, die er den einfachen Menschen, den Kindern, den Jugendlichen gibt, die sagen, was sie fühlen, die nicht verbergen, was sie fühlen. Auch wenn es etwas Falsches ist, aber sie sagen es. Auch ihm gegenüber die Dinge sagen: Transparenz. Nicht aber ein Leben führen, das weder das eine noch das andere ist. Die Gnade der Freiheit, diese Dinge sagen zu können, und auch die Gnade, vor Gott gut zu wissen, wer wir sind.

 

 


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