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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH SCHWEDEN
(31. OKTOBER - 1. NOVEMBER 2016)

PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG NACH ROM

Dienstag, 1. November 2016

[Multimedia]


 

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater, herzlich willkommen. Im Hinblick auf die verschiedenen Religionen sprechen Sie viel von „gemeinsam gehen“. Auch wir waren ein wenig gemeinsam unterwegs, mancher zum ersten Mal: Wir haben hier schwedische Journalisten – ich denke, es ist länger her, seit zum letzten Mal ein schwedischer Journalist mit an Bord war. Wir beginnen mit ihnen. Elin Swedenmark von der schwedischen Agentur TT.

Papst Franziskus:

Zuallererst möchte ich Sie grüßen und Ihnen für die Arbeit, die Sie geleistet haben, danken, dafür, dass Sie gefroren haben … Wir sind aber noch rechtzeitig abgereist, denn heute, heißt es, soll die Temperatur um weitere fünf Grad sinken. Da sind wir rechtzeitig abgereist! Vielen Dank. Danke für Ihre Gesellschaft und für Ihre Arbeit.

Elin Swedenmark:

Danke, guten Tag. Gestern haben Sie, Heiliger Vater, von der Revolution der Zärtlichkeit gesprochen. Gleichzeitig sehen wir, dass immer mehr Menschen aus Ländern wie Syrien oder dem Irak in den europäischen Ländern Zuflucht suchen. Einige aber reagieren mit Angst, oder es gibt sogar Menschen, die meinen, dass die Ankunft dieser Flüchtlinge die Kultur des Christentums in Europa bedrohen könnte. Was ist Ihre Botschaft für die Menschen, die sich vor dieser Entwicklung der Situation fürchten, und was ist Ihre Botschaft für Schweden, das nach einer langen Tradition der Aufnahme von Flüchtlingen nun beginnt, seine Grenzen zu schließen?

Papst Franziskus:

