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JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 25. September 2002

 

Lesung: Psalm 85, 2–3. 9. 13–14 
Einst hast du, Herr, dein Land begnadet und Jakobs Unglück gewendet, hast deinem Volk die Schuld vergeben, all seine Sünden zugedeckt, … Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der Herr seinem Volk und seinen Frommen, den Menschen mit redlichem Herzen … Auch spendet der Herr dann Segen, und unser Land gibt seinen Ertrag. Gerechtigkeit geht vor ihm her, und Heil folgt der Spur seiner Schritte. 

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Der soeben gesungene Psalm 85 ist ein froher Gesang, voll Hoffnung auf das kommende Heil. Er spiegelt den Augenblick des Jubels wider, als Israel aus dem babylonischen Exil in das Land seiner Väter zurückkehrte. Das Volk konnte wieder am geliebten heimischen Herd leben, der bei der Eroberung Jerusalems durch das Heer des Königs Nebukadnezzar im Jahr 586 v. Chr. erloschen und zerstört worden war. 

In der Tat ist im hebräischen Original des Psalms wiederholt das Wort shub zu hören, das die Heimkehr der Verschleppten, aber auch eine geistliche »Rückkehr«, eine »Umkehr« bedeutet. Die Wiedergeburt betrifft also nicht nur das Volk, sondern auch die Gemeinschaft der Gläubigen, die die Verbannung als eine Strafe für die begangenen Sünden empfunden hatten und jetzt die Heimkehr und die wiedergewonnene Freiheit als einen göttlichen Segen für die vollbrachte Umkehr betrachteten. 

2. Der Psalm kann in seinem Verlauf entsprechend den beiden Hauptthemen gelesen werden. Das erste Thema ist die »Rückkehr« mit allem, was damit verbunden ist, worauf wir hingewiesen haben. 

Es wird vor allem die physische Rückkehr Israels gefeiert: »Einst hast du, Herr, … Jakobs Unglück gewendet« (V. 2); … »Gott, unser Retter, richte uns wieder auf, …Willst du uns nicht wieder beleben …?« (V. 5. 7). Es ist ein wertvolles Geschenk Gottes, denn er sorgt dafür, daß seine Söhne und Töchter von der Unterdrückung befreit werden, und er kümmert sich um ihr Wohlergehen. Er »liebt alles, was ist, …er schont alles, weil es sein Eigentum ist, der Herr, der Freund des Lebens« (vgl. Weish 11, 24. 26). 

Aber neben dieser »Rückkehr«, die die Verstreuten wieder sammelt, gibt es eine andere innere und geistliche »Rückkehr«. Ihr gibt der Psalmist viel Raum, indem er ihre besondere Bedeutung hervorhebt, die nicht nur für das alte Israel, sondern für die Gläubigen aller Zeiten gilt. 

3. In dieser »Rückkehr« handelt und wirkt der Herr;er offenbart seine Liebe, indem er seinem Volk die Schuld vergibt, dessen Sünden zudeckt, seinen Grimm zurückzieht und seinen Zorn dämpft (vgl. Ps 85, 3–4). 

Gerade die Befreiung vom Bösen, die Vergebung der Schuld, die Reinigung unserer Sünden erschaffen das neue Volk Gottes. Das wird durch eine Anrufung ausgedrückt, die auch in die christliche Liturgie eingegangen ist: »Erweise uns, Herr, deine Huld und gewähre uns dein Heil« 
(V. 8). 

Dieser »Rückkehr« zu Gott, der vergibt, soll aber die »Rückkehr«, das heißt die Umkehr des Menschen, entsprechen, der bereut. Denn im Psalm heißt es, daß Frieden und Heil »den Menschen mit redlichem Herzen« angeboten wird (V. 9). Wer entschlossen den Weg der Heiligkeit geht, empfängt die Geschenke der Freude, der Freiheit und des Friedens. 

In der Bibel wird die Sünde meist als eine falsche Richtung, ein Verfehlen des Zieles, ein Abweichen vom rechten Weg beschrieben. Die Umkehr ist eine »Rückkehr« auf den geraden Weg, der zum Haus des Vaters führt, der uns mit offenen Armen erwartet, um uns zu vergeben und uns glücklich zu machen (vgl. Lk 15, 11–32). 

4. Wir sind nun beim zweiten Teil des Psalms angelangt (vgl. Ps 85, 10–14), der in der christlichen Tradition so beliebt ist. Hier wird eine neue Welt beschrieben, in der die Liebe Gottes und seine Treue, als wären sie Personen, sich umarmen; auch Gerechtigkeit und Frieden begegnen einander und küssen sich. Die Wahrheit sprießt hervor wie ein neuer Frühling, und die Gerechtigkeit, die für die Bibel auch Heil und Heiligkeit ist, blickt vom Himmel hernieder und tritt ihren Weg unter der Menschheit an. 

Alle Tugenden, die zuvor wegen der Sünde von der Erde verbannt worden waren, treten jetzt wieder in die Geschichte ein und zeichnen, indem sie sich treffen, den Plan für eine Welt des Friedens. Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden werden gleichsam die vier Himmelsrichtungen dieser Geographie des Geistes. Auch Jesaja singt: »Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, laßt Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen« (Jes 45, 8). 

5. Die Worte des Psalmisten wurden schon im 2. Jahrhundert von Irenäus von Lyon als Ankündigung der »Geburt Christi von der Jungfrau« (Adversus haer eses, III, 5, 1) gelesen. Die Ankunft Christi ist in der Tat die Quelle des Erbarmens, das Aufkeimen der Wahrheit, das Erblühen der Gerechtigkeit, der Glanz des Friedens. 

Die christliche Tradition liest deshalb den Psalm, vor allem den Schluß, unter weihnachtlichem Aspekt. Augustinus legte ihn in seiner Weihnachtsansprache wie folgt dar, und zum Abschluß unserer Reflexion geben wir ihm das Wort: »›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹: Christus, der gesagt hat: ›Ich bin die Wahrheit‹ (Joh 14, 6), wird von einer Jungfrau geboren. Wer an den, der geboren ist, glaubt, wird nicht von sich selbst, sondern von Gott gerecht gemacht. ›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹ :weil ›das Wort Fleisch geworden ist‹ (vgl. Joh 1, 14). Die ›Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder‹, weil ›jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben kommt‹ (Jak 1, 17). ›Die Wahrheit sprießt aus der Erde hervor‹, das heißt, sie hat von Maria einen Leib angenommen. Die ›Gerechtigkeit blickt vom Himmel hernieder‹: denn ›kein Mensch kann sich etwas nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist‹ (Joh 3, 27)« (Discorsi, IV/1, Roma 1984, S. 11). 


Psalm 84 ist ein froher Gesang des Dankes und der Hoffnung. Er hat die Heimkehr Israels aus der Babylonischen Gefangenschaft zum Thema. Der Psalmist erwartet die ewige Heimat, die neue Welt, in der Gerechtigkeit, Frieden und Heil walten. 

Im Wort „Heimkehr" klingt auch die Umkehr an. Sie meint ein Innehalten und Hören auf das, was Gott sagt. Ein neues Gottesvolk entsteht: Menschen, die sich unter Seinem Wort sammeln. Wir sind eingeladen, gemeinsam auf Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes, zu hören, um in seiner Gnade ein Segen für die Welt zu sein. 

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Herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich heute die Wallfahrergruppe „Rom im Rollstuhl" des Schönstatt-Werkes aus der Schweiz willkommen. Gott mache euch alle zu Boten seiner Langmut und Liebe!

    



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