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  JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 5. Februar 2003

 

Lesung: Psalm 117 

1 Aufruf an alle Völker zum Lob Gottes Lobet den Herrn, alle Völker, preist ihn, alle Nationen! 
2 Denn mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit. Halleluja! 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Während wir unsere Meditation über die Texte der Liturgie der Laudes fortsetzen, nehmen wir uns noch einmal einen bereits behandelten Psalm vor, den kürzesten der Texte des Psalters. Es ist der soeben gehörte Psalm 117, eine Art kleiner Hymnus, einem Stoßgebet ähnlich, das zu einem weltumspannenden Lobpreis des Herrn wird. Was verkündet wird, ist in zwei wichtigen Worten ausgedrückt: Liebe und Treue (vgl. V. 2). 

Mit diesen Worten faßt der Psalmist kurz den Bund zwischen Gott und Israel zusammen und stellt die tiefe, treue und vertrauensvolle Beziehung heraus, die zwischen dem Herrn und seinem Volk besteht. Wir hören hier den Widerhall der Worte, die Gott selbst auf dem Sinai gesprochen hat, als er an Mose vorüberging: »Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue« (Ex 34, 6). 

2. Trotz seiner knappen und bündigen Worte erfaßt Psalm 117 den Kern des Betens, das in der Begegnung und im lebendigen, persönlichen Dialog mit Gott besteht. In diesem Ereignis wird Gottes Geheimnis als Treue und Liebe offenbar. 

Der Psalmist fügt einen besonderen Aspekt des Betens hinzu: Die Gebetserfahrung soll in die Welt ausstrahlen und sich in Zeugnis gegenüber den Menschen verwandeln, die unseren Glauben nicht teilen. Zu Beginn weitet sich der Horizont zu »allen Völkern« und »allen Nationen« (vgl. Ps 117, 1), damit auch sie angesichts der Schönheit und der Freude über den Glauben den Wunsch verspüren, Gott zu erkennen, ihm zu begegnen und ihn zu loben. 

3. In einer technologischen Welt, die von der Verdunkelung des Heiligen untergraben wird, in einer Gesellschaft, die sich in einer gewissen Selbstzufriedenheit gefällt, ist das Zeugnis des Beters wie ein Lichtstrahl in der Finsternis.  

Am Anfang mag das Beten nur Neugier erregen, aber mit der Zeit kann es einen nachdenklichen Menschen dazu bewegen, nach dem Sinn des Gebetes zu fragen, und es kann schließlich immer mehr den Wunsch wecken, die gleiche Erfahrung zu machen. Deshalb ist das Gebet nie ein Ereignis für sich allein, sondern es will sich weiten und die ganze Welt miteinbeziehen. 

4. Wir betrachten jetzt den Psalm 117 mit den Worten eines großen Kirchenvaters des Ostens, des hl. Ephräm des Syrers, der im 4. Jahrhundert gelebt hat. In einem seiner Hymnen über den Glauben, im 14., bringt er den Wunsch zum Ausdruck, den Lobpreis Gottes nie verstummen zu lassen, und bezieht auch »alle, die die (göttliche) Wahrheit verstehen«, mit ein. Hier sein Zeugnis:

 »Herr, wie könnte meine Harfe dich nicht mehr lobpreisen? / Wie könnte meine Zunge dir untreu werden? / Deine Huld hat mir aus meiner Verlegenheit geholfen, aber mein Wille ist noch unbeugsam (9. Strophe). 

Es ist recht, daß der Mensch deine Gottheit anerkennt, / es ist recht für die himmlischen Wesen, deine Menschheit zu preisen; / die himmlischen Wesen staunten, als sie sahen, wie sehr du dich erniedrigt hast, / und die auf Erden staunten, wie sehr du dich erhöht hast« (10. Str.: L’arpa dello Spirito, Roma 1999, SS. 26-28). 

5. In einem anderen Hymnus (Nisibenische Hymnen, 50) bekräftigt der hl. Ephräm diese Aufgabe des unablässigen Lobes und nennt als Grund, so wie es unser Psalm empfiehlt, Gottes Liebe und Erbarmen für uns. 

»In dir, Herr, möge mein Mund aus dem Schweigen Lob hervorbringen. / Unser Mund möge nicht versäumen, dich zu loben, / unsere Lippen mögen nicht versäumen zu bekennen; / dein Lob möge in uns erbeben! (2. Str.). 

Denn es ist der Herr, in den die Wurzel unseres Glaubens eingepflanzt ist; / er ist fern, aber dennoch nahe in der Vereinigung der Liebe. / Mögen die Wurzeln unserer Liebe an ihn gebunden sein, / möge das Vollmaß seines Erbarmens über uns ausgegossen werden« (6. Str.: ebd., SS. 77. 80). 


Wie ein Stoßgebet erklingt Psalm 117 – das kurze und kraftvolle Lied des Alten Bundes: „Lobet den Herrn alle Völker, preist ihn alle Nationen. Denn mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit"

Gerne legt uns die Kirche diesen Psalm in den Mund. Denn wir Christen sind Zeugen des barmherzigen, gnädigen und langmütigen Gottes (vgl. Ex 34, 6). Seine Huld und Treue der hochtechnisierten und oft sinnentleerten Welt zu verkünden, gehört zu unseren vornehmsten und humansten Aufgaben. Unser Lobund Dankgebet will alle Menschen einladen, Gott, dem Herrn über Zeit und Leben, die Ehre zu erweisen. 

***

Mit einem herzlichen Gruß heiße ich die Besucher und Pilger aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Im Gebet durchbricht der Mensch die lähmende Macht falscher Selbstzufriedenheit. Der Kern des Betens ist die persönliche Begegnung mit dem lebendigen Gott. Geben wir ein frohes Zeugnis von Gottes Liebe und Treue zu uns Menschen! Seine Gnade erleuchte eure Herzen und begleite euch!

 



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