Zunächst möchte ich als Argentinier und Südamerikaner Schweden für diese Aufnahme sehr danken, denn zur Zeit der Militärdiktaturen wurden viele Argentinier, Chilenen, Uruguayer in Schweden aufgenommen. Schweden hat eine lange Tradition der Aufnahme. Und es geht dabei nicht nur darum, aufzunehmen, sondern zu integrieren, sofort Wohnung zu suchen, Schule, Arbeit … in einem Volk zu integrieren. Es wurde mir die Statistik genannt – vielleicht irre ich mich, ich bin nicht sicher, aber das, woran ich mich erinnere, ich kann mich irren – wie viele Einwohner hat Schweden? Neun Millionen? Von diesen neun Millionen – hat man mir gesagt – seien 850.000 „neue Schweden“, d.h. Migranten oder Flüchtlinge oder deren Kinder. Das ist das erste. Zweitens: Man muss zwischen Migrant und Flüchtling unterscheiden, nicht? Der Migrant muss nach bestimmten Regeln behandelt werden, denn Auszuwandern ist ein Recht, aber ein sehr geregeltes Recht. Flüchtling sein hingegen ergibt sich aus einer Lage von Krieg, Furcht, Hunger, aus einer schrecklichen Situation, und der Status eines Flüchtlings benötigt mehr Sorge, mehr Arbeit. Auch darin hat Schweden immer ein Beispiel gegeben, bei der Unterbringung, beim Erlernen der Sprache, der Kultur und beim Integrieren in die Kultur. Drittens: Über diesen Aspekt der Integration der Kulturen brauchen wir nicht erschrecken, denn Europa wurde durch eine beständige Integration von Kulturen gebildet, von vielen Kulturen … Ich denke – und dies sage ich nicht auf beleidigende Weise, nein, sondern als eine Kuriosität – die Tatsache, dass in Island ein Isländer praktisch mit dem heutigen Isländisch seine Klassiker von vor tausend Jahren ohne Schwierigkeit lesen kann, bedeutet, dass es ein Land mit wenigen Immigrationen ist, mit wenigen „Wellen“, wie es bei Europa der Fall war. Europa hat seine Gestalt durch die Migrationen erhalten. … Weiter, was denke ich von den Ländern, welche die Grenzen schließen: Ich meine, in der Theorie kann man das Herz nicht vor einem Flüchtling verschließen, aber es braucht auch die Klugheit der Regierenden. Die müssen sehr offen sein, um sie aufzunehmen, aber auch Berechnungen anstellen, wie man sie unterbringen kann, denn einen Flüchtling muss man nicht nur aufnehmen, sondern man muss ihn integrieren. Und wenn ein Land die Kapazität zur Integration von – nennen wir es so – zwanzig Einheiten hat, soll es bis dahin gehen. Wenn ein anderes eine größere Kapazität hat, soll es mehr tun. Doch stets mit einem offenen Herzen: Es ist nicht menschlich, die Türen zu schließen, es ist nicht menschlich, das Herz zu verschließen, und auf lange Sicht bezahlt man dafür. Hier bezahlt man politisch, wie man auch eine Unvorsichtigkeit bei den Berechnungen, bei der Aufnahme von mehr Menschen, als integriert werden können, politisch bezahlen kann. Was ist nämlich die Gefahr, wenn ein Flüchtling oder ein Migrant – dies gilt für beide – nicht integriert wird, nicht integriert ist? Es sei mir der Ausdruck erlaubt – vielleicht ist es ein Neologismus – er gettoisiert sich bzw. er begibt sich in ein Getto. Und eine Kultur, die sich nicht in Beziehung mit der anderen Kultur entwickelt, das ist gefährlich. Ich meine, der schlechteste Ratgeber der Länder, die dazu neigen, die Grenzen zu schließen, ist die Angst, und der beste Ratgeber ist dagegen die Klugheit. Ich konnte in diesen Tagen mit einem Beamten der schwedischen Regierung reden, und er sprach von manchen Schwierigkeiten zurzeit – dies gilt für Ihre letzte Frage – von manchen Schwierigkeiten, weil so viele kommen, und man sie nicht rechtzeitig unterbringen kann, nicht dabei unterstützen kann, Schule, Wohnung, Arbeit zu suchen und die Sprache zu erlernen. Die Klugheit muss diese Berechnung anstellen. Schweden hingegen … Ich denke nicht, dass Schweden, wenn es seine Aufnahmekapazitäten verringert, dies aus Egoismus tut oder weil es diese Fähigkeit verloren hat; wenn es etwas dieser Art gibt, dann ist es wegen der Sache, die ich zuletzt genannt habe. Heute blicken viele auf Schweden, denn sie kennen seine Aufnahme, aber zur Unterbringen fehlt die Zeit, die für alle benötigt wird. Ich weiß nicht, ob ich damit eine Antwort gegeben habe. Danke.

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Nun folgt eine Frage des schwedischen Fernsehens: Anna Cristina Kappelin von Sveriges TV.

Anna Cristina Kappelin:

Guten Tag. Schweden, das dieses wichtige ökumenische Treffen beherbergt hat, hat eine Frau als Oberhaupt seiner Kirche. Was halten Sie davon? Ist es realistisch, an Frauenpriesterinnen auch in der Katholischen Kirche in den nächsten Jahrzehnten zu denken? Und wenn nicht, warum? Haben die katholischen Priester Angst vor Konkurrenz?

Papst Franziskus [lacht]:

Beim Lesen der Geschichte dieser Region, in der wir waren, habe ich gesehen, dass es eine Königin gab, die dreimal verwitwet war, und ich habe mir gesagt: „Das ist eine starke Frau“. Und mir wurde gesagt: „Die schwedischen Frauen sind sehr stark, sehr tüchtig, und deswegen sucht sich mancher Schwede eine Frau einer anderen Nationalität.“ Ich weiß nicht, ob das stimmt! … Hinsichtlich der Weihe von Frauen in der Katholischen Kirche hat der heilige Johannes Paul II. das letzte klare Wort gesprochen, und das bleibt. Das gilt. Hinsichtlich der Konkurrenz, weiß ich nicht …

Anna Cristina Kappelin: Endgültig nie Priesterinnen?

