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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH MEXIKO
(12.-18. FEBRUAR 2016)

BEGEGNUNG MIT DEN BISCHÖFEN MEXIKOS

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Kathedrale, Mexiko-Stadt
Samstag, 13. Februar 2016

[Multimedia]


 

Liebe Brüder,

ich freue mich, euch am Tag nach meiner Ankunft in diesem Land begegnen zu können; auf den Spuren meiner Vorgänger bin auch ich gekommen, um es zu besuchen.

Es war einfach unmöglich, nicht zu kommen! Könnte der Nachfolger des Petrus, der aus dem entfernten Süden Lateinamerikas gerufen wurde, darauf verzichten, die Jungfrau Morenita mit eigenen Augen anschauen zu dürfen?

Ich danke euch, dass ihr mich in dieser Kathedrale, in dieser  „casita”, dem „Häuschen”, um das die Jungfrau von Guadalupe gebeten hatte, empfangt; dem „Häuschen“, das zwar vergrößert, doch immer geweiht („sagrada”) ist. Und ich bedanke mich auch für die liebenswürdigen Begrüßungsworte, die ihr an mich gerichtet habt.

Da ich weiß, dass sich hier das geheime Herz jedes Mexikaners befindet, trete ich mit sachten Schritten ein, wie es sich gehört, wenn man in das Haus und in die Seele dieses Volkes eintritt. Und ich bin zutiefst dankbar, dass ihr mir die Tür geöffnet habt. Ich weiß, dass ich, wenn ich in die Augen der Jungfrau schaue, den Blick ihres Volkes erreiche, das gelernt hat, sich in ihr auszudrücken. Ich weiß, dass keine andere Stimme mir so tiefgründig vom mexikanischen Herz erzählen kann, wie es die Jungfrau vermag; sie bewahrt seine größten Wünsche und seine geheimsten Hoffnungen; sie nimmt seine Freuden und seine Tränen auf; sie versteht die zahlreichen Mundarten dieser Menschen und antwortet mit der Zärtlichkeit einer Mutter, weil sie ihre Kinder sind.

Ich freue mich, bei euch zu sein, hier in der Nähe des Hügels von Tepeyac, gleichsam beim Tagesanbruch der Evangelisierung dieses Kontinents, und ich bitte euch, mir zu gestatten, dass ich alles, was ich euch sage, von der Guadalupana, der Jungfrau von Guadalupe ausgehend entwickle. Wie wünsche ich mir, dass sie selbst all das, was eindringlich dem Herzen des Papstes  entströmt, bis auf den Grund Eurer Hirtenseele tragen möge und durch euch in jede eurer Teilkirchen in diesem weiten Land Mexiko!

Wie der heilige Juan Diego und die folgenden Generationen  der Kinder der Guadalupana, so hat auch der Papst seit langem den Wunsch gehegt, sie anzuschauen. Mehr noch, ich selbst wollte von ihrem mütterlichen Blick erreicht werden. Ich habe viel über das Geheimnis dieses Blickes nachgedacht, und ich bitte euch anzunehmen, was in diesem Moment aus meinem Hirtenherzen hervorsprudelt.

Ein Blick der Zärtlichkeit

Vor allem lehrt uns die „Virgen Morenita”, dass die einzige Kraft, die fähig ist, das Herz der Menschen zu gewinnen, die Zärtlichkeit Gottes ist. Das, was begeistert und anzieht, was nachgiebig macht und überwältigt, was öffnet und Fesseln löst, ist nicht die Kraft der Mittel oder die Härte des Gesetzes, sondern die allmächtige Schwachheit der göttlichen Liebe, das heißt die unwiderstehliche Kraft seiner Sanftmut und die unwiderrufliche Verheißung seiner Barmherzigkeit.

Ein ruheloser und berühmter Literat eures Landes (Octavio Paz) hat gesagt, dass in Guadalupe nicht mehr um eine reiche Ernte oder um die Fruchtbarkeit des Bodens gebetet wird, sondern dass man Sehnsucht hat nach einem Schoß, in dem die immer noch verwaisten und verstoßenen Menschen eine Sicherheit, ein Zuhause suchen.

Hat sich Jahrhunderte nach dem Gründungsereignis dieses Landes und nach der Evangelisierung des Kontinents das Bedürfnis nach einem Schoß, den das Herz des euch anvertrauten Volkes ersehnt, etwa aufgelöst oder ist es vergessen worden?

