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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DES 3
. WELTKONGRESSES DER KIRCHLICHEN BEWEGUNGEN
UND DER NEUEN GEMEINSCHAFTEN

Clementina-Saal
Samstag, 22. November 2014

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Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Mit Freude empfange ich euch anlässlich des Kongresses, den ihr mit Unterstützung des Päpstlichen Rates für die Laien abhaltet. Ich danke Kardinal Ryłko auch für seine Worte, und Erzbischof Clemens. Im Mittelpunkt eurer Aufmerksamkeit stehen in diesen Tagen zwei für das christliche Leben wesentliche Elemente: Umkehr und Sendung. Sie sind eng miteinander verbunden. Denn ohne eine echte Umkehr des Herzens und des Geistes kann man das Evangelium nicht verkünden; gleichzeitig ist die Umkehr nicht möglich und wird der Glaube unfruchtbar, wenn wir nicht offen sind für die Mission. Die Bewegungen und neuen Gemeinschaften, die ihr vertretet, sind nunmehr auf die Zeit der kirchlichen Reife hin ausgerichtet, die eine wachsame Haltung ständiger Umkehr verlangt, um die Dynamik der Evangelisierung immer lebendiger und fruchtbarer zu machen. Ich möchte euch daher einige Gedanken für euren Weg des Glaubens und des kirchlichen Lebens unterbreiten.

1. Zunächst einmal ist es notwendig, die Frische des Charismas zu bewahren: Jene Frische darf nie verloren gehen! Frische des Charismas! Die »erste Liebe« (Offb 2,4) muss stets erneuert werden. Denn im Laufe der Zeit wächst die Versuchung, sich zu begnügen und beruhigenden, aber unfruchtbaren Schemata verhaftet zu bleiben. Die Versuchung, den Heiligen Geist einzusperren: Das ist eine Versuchung! Aber »die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee« (vgl. Evangelii gaudium, 231-233). Wenn eine gewisse Institutionalisierung des Charismas für sein Überleben notwendig ist, darf man dennoch nicht der Täuschung unterliegen zu meinen, dass die äußeren Strukturen das Wirken des Heiligen Geistes garantieren können. Die Neuheit eurer Erfahrungen liegt nicht in den Methoden und Formen – auch wenn all das wichtig ist –, sondern in der Bereitschaft, mit immer neuer Begeisterung auf den Ruf den Herrn zu antworten: Aus einem solchen Mut heraus, der dem Evangelium entspricht, sind eure Bewegungen und neuen Gemeinschaften entstanden. Wenn Formen und Methoden um ihrer selbst willen verteidigt werden, dann werden sie ideologisch, stehen sie der Wirklichkeit fern, die sich in ständiger Entwicklung befindet; verschlossen gegenüber der Neuheit des Geistes ersticken sie am Ende das Charisma, das sie hervorgebracht hat. Wir müssen stets zu den Quellen der Charismen zurückkehren. Dort werdet ihr den Antrieb wiederfinden, euch den Herausforderungen zu stellen. Ihr bildet nicht einfach so eine Schule der Spiritualität. Ihr habt nicht einfach so eine Institution für Spiritualität geschaffen. Ihr seid kein kleines Grüppchen… Nein! Bewegung! Immer unterwegs, immer in Bewegung, immer offen für die Überraschungen Gottes, die in Übereinstimmung mit der ersten Berufung der Bewegung, dem Gründungscharisma kommen.

2. Eine weitere Frage betrifft die Art und Weise der Annahme und Begleitung der Menschen unserer Zeit, insbesondere der Jugendlichen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 105-106). Wir sind Teil einer verletzten Menschheit – das müssen wir uns sagen! Alle Erziehungseinrichtungen, besonders die wichtigste, die Familie, haben überall in der Welt große Schwierigkeiten. Der heutige Mensch hat ernsthafte Identitätsprobleme und Schwierigkeiten, eigene Entscheidungen zu treffen. Daher neigt er dazu, sich beeinflussen zu lassen und die wichtigen Lebensentscheidungen anderen zu überlassen. Man muss der Versuchung widerstehen, sich selbst an die Stelle der Freiheit der Personen zu setzen und sie in eine Richtung zu lenken, ohne darauf zu warten, dass sie wirklich heranreifen. Jeder Mensch hat seine Zeit, jeder ist auf seine Weise unterwegs, und wir müssen diesen Weg begleiten. Ein moralischer oder geistlicher Fortschritt, der dadurch erlangt wird, dass man die Unreife der Menschen manipuliert, ist ein Schein erfolg, der zum Scheitern verurteilt ist. Besser wenige, aber stets vorangehen, ohne Aufsehen erregen zu wollen! Die christliche Erziehung verlangt vielmehr eine geduldige Begleitung, die die Zeiten eines jeden abzuwarten weiß, wie der Herr es mit einem jeden von uns tut: Der Herr hat Geduld mit uns! Die Geduld ist der einzige Weg, wirklich zu lieben und die Menschen zu einer aufrichtigen Beziehung zum Herrn zu führen.