Papst Franziskus:

Wenn wir die Erklärung von Johannes Paul II. richtig lesen, geht es in diese Richtung. Ja. Frauen können aber viele Dinge machen, besser als Männer. Und auch auf dogmatischem Gebiet – ich möchte es verdeutlichen, vielleicht um Klarheit zu geben und nicht nur auf ein Dokument Bezug zu nehmen –; es gibt in der katholischen Ekklesiologie zwei Dimensionen: die petrinische Dimension, jene der Apostel – Petrus und das Apostelkollegium, das ist die Hirtenaufgabe der Bischöfe –, und die marianische Dimension, das ist die weibliche Dimension der Kirche. Dies habe ich mehr als einmal gesagt. Ich frage mich, wer ist in der Theologie und in der Mystik der Kirche wichtiger: die Apostel oder Maria am Pfingsttag? Maria ist es! Und dazu: die Kirche ist weiblich. Es heißt „die“ Kirche, nicht „der“ Kirche“. Es ist die Kirche. Und die Kirche ist die Braut Jesu Christi. Es ist ein bräutliches Geheimnis. Und im Licht dieses Geheimnisses begreift man das Warum dieser beiden Dimensionen: die petrinische Dimension, d.h. die bischöfliche, und die marianische Dimension mit all dem, was die Mutterschaft der Kirche ausmacht, aber in einem tiefergehenden Sinn. Die Kirche gibt es nicht ohne diese weibliche Dimension, denn sie selbst ist weiblich.

Greg Burke:

Danke. Jetzt kommt eine Frage von Austen Ivereigh; ich weiß nicht, ob er auf Spanisch oder im Dialekt von Buenos Aires spricht … Und wenn Eva Fernandez näher kommen kann …

Austen Ivereigh [auf Spanisch]:

Vielen Dank, Heiliger Vater. Dieser Herbst war sehr reich an ökumenischen Treffen mit den traditionellen Kirchen: mit der orthodoxen Kirche, mit der anglikanischen und jetzt mit der lutherischen. Aber der Großteil der Protestanten heute in der Welt sind evangelikaler, pentekostaler Tradition ... Ich habe gehört, dass nächstes Jahr am Vorabend von Pfingsten eine Veranstaltung im Circus Maximus stattfinden wird, um den 50. Jahrestag der Charismatischen Erneuerung zu feiern. Sie haben viele Initiativen – vielleicht zum ersten Mal für einen Papst – im Jahr 2014 mit den Führungskräften der Evangelikalen unternommen. Was ist aus diesen Initiativen geworden und was erhoffen Sie sich von der Versammlung, vom Treffen im kommenden Jahr? Vielen Dank.

Papst Franziskus [auf Spanisch]:

Mit diesen Initiativen ... ich würde sagen, ich habe zwei Arten von Initiativen unternommen. Eine, als ich in Caserta die Pfingstgemeinde besucht habe, und auf derselben Linie die zweite, als ich in Turin die Waldenserkirche besucht habe. Es war eine Initiative der Wiedergutmachung und der Bitte um Vergebung, denn die Katholiken ... ein Teil, ein Teil der Katholischen Kirche hat sich nicht echt christlich ihnen gegenüber verhalten. Und da galt es, um Vergebung zu bitten und eine Wunde zu heilen.

Die andere Initiative bezog sich auf den Dialog, und dies schon seit Buenos Aires. In Buenos Aires haben wir zum Beispiel drei Treffen im Luna Park, in dem 7.000 Personen Platz finden, abgehalten. Drei Treffen von evangelischen und katholischen Gläubigen von der Richtung der charismatischen Erneuerung, aber auch offen für alle. Die Treffen dauerten den ganzen Tag: Ein Pastor, ein evangelischer Bischof hielt eine Predigt und ein katholischer Priester oder ein katholischer Bischof; oder zwei und zwei wechselten sich ab. Bei zwei dieser Treffen – wenn nicht bei allen drei, sicher aber bei zwei – hat P. Rainiero Cantalamessa, der Prediger des Päpstlichen Hauses, gepredigt.