Ich kenne die lange und schmerzliche Geschichte, die ihr durchgemacht habt, nicht ohne viel Blutvergießen, nicht ohne ungestüme und erschütternde Umwälzungen, nicht ohne Gewalt und Unverständnis. Mit Recht hat mein verehrter und heiliger Vorgänger, der sich in Mexiko wie zu Hause fühlte, gesagt: »Wie Flüsse, die mitunter im Verborgenen fließen, aber stets reichlich Wasser führen [...] so stellt sich die Geschichte dieses Landes als eine Geschichte von drei Realitäten dar, die sich einmal begegnen und andererseits ihre sich gegenseitig ergänzenden Unterschiede offenlegen, ohne sie jedoch ganz zu vermischen: die antike und reiche Sensibilität der Indianervölker, die Juan de Zumárraga und Vasco de Quiroga verehrten, welche von vielen heute noch Väter genannt werden; das Christentum, das tief in der mexikanischen Seele verwurzelt ist; und schließlich die moderne Rationalität europäischer Prägung, welche die Unabhängigkeit und Freiheit hochhalten möchte« (Johannes Paul II., Ansprache bei der Willkommenszeremonie in Mexiko, 22. Januar 1999).

Und in dieser Geschichte hat der mütterliche Schoß, der Mexiko unaufhörlich Leben schenkte, auch wenn er bisweilen anmutete wie ein Netz mit hundertdreiundfünfzig Fischen (vgl. Joh 21,11), sich nie als unfruchtbar erwiesen, und die bedrohlichen Brüche wurden immer wieder zusammengefügt.

Darum lade ich euch ein, erneut von diesem Bedürfnis nach einem Schoß auszugehen, das aus der Seele eures Volkes aufsteigt. Der Schoß des christlichen Glaubens ist fähig, die oft von Einsamkeit, Isolierung und Ausgrenzung geprägte Vergangenheit mit der Zukunft zu versöhnen, die ständig in ein entgleitendes Morgen verbannt wird. Nur in jenem Schoß kann man, ohne auf die eigene Identität zu verzichten, »die tiefe Wahrheit der neuen Menschheit [entdecken], in der alle dazu berufen sind, Kinder Gottes zu sein« (Johannes Paul II., Predigt zur Heiligsprechung des hl. Juan Diego, 31. Juli 2002).

Neigt euch also, Brüder, mit Feingefühl und Achtung der tiefen Seele eures Volkes zu, steigt behutsam hinab und enträtselt ihr geheimnisvolles Gesicht. Die oft in Zerstreuung und Fest aufgelöste Gegenwart – ist sie nicht vielleicht auch eine Vorbereitung auf Gott, der allein vollkommen gegenwärtig ist? Ist die Vertrautheit mit Schmerz und Tod nicht eine Form von Mut und ein Weg zur Hoffnung? Ist die Wahrnehmung von einer immer und ausschließlich erlösungsbedürftigen Welt nicht ein Gegenmittel gegen die anmaßende Selbstgenügsamkeit derer, die meinen, ohne Gott auskommen zu können?

Natürlich ist für all das ein Blick notwendig, der fähig ist, die Zärtlichkeit Gottes widerzuspiegeln. Seid also Bischöfe mit einem lauteren Blick, einer transparenten Seele, einem leuchtenden Gesicht! Habt keine Angst vor Transparenz! Die Kirche hat es nicht nötig, im Dunkeln zu arbeiten. Passt auf, dass euer Blick sich nicht bewölkt mit dem Halbschatten  des Nebels der Weltlichkeit; lasst euch nicht bestechen durch den trivialen Materialismus, noch durch die verführerischen Illusionen der „unter der Hand” getroffenen Vereinbarungen; setzt euer Vertrauen nicht auf die „Pferde und Streitwagen” der heutigen Pharaonen, denn unsere Kraft ist die „Feuersäule”, die die Wogen des Meeres bricht und das Wasser spaltet, ohne viel Lärm zu machen (vgl. Ex 14,21-24).

Die Welt, in der unsere Aufgabe zu entfalten der Herr uns berufen hat, ist sehr komplex geworden. Und selbst die anmaßende Idee des „cogito”, die nicht bestritt, dass es wenigstens einen Fels über dem Sand des Seins geben könnte, ist heute beherrscht von einer Lebensanschauung, die von vielen als schwankender, orientierungsloser und chaotischer denn je angesehen wird, weil ihr eine tragfähige Grundlage fehlt. Die so nachdrücklich geltend gemachten und verteidigten Grenzen sind durchlässig geworden für die Neuheit einer Welt, in der die Kraft einiger nicht mehr überleben kann ohne die Verwundbarkeit anderer. Die irreversible Hybridisierung der Technologie rückt das, was in der Ferne liegt, in die Nähe, entfernt aber leider das, was nah sein sollte.

