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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 2. August 2000

 

Hören auf Wort und Geist der Offenbarung im Kosmos

Liebe Schwestern und Brüder! 

1. »Alle seine Werke sind vortrefflich, doch sehen wir nur einen Funken und ein Spiegelbild […] Sagten wir nochmal soviel, wir kämen an kein Ende; darum sei der Rede Schluß: Er ist alles! […] ist er doch größer als alle seine Werke« (Sir 42,22; 43,27–27). Diese wundervollen Worte aus dem Buch Jesus Sirach sind eine Zusammenfassung des zu allen Zeiten und unter allen Himmeln erhobenen Lobgesanges auf den Schöpfer, der sich durch die Unermeßlichkeit und Großartigkeit seiner Werke offenbart.

Wenn auch in unvollkommenen Formen, so haben doch sehr viele Stimmen in der Schöpfung die Gegenwart ihres Urhebers und Herrn erkannt. Ein König und Dichter der ägyptischen Antike wandte sich folgendermaßen an seine Sonnengottheit: »Wie zahlreich sind deine Werke! Sie sind unserem Gesicht verborgen; du, einziger Gott, außerhalb dessen niemand existiert, du hast die Erde nach deinem Willen geschaffen, als du allein warst« (Hymne an Aton, vgl. J. B. Pritchard [Hrsg.], Ancient Near Eastern Texts, Princeton 1969, S. 369–371). Einige Jahrhunderte später preist auch ein griechischer Philosoph in einem wunderschönen Loblied die Gottheit, die sich in der Natur und insbesondere im Menschen offenbart: »Wir sind von deiner Art, und wir haben das Wort als Spiegelung deines Verstands; wir sind die einzigen beseelten Geschöpfe auf der Erde, die leben und sich bewegen« (vgl. Cleantes/Aratus, Hymne an Zeus, VV. 4–5). Der Apostel Paulus wird diesen Lobpreis wieder aufnehmen und sie in seiner Rede im Areopag von Athen zitieren (vgl. Apg 17,28).

2. Das Hören des Wortes, das der Schöpfer den Werken seiner Hände anvertraut hat, wird auch vom muslimischen Gläubigen gefordert: »O ihr Menschen, dienet eurem Herrn, der euch und die Früheren erschaffen; vielleicht fürchtet ihr ihn. Der euch die Erde zu einem Bett gemacht und den Himmel darüber erbaut, und vom Himmel Wasser hernieder sandte und durch dieses Früchte hervorbrachte zu eurer Nahrung« (Koran, 2. Sure, VV. 21–22, Übers. von M. Henning). Die jüdische Tradition, auf dem fruchtbaren Boden der Bibel gewachsen, wird die persönliche Gegenwart Gottes in jedem Winkel der Schöpfung entdecken: »Wo ich gehe – du! Wo ich stehe – du! Nur du, wieder du, immer du! […] Himmel – du, Erde – du, oben – du, unten – du! Wohin ich mich wende, an jedem Ende, nur du, wieder du, immer du!« (M. Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Manesse Verlag, 1949, S. 342).

3. Die biblische Offenbarung ist in diese breite Erfahrung des religiösen Sinnes und Betens der Menschheit eingeschlossen und prägt ihr das göttliche Siegel ein. Dadurch, daß sie uns das Geheimnis der Dreifaltigkeit mitteilt, hilft sie uns, in der Schöpfung selbst nicht nur die Spur des Vaters, Ursprung jedes Geschöpfs, zu erkennen, sondern auch die des Sohnes und des Geistes. Der Blick des Christen ist nämlich auf die gesamte Dreifaltigkeit gerichtet, wenn er mit dem Psalmisten die Himmel betrachtet: »Durch das Wort des Herrn« – d. h. durch sein Ewiges Wort – »wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes« – d. h. durch seinen Heiligen Geist (Ps 33,6). »Die Himmel rühmen [also] die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde« (Ps 19,2–5).

Das Hören unserer Seele muß frei von Lärm sein, um diese göttliche Stimme, die im Universum erklingt, hören zu können. Neben der eigentlichen, in der Heiligen Schrift enthaltenen Offenbarung tut sich Gott auch im Strahlen der Sonne und im Anbruch der Nacht kund. Auch die Natur ist in einem gewissen Sinne »das Buch Gottes«.

4. Wir können uns fragen, wie man in der christlichen Erfahrung die Betrachtung der Dreifaltigkeit durch die Schöpfung entwickeln könnte, und zwar indem man darin nicht nur allgemein eine Widerspiegelung des einen Gottes, sondern auch die Spur der einzelnen göttlichen Personen erkennt. Wenn es nämlich zutrifft, daß »der Vater und der Sohn und der Heilige Geist nicht drei Ursprünge der Schöpfung, sondern ein Ursprung« sind (Konzil von Florenz [1442], DS 1331), so trifft es doch auch zu, daß »jede göttliche Person das gemeinsame Werk gemäß ihrer persönlichen Besonderheit« wirkt (KKK, 258).