Ich denke, dies kommt schon von den vorangegangenen Pontifikaten her und als ich in Buenos Aires war, und es hat uns gut getan. Wir haben auch geistliche Einkehrtage abgehalten, drei Tage mit Pastoren und Priestern gemeinsam, die auch von Pastoren und einem Priester oder einem Bischof gepredigt wurden. Und dies hat viel zum Dialog beigetragen, zum Verständnis, zur Annährung, zur Arbeit ... besonders zur Arbeit mit den Bedürftigsten. Gemeinsam. Und es hat zum gegenseitigen Respekt beigetragen, zur großen Achtung füreinander. Dies hinsichtlich der schon in Buenos Aires unternommenen Initiativen … Hier in Rom hatte ich verschiedene Begegnungen mit Pastoren, schon zwei oder drei. Einige kamen aus den USA und von hier, aus Europa.

Was Sie dann noch erwähnt haben, ist die Feier, die vom ICCRS [International Catholic Charismatic Renewal Services] organisiert wird. Es ist die 50-Jahr-Feier der Charismatischen Erneuerung, die ökumenisch entstanden ist, und daher wird es eine ökumenische Feier in diesem Sinn sein, und sie wird im Circus Maximus stattfinden. Ich habe vor – wenn Gott es mich erleben lässt – dort hinzugehen und zu sprechen. Mir scheint, das Treffen dauert zwei Tage, aber es ist noch nicht organisiert. Ich weiß, dass es am Vorabend von Pfingsten abgehalten wird, und ich werde zu irgendeinem Zeitpunkt sprechen. Apropos Charismatische Erneuerung und Pentekostale: Das Wort „pentekostal“, die Bezeichnung „pentekostal“ ist heute mehrdeutig. Es bezieht sich nämlich auf viele Sachen, auf viele Vereinigungen, viele kirchliche Gemeinschaften, die nicht gleich sind, sogar gegensätzlich. Man muss daher genauer sein. D.h. die Bezeichnung ist so allgemein geworden, dass sie zu einem vieldeutigen Begriff wurde. In Brasilien ist das typisch, wo sie sich ziemlich verbreitet hat.

Die Charismatische Erneuerung entsteht … – und einer der ersten Gegner, die es in Argentinien gab, spricht gerade mit ihnen; ich war damals nämlich Provinzial der Jesuiten, als sie in Argentinien angefangen hat, und ich habe den Jesuiten verboten, da mitzumachen. Und ich habe öffentlich gesagt, dass man, wenn man Liturgie feiert, etwas Liturgisches tut und nicht eine „Sambaschule“ hält. Das habe ich gesagt. Doch heute denke ich anders, wenn die Sachen gut gemacht sind.

Mehr noch, jedes Jahr feierten wir in Buenos Aires in der Kathedrale einmal im Jahr eine Messe der Charismatischen Erneuerungsbewegung, zu der alle kamen. Auch ich habe also einen Prozess durchgemacht, das Gute anzuerkennen, das die Charismatische Erneuerung der Kirche geschenkt hat. Und man darf hier nicht die große Gestalt eines Kardinals Suenens vergessen, der diese prophetische und ökumenische Vision hatte.  

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Jetzt spricht Eva Fernández vom Sender Cope für das spanische Radio.

Eva Fernández [auf Spanisch]:

Heiliger Vater, ich würde diese Frage gerne auf Italienisch an Sie richten, aber ich fühle mich noch nicht dazu in der Lage. – Vor kurzem waren Sie mit dem Präsidenten Venezuelas Nicolás Maduro zusammen. Welchen Eindruck hatten Sie von der Begegnung, und was ist Ihre Meinung zum Beginn der Gespräche. Vielen Dank, Heiliger Vater.