Und gerade in dieser so gearteten Welt bittet Gott euch, einen Blick zu haben, der fähig ist, die Frage aufzufangen, die im Herzen eures Volkes aufschreit, des einzigen Volkes, das in seinen Kalender ein „Fest des Schreis” aufnahm. Auf diesen Schrei muss man antworten, dass Gott existiert und dass er durch Jesus nahe ist. Dass allein Gott die Wirklichkeit ist, auf die man bauen kann, denn »Gott ist die grundlegende Wirklichkeit, nicht ein nur gedachter oder hypothetischer Gott, sondern der Gott mit dem menschlichen Antlitz« (Benedikt XVI., Ansprache zur Eröffnung der V. Generalversammlung der CELAM, 13. Mai 2007).

Das mexikanische Volk hat das Recht, in eurem Blick den Spuren derer zu begegnen, die »den Herrn gesehen« (Joh 20,25) haben, die bei Gott verweilt haben. Das ist wesentlich. Verliert also keine Zeit mit nebensächlichen Dingen, mit Redereien und Intrigen, mit eitlen Karriereabsichten, mit leeren Hegemonie-Plänen, in unfruchtbaren Interessengemeinschaften und Komplizenschaften. Lasst euch nicht durch Klatsch und üble Nachrede aufhalten. Führt eure Priester in dieses Verständnis des geweihten Dienstes ein. Uns Dienern Gottes genügt die Gnade, „den Kelch des Herrn zu trinken”, das Geschenk, den Teil seines Erbes zu hüten, der uns anvertraut ist, auch wenn wir unerfahrene Verwalter sind. Überlassen wir es dem himmlischen Vater, uns den Platz zuzuweisen, den er für uns vorbereitet hat (vgl. Mt 20,20-28). Können wir denn wirklich mit anderen Dingen beschäftigt sein, als denen des Vaters? Außerhalb dessen, was dem Vater gehört (vgl. Lk 2,48-49), verlieren wir unsere Identität und vereiteln schuldhaft seine Gnade.

Wenn unser Blick nicht bezeugt, dass wir Jesus gesehen haben, dann wirken die Worte, mit denen wir von ihm sprechen, wie leere rhetorische Phrasen. Vielleicht drücken sie die Nostalgie derer aus, die den Herrn nicht vergessen können, doch in jedem Fall sind sie nur das Stammeln der Waisen am Grab. Worte, die letztlich unfähig sind zu verhindern, dass die Welt der eigenen hoffnungslosen Macht überlassen und auf sie beschränkt bleibt.

Ich denke an die Notwendigkeit, den jungen Menschen einen mütterlichen Schoß anzubieten. Möge euer Blick fähig sein, sich mit dem ihren zu kreuzen, sie zu lieben und das zu erfassen, was sie mit jener Kraft suchen, dank derer viele von ihnen Boote und Netze am anderen Ufer des Sees zurückgelassen (vgl. Mk 1,17-18) oder ihre Finanzgeschäfte aufgegeben haben, nur um dem Herrn des wahren Reichtums zu folgen (vgl. Mt 9,9).

Besorgt bin ich um viele, die, von der hohlen Macht der Welt verführt, Trugbilder verherrlichen und deren makabre Symbole tragen, um den Tod zu vermarkten gegen Geld, das am Ende von Motten zerfressen, vom Rost zerstört und von Einbrechern und Dieben geraubt wird (vgl. Mt 6,20). Ich bitte euch, die ethische und bürgerfeindliche Herausforderung nicht zu unterschätzen, die der Drogenhandel für die Jugend und für die gesamte mexikanische Gesellschaft einschließlich der Kirche darstellt.

Die Proportion des Phänomens, die Vielschichtigkeit seiner Ursachen, die Unermesslichkeit seiner Ausbreitung wie verzehrende Metastasen, die Schwere der zersetzenden Gewalt und seine wirren Verbindungen gestatten uns Hirten der Kirche nicht, uns in allgemeine Verurteilungen zu flüchten, sondern verlangen einen prophetischen Mut und ein ernstes und qualifiziertes pastorales Projekt, um dazu beizutragen, schrittweise jenes feine menschliche Netz zu knüpfen, ohne das wir alle von vornherein besiegt wären von dieser heimtückischen Bedrohung. Nur indem man mit den Familien beginnt; indem man sich der menschlichen und existenziellen Randzone der trostlosen Gebiete unserer Städte nähert und sie umfasst; indem man die Pfarrgemeinden, die Schulen, die gemeinschaftlichen Einrichtungen, die politischen Gemeinden und die Sicherheitsstrukturen einbezieht – nur so wird man viele Leben ganz aus dem Fahrwasser befreien können, in dem sie erbärmlich ertrinken: sei es das Leben derer, die als Opfer sterben, sei es das Leben derer, die vor Gott immer blutbefleckte Hände haben werden, auch wenn ihre Tasche mit schmutzigem Geld gefüllt und ihr Gewissen betäubt ist.

