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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE GRUPPEN DES “PROGETTO POLICORO”
DER ITALIENISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

Aula Paolo VI
Montag, 14. Dezember 2015

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich heiße euch herzlich willkommen. Danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid! Vor 20 Jahren ging das »Progetto Policoro« als Frucht aus dem Kirchenkonvent von Palermo hervor. Das Projekt entstand aus einer bestimmten Absicht heraus: Antworten zu finden auf die existentielle Frage vieler junger Menschen, die Gefahr laufen, von der Arbeitslosigkeit ins Nichts tun im Leben abzugleiten. Durch seinen Versuch, das Evangelium mit dem konkreten Leben zu verbinden, war dieses Projekt von Anfang an eine großartige Initiative zur Förderung der Jugend, eine wahre Gelegenheit zur Entwicklung auf lokaler Ebene in nationaler Dimension. Seine kraftvollen Ideen haben seinen Erfolg gekennzeichnet: die Ausbildung junger Menschen, die Gründung von Genossenschaften, die Schaffung von Mittlergestalten wie den »Gemeinschaftsleitern« und zahlreiche konkrete Gesten als sichtbares Zeichen des Einsatzes dieser 20jährigen aktiven Präsenz.

Durch seine konkrete Aufmerksamkeit gegenüber dem Terrain und die Suche nach gemeinsamen Lösungen hat das »Progetto Policoro« gezeigt, dass die Qualität der »freien, schöpferischen, mitverantwortlichen und solidarischen« Arbeit die Würde des menschlichen Lebens zum Ausdruck bringt und stets wachsen lässt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 192). Wir dürfen die dringende Notwendigkeit, diese Würde zu wieder zu bestätigen, nicht aus den Augen verlieren! Sie ist wirklich allen und einem jeden Menschen zu eigen. Jeder Arbeiter hat das Recht, sie geschützt zu sehen, und insbesondere die jungen Menschen müssen das Vertrauen bewahren können, dass ihre Anstrengungen, ihre Begeisterung, die Einbringung ihrer Kräfte und ihrer Ressourcen nicht umsonst sein werden.

Wie viele junge Menschen sind heute Opfer der Arbeitslosigkeit! Und wenn es keine Arbeit gibt, dann ist die Würde gefährdet, denn durch die fehlende Arbeit kannst du nicht nur kein Brot nach Hause bringen, sondern du fühlst dich unwürdig, deinen Lebensunterhalt zu verdienen! Heute sind die jungen Menschen Opfer dieser Umstände. Wie viele von ihnen haben es bereits aufgegeben, Arbeit zu suchen, haben resigniert vor ständigen Absagen oder der Gleichgültigkeit einer Gesellschaft, die immer dieselben Privilegierten belohnt – auch wenn sie korrupt sind – und jene, die es verdient haben, einen Posten zu bekommen, daran hindert. Den Lohn scheinen jene zu erhalten, die selbstsicher sind, auch wenn diese Sicherheit durch Korruption erworben ist. Die Arbeit ist kein Geschenk, das wenigen Günstlingen gnädig gewährt wird: Sie ist ein Recht für alle!

Ihr seid ein konkretes Zeichen der Hoffnung für viele, die nicht resigniert, sondern sich entschlossen haben, sich mutig dafür einzusetzen, Arbeitsplätze zu schaffen oder die eigenen Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern. Ich lade euch ein, auch weiterhin Initiativen zur gemeinschaftlichen und mitverantwortlichen Einbindung junger Menschen zu fördern. Hinter einem Arbeitsprojekt steht oft große Einsamkeit: Manchmal stehen unsere jungen Menschen zahllosen Schwierigkeiten gegenüber, ohne jegliche Hilfe. Die Familien unterstützen sie zwar – oft auch wirtschaftlich –, können aber auch nicht viel tun. So werden viele entmutigt und sind gezwungen aufzugeben.