Papst Franziskus:

Ja, der venezolanische Präsident hat um eine Begegnung und einen Termin gebeten, weil er vom Nahen Osten, von Katar und anderen Emiraten kam und eine Zwischenlandung in Rom machte. Er hatte sich schon früher um ein Treffen bemüht. Er war 2013 gekommen; dann hat er um einen weiteren Termin gebeten. Aber er wurde krank und konnte nicht kommen. So hat er sich um diesen Termin bemüht. Wenn ein Präsident anfragt, wird er empfangen. Noch dazu war er in Rom wegen einer Zwischenladung. Ich habe ihn eine halbe Stunde angehört bei diesem Treffen. Ich habe ihm zugehört, einige Fragen gestellt und seine Meinung zur Kenntnis genommen. Es ist immer gut, alle Meinungen zu erfahren. Ich habe seine Beurteilung angehört. Was den zweiten Punkt, den Dialog betrifft: Das ist der einzige Weg in allen Konflikten. Bei allen Konflikten. Entweder man spricht miteinander, oder man schreit sich an; es gibt keine andere Möglichkeit. Mit ganzem Herzen setze ich alles auf den Dialog, und ich glaube, dass man auf diesem Weg weitergehen muss. Ich weiß nicht, wie es ausgehen wird. Ich weiß es nicht. Denn es ist sehr kompliziert. Aber die Personen, die mitmachen, sind Leute von einem bedeutenden politischen Format. Zapatero, der zweimal spanischer Regierungschef war, und Restrepo [wie auch alle Parteien] haben den Heiligen Stuhl gebeten, am Dialog teilzunehmen. Der Heilige Stuhl hat den Nuntius in Argentinien, Erzbischof Tscherrig, bestimmt. Ich glaube, er ist dort am Verhandlungstisch. Der Dialog, der die Verhandlungen voranbringt, ist der einzige Weg, um aus den Konflikten herauszukommen; es gibt keinen anderen… Wenn der Nahe Osten das gemacht hätte, wie viele Menschenleben wären verschont geblieben! [Anm. d. Red.: Erzbischof Tscherrig hat in der ersten Sitzung Erzbischof Claudio Maria Celli ersetzt, der als Beisitzer bei den Verhandlungen ernannt worden war.]

Greg Burke:

Danke, Heiliger Vater. Von Radio France haben wir nun Mathilde Imberty.

Mathilde Imberty:

Heiligkeit, wir kehren gerade aus Schweden zurück, das eine sehr starke Säkularisierung erlebt. Dies ist ein Phänomen, das Europa im Allgemeinen berührt. Sogar für ein Land wie Frankreich schätzt man, dass in den nächsten Jahren eine Mehrheit der Bürger religionslos sein wird. Ist die Säkularisierung Ihrer Meinung nach ein unabwendbares Schicksal? Wer sind die dafür Verantwortlichen, die laizistischen Regierungen oder die Kirche, die zu schüchtern wäre? Danke.

Papst Franziskus:

Ein unabwendbares Schicksal, nein. Ich glaube nicht an das unabwendbare Schicksal! Wer sind die Verantwortlichen? Ich könnte es nicht sagen … Du [d.h. irgendeiner] bist der Verantwortliche. … Ich weiß nicht, es ist ein Prozess … Aber zuerst will ich eine kleine Sache sagen: Papst Benedikt XVI. hat dazu viel und klar gesprochen. Wenn der Glaube lau wird, geschieht es deshalb, weil, wie Sie sagen, die Kirche schwächer wird … in den am meisten säkularisierten Zeiten. … Aber denken wir an Frankreich beispielsweise zu den Zeiten, als der Hof mondän wurde: die Zeiten, in denen die Priester Abbé des Hofes waren. Es war ein klerikaler Funktionalismus … Aber es fehlte die Kraft der Evangelisierung, die Kraft des Evangeliums. Immer wenn es eine Säkularisierung gibt, können wir sagen, dass es eine gewisse Schwäche in der Evangelisierung gibt, das stimmt ... Aber es gibt auch einen anderen Prozess, einen kulturellen Prozess, einen Prozess – ich glaube, ich habe darüber schon einmal gesprochen – der zweiten Form von „Unkultur“ [„Wildnis“ (vgl. R. Guardnini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950, S. 95-96)]. Also wenn der Mensch die Welt von Gott empfängt, um sie zur Kultur zu machen, sie wachsen zu lassen und zu beherrschen, aber dann in einem gewissen Moment sich so sehr als der Herr dieser Kultur versteht – denken wir an den Mythos des Turms von Babel – und so sehr Herr über diese Kultur ist, dass er beginnt, sich selbst zum Schöpfer einer anderen, eigenen Kultur zu machen, und den Platz des göttlichen Schöpfers einnimmt. Ich glaube, in der Säkularisierung gelangt man früher oder später zur Sünde gegen Gott den Schöpfer. Der selbstgenügsame Mensch. Es ist nicht ein Problem der Laizität, weil es eine gesunde Laizität braucht; das ist die Autonomie der Dinge, eine gesunde Autonomie der Dinge, eine gesunde Autonomie der Wissenschaften, des Denkens, der Politik. Es bedarf einer gesunden Laizität. Eine andere Sache ist ein Laizismus, der eher kämpferisch ist wie jener, den uns die Aufklärung als Erbe hinterlassen hat. Ich glaube, dass es diese beiden Aspekte sind: ein wenig die Selbstgenügsamkeit des Menschen als Schöpfer von Kultur, der aber die Grenzen überschreitet und sich als Gott fühlt; und dann auch etwas eine Schwäche bei der Evangelisierung, die lau wird. Und die Christen sind lau. Hier rettet uns, wenn wir ein wenig die gesunde Autonomie wieder aufnehmen bei der Entwicklung der Kultur und der Wissenschaften, doch auch im Bewusstsein der Abhängigkeit, dass wir Geschöpf und nicht Gott sind. Ferner heißt es, die Kraft der Evangelisierung wieder aufzunehmen. Ich glaube, dass heute diese Säkularisierung sehr stark ist in der Kultur und in gewissen Kulturen. Ebenso ist sie in verschiedenen Formen des Mondänen sehr stark, sie ist die spirituelle Weltlichkeit. Wenn die spirituelle Weltlichkeit in die Kirche Einzug hält, ist es am schlimmsten. Es sind nicht meine Worte, die ich jetzt zitiere. Sie stammen von Kardinal De Lubac, einem der großen Theologen des [Zweiten Vatikanischen] Konzils. Er sagte, wenn in die Kirche die mondäne Art des Spirituellen einzieht – das ist eine Form –, … ist es die schlimmste Sache, die ihr zustoßen kann, schlimmer noch als das, was in der Zeit der korrupten Päpste geschah. Und er nannte einige Formen der Korruption der Päpste, ich erinnere mich nicht gut; es waren aber viele. Die mondäne Lebensweise. Das ist meiner Auffassung nach gefährlich. Auf das Risiko hin, dass dies hier als eine Ansprache oder Predigt erscheinen mag, sage ich dazu: Als Jesus beim Letzten Abendmahl für uns alle betete, erflehte er vom Vater eine Sache für uns alle, nämlich uns nicht aus dieser Welt zu nehmen, sondern vor der Welt, vor dem Mondänen zu bewahren. Es ist sehr gefährlich; es ist eine Säkularisierung, die etwas geschminkt, ein wenig verkleidet, ein wenig als Prêt-à-porter im Leben der Kirche daherkommt. Ich weiß nicht, ob die Frage damit beantwortet ist …

Greg Burke:

Danke, Heiligkeit. Nun kommt vom [Zweiten] Deutschen Fernsehen ZDF Jürgen Erbacher.