Indem ich auf Maria von Guadalupe schaue, möchte ich ein Zweites sagen:

Ein Blick, der fähig ist, zu weben

In den Mantel der mexikanischen Seele hat Gott mit dem Faden der mestizischen Spuren seines Volkes das Antlitz seiner Erscheinung in der „Morenita” eingewebt. Gott braucht keine gedeckten Farben, um sein Antlitz zu zeichnen. Die Zeichnungen Gottes sind nicht abhängig von den Farben und den Fäden, sondern sie sind bestimmt von der Unwiderruflichkeit seiner Liebe, die sich beharrlich in uns einprägen möchte.

Seid also Bischöfe, die fähig sind, diese Freiheit Gottes nachzuahmen, indem ihr das Ärmlich-Bescheidene wählt, um die Majestät seines Antlitzes sichtbar zu machen; fähig, diese göttliche Geduld nachzuahmen, indem ihr mit dem feinen Faden der Menschheit, der ihr begegnet, jenen neuen Menschen webt, den sein Land erwartet. Lasst euch nicht von dem nutzlosen Streben leiten, das Volk „auszutauschen”, als hätte die Liebe Gottes nicht  genügend Kraft, um es zu verwandeln.

Entdeckt außerdem die weise und demütige Ausdauer wieder, mit der die Väter des Glaubens und dieses Heimatlandes es verstanden haben, die früheren Generationen in die „Semantik” des göttlichen Mysteriums einzuführen: Zuerst haben sie selbst die „Grammatik” gelernt, die notwendig ist, um mit Gott zu sprechen, und dann haben sie sie gelehrt –, um mit jenem Gott zu sprechen, der in den Jahrhunderten der Suche verborgen war und in der Person seines Sohnes Jesus uns nahe gekommen ist. In seinem Bild, blutüberströmt und gedemütigt, erkennen ihn heute viele als Figur des eigenen Schicksals. Ahmt sein Entgegenkommen und seine Fähigkeit, sich herabzuneigen, nach. Nie werden wir die Tatsache genügend begreifen, dass Gott mit den mestizischen Fäden unseres Volkes das Antlitz webte, mit dem er sich zu erkennen gibt! Nie werden wir ihm genug danken für dieses Sich-Herabneigen, für diese „Synkatabasis“.

Einen Blick besonderen Feingefühls erbitte ich von euch für die indigenen Völker, für sie und für ihre faszinierenden und nicht selten dezimierten Kulturen. Mexiko braucht seine indianischen Wurzeln, um nicht in einem unlösbaren Rätsel zu verharren. Die Eingeborenen Mexikos warten noch darauf, dass der Reichtum ihres Beitrags und die Fruchtbarkeit ihrer Gegenwart wirklich anerkannt werden, damit Mexiko jene Identität erbt, die es zu einer einzigartigen Nation macht und nicht zu einer unter anderen.

Es ist oft von dem vermeintlich unerfüllten Geschick dieser Nation gesprochen worden, vom „Labyrinth der Einsamkeit”, in dem sie gefangen sei, von der Geographie als Schicksal, das sie betrügt. Manche meinen, all das sei ein Hindernis für den Entwurf eines einheitlichen Gesichtes, einer erwachsenen Identität, einer einmaligen Position im Zusammenspiel der Nationen und einer mit anderen geteilten Aufgabe.

Andere meinen, auch die Kirche sei dazu verurteilt zu wählen, ob sie die Unterlegenheit erleiden will, in die sie in einigen Perioden ihrer Geschichte verbannt wurde – wie zu der Zeit, als ihre Stimme zum Schweigen gebracht wurde und man versuchte, ihre Gegenwart zu amputieren –, oder ob sie sich auf die Fundamentalismen einlassen will, um wieder provisorische Gewissheiten zu haben – wie jenes berühmte „cogito“ – und dabei zu vergessen, dass in ihrem Herzen tief verwurzelt der Durst nach Absolutem wohnt und dass sie in Christus dazu berufen ist, alle zu vereinen und nicht nur einen Teil (vgl. Lumen gentium, 1).

