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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
IN DIE TÜRKEI

(28.-30. NOVEMBER 2014)

BEGEGNUNG MIT VERTRETERN DER REGIERUNG UND DES ÖFFENTLICHEN LEBENS

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Ankara, Präsidentenpalast
Freitag, 28. November 2014

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Herr Präsident,
verehrte Vertreter der Regierung und des öffentlichen Lebens,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, Ihr Land zu besuchen, das reich an Naturschönheiten und an Geschichte ist und von den Zeugnissen antiker Kulturen überströmt. Ihr Land ist natürliche Brücke zwischen zwei Kontinenten und zwischen unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen. Diese Erde ist jedem Christen teuer, weil sich auf ihr die Geburt des heiligen Paulus zugetragen und weil Paulus hier verschiedene christliche Gemeinden gegründet hat; weil sie die ersten sieben Konzilien der Kirche beherbergt hat und weil hier nahe bei Ephesus, einer ehrwürdigen Tradition gemäß, das „Haus Marias“ steht, der Ort, wo die Mutter Jesu für einige Jahre lebte, Ziel der Verehrung vieler Pilger von allen Enden der Welt, nicht nur Christen, sondern auch Muslime.

Die Gründe für die Achtung und die Wertschätzung der Türkei sind jedoch nicht einzig und allein in seiner Vergangenheit zu suchen, in seinen antiken Denkmälern, sondern sie finden sich in der Lebendigkeit seiner Gegenwart, im Fleiß und in der Großzügigkeit seines Volkes, in seiner Rolle im Konzert der Nationen.

Es ist für mich ein Grund zur Freude, die Gelegenheit zu haben, mit Ihnen einen freundschaftlichen, respektvollen und wertschätzenden Dialog fortzusetzen, der auf der Spur verläuft, den meine Vorgänger, der selige Paul VI., der heilige Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. eingeschlagen haben; ein Dialog, der seinerzeit durch den damaligen Apostolischen Delegaten Monsignor Angelo Giuseppe Roncalli, der spätere heilige Johannes XXIII., und vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorbereitet und gefördert worden ist.

Wir haben einen Dialog nötig, der die Kenntnis der vielen Dinge vertieft, die uns verbinden, und sie abwägend zur Geltung bringt, der uns zugleich auch erlaubt, mit weisem und gelassenem Gemüt die Unterschiede zu bedenken, um auch aus ihnen Lehren zu ziehen.

Es ist erforderlich, dass der Einsatz zum Aufbau eines dauerhaften Friedens, der auf der Achtung der grundlegenden Rechte und Pflichten in Bezug auf die Menschenwürde beruht, mit Geduld weitergeführt wird. Auf diese Weise lassen sich die Vorurteile und falschen Ängste überwinden; stattdessen ergibt sich Raum für die Wertschätzung, für die Begegnung und für die Entwicklung von besseren Energien zum Vorteil für alle.

Dazu ist es grundlegend, dass die muslimischen, jüdischen und christlichen Bürger – sowohl in den gesetzlichen Bestimmungen, wie auch in ihrer tatsächlichen Durchführung – die gleichen Rechte genießen und die gleichen Pflichten übernehmen. Auf diese Weise erkennen sie sich leichter als Geschwister und Weggefährten an, legen immer mehr das Unverständnis ab und fördern die Zusammenarbeit und das Einvernehmen. Die Religions- und die Meinungsfreiheit, die allen effektiv garantiert ist, regen das Aufblühen der Freundschaft an und sind ein beredtes Zeichen des Friedens.

Der Nahe Osten, Europa und die Welt warten auf diese Blüte. Besonders der Nahe Osten ist seit zu vielen Jahren Schauplatz von Bruderkriegen, die wechselseitig auszubrechen scheinen, als ob die einzige mögliche Antwort auf Krieg und Gewalt immer ein neuer Krieg und eine weitere Gewalt sein müssten.

Für wie lange Zeit muss der Nahe Osten noch auf Grund des fehlenden Friedens leiden? Wir dürfen uns nicht mit einer Fortsetzung der Konflikte abfinden, als ob nicht eine Änderung zum Besseren dieser Situation möglich wäre! Mit der Hilfe Gottes können und sollen wir den Mut zum Frieden immer wieder erneuern! Diese Haltung führt dazu, mit Aufrichtigkeit, Geduld und Bestimmtheit alle Mittel der Verhandlung zu gebrauchen und so konkrete Zielsetzungen hinsichtlich des Friedens und der nachhaltigen Entwicklung zu erlangen.

