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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 28. Juli 2004

 

Lesung: Psalm 16,1–2.5.9–11

1. Wir haben soeben einen Psalm mit tiefer geistlicher Spannung gehört und gebetet, den wir nun genauer betrachten wollen. Trotz der Schwierigkeiten des Textes, die das hebräische Original vor allem in den ersten Versen aufweist, ist Psalm 16 ein frohes Lied mit mystischem Einschlag, wie schon das am Anfang stehende Glaubensbekenntnis zeigt: »Ich sage zum Herrn: ›Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein‹« (V. 2). Gott wird als das einzige Gut angesehen, und der Betende will sich in die Gemeinschaft derer einreihen, die dem Herrn treu sind: »An den Heiligen im Lande, den Herrlichen, an ihnen nur hab’ ich mein Gefallen« (V. 3). Deshalb weist der Psalmist die Versuchung zum Götzendienst mit seinen blutigen Riten und seinen gotteslästerlichen Anrufungen ganz entschieden zurück (vgl. V. 4).

Es ist eine klare und endgültige Entscheidung, die durch eine mutige und durchlittene moralische Option getroffen wurde und in Psalm 73, einem weiteren Lied des Gottvertrauens, Widerhall zu finden scheint: »Was habe ich im Himmel außer dir? Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde… Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen« (Ps 73,25.28). 

2. Psalm 16 entfaltet zwei Themen, die durch drei Bilder ausgedrückt werden. Da ist zunächst das Symbol des »Erbes«, das in den Versen 5–6 vorherrscht. Denn es ist die Rede von »Erbe, Becher und Los«. Diese Worte werden verwendet, um das Geschenk des Landes zu beschreiben, das dem Volk Israel verheißen war. Nun, wir wissen, daß die Leviten der einzige Volksstamm waren, der kein Landstück erhalten hatte, weil der Herr selbst ihr Erbteil war. Deshalb sagt der Psalmist: »Du, Herr, gibst mir das Erbe … Ja, mein Erbe gefällt mir gut« (Ps 16,5.6). Er erweckt den Eindruck eines Priesters, der seine Freude darüber bekundet, sich ganz dem Dienst an Gott widmen zu dürfen.

Der hl. Augustinus schreibt: »Der Psalmist sagt nicht: Gott, gib mir ein Erbe! Was wirst du mir denn als Erbe geben? Er spricht hingegen: Außer dir ist alles, was du mir geben magst, nichtig. Sei du mein Erbe. Dich liebe ich … Gott von Gott erhoffen, mit Gott von Gott erfüllt werden. Er allein genügt, nichts außer ihm kann dir genügen« (Predigt 334,3: PL 38,1469).

3. Das zweite Thema ist die vollkommene und ständige Gemeinschaft mit dem Herrn. Der Psalmist spricht die feste Hoffnung aus, vor dem Tod bewahrt zu werden und in Gemeinschaft mit Gott zu bleiben, was im Tod nicht mehr möglich ist (vgl. Ps 6,6; 88,6). Seine Worte setzen aber diesem Schutz keine Grenzen; ja, sie dürfen im Sinne eines Sieges über den Tod verstanden werden, der die ewige Gemeinschaft mit Gott gewährleistet.

Zwei Bilder werden vom Beter verwendet: Zunächst wird auf den Leib Bezug genommen. Die Exegeten sagen uns, daß im hebräischen Original von »Nieren« die Rede ist (vgl. Ps 16,7–10), dem Symbol für die Leidenschaften und das tiefste Innere, von der »Rechten«, dem Zeichen für Kraft, vom »Herzen«, dem Sitz des Gewissens, sogar von der »Leber«, die das Gefühlsleben ausdrückt, vom »Fleisch«, welches das flüchtige Dasein des Menschen bezeichnet, und schließlich vom »Lebenshauch«.

Es stellt die »Wesensganzheit« der Person dar, die nicht der Verwesung im Grab anheimfällt und vernichtet wird (vgl. V. 10), sondern im vollen und seligen Leben mit Gott erhalten bleibt.

4. Hier ist nun das zweite Symbol von Psalm 16, das des »Weges«: »Du zeigst mir den Pfad zum Leben« (V. 11). Es ist der Weg, der zur »Freude in Fülle vor Gottes Angesicht«, zur »Wonne für alle Zeit« zur Rechten des Herrn führt. Diese Worte passen sehr gut zu einer Auslegung, die eine hoffnungsvolle Perspektive eröffnet für die Gemeinschaft mit Gott über den Tod hinaus, im ewigen Leben.

An dieser Stelle liegt die Vermutung nahe, daß der Psalm im Hinblick auf die Auferstehung Christi ins Neue Testament aufgenommen wurde. Der Apostel Petrus zitiert den zweiten Teil des Liedes in seiner Pfingstpredigt in einem erhellenden österlichen und christologischen Zusammenhang: »Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt: denn es war unmöglich, daß er vom Tod festgehalten wurde« (Apg 2,24).

Paulus bezieht sich auf Psalm 16 in der Verkündigung des Paschas Christi bei seiner Rede in der Synagoge von Antiochia in Pisidien. In diesem Licht verkünden auch wir: »Du läßt deinen Frommen nicht die Verwesung schauen. David aber ist, nachdem er seinen Zeitgenossen gedient hatte, nach Gottes Willen entschlafen und mit seinen Vätern vereint worden. Er hat die Verwesung gesehen: der aber, den Gott auferweckte, hat die Verwesung nicht gesehen« (Apg 13,35–37).


Worin besteht das wahre Glück des Menschen? Der Beter in Psalm 16, den wir heute zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, kennt die Antwort. Er lebt sie auch: „Mein ganzes Glück bist du allein, mein Gott und Herr" (vgl. V. 2). Aus diesem gläubigen Wissen wächst der Wunsch nach vertiefter Gemeinschaft mit denen, die zum Herrn gehören, deren höchstes Gut Gott selber ist: „An den Heiligen im Lande, an ihnen nur hab’ ich mein Gefallen!" (V. 3).

Seine volle Bedeutung erlangt das alttestamentliche Lied erst im Licht der Auferstehung Jesu Christi. Wir Christen bekennen zu Recht mit den Worten des Psalmisten: „Auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit". Denn Gott gibt seine Gläubigen nicht der „Unterwelt" preis. Was der Apostel Paulus von Christus sagt, gilt schließlich für alle Erlösten: „Gott hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; es war unmöglich, daß er vom Tode festgehalten wurde" (Apg 2, 24).

Mit Freude begrüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. In Jesus Christus, dem Erlöser der Menschheit, zeigt Gott uns „den Pfad zum Leben" (Ps 16, 11). Das neue Leben muß in uns Gestalt annehmen. Dazu helfe euch der Herr! Von Herzen wünsche ich euch allen eine erholsame Ferienzeit.

  



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