Werdet hingegen nicht müde, euer Volk daran zu erinnern, wie mächtig die alten Wurzeln sind, die die lebendige christliche Synthese menschlicher, kultureller und spiritueller Gemeinschaft ermöglicht haben, die hier geschaffen wurde. Erinnert daran, dass die Flügel eures Volkes sich schon mehrere Male hoch über nicht wenigen Schicksalsschlägen ausgebreitet haben. Hütet die Erinnerung an den langen Weg, der bis jetzt zurückgelegt wurde – seid „Deuteronomier“ –, und versteht es, die Hoffnung auf neue Ziele zu wecken, denn das Morgen wird ein Land reich an Früchten sein, auch wenn es uns vor nicht unbedeutende Herausforderungen stellt (vgl. Num 13,27-28).

Mögen eure Blicke – immer und einzig auf Christus gerichtet – fähig sein, zur Einheit eures Volkes beizutragen; die Versöhnung seiner Unterschiede und die Integration seiner Vielfalt zu begünstigen; die Lösung seiner endogenen Probleme zu fördern; an das hohe Niveau zu erinnern, das Mexiko erreichen kann, wenn es lernt, an erster Stelle sich selbst zu gehören und nicht anderen; zu helfen, konsensfähige und nachhaltige Lösungen für seine Formen von Elend und Armut zu finden; die gesamte Nation anzuspornen, sich nicht mit weniger zufrieden zu geben, als von der mexikanischen Art, in der Welt zu leben, erwartet wird.

Eine dritte Überlegung:

Ein aufmerksamer Blick, der Nähe beweist und nicht schläfrig ist

Ich bitte euch, nicht in die Erlahmung zu fallen, alte Antworten auf neue Fragen zu geben. Eure Vergangenheit ist ein Fundgrube reicher Schätze, die ausgegraben werden müssen und die die Gegenwart inspirieren und die Zukunft erleuchten können. Weh euch, wenn ihr euch auf euren Lorbeeren ausruht! Man darf das empfangene Erbe nicht vertun, sondern muss es durch ständige Arbeit hüten. Ihr ruht auf den Schultern von Giganten: von Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien, die treu waren „bis zum Ende” und ihr Leben hingegeben haben, damit die Kirche ihre Mission erfüllen konnte. Ihr seid berufen, von der Höhe dieses Podestes aus einen weiten Blick auf den Acker des Herrn zu werfen, um die Aussaat zu planen und die Ernte zu erwarten.

Ich fordere euch auf, euch abzumühen, euch furchtlos abzumühen in der Aufgabe, das Evangelium zu verkünden und  den Glauben zu vertiefen durch eine mystagogische Katechese, die sich die volkstümliche Religiosität eurer Leute zunutze macht. Unsere Zeit verlangt pastorale Aufmerksamkeit gegenüber Menschen und Gruppen, die hoffen, aufbrechen zu können zur Begegnung mit dem lebendigen Christus. Nur eine mutige pastorale Umkehr – und ich unterstreiche: pastorale Umkehr! – unserer Gemeinschaften kann die heutigen Jünger Jesu suchen, hervorbringen und ernähren (vgl. Schlussdokument von Aparecida, 226. 368. 370).

Darum tut es uns Hirten not, die Versuchung der Distanz zu überwinden – und ich überlasse es jedem von euch, den Katalog der Distanzen aufzustellen, die in dieser Bischofskonferenz bestehen können; ich kenne sie nicht, doch es ist nötig, die Versuchung der Distanz zu überwinden – wie auch die des Klerikalismus, der Kälte und der Gleichgültigkeit, des triumphalistischen Verhaltens und der Selbstbezogenheit. Guadalupe lehrt uns, dass Gott zwanglos-vertraut und nah ist, in seinem Gesicht, dass die Nähe und das Entgegenkommen – dieses sich bücken und sich annähern – mehr vermögen, als die Stärke, als jede Art von Stärke.

Wie die schöne Überlieferung von Guadalupe lehrt, bewahrt die „Morenita” die Blicke derer, die sie betrachten, spiegelt das Gesicht derer wider, die ihr begegnen. Es ist notwendig zu lernen, dass es in jedem von denen, die uns auf der Suche nach Gott anschauen, etwas Unwiederholbares gibt. Unsere Aufgabe ist es, für diese Blicke nicht undurchdringlich zu werden. Jeden von ihnen in uns zu hüten, in unserem Herzen zu bewahren und zu schützen.