3. Ein weiterer Hinweis besteht darin, nicht zu vergessen, dass das kostbarste Gut, das Siegel des Heiligen Geistes, die Gemeinschaft ist. Dies ist die höchste Gnade, die Jesus uns am Kreuz erlangt hat, die Gnade, die er als Auferstandener unablässig für uns erbittet, indem er dem Vater seine glorreichen Wunden zeigt: »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast« (Joh 17,21). Damit die Welt glaubt, dass Jesus der Herr ist, muss sie die Gemeinschaft unter den Christen sehen, aber wenn man Spaltungen, Rivalitäten und üble Nachrede, den Terrorismus des Geschwätzes sieht, dann bitte… Wenn man diese Dinge sieht, was auch immer der Grund dafür sein mag, wie kann man dann evangelisieren? Denkt an diesen Grundsatz: »Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt« (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 226-230), denn der Bruder ist viel mehr wert als unsere persönlichen Positionen: Für ihn hat Christus sein Blut vergossen (vgl. 1 Petr 1,18-19), für meine Ideen hat er nichts vergossen! Die wahre Gemeinschaft kann außerdem in einer Bewegung oder in einer neuen Gemeinschaft nicht existieren, wenn sie sich nicht einfügt in die größere Gemeinschaft, unsere heilige Mutter, die hierarchische Kirche. Das Ganze ist dem Teil übergeordnet (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium 234-237), und der Teil hat Sinn in Beziehung zum Ganzen.

Außerdem besteht die Gemeinschaft auch darin, sich gemeinsam und vereint den wichtigsten Fragen zu stellen: Leben, Familie, Friede, Kampf gegen die Armut in all ihren Formen, Religionsfreiheit und Erziehung. Insbesondere sind die Bewegungen und die Gemeinschaften zur Zusammenarbeit aufgerufen, um dazu beizutragen, die Wunden zu heilen, die von einer globalisierten Mentalität erzeugt wurden, die den Konsum in den Mittelpunkt stellt und Gott und die wesentlichen Werte des Daseins vergisst. Um zur kirchlichen Reife zu gelangen, sollt ihr daher – das sage ich noch einmal – die Frische des Charismas bewahren, die Freiheit der Personen achten und stets nach Gemeinschaft streben. Vergesst jedoch nicht, dass die Umkehr, um dieses Ziel zu erreichen, missionarisch sein muss: Die Kraft, Versuchungen und Unzulänglichkeiten zu überwinden, kommt aus der tiefen Freude der Verkündigung des Evangeliums, die die Grundlage all eurer Charismen ist. Denn »wenn die Kirche zum Einsatz in der Verkündigung aufruft, tut sie nichts anderes, als den Christen die wahre Dynamik der Selbstverwirklichung aufzuzeigen« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 10), die wahre Motivation für die Erneuerung des eigenen Lebens, denn die Mission ist Teilhabe an der Sendung Christi, der uns stets vorangeht und uns bei der Evangelisierung stets begleitet.

Liebe Brüder und Schwestern, ihr habt für die Kirche und die ganze Welt schon viele Früchte getragen, aber ihr werdet weitere, noch größere tragen mit Hilfe des Heiligen Geistes, der stets Gaben und Charismen erweckt und sie erneuert, und durch die Fürsprache Marias, die ihren Kindern ohne Unterlass beisteht und sie begleitet. Geht voran: immer in Bewegung… Bleibt niemals stehen! Immer in Bewegung! Ich versichere euch meines Gebets, und ich bitte euch, für mich zu beten – ich brauche es wirklich –, und segne euch von Herzen. [Applaus]

Jetzt bitte ich euch, alle gemeinsam zur Gottesmutter zu beten, die diese Erfahrung gemacht hat: die Frische der ersten Begegnung mit Gott stets zu bewahren, mit Demut voranzugehen, aber immer auf dem Weg, und die die Zeit der Personen immer achtet. Und dann nie müde werden, dieses missionarische Herz zu haben.

Gegrüßet seist du, Maria…

[Segen]

 



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