Jürgen Erbacher:

Heiligkeit, vor einigen Tagen haben Sie die Santa Marta Group empfangen, die sich dem Kampf gegen die moderne Sklaverei und gegen den Menschenhandel widmet. Das sind Themen, die meinem Eindruck nach Ihnen sehr am Herzen liegen. Nicht erst als Papst, sondern schon in Buenos Aires haben Sie sich mit diesen Themen beschäftigt. Warum? Gab es da eine besondere oder vielleicht auch persönliche Erfahrung? Und weiter muss ich als Deutscher Sie zu Beginn des Gedenkjahres der Reformation auch fragen, ob Sie das Land, wo die Reformation vor fünfhundert Jahren begonnen hat, vielleicht noch in diesem Jahr besuchen werden.

Papst Franziskus:

Ich beginne mit der zweiten Frage. Das Programm der Reisen im nächsten Jahr ist noch nicht gemacht. Ja, man weiß nur, fast sicher, dass ich nach Indien und Bangladesch gehen soll. Doch das Programm steht noch nicht fest. Es ist eine Hypothese.

Nun zur ersten Frage. Ja, seit langem, in Buenos Aires, als Priester, immer schon hatte ich diese Beunruhigung für das Fleisch Christi. Die Tatsache, dass Christus weiter leidet, dass er ständig in seinen schwächsten Geschwistern gekreuzigt wird, hat mich immer bewegt. Ich habe als Priester kleine Sachen mit den Armen gemacht, aber nicht ausschließlich, ich habe ja auch mit Studenten an der Universität gearbeitet. Als ich Bischof war, haben wir in Buenos Aires – auch mit Gruppen von Nichtkatholiken und Nichtglaubenden – Initiativen gegen die Sklavenarbeit durchgeführt, von der besonders die lateinamerikanischen Migranten, die in Argentinien ankommen, betroffen sind. Sie nehmen ihnen die Pässe weg und lassen sie in den Betrieben Sklavenarbeit machen, aber schließen sie dabei ein … Einmal hat es in so einem Betrieb gebrannt. Sie hatten die Kinder auf der Terrasse gelassen, und sie sind alle umgekommen wie auch mancher, der nicht fliehen konnte … Sie sind wirklich Sklaven, und das hat mich ergriffen. Der Menschenhandel. Ich habe auch mit zwei Schwesternorden zusammengearbeitet, die mit den Prostituierten arbeiten, mit den versklavten Frauen der Prostitution. Es gefällt mir nicht, Prostituierte zu sagen. Sie sind vielmehr Sklavinnen der Prostitution. Einmal im Jahr haben alle diese Sklaven des Systems eine Messe auf der Plaza Constitución gefeiert, bei einem der Kopfbahnhöfe von Buenos Aires – so wie Termini in Rom, denken Sie an Termini –; dort feierten wir die heilige Messe mit allen. Zu diesem Gottesdienst kamen alle Organisationen, die Schwestern, die dort arbeiteten, und auch die nichtglaubenden Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiteten. Und hier läuft das genauso. Hier in Italien gibt es so viele Gruppen von Freiwilligen, die gegen jede Form von Sklaverei arbeiten, sei es die Sklaverei der Arbeit oder die der Frauen. Vor einigen Monaten habe ich eine dieser Organisationen besucht und die Menschen dort … Hier in Italien arbeitet man gut in diesen Freiwilligendiensten. Ich hätte mir das nicht so vorgestellt. Es ist eine gute Sache in Italien, die Freiwilligendienste. Und das ist den Pfarrern zu verdanken. Die Jugendkreise und die Freiwilligendienste sind zwei Dinge, die aus dem apostolischen Eifer der italienischen Pfarrer entstanden sind. Aber ich weiß nicht, ob ich die Frage beantwortet habe oder noch etwas …

Greg Burke:

Danke, Heiligkeit. Man sagt uns, dass wir, wenn wir etwas essen wollen, jetzt gehen müssen.

Papst Franziskus:

Ich danke Ihnen nochmals für die Fragen. Danke vielmals, besten Dank! Und beten Sie für mich. Guten Appetit!

 



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