Nur eine Kirche, die fähig ist, das Gesicht der Menschen, die an ihre Tür klopfen, zu hüten und zu schützen, ist fähig, ihnen von Gott zu sprechen. Wenn wir nicht ihre Leiden enträtseln, wenn wir ihre Bedürfnisse nicht bemerken, können wir ihnen nichts bieten. Der Reichtum, den wir besitzen, fließt nur, wenn wir der Zaghaftigkeit derer, die betteln, entgegengehen und ebendiese Begegnung sich in unserem Hirtenherzen vollzieht.

Und das erste Gesicht, das ich euch dringend bitte in eurem Herzen zu hüten, ist das eurer Priester. Lasst nicht zu, dass sie der Einsamkeit und der Verlassenheit ausgesetzt sind, eine Beute der Weltlichkeit, die das Herz verschlingt. Seid aufmerksam und lernt, ihre Blicke zu deuten, um euch mit ihnen zu freuen, wenn sie die Befriedigung empfinden zu erzählen, »was sie getan und gelehrt« haben (Mk 6,30), und auch um euch nicht zurückzuziehen, wenn sie sich ein wenig gedemütigt fühlen und nicht anders können, als weinen, weil sie den Herrn verleugnet haben (vgl. Lk 22,61-62), und auch – warum nicht? –, um in Gemeinschaft mit Christus Unterstützung zu bieten, wenn jemand, der schon niedergeschlagen ist, mit Judas in die Nacht hinausgeht (vgl. Joh 13,30). Möge es in diesen Situationen, liebe Bischöfe, niemals an eurer Väterlichkeit gegenüber euren Priestern fehlen! Ermutigt sie zur Gemeinschaft untereinander, lasst sie ihre Gaben vervollkommnen, bezieht sie in die großen Angelegenheiten ein, denn das Herz des Apostels wurde nicht für kleine Dinge geschaffen.

Die Notwendigkeit familiärer Vertrautheit wohnt im Herzen Gottes. Unsere Liebe Frau von Guadalupe erbat nur eine “casita sagrada”, ein geweihtes Häuschen. Unsere lateinamerikanischen Völker verstehen die diminutive Sprache – „ein geweihtes Häuschen“ – gut und verwenden sie gerne. Vielleicht haben sie die Verkleinerungsform nötig, weil sie sich andernfalls verloren vorkämen. Sie haben sich angepasst, sich herabgesetzt zu fühlen, und sich daran gewöhnt, in Bescheidenheit zu leben.

Wenn die Kirche sich in einer majestätischen Kathedrale versammelt, sollte sie nicht unterlassen, sich als ein „Häuschen” zu verstehen, in dem ihre Kinder sich wohl fühlen können. In der Gegenwart Gottes verbleibt man nur, wenn man klein ist, wenn man Waise ist, wenn man Bettler ist. Der Protagonist der Heilsgeschichte ist der Bettler.

Ein familiäres „Häuschen” und zugleich „geweiht”, denn die Nähe wird von der allmächtigen Größe erfüllt. Wir sind Hüter dieses Geheimnisses! Vielleicht haben wir diesen Sinn für das bescheidene göttliche Maß verloren und sind überdrüssig geworden, den Unsrigen das „Häuschen” anzubieten, in dem sie sich mit Gott vertraut fühlen. Es kann auch sein, dass man, weil man den Sinn für Gottes Größe ein wenig vernachlässigt hat, teilweise die Ehrfurcht gegenüber einer solchen Liebe verloren hat. Wo Gott wohnt, kann der Mensch nicht Zugang haben, ohne zugelassen zu sein, und er tritt nur ein, wenn er sich „die Sandalen auszieht” (vgl. Ex 3,5), um die eigene Unzulänglichkeit zu bekennen.

Dass wir vergessen haben, uns „die Sandalen auszuziehen”, um einzutreten – liegt da nicht möglicherweise die Wurzel dafür, dass der Sinn für die Heiligkeit des menschlichen Lebens verloren gegangen ist, der Sinn für die Heiligkeit der Person, der wesentlichen Werte, der im Laufe der Jahrhunderte angesammelten Weisheit, der Achtung gegenüber der Natur? Wenn diese tiefen Wurzeln im Bewusstsein der Menschen und der Gesellschaft nicht wiedergewonnen werden, wird sogar der großherzigen Arbeit für die legitimen Menschenrechte der Lebenssaft fehlen, der nur aus einer Quelle kommen kann, die die Menschheit sich niemals selbst zu geben vermag.