Wenn wir also voller Bewunderung das Universum in seiner Größe und Schönheit betrachten, müssen wir die ganze Dreifaltigkeit loben; ganz besonders wenden sich unsere Gedanken jedoch dem Vater zu; aus ihm geht alles hervor, und er ist Quelle und Fülle des Geschöpfs selbst. Wenn wir dann über die Ordnung nachdenken, die den Kosmos trägt, und die Weisheit bewundern, mit der der Vater ihn geschaffen und mit Gesetzen, die seine Existenz ordnen, ausgestattet hat, kehren wir unmittelbar zum ewigen Sohn zurück, den uns die Heilige Schrift als Wort (vgl. Joh 1,1–3) und göttliche Weisheit (vgl. 1 Kor 1,24.30) darstellt. In dem herrlichen Loblied, das die Weisheit im Buch der Sprichwörter anstimmt und das zu Beginn unseres Treffens vorgelesen wurde, erscheint sie als diejenige, die »in frühester Zeit […] beim Ursprung der Erde« gebildet wurde (Spr 8,23). Die Weisheit ist im Augenblick der Schöpfung gewissermaßen als eine Art »Architekt « anwesend und bereit, ihre Freuden unter die Menschen zu bringen (vgl. Spr 8,30.31). In dieser Hinsicht hat die christliche Überlieferung darin das Antlitz Christi gesehen, »das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung […] alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand« (Kol 1,15–17; vgl. Joh 1,3).

5. Im Licht des christlichen Glaubens läßt die Schöpfung besonders an den Heiligen Geist denken in der Dynamik, die die Beziehungen zwischen den Dingen innerhalb des Makro- und des Mikrokosmos kennzeichnet und die sich vor allem dort zeigt, wo das Leben entsteht und sich entwickelt. Durch diese Erfahrung wurde auch in den Kulturen, die dem Christentum fernliegen die Gegenwart Gottes als Geist anerkannt, der die Welt beseelt. Berühmt ist in diesem Zusammenhang der Ausdruck Vergils: »spiritus intus alit«, »der Geist nährt von innen« (Aeneis, VI, 726).

Der Christ weiß sehr wohl, daß eine solche Charakterisierung des Geistes unannehmbar wäre, wenn sie sich auf eine Art »Anima Mundi« – im pantheistischen Sinn verstanden – beziehen würde. Wenn man aber diesen Fehler ausschließt, bleibt es wahr, daß jede Form von Leben, Beseelen und Liebe letztendlich auf jenen Geist verweist, von dem das Buch Genesis sagt, daß er zu Beginn der Erschaffung der Welt »über dem Wasser schwebte« (Gen 1,2), und in dem die Christen einen Hinweis auf die Dritte Person der Heiligsten Dreifaltigkeit erkennen. Denn »dieser biblische Begriff der Schöpfung enthält nicht nur den Ruf ins Dasein des Kosmos als solchem, das heißt das Geschenk der Existenz, sondern auch die Gegenwart des Geistes Gottes in der Schöpfung, das heißt den Anfang der heilbringenden Selbstmitteilung Gottes an die Dinge, die er erschafft. Das gilt vor allem für den Menschen, der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen worden ist« (Dominum et vivificantem, 12).

Angesichts der Entfaltung der Offenbarung im Kosmos verkünden wir das Werk Gottes mit den Worten des Psalmisten: »Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde« (Ps 104,30).


Größe und Schönheit der geschaffenen Werke lassen auf den Schöpfer schließen. Die alten Religionen und auch die Philosophie widmeten sich der Betrachtung der Natur und des Menschen mit seinen besonderen Fähigkeiten. Dabei erkannten sie in der Schöpfung das Wirken und die Gegenwart ihres Urhebers. 

Erst in der biblischen Offenbarung vollendet sich diese religiöse Erfahrung des Menschen: Die Mitteilung des Geheimnisses der göttlichen Dreifaltigkeit führt uns zur vollen Erkenntnis des jeweiligen Wirkens von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist an den Menschen und seiner Umwelt.  

Der Mensch ist befähigt, auf die göttliche Stimme im Widerhall des Universums zu lauschen. Daher ist die Natur wie ein aufgeschlagenes 'Buch Gottes'.  

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Liebe Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache! Nützt die Zeit Eurer Ferien, um den dreifaltigen Gott in seinen Werken neu zu entdecken. Dabei wünsche ich Euch schöne und erholsame Tage. Gerne erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.

 

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