Herr Präsident, um ein so hohes und dringendes Ziel zu erreichen, kann ein wichtiger Beitrag aus dem interreligiösen und interkulturellen Dialog erwachsen. Auf diese Weise wird jede Form von Fundamentalismus und Terrorismus gebannt, welche die Würde aller Menschen erniedrigt und die Religion instrumentalisiert.

Es ist erforderlich, dem Fanatismus und dem Fundamentalismus, den irrationalen Abneigungen, die Unverständnis und Diskriminationen wecken, die Solidarität aller Glaubenden entgegenzusetzen, die als Grundpfeiler den Respekt für das menschliche Leben und für die Religionsfreiheit hat, die Freiheit des Kultes und Freiheit der Lebensführung nach einer religiösen Ethik bedeutet. Ein weiterer Pfeiler besteht in der Anstrengung, allen das Nötige für ein würdiges Leben zu gewährleisten, und schließlich in der Sorge für die natürliche Umwelt. Das haben in besonderer Dringlichkeit die Völker und die Staaten des Nahen Ostens nötig, um endlich „die Tendenz umzukehren“ und mit positivem Ergebnis einen Friedensprozess voranzubringen und dies mit der Ächtung des Krieges und der Gewalt sowie mit der Verfolgung des Dialogs, des Rechts und der Gerechtigkeit.

Bis heute sind wir in der Tat leider immer noch Zeugen schwerer Konflikte. Insbesondere in Syrien und im Irak macht die terroristische Gewalt keine Anstalten nachzulassen. Man erlebt die Verletzung der elementarsten humanitären Gesetze, was Gefangene und ganze ethnische Gruppen betrifft. Schwere Verfolgungen haben sich ereignet und geschehen noch immer zum Schaden von Minderheiten, besonders – aber nicht nur – der Christen und Jesiden. Hunderttausende Menschen wurden gezwungen, ihre Häuser und ihre Heimat zu verlassen, um das eigene Leben zu retten und ihrem eigenen Glauben treu zu bleiben.

Die Türkei, die eine große Zahl von Flüchtlingen hochherzig aufgenommen hat, ist damit direkt von den Wirkungen dieser dramatischen Situation an ihren Grenzen berührt. Die internationale Gemeinschaft hat die moralische Pflicht, ihr bei der Sorge um die Flüchtlinge zu helfen. Neben der notwendigen humanitären Hilfe kann man vor dem, was diese Tragödien hervorgerufen hat, nicht gleichgültig bleiben. Wenn auch zu unterstreichen ist, dass es erlaubt ist, einen ungerechten Angreifer aufzuhalten, immer allerdings im Einklang mit dem Völkerrecht, so will ich auch daran erinnern, dass man eine Lösung des Problems nicht allein einer militärischen Antwort überlassen kann.

Es ist ein starker gemeinsamer Einsatz nötig, der auf gegenseitigem Vertrauen gründet, um einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen und zu gestatten, die Mittel endlich nicht mehr der Rüstung sondern den wahren „Kämpfen“, die des Menschen würdig sind, zu widmen: dem Kampf gegen den Hunger und gegen die Krankheiten, dem Kampf für eine nachhaltige Entwicklung und die Wahrung der Schöpfung, durch den Beistand bei den vielfältigen Formen der Armut und Ausgrenzung, die selbst in der modernen Welt nicht fehlen.

Die Türkei hat durch ihre Geschichte, aufgrund ihrer geographischen Lage und wegen der Bedeutung, die sie in der Region einnimmt, eine große Verantwortung: ihre Entscheidungen und ihr Beispiel besitzen ein besonderes Gewicht und können eine beachtliche Hilfe bei der Förderung einer Begegnung unter den Kulturen und beim Finden gangbarer Wege für den Frieden und für einen echten Fortschritt sein.

Möge der Allmächtige die Türkei segnen und behüten; er möge ihr beistehen, ein tüchtiger und überzeugter Baumeister des Friedens zu werden. Danke!

 



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