Und, immer im Blick auf die Mutter, ein Letztes:

Ein Blick, der die Gesamtheit erfasst und zur Einheit zusammenführt

Nur im Blick auf die „Morenita” versteht man Mexiko ganz. Daher bitte ich euch zu begreifen, dass die Aufgabe, die die Kirche euch heute anvertraut und immer anvertraut hat, diesen Blick verlangt, der die Gesamtheit umfasst. Und das kann nicht isoliert verwirklicht werden, sondern nur in Gemeinschaft.

Die Guadalupana ist mit einem Band umgürtet, das ihre Fruchtbarkeit kundtut. Sie ist die Jungfrau, die in ihrem Schoß bereits den Sohn trägt, den die Menschen erwarten. Sie ist die Mutter, die schon die Menschheit der aufkeimenden neuen Welt austrägt. Sie ist die Braut, die vorausweist auf die fruchtbare Mutterschaft der Kirche Christi. Ihr habt die Aufgabe, die gesamte mexikanische Nation mit der Fruchtbarkeit Gottes zu umgürten. Kein Stück dieses Gürtels darf geringschätzig behandelt werden.

Der mexikanische Episkopat hat in diesen Jahren der Versöhnung bemerkenswerte Schritte vollbracht; die Zahl seiner Mitglieder ist gestiegen; eine fortdauernde ständige und qualifizierte Weiterbildung wurde gefördert; es fehlte nicht an einer brüderlichen Atmosphäre; der Geist der Kollegialität ist gewachsen; die pastoralen Aktivitäten haben einen Einfluss auf eure Ortskirchen und auf das nationale Bewusstsein ausgeübt; die gemeinsam durchgeführten pastoralen Arbeiten waren in den wesentlichen Bereichen der kirchlichen Mission wie dem der Familie, dem der Berufungen und dem der Präsenz im gesellschaftlichen Leben fruchtbringend.

Während wir uns über den Weg dieser Jahre freuen, möchte ich euch bitten, euch nicht entmutigen zu lassen durch die Schwierigkeiten und nicht zu sparen mit jeder möglichen Anstrengung, um unter euch und in euren Diözesen den missionarischen Eifer zu fördern, vor allem gegenüber den am meisten bedürftigen Teilen des einen Leibes der mexikanischen Kirche. Wiederzuentdecken, dass die Kirche Mission bedeutet, ist grundlegend für ihre Zukunft, denn nur die Begeisterung und das überzeugte Staunen der Verkünder des Evangeliums besitzt die mitreißende Kraft. Daher bitte ich euch, besonders auf die Ausbildung und Vorbereitung der Laien zu achten, jede Form von Klerikalismus zu überwinden und sie aktiv in die Mission der Kirche einzubeziehen, vor allem indem sie mit dem Zeugnis ihres Lebens das Evangelium Christi in der Welt gegenwärtig werden lassen.

Diesem mexikanischen Volk wird ein vereinigendes Zeugnis der christlichen Synthese und eine allseits geteilte Sicht der Identität und der Bestimmung seiner Nation sehr hilfreich sein. In diesem Sinn wäre es sehr wichtig, dass die Päpstliche Universität Mexikos immer mehr im Mittelpunkt der kirchlichen Bemühungen stünde, um jene Gesamtschau sicherzustellen, ohne die der Verstand sich mit Teilelementen zufrieden gibt und auf sein höchstes Streben, nämlich die Suche nach der Wahrheit, verzichtet.

Die Mission ist weitläufig, und sie voranzubringen verlangt vielfältige Wege. Mit größtem Nachdruck ermahne ich euch, die Gemeinschaft und die Einheit unter euch zu bewahren. Das, Brüder, ist wesentlich. Das steht nicht hier im Text, aber es kommt mir jetzt spontan. Wenn ihr streiten müsst, dann streitet; wenn ihr einander etwas sagen müsst, dann sagt es – aber als Männer, geradeheraus ins Gesicht, und als Männer Gottes, die danach gehen, um gemeinsam zu beten, gemeinsam zu unterscheiden und – wenn man übertrieben hat – um Verzeihung zu bitten. Aber erhaltet die Einheit des Leibes des Episkopats, Gemeinschaft und Einheit unter euch. Die Gemeinschaft ist die Lebensform der Kirche, und die Einheit ihrer Hirten beweist ihre Wahrhaftigkeit. Mexiko und seine weit gespannte und vielgestaltige Kirche brauchen Bischöfe, die Diener und Hüter der Einheit sind – einer Einheit, die auf dem Wort des Herrn aufgebaut, von seinem Leib genährt und durch seinen Geist geführt wird, der der Lebensatem der Kirche ist.