Hier könnt ihr euren Teil beitragen. Die Antwort auf die Frage: »Was hat die Kirche mit meiner Situation zu tun?« – die du gestellt und oft gehört hast – lautete: »das Zeugnis«. Und hier könnt ihr hereinkommen mit eurem Zeugnis, Seite an Seite mit jenen, die Mut und Unterstützung brauchen: die neuen Kräfte unterstützen, die für die Arbeit eingesetzt werden; einen schöpferischen Stil fördern, der Köpfe und Hände an einem gemeinsamen Tisch vereint; gemeinsam denken, gemeinsam planen, gemeinsam Hilfe empfangen und geben: Das sind die fruchtbarsten Ausdrucksformen der Solidarität als Geschenk. Und damit hat die Kirche etwas zu tun, denn sie ist die Mutter aller! Die Kirche vereint alle ein einem Tisch.

So entdecken die jungen Menschen wieder die »Berufung« zur Arbeit – die Berufung zur Arbeit ist einer der Wesenszüge der Würde des Menschen; es gibt keine Berufung zur Trägheit, sondern zur Arbeit –, den erhabenen Sinn einer Tätigkeit, die über ihr wirtschaftliches Ergebnis hinausgeht, um die Welt, die Gesellschaft, das Leben aufzubauen. Oft wurde die Idee der Arbeit als »Verwirklichung« des Menschen mit einem bestimmten Modell von Reichtum und Wohlstand verwechselt, das zu unmenschlichen Rhythmen zwingt. Für euch soll es nicht so sein: Es ist besser, die jungen Generationen zur Suche nach dem richtigen Maß zu erziehen. In der Schule des Evangeliums lernt man, was wirklich notwendig ist, damit unser Leben nicht unseren Händen entgleitet, indem wir den Götzen eines falschen Wohlstands nachfolgen.

In der Schule des Evangeliums also: Das ist der richtige Weg. Natürlich hat Jesus uns nicht direkt gelehrt, Arbeitsmöglichkeiten zu erfinden, aber sein Wort hört nie auf, zeitgemäß, konkret, lebendig zu sein: Es ist in der Lage, den ganzen Menschen und alle Menschen zu berühren. Heute spricht es auch zu uns: Es ruft uns auf, unsere Ideen, unsere Pläne, unseren Taten- und Schöpfungsdrang zu einer Frohbotschaft für die Welt zu machen. Eure Aufgabe besteht nicht einfach darin, den jungen Menschen zu helfen, eine Beschäftigung zu finden: Sie ist auch eine Verantwortung zur Evangelisierung, durch den heiligenden Wert der Arbeit. Nicht irgendeiner Arbeit! Nicht der Arbeit, die ausbeutet, die niederdrückt, die demütigt, die erniedrigt, sondern der Arbeit, die den Menschen wirklich frei macht wie es seiner edlen Würde entspricht.

Danke für euren Einsatz. Ich vertraue euch der Fürsprache des heiligen Josef des Arbeiters an. Möge das Gesicht der Barmherzigkeit Gottes, das die seiner Obhut anvertraute Heilige Familie stets erleuchtete, auf eurem Weg aufscheinen und euch Wege der Kreativität und der Hoffnung zeigen. Mir liegt eure Arbeit sehr am Herzen, denn ich leide, wenn ich so viele junge Menschen ohne Arbeit, arbeitslos sehe. Denkt nur, dass hier in Italien fast 40 Prozent der jungen Menschen im Alter von bis zu 25 Jahren arbeitslos sind! Was macht ein junger Mensch ohne Arbeit? Er wird krank und muss zum Psychiater gehen, oder er verfällt einer Sucht oder begeht Selbstmord – die Selbstmordstatistiken junger Menschen werden nicht veröffentlicht, aber man findet Tricks, sie nicht zu veröffentlichen –, oder er sucht nach etwas, das ihm ein Ideal vermittelt, und wird zum Guerillakämpfer. Denkt daran: Diese jungen Menschen sind unser Fleisch, sie sind das Fleisch Christi, und daher muss unsere Arbeit fortgesetzt werden, um sie zu begleiten und in uns selbst jenes verborgene, stille Leiden zu spüren, das ihr Herz so sehr ängstigt. Ich versichere euch meines Gebets, ich bin euch nahe: Zählt auf mich, denn es berührt mich sehr. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten, denn auch ich brauche Gebete.

Die Gottesmutter blickte auf den heiligen Josef, wie er Jesus arbeiten lehrte. Bitten wir die Gottesmutter, dass sie uns lehren möge, vielen jungen Menschen zu helfen, Arbeit zu finden, zu arbeiten.

 

 



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