Es sind keine „Fürsten” nötig, sondern es bedarf einer Gemeinschaft von Zeugen des Herrn. Christus ist das einzige Licht; er ist die Quelle lebendigen Wassers; aus seinem Atem weht der Heilige Geist, der die Segel des Kirchenbootes aufbläht. In Christus, den die Menschen dieses Volkes gerne als König verehren, entzündet gemeinsam das Licht, erfüllt euch mit seiner Gegenwart, die nicht vergeht; atmet in vollen Zügen die gute Luft des Heiligen Geistes ein. Euch kommt es zu, Christus im ganzen Land auszusäen, sein einfaches Licht, das erhellt, ohne zu blenden, am Brennen zu halten und sicherzustellen, dass an seinem Wasser der Durst seines Volkes gestillt wird; spannt die Segel aus, damit das Wehen des Geistes sie ausbreite und das Boot der Kirche in Mexiko nicht auf Grund läuft.

Erinnert euch daran, dass die Braut – die Braut eines jeden von euch, die Mutter Kirche – genau weiß, dass der geliebte Hirt (vgl. Hld 1,7) nur da zu finden ist, wo die Weiden grasbewachsen und die Bäche kristallklar sind. Die Braut misstraut den Gefährten des Bräutigams, die manchmal aus Fahrlässigkeit oder aus Unfähigkeit die Herde zu dürren, felsigen Orten führen. Weh uns Hirten, Gefährten des obersten Hirten, wenn wir die Braut  umherirren lassen, weil in dem Zelt, das wir errichtet haben, der Bräutigam nicht zu finden ist!

Gestattet mir ein letztes Wort, um die Würdigung des Papstes für all das auszudrücken, was ihr tut, um der Herausforderung unserer Zeit zu begegnen, die die Migrationen darstellen. Millionen von Söhnen und Töchtern der Kirche leben heute in der Diaspora oder in Übergangssituationen ihrer Wanderung gen Norden auf der Suche nach neuen Chancen. Viele von ihnen lassen die eigenen Wurzeln hinter sich, um – auch im Untergrund, der alle Arten von Gefahren in sich birgt – die Suche nach dem „grünen Licht” zu wagen, das sie als ihre Hoffnung ansehen. Viele Familien teilen sich, und nicht immer ist die Eingliederung in das vermeintliche „Land der Verheißung” ist so leicht, wie man denkt.

Brüder, eure Herzen sind fähig, ihnen zu folgen und sie jenseits der Grenzen zu erreichen. Stärkt die Gemeinschaft mit euren Brüdern vom Episkopat der Vereinigten Staaten, damit die mütterliche Gegenwart der Kirche die Wurzeln ihres Glaubens – des Glaubens dieses Volkes –, die Gründe ihrer Hoffnung und die Kraft ihrer Liebe am Leben hält. Es soll ihnen nicht so ergehen, dass sie ihre Harfen aufhängen, dass ihre Fröhlichkeit verstummt, dass sie Jerusalem vergessen (vgl. Ps 137) und sich in „aus sich selbst vertriebene Exilanten” verwandeln. Bezeugt gemeinsam, dass die Kirche Hüterin einer Gesamtschau des Menschen ist und nicht mittragen kann, dass er zu einer bloßen menschlichen „Ressource” herabgewürdigt wird.

Die Eilfertigkeit eurer Diözesen, das Wenige an Balsam, das sie besitzen, auf die wunden Füße derer zu gießen, die ihr Territorium durchqueren, und das unter Schwierigkeiten gesammelte Geld für sie auszugeben, wird nicht vergeblich sein; der göttliche Samariter wird am Ende denjenigen reich belohnen, der nicht gleichgültig an ihm vorüberging, als er hingestürzt auf dem Weg lag (vgl. Lk 10,25-37).

Liebe Brüder,

der Papst ist sicher, dass Mexiko und seine Kirche rechtzeitig zum Treffen mit sich selbst, mit ihrer Geschichte und mit Gott gelangen werden. Vielleicht mag mancher Felsbrocken auf dem Weg den Lauf verzögern, und die Mühe der Strecke wird manche Ruhepause verlangen, doch das wird nie ausreichen, um das Ziel verpassen zu lassen. Darum, liebe Brüder:

Kann zu spät kommen, wer eine Mutter hat, die ihn erwartet? Wer ständig in seinem Herzen den Klang der Worte hören kann: „Bin ich etwa nicht hier, ich, die ich deine Mutter bin?”

Danke.

 



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